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" 1K Der sächsische Erzähler. Seite «. , außergewöhnliche Maßregel unnöthig sei. DaS Verbot ähnele, nachdem die Franzosen dagewesen, einer Böswilligkeit. ES stehe um die Ernte und um die Roggenvorräthe durchaus nicht so schlecht, um das Verbot zu rechtfertigen". Die letzten Folgerungen aus diesen Behauptungen zu ziehen, unterläßt allerdings sowohl die „Times" wie die „Köln. Zeitung." Und diese Folgerung könnte keine andere sein, als daß Rußland kriegerische Verwickelungen plane oder wenigstens befürchte, und deshalb durch das Ausfuhrverbot Deutschland und Oesterreich der Zufuhr berauben, sich aber auf der anderen Seite die zum Krieg führen unbedingt nothwendigen Vorräthe für alle Fälle sichern wollte! Unter diesem Gesichts punkt würde dar Ausfuhrverbot noch eine viel schlimmere Perspektive auf die Zukunft eröffnen. ES liegen jedoch mit Ausnahme der oben er wähnten Preßstimmen keine Anzeichen vor, die eine derartige Schwarzseherei rechtfertigen können. Was werden wir in Deuschland nun beginnen, nachdem uns Rußland seine Kornlieferungen vorenthält? Nach den Jeremiaden einzelner freihändlerischer Blätter würde uns nichts Anderes übrig bleiben, als für die nächsten Jahre unseren Geschmack völlig umzukrempeln und uns aus schließlich von Dreierbrötchen und Sechser semmeln zu nähren. So schlimm wird die Sache denn doch nicht werden. Ein Ueberblick über die durch das russische Roggenausfuhrverbot ge schaffene Lage ist durch wenige Zahlen gegeben: Im Durchschnitt betrug während der letzten zehn Jahre der Roggenverbrauch in Deutschland 5,397,879 Tonnen zu 20 Zentner. Davon lieferte die Einfuhr nur 629,216 Tonnen, daS ist 11,7 Prozent. Von dieser gesammten Roggeneinfuhr war allerdings Rußland im Jahre 1889 mit 88,2 Prozent, 1890 mit 83,4 Proz., und im ersten Halbjahre 1891 gar mit 90 Proz. vertreten. Für diesen Ausfall ist nun ein Ersatz zu schaffen, und zwar wird gehofft, daß die Vereinigten Staaten in der Lage sind, den Fehl betrag auszubringen, da dieselben diesmal eine vorzügliche Roggenernte aufzuweisen haben. Ob allerdings der amerikanische Roggen diejenigen Eigenschaften des russischen aufweist, die diesen unseren Mühlen beim Vermahlen mit unserem deutschen Landesprodukte so schätzenswerth machen, ist uns nicht bekannt. Hier kommt es eben auf den Versuch an. Zur Noth exportiren ja auch noch Rumänien, Oesterreich-Ungarn, Bulgarien, die Türkei, Indien, Kanada, Australien und einige andere Länder Roggen. Bis auf die Dreier brötchen also werden wir sicher nicht kommen. Die größte Kalamität freilich wird die Höhe der Preise bleiben. Ob hier eine Wendung zum Besseren rintreten wird und auf welche Weise, ist nicht abzusehcn, zumal da das geradezu nichtswürdige Wetter die Hoffnungen auf eine gute Ernte immer mehr herabstimmt. Daß eine Herabsetzung oder Aushebung der Getreidezölle im gegenwärtigen Augenblick keinen Einfluß zu Gunsten einer Preisminderung ausüben wird, hat selbst Herr Eugen Richter in seiner „Frei sinnigen Zeitung" zugegeben — ein Grund mehr für die Regierung, auf dieses „Auskunstsmittcl" zu verzichten, zumal dieser Schritt wahrscheinlich den Abschluß des Handelsvertrags mit Oesterreich in Frage stellen würde. Denn Deutschland ver zichtete damit auf die Vortheile, welche ihm die Getreidezälle bei den HandelSvcrtragSvcrhand- lungen als Tauschobjekt