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Montag, den 10. Juli 1893, ' ' »«- ,-chm«- VWM'MkL" " Ort«kr»»»Ir«i»Ir»88v M SdlkSr^i«iilri r«Ii. General-Versammlung Die«st«s, dm 18. Juli 1893, Abends 1,9 Uhr, im «asthof zur goldene« Aroue. Tagesordnung: Richtigsprechung der revidirten Rechnung pro 1892. « ' — , , ^««»1» Lino, Vorsitzender. jM- Viehmarkt in Bischofswerda. -W> Die Futternoth. Die anhaltende Trockenheit, die sich über England, Holland, Frankreich und Deutschland «streckt, hat dort und in unserem Baterlande «ine Dürre und mit ihr eine landwirthschaftliche Nothlage, insbesondere eine Streu« und Futter« noch herbeigesührt, die aller Beschreibung spottet und die, wenn nicht baldigste Abhilfe erfolgt, geradezu zu einer nationalen Calamität noch an wachsen wird. Weite Strecken des deutschen Vaterlands sind davon betroffen worden, be sonders Süd- und Westdeutschland: Württem berg, Franken, Baden, Hessen, Rheingegend und die Reichslande. Auch unser Sachsen ist nicht verschont geblieben; glücklicherweise hat dir Noth hierzulande, so schwer sie auch bei uns schon -empfunden wird, doch nicht entfernt den Grad und Umfang erreicht, wie in den oben genannten am schwersten heimaesuchten deutschen Ländern. AuS manchen Gegenden lauten die Schilderungen des Elends und der Verwüstung trostlos. Am härtesten von der Futternoth wird na türlich der kleine Bauer betroffen. Man hat Ichon vor Wochen von zahlreichen Viehverkäusen aus Noth erfahren und in einzelnen Ställen, deren Eigenthümer sich nicht rechtzeitig zum Verkauf entschließen konnten, soll schon damals Vieh buchstäblich verhungert sein. Besonders im fränkischen Württemberg hat die Noth bereits eine erschreckende Höhe erreicht. So meldet man der „Neckarztg." von Bartenstein (auf der Hohen- lohe'schen Hochebene): „Die Wiesen sind strecken weise ausgebrannt, Klee, Sommerbau und Kar toffeln stehen ganz schlecht. Die Klagen der Landleute sind kaum zu beschreiben. Ein schönes Stück Vieh um das andere muß weggegeben werden, weil das Futter fehlt. In hochgelegenen Ortschaften sind die Brunnen versiegt, in Barten stein selbst haben deren nur noch zwei geringen Wasservorrath und müssen tagsüber geschlossen bleiben. Das Wasser wird unter polizeilicher Aussicht gepumpt und in ganz kleine» Mengen auf die einzelnen Haushaltungen vertheilt, deren Bedarf natürlich damit lange nicht gedeckt ist". — AuS Crailsheim wird berichtet: In den Ställen brüllen die Thiere vor Hunger und dazu noch jeden Tag das gleiche heiße Wetter, ohne die geringste Aussicht auf Regen. Ganze Heer- den von schönstem Jungvieh wurden bereits zu wahren Schleuderpreisen von norddeutschen Händ lern angekauft und per Bahn nach Sachsen be fördert. Ein Bäuerlein verkaufte seine einzige Kuh sammt Kalb um 30 Mark, ein Oekonom, dem Metzger für seine Kuh 40 Mark boten, schlachtete selbst und erlöste bei einem Verkaufe von 20 Pfg. für das Pfund noch 7V Mark. Kühe, die vor Monaten zu 300 Mk. angrkauft wurden, gelten heute kaum 60 Mark; der Preis lür 1 Liter Milch ist auf 18 Pf. gestiegen. Von der Münsinger Alb berichtet man der „D. N.": Heuboden und Tenne sind leer; Kleefelder und Wiesen, die vor einigen Wochen infolge des ein getretenen RegrnwetterS zu den besten Hoffnungen berechtigten, sind heute theilweise total auSge- chrannt. Der Biehstand muß reducirt werden. Tag für Tag werden Rinder geschlachtet und das Pfund Fleisch wird um 30, 20, ja selbst arm 1ü und 12 Pfennige abgegeben, und das Pfund Kalbfleisch schlägt man schon — zu acht Pfg. los!! Aber trotz des äußerst niedrigen Preises wird schließlich der Absatz für das Fleisch doch fehlen". Und solche Klagen liegen noch in Menge vor. Die Heuernte liefert zumeist ge radezu'klägliche Erträgnisse. So berichtet man dem „Schwäb. Merkur" von den Eßlinaer Ber gen über die Heuernte: „Da» Ergebnis ist im Durchschnitt tiefbetrübrnd, trostlos. Nur