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Der sächsische Erzähler. Gelte 4. Das Leichenbegängniß des Grafen Moltke. Trauerschleifen herab. Der ganze, dem Perron ' Kaiser und König von Sachsen im Portale- Juden wandern nach Oesterreich aus, den armen jedoch wird die Einwanderung dorthin nicht ge stattet. Die Polizei verfährt mit einer Rohheit ohne Gleichen. 160 Personen wurden aus Moskau sogar nächtlicher Weile auSgetrieben. Petersburg, 29. April. Das Stadthaupt von Petersburg hat im Anschluß an den Erlaß, welcher jüdischen Handwerksmeistern und Hand werkern die Ansiedelung in Moskau und im Moskauer Gouvernement untersagt, die Anordnung getroffen, daß den bezeichneten Personen auch die Niederlassung in Petersburg verwehrt werde und daß dieselben nach Orten, wo Personen jüdischer Konfession der Aufenthalt gestattet ist, verschickt werden sollen. Nach Meldungen aus Moskau erklärten sich viele Juden bereit, um der Ausweisung zu ent gehen, zum Christenthum überzutreten. Es wurde dieses aber als gesetzwidrig bezeichnet. Die Aus weisung von Juden dauert fort. Bulgarien. Orsova, 30. April. „Sczegeni Naplo" meldet: Ungarische Gendarmen verhafteten einen 30 bis 40jährigen Mann, Namens Glekow, welcher geständig ist, den bulgarischen Minister Beltschew ermordet zu haben. China. Die chinesische Regierung verweigert die Annahme des zum Gesandten der Unionsstaaten in China ernannten Senators Blair, weil der selbe im Senate wiederholt heftig gegen die Chi nesen geredet habe. Vermischtes. — So rau, N.-L., 26. April. JnKungendorf war gestern Nachmittag eine 18 jährige Dienst magd auf einem Bruchfelde der Braunkohlengrube „Gottessegen III" mit Abladen von Erde be schäftigt. Plötzlich war die Dienstmagd ver schwunden und nähere Nachforschungen ergaben, daß sie versunken war. Nach zwölsstündigen Ausgrabungsarbeiten fand man die Magd 1b Meter unter der Erde aufrecht stehend, in der erhobenen Hand eine Hacke haltend, als Leiche vor. Das Erdreich, aus welchem sich das Mädchen befand, ist trichterförmig zusammengestürzt; in dem Schlunde verschwand die BedauernSwerthe und wurde von den nachfolgenden Erdmassen ver schüttet. Der Vorfall erregt allgemeines Aufsehen. — In Pest tödtetc ein geisteskranker Post diener seine schlafende Frau, krei Kinder und die Schwiegermutter, und nahm sich darauf selbst das Leben. trugen. Ihnen folgte eine ganze Reihe von- Stabsoffizieren des Generalstabs mit duftenden Kränzen. Dann kam der einfache, nicht überdeckte Leichenwagen, gezogen von sechs schwarz bekleideten Rappen. Der schlichte Sarg war an den Seiten mit Kränzen behangen, auf dem Sarg lag der Helm und die Epauletten, Marschallstab und Degen. Wiederum salutirten die Militärs^ während das Publikum in ehrfurchtsvollem Schweigen die Kopfbedeckung abnahm. Unver geßlich ist der weihevolle Moment, in welchem die sterbliche Hülle des Niebefiegten vorbeigesührt wurde, unvergeßlich namentlich für den, der oft Zeuge des unbeschreiblichen Jubels war, wenn der greise Moltke bei festlichen Anlässen in seinem schlichten Gefährt durch das Spalier der begeisterten Massen hindurchfuhr. Nun ist er dahin, hat Abschied genommen für immer, manches Auge füllte sich mit Thränen Angesichts der Majestät des Todes, der auch die