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11» Englands Weltmachtspolitik und die südafrikanische Frage. ES verlohnt sich schon lange nicht mehr der Mühe, zwischen den streitenden Parteien in Süd» afrika, den Engländern und Ausländern in Transvaal auf der einen Seite und den Boern und Afrikandern auf der anderen, den Rechts streit klar zu legen, denn immer mehr stellt sich heraus, daß der englische Minister Chamberlain durch eine Reihe hinterlistige Manipulationen dir Boern politisch und diplomatisch kalt stellen und dann mit Ruhe in den weiten englischen Schnapp sack stecken oder durch Kriegsdrohungen und nöthigenfallS durch Krieg der englischen Herrschaft unterwerfen will. Scheinbar hätten ja die Eng- länder ein Recht sich in die inneren Verhältnisse der Boern-Republik einzumischen, weil die Boern den in ihrem Lande wohnenden Ausländern, zumal den zahlreich dort wohnenden Engländern, die Erwerbung der politischen Rechte verweigern. Aber an sich hat doch wahrhaftig jeder Staat das Recht, eiugewanderten Leuten fremden Stammes daS Bürgerrecht zu verweigern. Dir Boern haben nur den großen Fehler begangen, daß sie so vielen Engländern daS Niederlassungsrecht in ihrem Lande gestatteten, denn daraus kommi in Hinblick auf den Umstand, daß England bereits in den Jahren 1881 und 1882 durch einen Handstreich die TranSvaal-Republik erobern und in eine englische Colonie verwandeln wollte, nur Schlimmes für die Boern entstehen. Im Interesse seiner Welt- machtSpolitik, seines Handelsmonopols und seines Beutemachens in überseeischen Ländern will eben England keinen selbständigen Staat in Südafrika dulden. ES kommt dazu, daß die in den letzten Jahren in der TranSvaal-Republik entdeckten großen Goldlager und Diamantenfelder die Er- oberungSlust der Engländer kolossal reizen. Schätze sammeln, bequeme Beute in werthvollen über seeischen Ländern machen, das hat schon seit dreihundert Jahren, während die Deutschen, Franzosen, Schweden, Dänen, Russen und Türken sich gegenseitig blutig bekämpften, den Engländern gefallen, und daS reiche Gold- und Diamanten land Transvaal soll nun auch ihre Beute werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will England sogar auS dem Mutterlande 50,000 Soldaten nach Südafrika schicken. Wenn sich die Boern den englischen Forderungen nicht fügen, wird eS daher ohne Zweifel zum blutigen Kriege in Südafrika kommen, und die Welt wird nun bei England und bei Amerika die ränkevolle, schmähliche Er- oberungS- und Beutemachepolitik sehen, welche man früher bei den Franzosen unter den Napoleonen so sehr verabscheut hat. Humanität, Menschen- hoheitSrechte, Freiheit und Cultur wird im Munde geführt, um die Eroberungspläne zu verschleiern. Natürlich, wenn die Boern-Republik besiegt ist, dann wird England auf den Leichen der für ihre Selbständigkeit und Freiheit gefallenen Boern schon Ordnung und Recht nach englischem Muster schaffen. Man sieht daraus, baß trotz aller Fortschritte der menschlichen Kultur immer noch die Macht über das Recht in der politischen Welt triumphirt, es sei denn, daß Gott den Boern in Transvaal und ihren Bundesgenossen, den Boern in dem Oranje-Freistaate, Wunder der Tapferkeit vollbringen und die Engländer schlagen läßt, oder daß ein Aufstand in Englisch- Indien den Boern zu Hilfe kommt und Englands Kräfte theilt. Politische Weltschau. Kaiser Wilhelm hat auch in der Waldesein- samkeit von Rominten neben der Ausübung des edlen Waidwerkes die Erledigung der laufenden Regierungsangelegenheiten nicht vernachlässigt; u. A. empfing der Monarch in Rominten den Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes Admiral Tirpitz und den Vertreter des Auswärtigen Amtes zu Vorträgen. Unterdessen dürften der Kaiser und die Kaiserin wieder in Potsdam ein getroffen sein, wo auch zur Stunde die Königin Wilhelmina der Niederlande und deren Mutter in Ausführung ihres angekündigten Be suches am kaiserlichen Hose erschienen sind. König Albert von Sachsen sollte jüngst auf einer Ausfahrt ernstlich durch einen Eisenbahnzug gefährdet gewesen sein; daS Dresdner Oberhosmarschallamt giebt indessen be- könnt, daß ihm von einem solchen Vorfall durch aus nicht» bekannt sei. Der Reichskanzler Fürst Hohen lohe hat bei der Takel, die er zu Ehren des in Berlin tagenden internationalen Geographen- CongresseS veranstaltete, eine Rede gehalten, in welcher er die geographische Forschung feierte. Der