geboten hatten. WaS also soll geschehen? Am Sonnabend fand in Berlin ein Ministerrath statt. Vielleicht weiß der es. Die „Kirchliche Korrespondenz" schreibt: Der Deutsche scheint vogelfrei zu sein. Wir lesen: „Zu Gunsten der aus Rußland vertriebenen Juden sind in Stuttgart bis jetzt 15,000 Mark eingegangen. Im Ganzen gingen bei dem Zen- tralhilsskomitee in Hamburg bis jetzt 2 Millionen Mark ein." Wir fragen: Und wieviel ging bis jetzt zur Unterstützung, zur moralischen und finanziellen, für die aus Rußland vertriebenen protestantischen Deutschen ein?! Weiß man in Deutschland nichts von der Noth der Ostsee deutschen, von der Noth deutscher Kolonisten in Südrußland, welche großcntheils ebenso wie die Juden zur Auswanderung genöthigt sind? Der Deutsche wird vom feindlichen Rußland, vom „befreundeten"Oesterreich in Böhmen und neuestens wieder in Ungarn drangsalirt. Wer nimmt sich seiner an?! Wir billigen die russische Lösung der Judenfrage gewiß nicht. Allein die finanzielle Unterstützung jener Unglücklichen überlasse man doch getrost den Israeliten selbst, welche von ihren ungezählten Millionen und Milliarden mit größter Leichtigkeit, ohne sich auch nur im allermindeslcn wehe zu thun, ihren Glaubens- und StammeS- genosscn die nöthige Unterstützung gewähren können. Uns drängt sich dagegen die unendlich schmerzliche Frage auf: Und was geschieht für die deutschen Stammesbrüder?! 500 Wiener Antisemiten trafen am Freitag Abend unter Führung Schneider'- in Prag ein. Sie wurden von einer großen Menschen menge mit Slavarufen empfangen. Die Czechen veranstalteten zu Ehren der antisemitischen Gäste einen geselligen Abend auf der Sophieninsel. Aus Paris schreibt man der „Pol. Korr." im Hinblick aus die Ovationen, mit welchen die französische Bevölkerung den Großfürsten Alexis überhäuft, daß die Volksstimmung in Frankreich gegenwärtig mit Bezug auf alles Russische übermäßig erregt sei. Die Empfindungen der leitenden Kreise in Paris gegenüber Rußland seien durchaus nicht lau, die Bevölkerung geberde sich aber exaltirt. Man würde bei den Sym pathienbeweisen für Rußland mehr Ruhe und Maß wünschen, zumal der Erfolg politischer Aktionen durch excentrisch begeisterte Kundgebungen in keiner Weise gefördert werden kann. Speziell betreffs der Person des Großfürsten Alexis, der in Paris unbemerkt zu bleiben wünschte, waren die überschwänglichen Huldigungen unangebracht. Der Bericht betont jedoch, daß diese Auffassung der ernsten politischen Kreise in Paris keineswegs die Wirkung irgendwelcher aus St. Petersburg gekommener Andeutungen sei, und daß der Be hauptung, daß die französischen Manifestationen den maßgebenden Persönlichkeiten Rußlands etwas unbequem geworden seien, nichts Thatsächliches zu Grunde liege. — In Paris wird eine Peti tion in Umlauf gesetzt, in welcher nachgesucht wird, den Boulevard Sebastopvl in „Boulevard Kronstadt" umzutaufen. — Der französischen Regierung beginnt vor dem russenfreundlichen Unsuge ernstlich bange zu werden. Der Minister des Innern, Constans, untersagte allen Staatsbeamten die Theilnahme an den Kundgebungen. Der russische Botschafter Baron von Mohrenheim benachrichtigte Ribot, daß die lärmenden Szenen den Czaren unangenehm berühren. — In Paris fand ein Zusammenstoß der Polizei mit .den ausständigen Erdarbeitern statt, welche die Kanalbauten in der Vorstadt La Billette störten, wobei