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Berlin, 10. Januar. Bei dem jüngstge borenen kaiserlichen Prinzen übernahmen Pathen- stelle: der Kaiser von Oesterreich, der König von Italien, die Königin-Regentin Emma der Nieder lande, die verwittwete Großherzogin Marie von Mecklenburg, der Herzog von Edinburgh, der Herzog und die Herzogin von Connaught, die Herzogin Wera von Würtemberg, der Prinz und die Prinzessin Friedrich Leopold, die Prinzessin Margarethe (Schwester des Kaisers) und General feldmarschall Graf Moltke. Die Taufe findet am 26. Januar statt. KaiserWilhelm hat, wie Berliner Zeitungen wissen wollen, dem Fürsten Bismarck durch ein Handschreiben zum neuen Jahre gratulirt, und der Letztere dem Schreiben, in welchem er seinen Dank ausdrückte, ein Buch als Geschenk beigefügt. Es geht wieder einmal das Gerücht, Fürst Bismarck werde in den, Ende d. M. beginnenden Verhandlungen des preußischen Herrenhauses er scheinen und zu den großen Reformgesetzen das Wort ergreifen. — Am Freitag Abend ent sprachen Fürst und Fürstin Bismarck, sowie Graf Herbert Bismarck einer Einladung des kommandirenden Generals von Leszynski in Altona zur Tafel. Der Fürst trug große Generalsuniform und wurde auf dem Bahnhofe lebhaft begrüßt. Berlin, 12. Januar. Abgeordnetenhaus. Die vollständigen Ziffern des Etats balanciren mit 1,720,834,749 Mark; davon betragen die ordentlichen Ausgaben 1,670,452,177, die ein maligen außerordentlichen Ausgaben 50,382,572. In den ordentlichen Ausgaben beträgt das Mehr 125,672,033 Mark, in den ordentlichen Einnahmen das Mehr 132,610,434 Mark. Der Etat schließt ab ohne Anleihe und ohne Zuhilfenahme früherer Ueberschüsse. Der diesjährige Ueber- schuß beträgt 33,600,000 Mk. Der Finanz minister kündigt Gehaltsaufbesserungen der Unter beamten an. Das Aufrücken soll jetzt nach be stimmten Altersstufen erfolgen; die diätarischen Stelle» sollen vermindert, die feste» Stellen ver mehrt werden. Die Vorarbeiten feien sehr weit gediehen, das System soll bereits kommendes Jahr angewendet werden. Die Zusammensetzung des Koch'schen Heilmittels werde bald veröffent licht werden, da der Staat daraus keine Ein nahmen beabsichtigt. Für Prof. vr. Koch werde das Institut für Infektionskrankheiten für 100,000 Mark erbaut werden. Die erste Sitzung des Reichstags nach den Weihnachtsferien fand heute, Dienstag, 2 Uhr statt. Auf der Tagesordnung stand der Antrag auf Aufhebung der Getreidezölle. Prag, 10. Januar. (Landtag.) JmLaufe der Debatte über den § 24 der Landeskultur- rathsvorlagc warf der Jungczeche Krumbholz den Bewohner» des deutschen Sprachgebiets.in Böhmen Illoyalität gegenüber der Dynastie vor. Die deutschen Abgeordneten unterbrachen den Redner stürmisch mit den Rusen: „Lüge!" „De- nunciation!" Der Oberstlandmarschall ermahnte den Redner bei der Sache zu bleiben. Die deutschen Abgeordneten Plener und Schmeykal begaben sich hierauf zum Oberstlandmarschall, welcher beiden Abgeordneten den czcchischen Text der Krumbholz'schen Rede übersetzte. Inzwischen führte der Berichterstatter der Majorität, Prinz Lobkowitz, aus, die Politik der Jungczechen werde für die Nation schlimme Früchte tragen; sein Herz schlage treu für die Nation; deshalb warne er vor der Fortsetzung dieser Politik. Aus Ungarn werden über die finanziellen Ergebnisse der Eisenbahnverwaltung im Jahre 1890 Mittheilungrn verbreitet, welche auf'» Neue die Vorzüge des Zonentarifs dartbun. Die effektiven Rein-Einnahmen der Staatskasse betragen 3,597,863 Fl. mehr, als veranschlagt war, und 3,016,580 Fl. mehr, als im Jahre . »— dann müssen sie vor Allem ihr für den Aus gleich verpfändetes Wort einlösen, und in ihrem eigensten Interesse wird eS dann liegen, die Durchführung der Wiener Festsetzungen möglichst zu beschleunigen. Fehlt ihnen hierzu der gute Wille, dann müssen sie