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Verstimmungen zwischen Rußland und Frankreich. ES sind in den letzten Wochen Begebenheiten und Umstände eingetreten, welche Rußland über sein politische» Bündniß mit Frankreich sehr mißmuthig gemacht haben. Man könnte aller dings dabei, zumal auch von Seiten der Franzosen, die Frage auswerfen, was hat denn bis jetzt Rußland eigentlich so Großes an Frankreich gethan, daß rS immer gleich mit der Beurtheilung des russisch-französischen Bündnisses in bedenklicher Weise durH seine offiziöse Presse vorrückt, wenn das Bündniß da und dort seine Wirkung versagt. Diese Fratze erhebt aber das offizielle Frankreich so leicht mcht, dazu ist eS aus Gründen seiner auswärtigen Politik und der stillen Revanche hoffnung gegenüber Deutschland zu sehr der ergebene Diener Rußlands. Die russische Regie rung giebt dagegen aber deutlich ihren Mißmuth zu erkennen und liefert dadurch den Beweis, daß das mit so vielen berauschenden und glänzenden Festen in Petersburg und Moskau, Paris und Toulon gefeierte russisch-französische Freundschafts- bündniß im Grunde genommen auf recht schwachen Füßen steht. So wollen jetzt aus einmal halb amtliche russische Stimmen wissen, daß im Orient das russisch-französische Bündniß nahe daran sei, eine ernste Schlappe zu erleiden und jedenfalls in Bezug auf die Wahrnehmung der Interessen der verbündeten Staaten fast ohne Wirkung sei. Recht deutlich könne man dies bei der jetzt statt findenden Orientreise des deutschen Kaisers sehen, denn diese Reise befestige immer mehr die An näherung zwischen der Türkei und Deutschland, ohne daß Rußland und Frankreich etwas dagegen thun könnten. Daß der Sultan aus Dankbar keit gegen den deutschen Kaiser gleich einen Hafen in Syrien dafür an Deutschland abtreten werde, weil deutsche Offiziere mit so großem Erfolge die türkische Armee reorganisirt hätten, glaubt man zwar in Rußland nicht, aber jedenfalls könne der deutsche Kaiser vom Sultan allerlei Vergünstigungen für Deutschlands Industrie und Handel, sowie für Eisenbahnbauten im Orient erlangen. Das Schlimmste dabei sei aber, daß sich in Folge dieser Umstände im Orient eine Annäherung zwischen England und Deutschland leicht vollziehen könne und deshalb dem russisch französischen Bündnisse eine Niederlage im Orient drohe. Nun wäre eS ja möglich, daß Rußland diese an Frankreichs Adresse gerichtete Verstimmung auch zugleich als eine Warnungstafel an Deutsch land, sich nicht so sehr an England zu nähern, angesehen wissen will, aber die russischen Offiziösen sagen ja noch ganz deutlich, daß man in St. Petersburg sehr verstimmt und beunruhigt darüber ist, daß sich in Frankreich die innere Krisis, hrrvorgebracht durch die Dnysus-Angelegenheit und die StaatSstreichgelüste, so sehr in die Länge zieht und den auswärtigen Einfluß Frankreichs lahm legt. Scharf ziehen dabei dir Petersburger Zeitungen gegen den gegenwärtigen französischen Ministerpräsidenten los, der sich und sein Cabinett auf Kosten der französischen Interessen durch eine schwächliche Politik am Ruder zu erhalten suche und verlangen, daß der Ministerpräsident Brisson bald abdanke. Ebenso schlecht kommt in den offiziösen russischen Zeitungen der französische Minister des Auswärtigen Herr Delcassß weg. Ihm wird vorgeworfen, daß er in der Faschodafrage gegenüber England ängstliche und schwächliche Politik treibe, die nicht nur Frankreich, sondern auch Rußland nachtheilig werden müsse. — Man sieht daraus, daß Rußland über das mit ihm verbündete Frankreich sehr ärgerlich und verstimmt ist, und daß wahrscheinlich Rußland aus das Bündniß mit Frankreich pfeifen würde, wenn e» rasch an einer anderen Großmacht dafür Ersatz finden könnte. Politische Weltschao. Ueber das ruchlose anarchistische Attentat, welche» gegen va« deutsche Kaiserpaar auf besten weiterer Orientfahrl auSgesührt werden sollte, macht jetzt die .Nordd. Allgem. Zeitung" hochamtlich« Angaben, die theilS das schon Bekannte au» dem Leb«, X»nl§ Albert» und Sachsen» Geschichte von WS». lSA Oktober LSS8. Eröffnung der Eisenbahn von Nossen nach Döbeln. Lch lvktnter 184» Prinz Albert übernimmt das Kommando über da» 4. Bataillon der Prinz Albert-Brigade in Bautzen. Der schchfisG» GgHichl«. ». hinsichtlich dieses verbrecherischen Vorhaben» be stätigen, theilS hierzu noch neue Einzelheiten