Thal wiesen liefern einen uennenSwerthen Ertrag. Bergwiesen und solche an südlichen Abhängen ttnnen tau« gemäht werden; ein Mann trägt Len Ertrag eine» Birrtelmorgen» mit Leichtigkeit davon. In einzelnen besonders an Futternoth leidenden Erhebungsbezirken ist der Preis des Heues bereits auf 9—10 Mark für 50 kg. ge stiegen. — AuS dem Kreise Prüm (Eisel) schreibt die „Trier'sche LandeSzta.": „Ein Jahr wie das heurige hat unsere Eifel wohl noch nicht erlebt. Dasselbe darf schon jetzt der Ruin unzähliger kleiner Landleute genannt werden. Die Futter noth spottet jeder Beschreibung: man kann sagen, daß nicht ein Zehntel von dem wächst, was zur Erhaltung des Viehbestandes, der einzigen Er werbsquelle unserer armen Bevölkerung nöthig wäre. Unlängst sagte ein Bauer dem Schreiber diese», er habe 4 Kühe; davon wolle er gerne dem 3 schenken, welcher ihm das Futter für die vierte stelle! Selbst viele Thalwiesen sind so dürr und verbrannt, daß man kaum einen grünen Halm aus ihnen findet, und daß sie im nächsten Frühjahr neu besät werden müssen. Auch ein guter Regen kann daran jetzt nichts mehr ändern. DaS Vieh muß verschleudert werden, und wovon soll es später wieder angeschafft werden? Und nicht nur für das Vieh, auch für die Menschen steht ein Hungerjahr in Aussicht. Die Gemüse verdorren, die Kartoffeln haben stellenweise vom Froste arg gelitten und werden, wenn nicht bald ein Regen fällt, vorzeitig dürr: ebenso reist die Frucht, ehe sie noch recht bekörnt ist. Kurz, es ist ein Jahr, wie die Eifel noch lein schlimmeres hatte." — Einen Fall aber, der wahrhaft ent setzlich ist, erzählt die „Deutsche Reichspost": „Auf dem Markte zu Pfedelbach ließ ein Bauer seine Kuh, die ihm Niemand abnahm, einfach stehen, schlich allein heim und erhenkte sich sammt seinem Weibe". ES ist wohl richtig, daß diese Viehverschleu derungen einem anderen Theile der Bevölkerung wieder zu Gute kommen: manch armer Mann in den NothstandSdistrikten, der sonst die ganze Woche kaum einen Bissen Fleisch hatte, kann sich spottbillig jetzt täglich seinen schmackhaften Braten gönnen. Man wolle aber ja nicht glauben, daß hierdurch ein wirthschaftlicher Ausgleich geschaffen wird, daß diese unnatürlich und erschreckend nie drigen Viehpreise der Allgemeinheit zu Gute kommen. Wenn jetzt der Bauer sein Vieh billig verkaufen muß, das er vielleicht selbst theuer gekauft und wohl gar noch nicht bezahlt hat, so ist seine Nothlage auf Jahre hinaus besiegelt, ja bei Vielen ihr völliger wirthschaftlicher Ruin unausbleiblich. Aber der Bauer wird nicht allein zu leiden haben: auch für den großstädtischen Consumenten, dem seine Nothlage augenblicklich zu Gute kommt, werden die nachtheiligen Folgen nicht auSbleiben. Denn ein Rückschlag ist un vermeidlich: in naher absehbarer Zeit muß er eintreteu. Der Bauer, der heute gezwungen ist, sein halbverhungertes Vieh für einen elenden Spottgroschen dahinzugcben und abschlachten zu lassen, weil er eS nicht mehr ernähren kann, der also heute nicht einmal Geld hat, seinen Besitz stand zu erhalten, wird nach solcher Noth selbst verständlich im nächsten Jahre noch viel weniger Geld haben, um sich aus dem AuSlande theureS neues Vieh anschaffen zu können. Was ist die Folge? Die Futternoth in diesem Jahre wird im nächsten eine noch viel schlimmere Vieh- und Fleischnoth und damit auch ein empfindlicher Mangel an Dungstoffen folgen, und diese Noth wird nicht bloS einen einzelnen Stand, sondern die ganze Bevölkerung in Mitleidenschaft ziehen. Da tritt es mit dem Ernste einer Lebens frage an unser Volk heran, nicht allein wie der herrschenden Noth, soweit es noch möglich ist, abzuhelfen fei, sondern wie dadurch auch zugleich einer drohenden noch viel schlimmeren künftigen Noth vorzubeugen ist. „Die Srlbsthülfe", schreibt die „Kölnische Ztg.", „erweist sich al» ungenügend, die genossen- schaftliche