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1»«. ergangen, die LebenSmittelzufuhr für den chine sischen Hof einzustellen, widrigenfalls, wie ver lautet, den Vizekönigen mit Maßnahmen der Ver bündeten gedroht wird. ES bleibt freilich noch abzuwarten, ob nicht dieser Schritt die entgegen gesetzte Wirkung haben und die Bizekönige des Südens offen auf die Seite des chinesischen HofeS und der Boxer treten wird; in diesem Falle dürfte sich die militärische Stellung der Verbündeten schwieriger gestalten. Im Uebrigen müssen dieselben nunmehr ernstlich mit den Un bilden des chinesischen Winters rechnen, beginnt doch schon der Peiho nördlich von Tungschou rasch zuzufrieren, so daß es wahrscheinlich ist, daß die Schifffahrt auf dem Peiho nächstens eingestellt werden muß. Hiermit würden aber die verbündeten Truppen m Peking, Tientsin, Paotingfu u. s. w. bezüglich ihrer Verpflegung vom Meere her in eine heikele Lage gerathen, da die zerstörte Eisenbahnlinie von Peking über Tientsin nach Taku noch immer nicht völlig wiederhergestellt ist, so daß die verbündeten Contingente im Innern der Provinz.Petschili durch das etwaige gänzliche Zusrieren des Peiho ihre bisherige einzige zuverlässige Verbindungs linie mit dem Meere verlieren würden. Hoffent lich gelingt es aber baldigst, die Eisenbahn von Taku nach Peking wieder in Betrieb zu setzen und weiter auch die von Taku nordöstlich nach dem Hafenplatze Schan-hai-kwan führende Linie wiederherzustellen, mit deren Reparatur die Russen bis jetzt allerdings unverzeihlich „ gebummelt haben. Politische Wcltschau. Der Kaiser wohnte am Freitag in Kiel Mittags 12 Uhr, fast unmittelbar nach seiner Ankunft auS Homburg v. d. H., der Vereidig ung der Marinerekruten bei. Im Anschlüsse an den eigentlichen VereidigungSakt hielt der Monarch eine Ansprache an die neuen Marinemannschaften, doch liegt über den Inhalt dieser kaiserlichen Kundgebung noch nichts Authentisches vor. Das Frühstück nahm der Kaiser in der Marineoffizier- Speiseanstalt ein. Im Verlaufe deS Freitag Nachmittag begab er sich nach dem Linienschiff „Kaiser Wilhelm II." und nahm aus demselben Wohnung. Abends fand beim Kaiser an Bord des genannten Linienschiffes eine größere Tafel statt. Der deutsche Kronprinz ist in OelS zur Abhaltung von Jagden eingetroffen; über die Dauer dieses JagdaufrnthalteS ist noch nichts bekannt. Von der CentrumSfraction des Reichs tages ist die Wiedereinbringung ihres schon förmlich traditionell gewordenen Antrages auf Aufhebung des Jesuitengesetzes be schlossen worden. Auch gedenkt das Centrum die Errichtung eines StaatSgrrichtShofeS für da» Deutsche Reich zu beantragen; man scheint dem nach in Centrumskreisen das Reichsgericht nicht als ausreichend zu erachten. Der noch immer vor dem Berliner Land gericht spielende Prozeß Sternberg hat mit der Verhaftung de» CriminalcommissarS Thiel, der bekanntlich mit in diesen Sensations prozeß verwickelt ist, eine neue interessante Wendung genommen. Die Verhaftung Thiel'» erfolgte wegen muthmaßlichen Zuwiderhandelns desselben gegen die Paragraphen 332 und 346 deS Strafgesetzbuches, von denen ersterer einen Beamten, der Geschenke oder andere Vorthrile für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält, annimmt, mit Zuchthausstrafe bi» zu fünf Jahren