sSchpsche Erzähler. Gest, ». In derselben fehlte eS auch nicht an Streifblicken auf die innere Lage im Deutschen Reiche. U. A. betonte er, daß Deutschland durch die Aenderung seiner Zollgesetzgebung mehr und «ehr zu einem Industriestaat umgestaltet worden sei und neue Absatzgebiete nöthig habe, bei deren Aufsuchen die Geographen gleichsam die Rolle von Pfad findern spielten. Mit einem Anfluge von Humor meinte dann der Fürst-Reichskanzler, diese Um wandlung Deutschlands in einen Industriestaat könnten die deutschen Agrarier, zu denen er selbst als Großgrundbesitzer gehöre, vielleicht beklagen, aber die Sache wäre nicht mehr zu ändern. Möglicher Weise har man in dieser Aeußerung deS Reichskanzlers eine Bedeutung zu erblicken, daß die agrarische Partei beim Abschluß der neuen deutschen Handelsverträge nicht auf allzu weitgehende Rücksichtnahme auf ihre Interessen rechnen, darf. Die offiziöse Versicherung, eS be- bestünden keinerlei Gegensätze im preußischen Staatsministerium, ist offenbar bestimmt, den er neuten Gerüchten über eine Krisis in den leiten den Berliner Regierungskrisen ein Ende zu machen. Besonderen Glauben findet diese Ver sicherung freilich fast nirgends, wenn sie auch äußerlich durch den Umstand, daß jüngst der Reichskanzler seinem angeblichen Widerpart, dem Finanzminister v. Miquel, einen Besuch abstattete, worauf Herr vr. v. Miquel an der Geographen. Soiröe im ReichSkanzlrrpalaiS theilnahm, an scheinend eine Begründung erhält. Jedenfalls wird man die weitere Entwickelung der Dinge noch abwarten müssen. DaS Ergebniß der Urwahlen zum sächsischen Landtage läßt sich nunmehr wenigstens theilweise übersehen. Hiernach werden z. B. Leipzig 3 und Leipzig 5, ferner Dresden 5, Pirna u. s. w., dann Riesa u. s. w., Mylau - Lengenfeld« Treuen, Zöblitz - Marien berg und eine Reihe ländlicher Wahlkreise auf Grund der Ergebnisse der Urwahlen konser vative Abgeordnete, die Wahlkreise Freiberg, Zwickau, Frankenberg-Hainichen, Glauchau- Meerane, nationalliberale Abgeordnete in die zweite Kammer entsenden. Ein vollständiger Ueberblick über die Wahlergebnisse wird indessen erst nach den Wahlen der Abgeordneten selbst möglich sein. Die baierische Thronrede zur Land tagseröffnung trägt keimnflei politischen Charakter, sieht man etwa von dem hoffnungsvollen Aus blicke an ihrem Schluffe aus die weitere Er haltung der Segnungen des Friedens ab. Die Kundgebung enthält nicht den geringsten Hinweis auf die durch die stattgehabten Neuwahlen zum Landtage verursachte Veränderung in der parla mentarisch-politischen Lage in Baiern, die sich in der beherrschenden Stellung der Centrumspartei im neuen Abgeordnetenhause auSprägt. Es wird demnach erst die Entwickelung der Dinge im baierische» Landtage selbst zeigen, welche Be deutung eigentlich dem Siege des Centrums bei den verflossenen Wahlen zukommt. Einstweilen hat die Session des neuen daierischen Ab geordnetenhauses in friedlicher und versöhnlicher Tonart begonnen, denn nahezu einstimmig wurden am Freitag vr. Orterer vom Centrum zum Präsidenten, und v. Keller von den Liberalen zum Vicepräsidenten gewählt. Im weiteren Ver laufe der Freitagssitzung deS Abgeordnetenhauses legte Finanzminister vr. v. Riedel daS Budget für 1900/1901 vor, wobei er in seiner hierzu gehaltenen Rede wiederum dem Wunsche Aus druck verlieh, daß endlich eine dauernde Ordnung der finanziellen Beziehungen des Reiches zu den Einzelstoaten zu Stande käme. Der Großherzog von Luxemburg ist auf seinen oberbaierischen Besitzungen nach einer Meldung der Wiener „Poln. Korresp." erkrankt. Da die Familie des hohen Patienten an -dessen Krankenlager berufen worden sein soll, so scheint die Erkrankung deS Großherzog» Adolf nicht unbedenklicher Natur zu fein, besonders, wenn man fein hohes Alter berücksichtigt. »In Oesterreich ist nunmehr rin Beamten ministerium an Stelle deS zurückgetretenen Kabinetts Thun, wie die- zu erwarten stand, gebildet worden. Präsident desselben ist Baron Clary-Aldringrn, der bisherige Statthalter von Steiermark; im Allgemeinen kann der Charakter deS neuen Ministeriums, soweit bei einem bloßen Beamten - Ministerium von einem politischen Charakter gesprochen werden darf, als ein deutsch freundlicher bezeichnet werden, wie denn überhaupt an der maßgebendsten Stelle in Wien äugen- blicklich ein den Deutschen günstiger Wind weht. Am Freitag gewährte Kaiser Franz Josef den Obmännern der Klubs der