Unterstützung al» bedeutungslos, der Staat muß mit seinen Machtmitteln eingreifen und sie in ausgiebigste« Maaße ber Landwirth- schäft zur Verfügung stellen. In diese Arbeit haben sich die Bundesstaaten und da» Reich zu theilen; Sache jener ist es, die fiskalischen und domanialen Waldungen zu öffnen und den Land- wirthen Streu zur Verfügung zu stellen, sie haben ferner für die Beschaffung von Viehfutter aus dem AuSlande zu sorgen und die einzelnen Landwirthe, welche die zum Ankauf nöthigrn Geldmittel nicht besitzen, mit Baarvorschüssen zu versehen, die entweder ohne jede Verpflichtung zur Verzinsung oder doch nur gegen eine ganz niedrige Verzinsung, die höchsten zwei vom Hundert betragen darf, zu gewähren sind. Maß regeln dieser und ähnlicher Art sind zunächst in den ReichSlandrn in Angriff genommen, in Baiern, Baden, Hessen und Württemberg stehen sie unmittelbar bevor oder sind schon angeordnet." So haben volksparteiliche LandtagSabgeord- nete in Württemberg eine Eingabe an da» württembergische Ministerium gerichtet, in der sie folgende dringende Forderungen aussprechen: „1) ES wolle der ländlichen Bevölkerung zum Bezug von Futtermitteln ein NothstandSkredit in umfassendem Maße eröffnet und zu diesem Behuf die sofortige Einwilligung der Stände zu einem NothstandSanlehen eingeholt werden. 2) ES wolle im BundeSrath dahin gewirkt werden, daß die Einfuhr sämmtlicher zum Viehfutter verwend baren Produkte bi» auf Weiteres von jeder Zoll abgabe befreit werde. 3) Es wolle eine Ver ständigung der deutschen Eisenbahndirektionen, in erster Linie der StaatSbahnverwaltungrn dahin angestrebt werden, daß der Transport der be zeichneten Produkte frei sei, oder wenigsten» er mäßigte Fracht genieße, und es wolle entsprechende Anordnung für Württemberg getroffen werden. 4) Es wolle im BundeSrath dahin gewirkt werden, daß die zur Viehfütterung dienenden Abgänge landwirthschaftlicher Produkte, sogen. Schlempe, von der durch das Branntweinsteuer gesetz herbeigesührten Besteuerung und Kontrole bis auf Weiteres befreit werde und fall» die Zustimmung hierzu vom BundeSrath nicht zu erlangen wäre, der betreffende Steuerbetrag den württembergischen Steuerpflichtigen rückvergütet werde. 5) ES wolle veranlaßt werden, daß die Abgabe von Laub und GraS an die ländliche Bevölkerung aus den Staat»- und Korporations waldungen in einer gegenüber der bisher be klagten Zurückhaltung seitens der Forstbehörden rückhaltslosen und umfassenden Weise erfolge." Freilich mit der Herabsetzung der Fracht tarife und Zölle für Futtermittel dürfte allein noch wenig geholfen sein, denn eS ist zu bedenken, ob diese gutgemeinte Maßregel nicht lediglich dem Zwischenhandel zu Gute kommt und der Bauer selbst davon nichts hat, sondern NothstandS- preise zahlen muß. Die Lage erfordert ganze Maßnahmen. Will man die Hülfe so einrichten, daß sie den Bauern selbst zu Gute kommt, dann muß die Regierung in den am schlimmsten be drängten Gegenden die Hülfe durch Ankauf großer Vorräthe selbst und direkt — ohne den Zwischen handel — organistren. Organe stehen in den landwirthschaftlichen Vereinen und Ortsbehörden überall zur Verfügung. Nun, e» ist begründete Hoffnung vorhanden, daß unsere Regierungen, die bereits jetzt den Kampf gegen den Nothstand mit allem Ernste ausgenommen haben, denselben mit Energie auch fortsetzen und — wenn man hier von einem relativen Glücke noch sprechen darf — zu einem glücklichen Ende führen werden. Wie die „Köl- nische Ztg." schreibt, liegen bestimmte Anhalts punkte für die Hoffnung vor, daß da» Reich da», waS ihm zu thun obliegt, schleunigst thut, denn doppelt giebt, wer rasch giebt. Auch au» politischen Gründen — da» natürlich erst in zweiter Linie — möchte man ein thatkräftige» und erfolgreiche» Eintreten der Regierung für unsre schwerleideude Bauernbevölkerung lebhaft wünschen. Di« Wurzelkraft de» deutsch«» Volt«»