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Ffage. Darauf wurde eine freie Diskussion er öffnet. Am häufigsten mußten bei diesem ersten Versuch die Geistlichen mit den Lehrern, welche sich zu den Versammlungen meist vollzählig zu sammengefunden hatten, die Debatte im Fluß halten; aber stets waren wir bestrebt, das un mittelbare Aussprechen der Leute durch ihnen zugeschobene Fragen zu veranlassen, r. B.: Einen wie viel höheren Betrag ergiebt wohl ein Morgen Gnrkenland, als dieselbe Ackerfläche mit Korn bebaut? Wie steht es denn im hiesigen Orte mit Wildschaden und der Verwendung der Jagdpacht gelder ? Oder: Wie lange dauert bei Ihnen hier in der Ernte der Arbeitstag? Oder: Wie viel Stunden müssen Sie unbezahlte Arbeit rechnen, wenn Heu und Ernte Ihnen verregnen und Sie wenden müssen? Dergleichen Fragen (natürlich mußten sie mit dem behandelten Thema Zusammen hängen) waren oft zündende Funken, und die Geister brachen los, aber auch die Schweigsam keit war gebrochen. In den Vorträgen und Er örterungen wurde so populär und konkret wie möglich gesprochen, stets mit direkter Beziehung auf die vorhandenen, örtlichen und bäuerlichen Verhältnisse. Denn der Landmann ist kein Freund von Abstraktionen; dazu ist sein Auf fassungsvermögen zu derb. In der Diskussion kam man vom Hundertsten ins Tausendste; und soviel eS irgend anging, ließ der Leiter der Ver sammlung den Gedanken weitesten Lauf, auch wenn sie vom vorliegenden Thema abirrten. Sie gingen doch meist auf das im Allgemeinen be absichtigte Ziel los. Die Leute sprachen sich über ihre Nöthe und Wünsche offen ans. Die Klagen über die schwierigen Gesindeverhältnisse, über ungenügende Flußregulirung und Schädigung der Heuernten, selbst über die ungenügend aus geglichenen Wildschäden, über den theueren Winter, über die Ungenügsamkeit der Menschen in der Gegenwart, über die im Vergleich zu früher mehr und mehr sich steigernde Auslösung der treuen nachbarlichen Beziehungen wurden immer wieder laut. Es ist besser, derartige Klagen werden ausgesprochen, berichtigt oder an erkannt, als daß so etwas im Verborgenen bleibt und weiter schwelt. Durch die Versamm lungen selber ging ein Ton brüderlicher Art. Eine Annäherung der Stände, eine Ausgleichung der auch auf dem Lande scharf gezogenen, bis weilen unberechtigten Gegensätze und des Miß trauens kann durch solche Versammlungen sich anbahnen; freilich mehr auch nicht. Nur der wicdererwachende Geist Christi kann unsere Ge meinden mit neuem Leben erfüllen und sic auch gegen die Gefahren des öffentlichen Lebens stählen. Obgleich im Aufruf absichtlich eine direkte Spitze gegen die Sozialdemokratie nicht hervorgekehrt war, um nicht unnöthig Staub auszuwirbeln und zu reize», so liegt eS doch in der Luft, daß sehr schnell die Wetterfahne der Diskussion nach dieser Windrichtung sich drehte. Auch die Sozialdemokraten, welche in den Landgemeinden unter den Arbeitern vorhanden sind, oder andere weit nach links sich neigende Geister ergriffen das Wort. Freundlich und mit Berücksichtigung ihrer Gründe und Ansichten wurde geantwortet. Die Logik ihrer Anschauungen hält schärferen Konsequenzen nicht Stich und auch die Logik der vorgebrachten Thatsachen kann leicht durch einige Sachkenntnis; der sozialen Verhältnisse in Stadt und Land widerlegt werden. Einzelne Versammlungen wurden zu einem schönen Zcug- niß der Vaterlandsliebe und der Christentrcue. Ost genug wurde den Anwesenden warm nm'S