bedroht, während letztere Strafe bi» zu derselben Höhe «inen Beamten androht, welcher in der Absicht, Jemand der gesetzlichen Strafe rechtswidrig zu entziehen, sich vor dem Gesetz schuldig macht. Der Verdacht, daß Criminalcommissar Thiel den Zeugen, Criminalschutzmann Stierstädter, im Interesse de» Angeklagten Sternberg zu beein flussen gesucht habe, war schon in den ersten Tagen des Prozesse» Sternberg entstanden. In der Sternberg-Geschichte hat der berü—hmtr ehemalige Berliner Rechtsanwalt Fritz Friedmann seine Hand mit im Spiel. Friedmann hat sich in Belgien niedergelassen, um dort eine internationale Börsen - Zeitschrift herauSzugrben. Zur Herausgabe eine» solche» Blatte» gehören aber, wie zum Kriegführen, drei Dinge: „Geld, Geld, Geld". Und die Frage lag nahe, woher hat Fritz Friedmann diese» unentbehrliche Material bekommen? Jetzt theilt et» Berliner Blatt mit, Friedmann habe de» Sternberg seinen juristischen Scharfsinn und dieser ihm dafür seine Banknotentasche zur Ber- sächsische GezüHIer DaG« jU. fügung gestellt. Siner dieser „Herren" ist de» andern würdig! Und dabei hat Sternberg noch fünf Bertheidiger! Im dänischen Reichstage hat sich die drohende Spaltung unter den Conservativen insolge der Steuerresormfrage nunmehr definitiv vollzogen. Neun Mitglieder der Rechtspartei de» Landthing» sind, weil sie dir Steuervorlagen in der RegierungSsassung mißbilligen, au» ihrer bisherigen Partei auSgrschiedrn und haben sich zu einer besonderen Fraktion zusammrngrthan. In Frankreich bildet der nun voll zogene Besuch deS Präsidenten Krüger auf dem Boden der Republik da- einstweilen alle» andere beherrschende TageSereigniß. Gleich bei seiner Landung und dann bei seinem weiteren Aufenthalte in Marseille war der greise Staat»- chrf Transvaal« von der dortigen Bevölkerung mit stürmischer Begeisterung empfangen worden; gleiche Ovationen wurden ihm dann auf seiner am Freitag angrtretenrn Weiterfahrt nach Pari bereitet, so in Avignon, TaraScou, Vadence, Lyon und in Dijon, wo Krüger übernachtete. AIS er in seinem Dijoner Absteigequartier ein getroffen war, mußte er auf. stürmische» Ver langen der Volksmenge dreimal auf dem Balkon de» Hotel» erscheinen; an einem ihm zu Ehren von der Stadtverwaltung Abends gegebenen Bankett nahm Krüger wegen Uebermüdung nicht Theil. Am Sonnabend Vormittag setzte er die Reife nach Pari» fort; daselbst sollte noch am Sonnabend Nachmittag oder im Laufe de» Sonntag eine Zusammenkunft zwischen ihm und Präsident Loubet stattfinden. In seinen zu Marsrille gehaltenen verschiedenen Reden hat Krüger seinem ungebrochenen Vertrauen auf die noch nicht verlorene Sache der Buren wiederholt Ausdruck verliehen, dazwischen jedoch auch er klärt, daß die Buren entschlossen seien, bis zum letzten Manne gegen England weiter zu kämpfen. Im Uebrigen führte die Ankunft KrügerS in Marseille zu nicht unbedenklichen englandfeiud- lichen BolkSdemonstrationen in dieser Stadt, wobei allerdings daS provocirende Verhalten einiger Engländer beim Einzuge Krüger'» mit wirkte. Die Königin Wilhelmina von Holland sandte an Krüger ein Telegramm, in welchem sie ihre Genugthuung darüber, daß Krüger feine Uebersahrt auf einem holländischen Kreuzer zurücklegen konnte, sowie ihre Befriedig ung, daß er diese weite Reise gesund überstanden