deutschen Linken eine fast zweistündige Audienz, in welcher der Monarch 1S«O. seinen Entschluß erklärte, ein Beamtenministerium zu bilden und zugleich die Zurückziehung der Sprachenverordnungen veranlassen zu wollen. Die Vertreter der deutschen OpposttionSgruppen sollen denn auch mit den besten Eindrücken au» dieser Audienz geschieden sein — hoffentlich entspricht der fernere Verlauf der Dinge in Oesterreich diesen Eindrücken! Die im verlaufe der DreyfuSaffSre gemachteu Erfahrungen haben die französische Re gierung veranlaßt, Veränderungen in den Be stimmungen über die Beförderung der höheren Offiziere zu treffen. Diese Veränderungen laufen in der Hauptsache darauf hinaus, daß da» Avancement der Generäle künftig nicht mehr vom obersten KriegSrathe auSgehen, sondern vom Kriegsminister abhängen soll; letzterer würde künftig allein befugt sein, solche Beförderungs vorschläge dem Präsidenten der Republik zu unterbreiten. Inzwischen wird die Entdeckung eine- neuen antirepublikanischen Komplotts ge meldet, als dessen Sitz die Garnison ChLteauroux bezeichnet wird; ein Theil des OsfizierkorpS von ChLteauroux soll in daS vom royalistischen Abgeordneten geleitete Komplott verwickelt sein. Drei der kompromittirten Offiziere wurden auf Verfügung deS Kriegsministers strafversetzt, gegen andere Offiziere stehen noch Maßnahmen bevor. Gegenüber der Meldung, die Regierung beabsich tige, Delegirte als Schiedsrichter nach dem Creuzot zur Beilegung deS dortigen Streiks zu schicken, wird von anderen Seiten versichert, die Regie rung denke gar nicht daran, sich in diese An gelegenheit einzumischen. Eine offiziöse Belgrader Meldung erklärt gegenüber der Mahnung der ausländischen Presse, König Alexander solle die Verurtheilten im Bel grader Hochoerrathsprozeß begnadigen, erst müßten die bedrohten heimischen Verhältnisse gefestigt werden, dann würde die Krone von ihrem Gnaden recht schon Gebrauch machen. Die Nachricht vom Ausbruch einer allgemeinen KabinrttSkrisiS in Spanien erweist sich als ver früht, der Ministerpräsident Silvela hat der Königin-Regentin in San Sebastian lediglich eine theilweise Erneuerung deS Kabinett» infolge der in demselben über die zu machenden Ersparnisse entstandenen Differenzen vorgeschlagen. AIS wahr scheinlich gilt der Eintritt deS Marschall« Mar tinez CampoS, welcher mit dem Ministerpräsidenten in San Sebastian zusammengetroffen ist, in die Regierung. Der englische Ministerrath hat am Freitag den Erlaß einer neuen Note, in welcher England endgiltig seine letzten Bedingungen for- mulirt, an die TranSvaal-Regierung beschlossen. Zugleich wurden die Befehle zum sofortigen Ab gang des im Lager von Aldershot zusammen gezogenen ArmeecorpS nach Südafrika erlassen. Die Transvaal-Regierung ihrerseits beantwortete die jüngste Depesche Chamberlain- durch ein Telegramm, in welchem sie erklärt, sie verlange weiter nichts, als die genaue Innehaltung der Londoner Konvention von 1884. Unterdessen gehen in Transvaal die Vorbereitungen auf den Kriegsfall weiter, wie neuere Meldungen von dort besagen; nach denselben muß man den Aus bruch der Feindseligkeiten an der Grenze von Natal jeden Tag erwarten. In den australischen Kolonien haben sich zahlreiche Freiwillige für den Krieg gegen die Boeren gemeldet; in Viktoria allein bis jetzt 1400 Mann. Berlin, 30. Septbr. Zu der Ablehnung der Uebernahme des Protektorat- über daS BiSmarckhauS in Stendal durch den Kaiser wird mitgetheilt: Der Kaiser lehnte ab, weil gewisse Wünsche, die er in Bezug auf daS BiSmarck hauS äußerte, nicht erfüllt wurden. Angeblich konnten sie nicht erfüllt werden. Der Kaiser sieht nun daS Unternehmen in der Form, dir man demselben zu geben beabsichtigt, nicht gern und lehnte deshalb das Protektorat ab. Ferner wird noch mitgetheilt, daß der Kaiser in dem ablehnenden Schreiben dem Gedanken selbst seine volle Sympathie ausgesprochen habe. Hamburg, 29. Septbr. Der 20. Deutsche Protestantentag wurde heute Nachmittag geschlossen. Vorort im nächsten Jahre ist wieder Hamburg. Hamburg, 30. September. Ihre Majestäten der König und die Königin von Sachsen trafen, heute Nachmittag 5 Uhr 50 Minuten nebst großem Gefolge auf dem Dammthor-Bahnhyfe ein und begaben sich in da» Hotel de l'Europe. Auf dem Bahnhofe wurde da» hohe Paar durch den hiesigen königlich sächsischen Konsul Frege und dessen Frau Gemahlin begrüßt, welch letztere Se. Maj. dem König ein Blumenbouquet über-