eS zu mehreren Ver wundungen kam. Die Polizei verlangte Ver stärkung, aber trotz militärischer Besetzung des Bauplatzes wurden die Arbeiten eingestellt. Wie gemeldet wird, ist in dem russischen Finanzministerium die Meinung vorherrschend, daß das Ausfuhrverbot sehr wahrscheinlich einen Niedergang der Roggenprcise auf den einheimi schen Märkten zur Folge haben wird. Dies wird der Regierung zugute kommen, indem die selbe sehr große Einkäufe zu effektuiren hat, so wohl für die nothleidenden Bevölkerungen, wie für die Militärmagazine. Sobald diese Opera tionen ausgeführt sein werden, glaubt man, wird die Regierung das Ausfuhrverbot wieder auf heben oder durch einen Ausfuhrzoll ablösen lassen. — Die Judenhctze treibt in Rußland immer neue Blüthen. Der amtliche „Warschawski Dnewnik" kündigt an, daß zu Beginn des nächsten Semesters die Zahl der jüdischen Studenten der Universität Warschau bedeutend beschränkt werden würde. — Die russische Regierung hat der rumänischen Regierung eiue Rechnung über 4,800,000 Rubel überreichen lassen, welche die Donaufürstenthümer Rußland seit 1829 schuldig sind. Der russische Vertreter war instruirt, zu erklären, daß man in St. Petersburg mit Ver gnügen gesehen habe, daß die rumänische Regierung Geld genug hatte, um die kostspieligen, gegen Rußland gerichteten Befestigungen um Bukarest und an anderen Orten vorzunehmen, weshalb man überzeugt war, daß die Liquidirung dieser alten Schuld Rumänien keine Schwierigkeiten machen werde. Die Zahl der ausländischen Delegirten, welche an dem internationalen Arbciterkongreß in Brüssel theilnchmen, ist eine sehr große. Sonn tag um 10 Uhr fand im Volkshause die Eröff nungssitzung statt. Alsdann gruppirten sich die Delegirten, um die Prüfung ihrer Mandate vor- znnehmen. Abends fand ein Fest im Lyriqne- Theater. statt. Am Montag fand die Versamm lung zur Konstituirung der Sektionen und zur Organisation des Vorstandes statt; Abends wurden die Kongressistcn von dem Ausschüsse im Volkshause empfangen. Sonntag, am 23. Ang. werden die ausländischen Delegirten die verschie denen Arbeiteranstaltcn Brüssels besuchen. DaS demokratische Schlußbankett wird am Abend ab gehalten werden. In China ist, nach mehrfachen Berichten und Anzeichen zu schließen, die Lage der Fremden nach wie vor eine bedenkliche. Ans Hongkong, 15. Juli, sind in San Francisco folgende Meldungen eingeläufen: Die Flammen der Empörung in Nord-China sind noch immer nichp erloschen. Es sind wieder vereinzelte Ruhe störungen vorgekommen und eS heißt, daß auch die Missionsstationen in der Nähe von Kanton angegriffen worden sind, ohne daß bis jetzt nähere Mittheilungen hierüber vorliegen. Von den ge fangenen Aufrührern in Wusuh bekannten zwei bei ihrem Verhöre freimüthig, daß sie während der Unruhen in Wusuh zwei Europäer ermordet hätten. Die beiden Chinesen wurden nach dem Kuang-Chi-Distrikte abgesandt und am 5. Juli hingerichtet. Ihre Köpfe sind in Wusuh als abschreckendes Beispiel ausgestellt. Aus Tsien- Kiang schreibt ein Berichterstatter in einem vom 27. Juni datirten Briefe, daß der Vicekönig den dortigen Beamten die Weisung gegeben habe, in den Wohnungen der Ausländer nach chinesischen Kindern oder Kindergebeinen zu suchen. Die Behörden nahmen in der presbyterianischen Mission eine Haussuchung vor, während eine aufgeregte Menge vor der Thür wartete. Die Wuth des Pöbels fand