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16 Förster Jovdan kränkelte Jahre lang und heute hatte ihm die einzige Tochter, — sein gutes Weib war ihm schon vor Jahren durch den Tod entrissen worden, — die Augen zugedrückt. Lange kniete Marie am Bette des Verblichenen, an der Leiche des Vaters. Dann erhob sie sich und wischte auS den Augen die Thronen, die der Abschied von dem heißgeliebten Vater hatte fließen lassen. Marie war ein starker Charakter, sie besaß jenen Edelmuth der Seele, der den Menschen nie verzweifeln läßt, auch dann nicht, wenn er dem Theuersten entsagen muß! „Schlafe wohl, guter Vater," sprach sie mit vibrirender Stimme, „und mögest Du vom Himmel auf Deine arme, nun verlassene Tochter segnend herabblicken, auf daß eS mir nicht allzu schwer wird, ohne Deine schirmende Hand durchs Lebe« zu gehen!" Plötzlich verklärten sich ihre Züge wunderbar, so daß kaum noch eine Spur des brennenden Schmerzes, der sie durchwühlte, auf dem lieblichen Antlitz zu entdecken war. Sie hatte eben von der Dorfstrabe her den Jubel vieler Stimmen vernonimen. Unwillig, in ihrem Schmerze gestört zu sein, war sie zum Fenster getreten. Da sah sie in langsamem Trabe einen offenen Wagen nahen. In dem Fond desselben lehnten zwei jugendliche Gestalten in Offiziersuniformen, Beide freundlich wohlwollende Gesichter zur Schau tragend. Der Eine von Gesundheit strotzend, der Andere bleich und kränklich. Ein Blick, und sie hätte auch ohne den Jubel der Dorf bewohner, welche den Wagen umringten und ihn am schnellen Fahren hinderten, die Söhne des Königs erkannt, welcher zur Zeit in Breslau residirte. Und ganz besonders das Bild des schwächlicheren Prinzen hätte sie unter Tausenden heraus« gefunden, denn es war ja das ihres ehemaligen Spielgefährten, das liebe, treue Antlitz des Prinzen Wilhelm! Ehrfurchtsvoll verneigte sie sich zum Gruße, denn der Schmerz um den eben erlittenen herben Verlust ließ kein freund liches Lächeln, keinen glückstrahlenden Blick, wie ihn dieses unverhoffte Wiedersehen sonst hervorgerufen hätte, zu. Da plötzlich überzog sich ihr liebliches Antlitz mit Purpur- röthe. War cs Täuschung? Nein, sie hatte sich nicht getäuscht, auch Prinz Wilhelm hatte seine Gespielin von Paretz erkannt!