habe, ausdrückt. Die Separatisten in der spanischen Provinz Catalonien, also die Gegner der alfonsistischen Dynastie, haben den Versuch ge macht, den Besuch deS Präsidenten Krüger in Europa für ihre politischen Zwecke auSzubeuten. Sie ließen Krüger ein Schreiben zugehen, in der sie die Lage CatalonienS als derjenigen der süd afrikanischen Republiken ähnlich bezeichnen. Die Blätter in Barcelona verurtheilen indessen fast einmüthig die» Unternehmen der Separatisten, gegen welche auch die Militärbehörde Vorgehen will. Die CrisiS bei der Krankheit deS Czaren gilt jetzt als überwunden; immerhin heißt e», daß Complicationen noch nicht außerhalb aller Möglichkeit lägen. Die Aufständischen in Columbia sollten bei der Hafenstadt Buenaventura eine vernichtende Niederlage durch die Regierungs truppen erlitten haben. Hiermit scheint e» aber nicht so schlimm gewesen zu sein, denn inzwischen haben neue heftige Kämpfe bei Cuelbra stattge funden, in denen zur Abwechslung die kolum bianischen RegierungStruppen schwere Verluste er litten haben sollen. Ueber ein weitere» zwischen den Aufständischen und den RegierungStruppen in der Nähe von Panama stattgehabte» Gefecht liegt noch keine abschließende Meldung vor. * Kiel, 25. Novbr. Se. Maj. der Kaiser begab sich heute Vor«, von Bord de» „Kaiser Wilhem II" zum Besuch der Familie Sr. König!. Hoheit de» Prinzen Heinrich in'» Schloß. ; Deutscher Reichstag. 5. Sitzung vom 22. Novbr., Nachm. 1 Uhr. Am Bunde»- rathStisch: Reichskanzler Graf v. Bülow, Graf v. PosadowSky, Frhr. v. Thielmann, v. Goßler von Tirvitz und zahlreiche Kommissarten. Bei dicht gefüllten Tribünen, aber wiederum sehr lückenhaft besetztem Hause wurde die erste Lesung der Chinavorlage fortgesetzt- Erster Redner war der Abg. Payer (südd. VolkSp.), der in der Nichteinberufuog de» Reichstag» im letzten Sommer nicht nur einen schweren politischen Fehler, sondern geradezu eine Verfassung-Ver letzung erblickte, für di« Indemnität nachaesucht werden müsse. Eine Hauptschuld an dieser Unter« laffung-sünde trag« der VundeSrath, der aller ding» niemals unbescheiden gewesen sei. Der Ausschuß de» VundeSrath» hätte selbst prüfe« und die Einberufung de» VundeSrath» fordern sollen. Statt dessen hab« er sich damit begnügt, den Vortrag de» Herrn von Bülow anzuhörrn, und zu allem Ja und Amen gesagt. Der Reichs tag werde sorgfältig zu prüfen haben, ob In demnität ertheilt werden könne. Baierischer Ge sandter Graf Lerchenfeld erklärt diese Auf fassung seine» Vorredner» für irrthümlich; der Bunde»rath»-Au»schuß für auswärtige Angelegen heiten hat diese Dinge sehr sorgfältig geprüft und ist zu einer einmüthigen Billigung der Chinaaktion gekommen, ebenso hab« er die Ein berufung de» Reichstag» nicht für thunlich ge halten. Abg. v. DziembowSki (Pole) gab der Genugthuung darüber Au-druck, daß der Reichs kanzler die Boxerbewegung so scharf verurtheilt habe, folgerichtig werde der Reichskanzler nun mehr auch die Boxerbewegung in Preußen ver urtheilen, die unter Führung de» Herrn v. Miquel dahin geht, die Staatsangehörigen polnischer Zunge zu unterdrücken. (Beifall bei den Polen. Heiterkeit recht») Abg. Stöcker (wild-kons.) ist gleichfalls der Meinung, daß der Reichstag vor Beginn einer so umfassenden Aktion hätte einberufeu werden müssen. Er verstehe