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Der sächsische Erzähler Gelte » ohne Ausbringung neuer Steuern verwirklichen lassen werde; inwieweit sich die Flottenverstälkung wirklich durchführen lassen wird, ohne die Struerkraft de- deutschen Volke- direkt oder indirekt stärker anzuspannen, da- muß allerdings noch dahingestellt bleiben. Bereit» verlautet, daß an die Regierungen von Baiern, Württem berg und Baden im BundeSrathe die Einführung einer Reichssteuer zur Deckung der Kosten der Flottenvorlage angeregt worden sei, und zwar in Testalt eine- Zuschläge» zu den Erb schaftssteuern der größeren Vermögen. Einst weilen scheint eS sich hierbei aber nur um ein ganz flüchtige- Projekt, einen ganz unverbind lichen Vorschlag zu handeln, auch bleibt ja noch abzuwarten, ob nicht doch die Beschaffung der Mittel für die Flottenverstärkung auf den in der Vorlage angedeuteten Wege ohne Erschließung neuer Steuerquellen zu ermöglichen sein wird. Im Reichstage machte Präsident Graf Balle strem am Freitag vor Eintritt in die Tagesordnung die offizielle Mittheilung vom Ableben der Mutter der Kaiserin, der Frau Herzogin-Wittwe Adelheid von Schleswig-Holstein, und erbat sich im An schlüsse hieran die Ermächtigung des HauseS, dem Kaiserpaare die innige Theilnahme des Reichstages an dem Trauerfalle ouSdrücken zu dürfen, welche Ermächtigung selbstverständlich auch ertheilt wurde. Dann nahm der Reichstag die tag« zuvor abgebrochene Spezialberathung der Novelle zum Strafgesetzbuchs, der söge- nannten Lex Heinze, betreffend die Verschärfung der Strafen auf Kupp.lei uiw., wieder auf! Zunächst entspann sich eine abermalige hitzige DiScusston in Sachen des schon am Donners tag erörterten § 181 b der nach der Regierungs vorlage das Vermiethen von Wohnungen an Prostituirte als nicht strafbar erklärt, wenn hierbei nicht etwa eine Ausbeutung solcher Frauenspersonen seitens der Vermicther mit im Spiele ist. Die Kommission hat diesen Para graphen gestrichen. Abg. Beckh, (sr. Bolksp.), beantragte, daß ausdrücklich die Straflosigkeit derartiger Miethsverhältnisse im Gesetz fcstgelegt werden solle, während ein Antrag der Sozial demokraten etwaige polizeiliche Vorschriften, wo nach Prostituirte nur in bestimmten Stadttheilen, Straßen, Häusern wohnen, oder nicht wohnen dürfen, als unzulässig erklärt wissen will. In der Debatte sprachen lebhaft zu Gunsten der Wiederherstellung des 8 181 b die Abgeordneten Gamp (Reichspartei), zu Gunsten des Kom missionsbeschlusses, aber die Abgeordneten vr. Eiche, (nat.-lib.), Stöcker (christl.-soz.), vr. Höffel (Reichsp.), Himburg (kons.), Roeren (Centr.), Schremps (kons.) während Abg. Beckh sür seinen erwähnten Antrag plaidirte. Die ziemlich ver wickelte Abstimmung ergab die Wiederherstellung deS § 181 b mit einigen Abänderungen. Para graph 182 bestimmt nach der Regierungsvorlage, daß die Verführung eines unbescholtenen Mädchens unter 16 Jahren aus Antrag mit Gesängniß bis zu einem Jahre zu bestrafen ist, während die Kommission beschlossen hat, sür „unter 16 Jahren" zu setzen „unter 18Jahren"; nach längerer Debatte wurde 8 182 in der KommisfionSfassung genehmigt, worauf Schluß der Sitzung erfolgte. Am Sonnabend pausirte der Reichstag, am Montag steht der Postetat zur Berathung. Die Budgetkommission des Reichs tages genehmigte am Freitag die Kolonialetats für