Größten und Edelsten nicht verschont. Tiefernst schritt hinter dem Sarge der oberste Kriegsherr einher, neben ihm der Neffe des Verstorbenen, Major Hellmuth von Moltke, zu dessen Seite der König von Sachsen. Vor dem Lehrter Bahnhof löste die nördlich der Alsenbrücke am Hafen ausgestellte Leibbatterie des 1. Garde-Feld-Artillerie-Regi- mentS 36 Schüsse. Nachdem der Sarg auf den Katafalk im Kaiser-Salon des Bahnhofes gehoben war, wurden Ehrenposten von den Kolberger Grenadieren, den Matrosen und dem See-Bataillon zu beiden Seiten des Sarges ausgestellt. In den Salon traten außer den nächsten Angehörigen nur der Kaiser und die Fürstlichkeiten. Mit einen, langen stillen Gebet nahm der Monarch Abschied von seinem großen Feldherrn. Im Laufe deS Nachmittags wurde dann weiteren Kreisen der Zutritt gestattet. Die Abfahrd nach Kreisau erfolgt mittels Extrazuges Mittwoch Vormittag 7 Uhr. Den Sarg begleiten Militär- Deputationen, Vertreter der Parlamente und eine Ehrenwache, im Ganzen ein stattliches Trauer gefolge. Die Ankunst in Kreisau, wo bereits umfangreiche Trauerausschmückungen vollendet sind, erfolgt Mittwoch Nachmittag 2 Uhr und wird alsdann im Moltke'schen Mausoleum die stille Beisetzung erfolgen. Dem Verdienst des Verstorbenen kann durch keine, auch noch so große Veranstaltung Rechnung getragen werden, aber die wahrhaft königliche Leichenfeier beweist, doch den Dank des deutschen Kaisers! Berlin, 28. April. Der Trauerfchmuck. Frühlingsglanz und Frühlingssonnenschein log über dem Berliner Thiergarten, in welchem der todte Feldmarschall zu seinen Lebenszeiten so gern lustwandelte, über der ragenden, gold schimmernden Viktoria auf der Siegessäule und dem mächtigen Gebände des deutschen General- stabeS, in welchem der Verblichene so lange und so segensreich gewirkt. Und Tausende und Aber tausende zogen aus der Millionenstadt hinaus in den jungen Frühling, ans den weiten Königs platz, um dem großen Lieblinge des Volkes die letzte Ehre zu erweisen. Und zu gleicher Zeit mit den Strömen der Volksmenge rückten die Berliner Garderegimenter heran, auf deren stramme Reihen so oft der forschende Blick des verstorbenen Heerführers geweilt. Nach dem Willen des Kaisers kamen sie in Paradeuniform heran, dem ersten Soldaten der Armee nächst dem obersten Kriegsherrn die letzte Ehre zu er weisen. Auf dem Wege vom Generalstabsge bäude am Siegesdenkmal vorüber bildeten sie Spalier durch die Alsenstraße über die Moltke- brücke bis zum Lehrter Bahnhof. Der Trauer weg ist nicht erheblich, er umfaßt nur etwa zehn bis zwölf Minuten, da im Hinblick auf Verkehrs schwierigkeiten auf die Wahl eines anderen Bahn hoses verzichtet werden mußte. Die Trauer dekoration war einfach, aber würdig. Wie in ganz Berlin wehten fast auf allen Häusern die Fahnen halbmast oder waren die Flaggen mit Trauerflor umkränzt. In den Gaslaternen, die gleichfalls schwarz umflort waren, brannte daS Licht. Besonders effektvoll war die an diesem Tage zum ersten Male im neuen künstlerischen Schmuck erstrahlende Moltkebrücke mit Laub gewinden dekorirt. In ebenso vornehmen wie reichem Schmuck präsentirte sich der Lehrter Bahnhof. Sechs mächtige schwarze Trauer flaggen wehten aus den Fenstern des Gebäudes, in den Nischen standen florumhüllte