schließlich in einem Angriffe auf die römisch-katholischen Missionsgebäude ihren Ausdruck. Das energische Auftreten ChilfantS und der übrigen Bewohner, welche den Aufrührern mit dem geladenen Revolver in der Hand ent gegentraten, schreckte die Menge jedoch zurück. Endlich rückte chinesisches Militär an, welches die ganze Nacht hindurch die Mission bewachte. Auch im südlichen Theile der Provinz herrschen, wie eine Drahtnachricht vom 4. Juli besagt, ernstliche Unruhen. Die römisch-katholische Kirche besitzt daselbst zahlreiche Gotteshäuser, ein großes Waisenhaus und sonstiges werthvolles Eigenthum. In Fu-Cheu-fu plünderten die Anführer die Kirchen und das Haus des Geistlichen, ohne die Gebäude zu verbrennen, während die Kirchen in einigen anderen Plätzen völlig zerstört wurden. AuS Tien-tsicn kommt die Drahtmeldung, daß der französische und britische Gesandte von dem Tsung-li-Vamen wegen des Verlustes an Grund und Eigenthum, welche ihre Schutzbefohlenen bei den Unruhen erlitten, eine Schadcnersatzsumme von 6'/, Mill. Taels verlangen. Kiel, 15. August. Se. Majestät der Kaiser segelte, wie die „Kieler Zeitung" meldet, gestern Nachmittag auf dem „Meteor" in die Eckern- sördcr Bucht. Ihre Majestät die Kaiserin begab sich um 6 Uhr vom Schlosse Grünholz an Bord der „Hohenzollcrn", welche mit den Majestäten um 9 Uhr in Kiel wieder eintraf. Am Abend fand anläßlich des Geburtstages Sr. K. H. des Prinzen Heinrich an Bord der „Hohenzollern" größere Tafel statt. Se. Majestät der Kaiser empfing heute Morgen 9 Uhr General v.Hahnke und vr. Varkhausen. Um 10 Uhr fuhr Se. Majestät aus der Stationsyacht nach dem Nord ostseckanal, während Ihre Majestät die Kaiserin sich ins Schloß begab. Berlin, 15. August. DaS preußische Staatsministerium trat heute Vormittag unter dem Vorsitz des Reichskanzlers von Caprivi im Gebäude des Staats Ministerium, Leipziger Platz 11, zusammen. Die Berathungen währten bis gegen 1 Uhr. DaS Ministerium entschied sich, dem „B. T." zufolge, dahin, vorläufig die Aufhebung der Getreidezölle nicht zu befürworten, sondern den Gang der Dinge abzuwarten. Berlin, ,17. August. Infolge der über triebenen Steigerung der Roggenpreise liegt die Absicht vor, zur Brot-Ernährung der Armee Weizen heranzuziehen. Berlin, 17. August. Heute Nachmittag fand die Eröffnung des Instituts für Infektions- Krankheiten statt. Der für das Anstaltspersonal veranstalteten kirchlichen Feier wohnten Professor vr. Koch und eine Anzahl ärztlicher Assistenten bei. Der Prediger der CharitS, Schulze, weihte unter Gebet und Segen die neuen Räume. Noch heute Abend erfolgt die erste Belegung, zunächst mit 6 Betten, mit Lungenkranken aus der Charitü. Kissingen, 17. August. Heute Vormittag fand im Kurgartcn die Grundsteinlegung zum König-Ludwig-Denkmal statt. Brussel, 16. August. Heute Vormittag 10 Uhr fand Vie Eröffnung des internationalen sozialistischen Arbeiterkongresses im „Maison du Peuble" statt. Dclegirte aller Länder sind zahl reich eingetroffen, darunter aus Deutschland Bebel, Liebknecht und Singer. In der Eröff nungsrede wurde dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß man alle persönlichen Fragen und Spaltungen bei Seite lasse und sich lediglich mit der Lösung, der sozialen Frage befasse. London, 17. August. Der „Standard" meldet aus Shanghai vom 15. d., die chinesischen- Behörden in Peking weigerte» sich, den bei oew>