Deutsch-Ostofrika, Togo nnd Kamerun. Das preußischeAbgeordnetenhaus führte am Freitag die allgemeine politische De batte, die sich beim Ausgabeposten „Gehalt deS Ministers" deS Etats der Landwirthschoftlichen Verpachtung entspannen hatte, nach mehrtägiger Dauer zu Ende und genehmigte zuletzt den ge nannten Posten. Bei der ReichStagsersotzwahl im nirder- baierischen Wahlkreise Deggendorf ist der Kandidat deS CentrumS, Graf Preysing, wie zu erwarten stand, mit erdrückender Mehrheit zum Abge ordneten gewählt worden. Ueber das Verhalten deS Kaisers gegen Eng land giebt der „Hann. Kurier" eine Zuschrift au» London wieder, indem er freilich die Gewähr für die Richtigkeit der darin enthaltenen Behaup tungen ablehnt. Immerhin ist die Auslassung bemerkenSwerth. Sie lautet: „Die Rede deS Grafen Bülow, die von der englischen Presse ziemlich obenhin behandelt wird, hat in den hiesigen Regierungskreisen einen sehr peinlichen Eindruck hervorgerufen, und da man mit gutem Grunde annimmt, der deutsche Minister de» Leußeren würde sich nicht so scharf ausgedrückt haben, wenn er nicht da» Einvrrständniß Kaiser Wilhelms vorher eingeholt hätte, so sind Berfuche -emacht worden, die Königin Viktoria zu ver- I anlassen, sich in der Sache direkt an den deutschen Herrscher zu wenden. Da» ist auch geschehen, aber die Antwort eingetroffen, daß der Souverän den berechtigten Wünschen der deutschen Nation Rechnung tragen müsse nnd darauf hingewiesen hätte, wie wenig gerade die englische Regierung thäte, um ein freundliche» Einvernehmen herzu stellen." Hierzu bemerkt die j, Deutsche Ztg.": „UnS ist eine private Aeußerung de» Kaiser» be kannt geworden, die mit der hier zum Ausdruck gekommenen Auffassung nicht nur übereinstimmt, sondern im anti-englischen Sinne noch darüber hinauSgehen würde. Auch wird in unterrichteten Kreisen behauptet, daß der Kaiser seinen Räthen gegenüber durchaus der Vertreter der schärferen Tonart sei." Prinz Ludwig, der baierische Thron folger, hat bei der von den in München lebenden Offizieren des BeurlaubtenstandeS veranstalteten Feier von Kaisers Geburtstag eine hochpatri otische Rede gehalten. In derselben feierte der erlauchte Redner den Kaiser als Erhalter und Mehrer deS Reiche» und als Friedefürst, um dann aus die nationalen und reichsdeutschen Bestrebungen des Prinz-Regenten Luitpold hin zuweisen und zugleich die geschichtliche Stellung Baierns in Deutschland hervorzuheben. Weiter prüS Prinz Ludwig das segensvolle Wirken deS Prinz-Regenten für BaiernS Wohlfahrt, und schloß er seine gedankenreiche Rede mit einem Hoch auf den Prinz-Regenten. Die Neuwahl deS Prager Bürger meisters wächst sich zu einer Kraftprobe zwischen Alt- und Jungczechen aus. Auch der am Freitag vorgenommene dritte Wahlgang blieb unent schieden ; der bisherige Bürgermeister vr. Podlipny den die Jungczechen kandidiren, erhielt 42 Stimmen, der Kandidat der Altczechen, der drn schönen Namen Srb führt, erhielt 43 Stimmen, dem nach hat keiner der beiden Kandidaten die er forderliche Stimmenzahl, die erst die Gültigkeit der Wahl bedingt zu erreichen vermocht, erhalten. Es ist nunmehr ein vierter Wahlgang auf nächsten Freitag anberaumt worden. Nach Be endigung des jüngsten Wahlaktes bereitete das aus den Straßen angesammelte Publikum dem vr. Podlipny stürmische Ovationen unter gleichzeitiger Verhöhnung der Altczechen. Zum