Herz, aber auch Heiterkeit und Spaß hatten ihre Stelle. Ein guter, nicht verletzender, aber schlagender Witz ist ost besser als stundenlange Auseinnandcrsetzungen. Wer den Landmann kennt, weiß, daß er für den Mutterwitz sehr empfänglichen Sinn hat. Mit einem Hoch aus den Kaiser und der Nationalhymne schlossen die Abende zumeist gegen 9 Uhr. Man blieb noch einige Zeit bei einander sitzen, über die verhandelte Angelegenheit unter einander plaudernd. Am nächsten Tage waren in den Stadtblättern beiderlei Richtung kürzere oder eingehendere Berichte über die Versammlungen zu lesen. Die Landleute lesen gerne etwas, was bei ihnen geschehen ist!" — Tie Nutzanwendungen für die dringend wünschenSwerthe Nachfolge auf diesem Gebiete der politischen nnd sozialen Thätigkeit ergeben sich selbst. Mit dem Beginn der großen Sommerreisen des Deutschen Kaisers hat auch in der euro päischen Presse der seltsame Wettkampf angefangen, sich gegenseitig in kühnen, oft geradezu unsinnigen Kommentaren zu überbieten. Man sollte meinen, daß gerade die diesjährigen Reifen des Kaisers hierzu am wenigsten Anlaß gäben. Der Besuch in den Niederlanden schließt sich lediglich der Der sächsische Erzähler. Gelle S. Reihe von Höflichkeitsbesuchen an, die der Kaiser nach seinem Regierungsantritt allen Nachbar staaten mit der alleinigen, aber selbstverständlichen Ausnahme der französischen Republik abgestattet hat. Ausfallen könnte höchstens die Verzögerung, die sich aber durch die bekannte Abneigung deS verstorbenen Königs der Niederlande gegen Preußen und die Hohenzollern hinlänglich erklärt. Wenn der zunächst als eine reine Höflichkeit an- znsehende Kaiserbesuch in Amsterdam nebenbei auch dazu dienen sollte, die wirthschastlichen und allgemein politischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und den benachbarten, stamm verwandten Niederlanden freundlicher zu gestalten, so würde dies nur die beiden Staaten allein an gehen und auf die europäische Politik keinen Einfluß und keine Rückwirkung ausüben. Holland ist fest entschlossen und die Umstände dürften es auch ermöglichen, eine strenge Neutralität in einem künftigen europäischen Kriege aufrechtzuer halten. In Deutschland weiß man dies genau und denkt Niemand daran, den kleinen Nachbar staat, dessen militärische Bedeutung ohnehin sehr geringfügig ist, von dieser wohlberechneten und wohlberechtigten Verhaltungslinie abzuziehcn. Die Gegner deS Dreibundes können ganz beruhigt sein: Holland soll und wird nicht in diese mächtige FriedenSversicherungs - Gesellschaft aufgen ommen werden. Auch die diesjährige Kaiserreise nach England ist nicht darnach angethan, zu neuen Vermuthungen und argwöhnischen Schlüssen an- zurcgen. Sie ist lediglich eine Besiegelung anderweitig längst bekannt gewordener Thatsachen. Daß England dem Dreibunde freundlich zuneigt und dessen Friedenspolitik ohne Einschränkung billigt, ist ebensowenig neu, wie daß der deutsche Kaiser die besten innigsten Beziehungen zu seinen englischen Verwandten unterhält. Darüber hinaus wird voraussichtlich bei dem diesmaligen Kaiser besuch in England aller Welt sichtbar werden, daß es dem jugendkräftigen, unermüdlich thätigen, und seine hohen Herrscheraufgabcn mit seltener Hingebung und durchdringendem Verständniß er füllenden Monarchen gelungen ist, ehemalige Vorurtheile zu besiegen und sich auch die Sym pathien der Engländer zu erwerben. Höhnisch hatten französische und russische Blätter im vorigen