bringen. Au» den gedachten Mittheilungen de» Berliner Regierungsblattes erhellt, daß der ita lienischen Consulqrbehörde in Alexandrien da» Verdienst gebührt, zuerst aus va» Treiben fremder, dorthin gekommener Anarchisten aufmerksam ge macht zu haben. Die Alexandrinisch« Polizei stellt« darauf Ermittelungen über die verdäch tigen Elemente an, welche ergaben, daß die fremden Anarchisten eine Zusammenkunft in Kairo gehabt und beschlossen hatten, bei dem Besuche des deutschen KaistrpaareS einen Bombenanschlag gegen dasselbe ins Werk zu setzen, der entweder aus dem Mehemrd Ali-Platze oder vor dem Abdin-Palai» zur.Ausführung kommen sollte. Infolge des Verzichte» de» Kaiser» aus die egvptische Reise änderten die Verschworenen ihren Plan und beschlossen in einer zweiten in Alexandrien abgehaltenen Versammlung, die bereit» fertig gestellten Bomben in unauffälliger Weise zu Schiff nach Palästina zu bringen und dann dort da» Attentat gegen die Majestäten zu unter nehmen. Einer der Anarchisten hatte sich al» Kellner auf einem von Alexandrien nach Jaffa bestimmten Dampfer anwerben lassen und sich weiter auch schon eine gleiche Stellung im Hotel Bristol zu Jaffa zu verschaffen gewußt. Dieses Mitglied der Berichwörerrotte sollte die in einer Kiste verpackten Bomben mit dem betreffenden Dampfer nach Jaffa befördern und daselbst für die Genossen bereit halten. DaS ganze fürchter liche Vorhaben wurde indessen glücklicher Weise durch die noch am Abend des 13. Oktober, am Vorabend der Abfahrt des Dampfers nach Jaffa, erfolgte Verhaftung der Verschwörer und Auf findung der Mordwerkzeuge vereitelt. Die beiden Bomben waren sehr „solid" gearbeitet und mit einer solchen Masse Knallquecksilbrr und stark- kalibrigen Revolverpatronen gefüllt, daß jede von ihnen im Falle ihrer Explosion die Tödtung oder wenigstens Verwundung aller im Umkreis von etwa 50 Meter befindlichen Personen be wirkt haben würde. Immer wieder kann daher das deutsche Volk der göttlichen Vorsehung nur innigst dafür danken, daß sie durch ihr Walten das erlauchte Kaiserpaar vor einer furchtbaren Gefahr behütet hat, und der heiße Wunsch durch zittert erneut alle treuen deutschen Herzen, daß die Majestäten auch sernerhin auf ihrer Reise im fernen Orient im Schutze des Höchsten stehen möchten. Mit dem am Sonnabend wieder zu Ende gegangenen Besuche des KaijerpaareS in Konstantinopel ist der erste Akt des interessanten Schauspieles, welches die Orientfahrt der Maje stäten darstellt, zum Abschluß gelangt. Mit allem Prunk, den der Orient kennt, sind die Majestäten in der alten Khalisenstadt am Bos porus ausgenommen worden, und die Herzlichkeit der Begrüßung, welche den hohen Gästen de» Sultans in dessen Residenzstadt zu Theil wurde, stand im wohlthuendcn Einklänge mit dem äußer lichen Glanze des Empfanges. Inwieweit die erneute Begegnung zwischen Kaiser Wilhelm und Sultan Abdul Hamid irgendwelche greifbare politische oder wirthschastliche Früchte für das deutsche Reich zeitigen wird, das muß zwar noch dahingestellt bleiben, mindestens Hai aber das Ereigniß doch das seinige zur ferneren Stärkung der alten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutsch land und der Türkei beigetragen. Im Uebrigen geht aus der Ansprache Kaiser Wilhelm» beim Empfang der Deputation der deutschen Kolonie in Pera hervor, welche Bedeutung der Monarch der von den Deutschen in Stambul errungenen Stellung auch für das HeimathSland beilegt. Der dritte Tag des Besuches der Majestäten beim Sultan, der Donnerstag, war im Wesent lichen durch einen genußreichen Ausflug mit der anatolischen Eisenbahn zur Besichtigung der Teppichfabrik von Hereke auSgefüllt worden. Am Freitag Vormittag besichtigte das Kaiser paar die berühmte Hagia Sofia oder Sofien- Moschee, Mittags fand die große Parade der Konstantinopeler Garnison vor dem Sultan und seinen kaiserlichen Gästen statt, welches militärische Schauspiel glänzend verlief. Abend» gab der Sultan ein Galadiner im Mdiz-Kio-k, an welchem auch da» diplomatische Torp» theilnahm. Am Sonnabend setzte da» Kaiserpaar die Weiter- rcise an Bord der „Hohenzollern" nach herzlicher Verabschiedung vom Sultan fort. Die Kaiserin beging am Tage der Wirderabreise von Konstantinopel ihr 40. Geburt»frst. Die hohe Frau ist bekanntlich am 22. Oktober 1858 ge boren. Abrrmal» ist rin hoher katholischer