Bergmannsstreik ist nicht» besondere» Neues zu verzeichnen. ,, Der Pariser Assumplirnisten-Prozeß droht einen Konflikt zwischen der französischen Regierung und dem Kardinal-Erzbischof von Paris, Richard, nach sich zu ziehen. Letzterer hatte den Assumptirnisten alsbald nach ihrer Verurtheilung einen Besuch abgestattet, was man in den Pariser Regierungskreisen als eine feind selige Demonstration gegen die Regierung und die Republik auszusasfen scheint. Wenigstens wird aus Paris gemeldet, der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau haben den Kardinal-Erzbischof um Erklärungen über feinen Besuch bei den Assumptirnisten ersucht, von einer Antwort des Monsignore Richard verlautet aber noch nichts. Der Papst nahm am Freitag in einer dem preußischen Gesandten beim Vatikan, Frei herrn v. Rothenhan, ertheilten Audienz, die Glückwünsche desselben zum Jahreswechsel ent gegen. Hierbei beauftragte der Papst den Ge sandten, dem deutschen Kaiser seine Glückwünsche zu dessen Geburtstage und der Kaiserin den Ausdruck seines Beileids anläßlich des Hin scheidens der Herzogin Adelheid von Schleswig- Holstein zu übermitteln. Ex-König Milan von Serbien ist von seinem Sohne, dem König Alexander, zum „Armee general" ernannt worden, welcher eigenartige Rang bei der Neuorganisation der serbischen Armee geschaffen worden ist. AuS Sofia werden osfiziöserseit« die Ge rüchte, Bulgarien wolle seine vollständige Un abhängigkeit erklären, als unbegründet bezeichnet. Die Kaiserin-Wittwe von China hat, das kann kaum mehr bezweifelt werden, einen Staatsstreich begangen. Sie hat ihren Adoptiv sohn, den Kaiser Kuanangsü, zur Abdankung gezwungen, nachdem er vorher auf Befehl der Kaiserin-Mutter den neunjährigen Prinzen Pu Chun zum Thronerben hatte erklären müssen. Dann soll der unglückliche Monarch Selbstmord begangen haben, möglicher Weise ist er auch heimlich beseitigt worden. Biele hohe chinesische Beamte und ebenso der Generalissimus der chinesischen Armee Uung-lu, wurden von der Kaiserin-Mutter entlassen, weil Letztere glaubt, dieselben seien mit dem Staatsstreich nicht einverstanden gewesen. Die weitere Entwickelung der neuen Lage in China wird vielleicht zu einer europäischen Intervention führen. Primkenau, 27. Januar. Die Leiche der verewigten Herzogin Friedrich zu Schleswig- Holstein traf heute Vormittag 10 Uhr auf dem hiesigen Bahnhöfe rin und wurde */,lUhr unter dem Geläute der Glocken nach dem Schlöffe übergeführt. Dem vierspännigen Leichenwagen folgte zu Wagen Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein nebst Gemahlin, Herzogin Friedrich Ferdinand zu SchleSwig-Holstein, Prin zessin Feodora zu SchleSwig-Holstein und Prinz Philipp von Sachfen-Coburg und Gotha. Im Lrichenzuge befanden sich ferner die kirchlichen und städtischen Behörden, Vereine und die her- zoglicbrn Beamten. Zur Seite de« Leichen wagen» schritten 12 Forstbeamte und eben so viel Hüttenarbeiter. Die Aufbahrung erfolgte in der Schloßkapelle. * Primkenau, 28. Jan. Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin trafen heute Mittag 12'/, Uhr in Begleitung de» Prinzen Friedrich Ferdinand zu Schleswig-Holstein hier ein. Im Gefolge Ihrer Majestäten befanden sich Ober hofmeister Frhr. v. Mirbach, Kammerherr von dem Knesebeck, Oberhofmeisterin Gräfin Broch dorff, Palastdame Gräfin Keller, Oberhosmarschall Gras zu Eulenburg, HauSmarschall Freiherr v. Lhncker, Generaladjutant General der Infan terie v. Pleffen, Flügeladjutant Major v. Boehn und Korvettenkapitän Grumure, sowie der Leib arzt Prof. vr. v. Leuthold. Zum Empfang der Allerhöchsten Herrschaften waren der Herzog und die Herzogin Ernst Günther zu SchleSwig- Holstein, sowie Hofmeister Frhr. v. Buddenbrock und die Spitzen der Behörden erschienen. Nach herzlicher Begrüßung begaben sich Ihre Majestäten nach dem mit Trauerfahnen geschmückten Schloß. Zu beiden Seiten des Weges bildeten Vereine und Schulen Spalier. Bald nach der Ankunft Ihrer Majestäten trafen ein der Prinz und die Prinzessin Friedrich Leopold von Preußen, Prinz Albert zu Schleswig-Holstein, Prinz Hohenlohe- Langenburg, Prinz Johann Georg von Sachsen, der Erbgroßherzog von Oldenburg, die Prinzen Friedrich und Ernst von Sachsen-Meiningen, Prinz Aribert von Anhalt, der Erbprinz Reuß jüngere Linie, Herzog von Ratibor, Prinz Max zu Hohenlohe - Oehringen und Gras Rudolph zur Lippe. * Primkenau, 28. Jan. Die Trauerfeier in der Schloßkapelle begann gegen 2 Uhr. Der Sarg war über und über mit Kränzen bedeckt; darunter befanden sich solche Ihrer Majestäten de» Kaisers und der Kaiserin, des Kaiser» von Oesterreich, des Kaisers von Rußland, deS Königs und der Königin von Sachfen. Als die Fürst lichkeiten zu beiden Seiten deS Sarges Platz genommen hatten, sang der Glogauer Männer gesangverein unter Leitung seines Dirigenten vr. Niesten das Eingangslied. Sodann hielt Oberkonsistorialrath v. DibeliuS die Trauerrede über den Text: „Die Liebe hört nimmer auf!" Superintendent Jentsch-Primkenau segnete die Leiche ein. Mit einem Schlußliede endete die Feier. Während sich nun der Trauerzug formirte, blieben die fürstlichen Damen in der Kapelle. Von der Kapelle ging der feierliche Zug unter dem Geläute der Glocken durch die Straßen der Stadt Primkenau nach der Gruft in der evang. Stadtkirche. Voran schritten die herzoglichen Beamten und deren Dienerschaft mit Kränzen und Blumengewinden. Ihnen folgten die Kapellen de» Posen'schen Infanterie-Regiment» Nr. 58 und des Feldartillerie-RegimentS v. Pod- bielski (Niederschles. Nr. 5). Hinter den Kapellen schritten die Geistlichkeit beider Kon fessionen und Hosmarschall Frhr. v. Boddenbrock denen der vierspännige Leichenwagen mit dem Sorge der hohen Verschiedenen folgte. Neben dem Wagen schritten al» Träger Förster, Hüttenleute und Diener. Hinter dem Sarge schritt Herzog Ernst Günther zu SchleSwig- Holstein und Se. Majestät der Kaiser, dann die anwesenden Prinzen und Fürstlichkeiten, sowie die Vertreter von Fürstlichkeiten, der Oberst kämmerer Graf SolmS-Baruth, der kommandirende General des V. Armeekorps, Generalleutnant v. Stuelpnagel, der Oberprästdent von Schlesien Herzog zu Trachenberg, da» Gefolge der Aller höchsten und Höchsten Herrschaften, Vertreter der Schleswig-Holstein'fchen Ritterschaft, ver schiedener Offiziercorps, de» schlesischen Grund besitzes und der schlesischen Städte, der Magistrat und die Stadtverordneten von Primkenau. Unter Gesängen und Gebeten erfolgte sodann in der Gruft die Beisetzung der Herzogin an der Seite ihre» Gemahl». Nach der Beisetzung begab sich der Kaiser zu Wagen in» Schloß zurück. * Primkenau, 28. Jan. Heute Nachmittag fand im Schlosse Familientafel statt. Vie Metze» zahl der erschienenen FürfÄichkrUgMWWW