Jahre behauptet, der deutsche Kaiser meide ge flissentlich die englische Hauptstadt, weil er wisse, daß ihm die dortige Bevölkerung einen kühlen, abweisenden Empfang bereiten würde. Sie werden sich jetzt überzeugen, daß sie die Stimmung der Londoner wissentlich oder unwissentlich ganz falsch gekennzeichnet hatten. Es ist zu erwarten, daß der deutsche Kaiser in London gefeiert werden wird, wie er bisher noch in keiner Stadt außer halb seines Reiches gefeiert wurde. Der Jubel, der ihm entgegentönen dürste, mag Pariser und Petersburger Ohren recht unangenehm klingen. Sie werden sich aber damit ebenso abzufinden haben, wie mit den bedeutsamen Trinksprüchen, die der Kaiser von Oesterreich soeben in Fiume an Bord des englischen AdmiralschiffeS ausge bracht hat. Wird man doch auch in Berlin, in London und in Rom ruhig und mit Gleichmut!) die Kundgebungen hinnehmen, die anläßlich des Besuches eines französischen Geschwaders in Kronstadt zu erwarten stehen. Alle, die dem Dreibunde angehören oder nahestehcn, können mit gutem Gewissen wahrheitsgemäß versichern, daß Alles, was sic sagen und anstreben, nur aus Vic Erhaltung des Weltfriedens gerichtet ist. Können Franzosen, Russen und deren Gesinnungsgenossen das Gleiche von sich wahrheitsgemäß behaupten? Im österreichischen Abgeordnetenhause wurde am Donnerstag die Verhandlung über die Aushebung der Ausnahmcverordnungen zu Ende geführt. Der Berichterstatter Sommaruga beantragte eine Resolution, die die Erwartung der baldmöglichsten Aufhebung des Restes der Ausnahmeverfügungen gegen den Anarchismus ausdrückt. Graf Taasfe erklärte, die Regierung beabsichtigte die Aufhebung bereits im Januar und wollte nur die Entwiaelung der Verordnung vom 1. Mai abwarten. Die Regierung erkenne die eingetretene Besserung an und habe die Aus nahmeverordnung aufgehoben, weil sie der Ansicht sei, daß die Ausnahmebestimmungen nur bestehen sollen, solange dies unumgänglich nöthig sei. Das vorgelegte Sozialistengesetz sei augenblicklich unnöthig, aber es sei ein werthvolles Mittel; sollten die Zustände sich wieder verschlimmern, so werde die Regierung die sofortige Annahme des Gesetzes urgiren. Das Hans nahm hierauf den Ausichußantrag mit großer Majorität an und setzte sodann die Budgetdebatte fort. Eine Verschärfung der Bestimmungen über Spionage soll in Österreich, der „Neuen Freien Presse" zufolge, im Reichsrath in Vorschlag gebracht werden. Die Veranlassung dazu bietet ein jüngst von österreichischen Deserteuren verübter Ein bruchsversuch im Krakauer Generalkommando behufs Aneignung geheimer Militärakten, der aber mißlang. Da verlautet, die Einbrecher seien bei ihrer Desertion an der Grenze von russischen Offizieren erwartet und mit Kleidern, sowie allem zum Einbruch Röthigen versehen worden, so hat dieser Fall eine gewisse Erregung hervorgerufen. In Trautenau fand am Sonnabend unter massenhafter Betheiligung der Bevölkerung eine Gedenkfeier für die im Jahre 1866 bei Trau- tenau gefallenen preußischen und österreichischen Soldaten statt. Anwesend war der Prinz von Schaumburg-Lippe und andere Offiziere, ebenso waren Abordnungen preußischer Kriegervereine anwesend. Stadtdechant Hoffmann bezeichnete in seiner Gedächtnißrede die Gefallenen als Opfer des Friedens; er feierte das Bündnis; Deutsch lands mit Oesterreich und erbat Gottes Huld für die Monarchen beider Reiche. Unzählige Blumenspenden wurden an den Denkmälern der Gefallenen niedergelegt. Die