nicht, wie die Regierung e» unterlassen konnte, in dieser Frage sich mit dem Reichstag zu verständigen. Sehr scharf verurtheilte Redner da» vaterlands lose Gebühren der Sozialdemokratie, die da glaube, der Reichstag sei blo» dazu da, die Armee schlecht zu machen und da» Bürgerthum zu verherrlichen. (Lärm bei den Sozialdemo kraten.) Die Sozialdemokratie, die kein Wort der Entrüstung für die unerhörten Grausamkeiten der Pariser Kommune gehabt hat, hat allerdings keinen Grund, sich jetzt über Grausamkeiten zu entrüsten. Redner verbreitet sich sodann in aus führlicher Weise über die Loge in China, über die Ursachen der jetzigen Bewegung und giebt der Hoffnung Ausdruck, daß unsere Aktion von Erfolg sein möge. Abg. v. Hodenberg (Welfe) spricht sich in ähnlichem Sinne auS. — Rach ihm erhält Abg. Singer (Soz.) das Wort, der sich in ähnlich abfälliger Weise über die China politik äußerte, wie sein FraktionSgrnosse Bebel. Im weiteren Verlauf griff Redner den Abg. Stöcker und die Regierung fortgesetzt scharf an und wurde dafür zweimal zur Ordnung gerufen. Abg. vr. Bachem (Ctr.) widerlegt die Angriffe auf die katholischen Missionen seitens der Sozial demokraten. In ganz China wird sich Niemand finden, der die Christenverfolgungen so vertheidigt, wie dies hier der Abg. Bebel gethan hat. (Sehr richtig! und Zustimmung.) Abg. Frhr. Wangen heim (B. d. L.) Wer sich ohne Scheuklappen im Lande umgesehen hat, wird wahrgenommen haben, daß daS deutsche Volk mit den Maß nahmen unseres Allerhöchsten Herrn durchaus einverstanden ist, daß eS ihm vollsten Beifall be kundet hat. (Bravo!) Hätte Bebel einen Feld zug mitgemacht, so würde er wissen, daß e» Situationen giebt, in denen man keinen Pardon geben kann. Wir Agrarier haben doch wahrlich ein recht geringes Interesse an der Chinapolitik. (Sehr richtig! recht».) Wir haben von China gar nichts zu erwarten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es Stellen und Kreise giebt, die grundsätzlich dem Kaiser gefälschte Bericht« unter breiteten. (Hört, Hört!) Darauf muß endlich einmal rücksichtslos an der Stelle, wo dies einzig möglich ist, nämlich hier, hingewiesen werde«. Wir haben hundert tausende deutscher Männer, die eS schwer und schmerzlich empfinden, daß e» einflußreiche Kreise giebt, die eine Wolke zwischen den Kaiser und sein Volk schieben, eine Wolke, die nicht bla» auS Weihrauch besteht, sondern auch andere liebliche Gerüche athmet. Dadurch wächst die Mißstimmung im Lande. Ich hoffe, daß r» dem jetzigen Reichskanzler gelingen wird, solche Unterströmungen zu beseitigen, und daß er dem Allerhöchsten Herrn die Dinge so dar stellen wird, wie sie sind. Die Mehrheit de» deutschen Volke» ist der deutschen Weltpolitik absolut abgewandt, unser« Macht ruht im deutschen Vaterland«, und wir hoffen, daß der Reichskanzler in dieser Beziehung, wie er ja am Montag be kundet«, die Stütze unserer Macht in Europa suchen wird. (Lebhafter Beifalls) Der vorge rückten Stunde wegen wurde Vie Weiterberathung auf Freitag 1 Uhr vertagt. Schluß 6 Uhr. * 6. Sitzung vam 23. November. 1 Uhr. Am VundeSrath»tisch: Graf v. Bülow, Graf v. PosadowSky. Bei schwächer besuchtem Haust setzte der Reichstag h«st am vierten Tage die Generaldebatte zur Chinavorlaae fort. Erster Redner war der Abg. vr. Hass« (al.), der die