Kandelaber, auö deren Becken Flammen emporzüngelten. Der große Hauptbogen des Mittelportals war mit schwarzem Tuch verhängt, über das sich, mächtige Quasten tragend, dicke Silberschnüre legten. Ebenso waren beide Seitenbogen mit Tuch ausgeschloißen; über dem rechten dieser Bogen wölbte sich, von silbernen Parkisen getragen, ein schwarzer Baldachin, dessen Gehänge mit silber nen Schnüren gerefft waren. Durch diesen Baldachin wurde der Sarg später in die Halle getragen. Der Bahnhofsperron war mit einer seltenen Fülle herrlicher Blattpflanzen geschmückt. Der Kaisersalon selbst ist bestimmt, den Sarg des FeldmarschallS bis zu der Mittwoch früh erfolgenden Ueberführung nach Kreisau aufzu nehmen; er ist aus diesem Anlaß zu einem Trauerraum von würdigster Pracht umgewandelt. Die hohe Säule, welche die Decke des Raumes trägt, ist mit Krepp umkleidet, Spiegel und die glänzenden Theile deS Wandschmuckes sind mit Tuch umhüllt und von den vier Kronen hängen Gencralsunisorm mit der Kette des Schwarzen Adlerordens trug. Die Trauerfeier. Nachdem der Kaiser die Familie begrüßt und zu Füßen des Sarges in Mitte der Fürstlich keiten Aufstellung genommen hatte, eröffnete der Hcnneberg'sche Chor die Feier mit der Neit- hardt'schen Motette: „Selig sind die Tobten." Dann verlas der Feldpropst vr. Richter den 90. Psalm, an den er die Trauerrede anknüpfte. In der Rede heißt es: „Wir stehen alle tief bewegt und doch getröstet hier an seiner Bahre, und wir geloben, sein Gcdächtniß nicht bloß, sondern auch sein Vermächtniß heilig zu halten für alle Zeiten. Wie Josua erfüllt war von dem Geiste der Wahrheit, da MoseS seine Hände aus ihn gelegt hatte, so wollen wir die jüngere Generation, an der Bahre deS alten Feld marschalls sein Vermächtniß noch einmal ent gegennehmen saus seinen erstarrten Händen und für alle Tage und Zeit als ein heiliges Gelöb- niß festhalten, daß sein Geist, der Geist der Wahrheit uns bleibe, und daß seine Hände, die Zeugen seiner Kraft, auf uns gelegt bleiben. Das war das Große dieses Mannes, daß er nicht ein'am stand auf der Höhe seines Ruhmes, sondern, daß er cs verstanden hat, sein eigenstes Leben einzuprägen der Armee, der Nation, er, einer der größten Bildner des Volkes. Er lebt in der Armee, in der Nation als der verkörperte Geist der Weisheit, der Kraft, der Zucht, des Maßhaltens: „Erst wägen, dann wagen", als der Geist auch des Hasses gegen alles Niedrige und Gemeine, als der Geist selbstloser Pflicht erfüllung und ManneStreue bis in den Tod. Und darum, obgleich wir auch von tiefer Weh- muth erfüllt sind, daß wir hier wieder am Sarge eines der alten Paladine des Heldenkaisers stehen, so sind wir doch gerade in Hinblick auf das Vermächtniß des Tobten, deß gewiß, daß Deutschland den Verlust auch eines seiner größten Söhne nicht nur mit Ruhe tragen muß, sondern auch tragen kann." Gebet und Vaterunser be endeten die ergreifende und wirkungsvolle Trauer rede. Der Chor sang das in einem zarten Piano ausklingende „Sei getreu", dann sprach Ober-Hofprediger vr. Kögel den Segen, worauf die stimmungsvolle Feier in das alte Kirchen lied ausklang: „Wie herrlich ist die neue Welt." Der Kaiser hatte während der Feier, von Rührung übermannt, die Hand vor das Gesicht gehalten; er