königliche Dampsyacht „Danebrog" hatte den Befehl erhalten, nach Lübeck zu gehen, um das dänische Königspaar von dort nach Kopen hagen zu bringen, und zwar sollte die Ankunft des Königspaares in Kopenhagen am 30. Juni, gleichzeitig mit dem Eintreffen de« französischen Geschwaders, erfolgen. Am Sonnabend erhielt der „Danebrog" Contreordre mit der Motivirung, daß die Königin eine leichte Fußverrenkung er litten habe. ES erscheint daher unwahrscheinlich, daß daS Königspaar während des Besuches der französischen Flotte in Kopenhagen anwesend sein wird. ES wurde schon berichtet, daß den König die großen Festlichkeiten, welche aus Anlaß der Ankunft deS französischen Geschwaders in Kopen hagen veranstaltet werden sollen, mit Rücksicht auf daS freundschaftliche Verhältniß, welches gegenwärtig zwischen der dänischen und preußischen Königsfamilie besteht, peinlich berührten nnd daß er am liebsten denselben fernbleiben würde. In folge des Erkrankens der Königin scheinen dem König Christian nun thatsächlich die dänisch französischen Verbrüderungsszenen erspart bleiben zu sollen. DaS französische Geschwader, welches Sonnabend 8^ Uhr den Hafen von Bergen verließ, wird in der dänischen Hauptstadt etwa fünftägigen Aufenthalt nehmen. Der französische Nationalökonom Lcroy- Bcaulien vergleicht im „ Journal des Döbats" den Gesetzentwurf über die staatliche Arbciter- pcnsionskasfe mit der deutschen Arbeiter- und Altersversicherung, welch' letztere sich in beschei deneren, aber realisirbaren Ziffern bewege und die finanzielle Kraft des modernen Staates rich tiger beurtheile als der französische Gesetzentwurf. Der Staat stürze sich in eine unberechenbare Ausgabe, welche jährlich 600 Millionen, selbst eine Milliarde betragen könne. Die Nachricht, daß der russische Kaiser den Großfürsten Michael Michajlowitsch zum Verschwender erklärt und unter Kuratel gestellt habe, erhält durch eine Mittheilung aus Moskau eine eigene Beleuchtung. Darnach soll der Kaiser gewillt sein, bei Gelegenheit seiner Silberhochzeit seinen Verwandten zu begnadigen und wieder in Gnaden aufzunehmen. Nnr die Besorgniß, die Familie der jungen Gemahlin des Großfürsten könnte die Pläne des Czaren, welche aus die Erhaltung des prinzlichen Vermögens hinaus gehen, kreuzen, soll die Ursache der auffälligen Maßregel sein. Der Großfürst hat allerdings ehe er Rußland verließ, den wesentlichsten Theil dieses Bankvermögens, das man auf 1'/, Mill. Rubel schätzt, in der englischen Bank untergebracht. Dem „Norodni Dnewnik" zufolge ist es be schlossene Sache, daß der junge König Alexander von Serbien Mitte Juli nach Petersburg reist. In der Begleitung des Königs werden sich der Regent Ristitsch, der Ministerpräsident Pasitsch, der Hofmarschall Jankowitsch und zwei Adju tanten befinden. Die Räuber in der Türkei kehren sich nicht an die Truppenentfaltungen und sonstigen Vor kehrungen der Pforte und „arbeiten" lustig weiter. Aus Salonichi wird gemeldet: Eine 25 Mann starke Brigantenbande schleppte einen reichen jüdischen Kaufmann, Juda Jakoel, aus seinem Hause in Gomendsche fort und verlangt 5000 Pfund Lösegeld. Sie sind also um die Hälfte billiger, als der spurlos verschwundene „Hauptmann" Athanas. Hamburg, 29. Juni. Se. Majestät der deutsche Kaiser traf heute früh '/^9 Uhr, Ihre Majestät die Kaiserin wenige Minute» später hier auf dem Dammthorbahnhofe ein. Hamburg, 29. Juni. Ihre Majestäten der Kaiser-und die Kaiserin wurden am Dammtyor-