Würdenträger Deutschland» vom Tod« abberufen worden. Am Freitag ifi der Bischof von Osnabrück, vr. Höbing, welcher auf ein» Romreis« begriffen war, in Venedig plötzlich verschieden. Da» Gerücht von einem angeblichen Ent lassungsgesuche de» Oberpräsidenten von Posen, Freiherr» v. Willamowitz-Mötlendorf, wird an Perliner unterrichteten Stellen al» uu- begründet bezeichnet. Dem österreichischen Minister präsidenten Grafen Thun sind jetzt vom czechischen ReichSrathSklub die 32 Forderungen überreicht worden, gegen deren Bewilligung die Czechen die Thun'sche Regierung unterstützen wollen. Natürlich werden diese czechischen Forderungen auf Kosten der Deutschen gestellt; geht man doch czechischerseit» hierbei so weit, z. B. da» OeffentlichkeitSrecht für die czechischen Schulen in Niederösterreich zu verlangen. Vor läufig wird über die czechischen Forderungen zwilchen dem Czechrnklub und der Regierung etwa» hin- und hergefeilscht werden. — Graf Murawlew, der russische Minister de» Aeußeren, hat auf der Rückreise von Pari» zum Czaren nach Livadia in Wien Station gemacht, wo er vom Kaiser Franz Josef empfangen wurde und eingehende Konferenzen mit seinem österreichisch ungarischen Kollegen, dem Grafen GoluchowSki, pflog. Man vermuthet, daß eS sich hierbei um die russischerseit» vorgeschlagene Abrüstungs konferenz und um verschiedene Balkanfragen ge handelt hat. — Die unter dem Diener- und Wärterinnenpersonal der Nothnagel'schen Klinik in Wien vorgekommenen pestähnlichen Erkrankungs fälle scheinen in der österreichischen Hauptstadt große Beunruhigung hervorgerusen zu haben, denn im Rathhause ist ein Permaaenzkomits zusammengetreten und ein ärztlicher Permanenz dienst eingerichtet worden. Unterdessen ist nicht nur der unter Pesterscheinungen erkrankt ge wesene Klinikdiener, sondern auch die eine seiner beiden Wärterinnen gestorben, weiter ist der Assistenzarzt vr. Müller selber, welcher den Verstorbenen behandelt hatte, sowie auch dessen andere Pflegerin schwer erkrankt. Der Zustand der letzteren wird al» hoffnungslos, jener des vr. Müller als sehr ernst bezeichnet. Unter stürmischen Anzeichen wird sich arr diesem Dienstag der Wiederzusammen tritt der französischen Deputirten- kammer vollziehen. Die Antisemiten u. s. w.,. also die Gegner der Revision des Dreysus- prozesseS, wollen vor dem Kammergebäude De monstrationen planen, die Regierung ordnete daher für Dienstag umfassende Sicherheitsmaß nahmen an. Ein Vorspiel hatten die anläßlich der Kammereröffnung zu befürchtenden Tumulte schon am Abend des 21. Oktober durch die ge waltsame Zersprengung einer Versammlung, die der neue sozialistische WachsamkritSauSschuß nach dem Etablissement Lao St. Forgeau einberufen hatte, seitens der Polizei. Es gab hierbei blutige Köpfe und wurden zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Bei dem sich zuspitzendcn englisch-fran zösischen Konflikt wegen Fasch odaS kommt eS zunächst auf den Bericht an, welchen der französische Expeditionsführer Major Mar chand mit Hauptmann Baratier an seine Regier-- ung abgesendet hat. Baratier reiste am Freitag mit einem Dampfer der „MessagerieS Maritime»" von Alexandrien nach Marsaille ab und wird am nächsten Donnerstag in Paris eintreffen. Merkwürdiger Weise befand sich der nach London heimreisende Sirdar Kitchener ebenfalls an Bord dieses Dampfers. Wie die „Agence Havas" versichert, kommt Baratier hauptsächlich deshalb nach Pari», um dem Minister des Aeußern Delcaffö auch eingehende mündliche Erläuterungen über die Expedition Marchand und die Vor gänge in Faschoda zu geben. DaS Arbeitsprogramm für die voraus sichtlich in Rom zusammentretende inter nationale Konferenz zur Bekämpfung deS Anarchismus ist jetzt in seinen Hauptpunkten veröffentlicht worden. Die Veröffentlichung ent spricht dem, wa» bereit» über die Aufgaben der Konferenz gemeldet worden ist. Die Pforte hat nunmehr in der Kreta frage vollständig vor den Mächten kapitulirt. Sie nahm in Beantwortung der zweiten Kollektivnote der Kretamächte rückhaltlos deren Forderungen an, also auch diejenige, daß keine türkischen Truppen auf Kreta zurückblriben. Argentinien und Chile haben sich über di« gütliche Beilegung de» zwischen ihnen schwebenden GrrnzkonflittS geeinigt. E» wurde zwischen ihnen ein befriedigende» Abkommen über die Puna-Atacama-Frage getroffen, welche» von-