verharrte noch einige Sekunden in stummem Gebet, dann trat er auf die Leid tragenden zu, um ihnen bewegt die Hand zu reichen. Wenige Augenblicke später wurde der Sarg von Unteroffizieren des Seebataillons und der übrigen Truppentheile, zu denen der Feld marschall in Beziehung stand, die Stufen des Treppenhauses herabgetragen und, während der zugewandte Theil deS Raumes ist schwarz aus geschlagen. Auf einem Katafalk inmitten eines BlumenhainS wurde hier später der Sarg auf gebahrt. Auf jeder Seite des Katafalks stehen vier silberne Kandelaber. Im Trauerhaufe. Der Sarg wurde Vormittag 8 Uhr ge schlossen. Der Heldengreis wird seine ewige Ruhe in jenem schlichten Trauerheyzp finden, das die irdische Hülle während der Ausstellung der Leiche umschloß. Der kleine, abgeschliffene Trauring, den Graf Moltke bis zum Tode getragen, und die Blumen, die die trauernden Anverwandten ihm als letztes Liebeszeichen gewidmet, wurden mit in den Sarg eingeschlossen. Der Sarg wurde sodann mit den Insignien der militärischen Würde des Entschlafenen geschmückt. Vor dem Sarge wurden jene acht Tabourets aufgestellt, die einst die Orden Kaiser Wilhelms bei der Aufbahrung im Dom getragen. Nach und nach fanven sich im Sterbehaule und auf dem Platze vor demselben Offiziere und Generale, sowie später die Fürstlichkeiten ein. Von Fürsten und Prinzen erschienen der Großherzog von Baden, der Großherzog von Hessen, Prinz Leopold von Baiern, der Prinzregent von Braunschweig mit seinen beiden ältesten Söhnen, der Erbprinz von Meiningen, Prinz Georg von Sachsen und andere. Kurz vor 11 Uhr kam die Kaiserin mit den beiden ältesten Söhnen und dem Prinzen Heinrich. Punkt 11 Uhr ertönt das Kommando „Stillgestanden!" „Präsentirtdas Gewehr!" Der Kaiser hatte mit dem König von Sachsen in einer Stadtkutsche das Brandenburger Thor passirt und hielt kurz darauf vor dem General stabsgebäude, wo eine glänzende Suite ihn er wartete. Der König von Sachsen ging mit dem Chef des Generalstabes, Grafen v. Schlieffen, zuerst die Treppen hinauf, ihm folgte allein, tief in Gedanken versunken, der Kaiser, der die — Zürich, 29. April. (Auszeichnung einer Studentin.) Die Studentin Louise Möller aus Sachsen hat den Hauptpreis für die pflanzen» stehen blieben, auf den königlichen Leichenwagen gehoben. Die Ueberführung nach dem Bahnhöfe. Kommandorufe erschallten über den weiten Platz, die Regimentsmusiken intonirten unter dumpfem Trommelwirbel den Choral „JesuS- meine Zuversicht", Generale und Offiziere salutirten, das Publikum entblößte das Haupt. Langsam und feierlich setzte sich der Zug in Bewegung; an der Spitze ritten vier Schwa» dronen Garde-Kavallerie, welche vorher an der Siegessäule in Spalier gestanden hatten. Der Musik des ersten Garde-Regimentes zu Fuß. folgten die Fahnen der deputirten Regimenter und deS SeebataillonS, diesem ein Bataillon deS 1 Garde-Regiments, weiterhin je ein Bataillon vom 2. und 3. Garde-Regiment, deren Musiken abwechselnd Choräle und den Chopinschen Trauer marsch spielten. Der Garde-Infanterie schloß, sich das 1. Garde - Feld - Artillerie « Regi ment an. Hinter dieser Spitze der Garde regimenter schritten acht höhere Offiziere ein her, die auf prächtigen Kissen den Marschall stab und die Orden des Verstorbenen