auch alle Folgen, die sich aus dem Scheitern de» Ausgleich» ergeben, auf ihre Verantwortung nehmen. Prager Berichte besagen, die Erklärung der Regierung habe bei den Altczechen „die größte Enttäuschung" her vorgerufen. Inzwischen hat die Ausgleichs kommission des Landtags trotz de» Widerspruches der Czechen, die zunächst die Antwort der Re gierung zur Debatte stellen wollten, mit der Berathung des Kuriengesetze» begonnen, an welchem der Ausgleich vermuthlich endgiltig scheitern wird. Im schweizer Kanton Tessin ist eS aber mals zu Mißhelligkeiten zwischen Klerikalen und Liberalen gekommen. Die Letzteren beschweren sich darüber, daß die Regierung trotz ihrer ge mischten Zusammensetzung fortfahre, die Kleri kalen bei der Festsetzung der Wählerliste rc. zu bevorzugen, und der Bundeskommissar Künzli er klärt diese Beschwerden für gerechtfertigt, ohne jedoch den Äundesrath bestimmen zu können, gegen die Regierung einzuschreiten. Der Kon flikt ist bereits soweit gediehen, daß daS liberale Komitü von Tessin beschlossen hat, seinen Partei genossen Wahlenthaltung bei der diesen Sonntag stattfindenden Verfassungsrathswahl zu empfehlen. In Capolago am Luganer See hat am Sonn tag ein Kongreß italienischer Socialisten statt gefunden. Um die schweizer Polizei irre zu führen, war der 11. Januar als Kongreßtag und die Stadt Lugano als Kongreßstadt ange kündigt worden, aber der Bundeskommissar im Tessin hatte sich nicht täuschen lassen, und so fand die Versammlung unter den Augen der Polizei statt. Es nahmen an derselben etwa 100 Mitglieder von italienischen Vereinen theil. Einigen derselben theilte der Bundeskommissar die Anordnungen des Bundesrates mit, welche darauf hinausliefen, daß zwar sociale Fragen oder socialistische Theorien frei besprochen werden dürfen, daß es aber unstatthaft sei, etwa ein anarchistisches Programm mit Aufreizungen zu gemeinen Verbrechen zu proklamiren oder die Organisation einer Revolution für Italien zu treffen. Der Kongreß verlief in aller Ruhe. Die Hauptrolle spielte der Socialist Amilcare Cypriani, welcher den baldigen Ausbruch der socialen Revolution weissagte. Der Verhandlung lag folgendes Programm zu Grunde: Beziehungen der revolutionären Socialisten Italiens mit mehr oder weniger verwandten Parteigruppen (Irre dentisten, Republikanern, Wahlreformern); Orga nisation einer revolutionären Socialisten-Partei Italiens; Initiative für die allgemeine Agitation zum 1. Mai 1891, dem Arbeiter-Feiertage; Er laß eines Manifestes an die italienische» Sozialisten und Arbeiter; Adresse an die Socialisten anderer Länder zum Zwecke internationaler Vereinigung. Mit den italienischen Delegirten, unter welchen sich viele Süd-Italiener befanden, waren gleich zeitig viele italienische Geheimpolizisten in Capo lago eingetroffen. Die Wahlen zum Senat, die am 4. Januar in Frankreich vor sich gingen, sind für die Republikaner noch günstiger ausgefallen, als sic hofften. Statt der 4 oder 8 neue» Sitze, auf die sie rechneten, haben sie deren 10 erhalten. Die republikanischen Blätter Frankreichs sind selbstverständlich über das Ergebniß der Senats wahlen entzückt. Der Senat besteht jetzt aus 240 Republikanern und 55 Konservativen; dazu kommen noch 5 erledigte Sitze, von denen drei den Republikanern gehörten. Die Niederlage der Monarchisten ist um so bemerkenswerther, als sie zusammentrifft mit der Kündigung des Kartells von Seiten der Kirche. Schon im letzten Jahr zehnt sind viele Monarchisten nur Dank der Unterstützung des Klerus ins Parlament ge kommen; von nun ab wird dies wohl ein Ende haben. Die Monarchisten haben sich anfänglich damit zu trösten versucht, daß der Kardinal Lavigerie mit seiner Bekehrung zur Republik allein stünde, aber eS hat sich bald hcrausgestellt, daß hinter ihm der Papst und noch viele andere französische Bischöfe stehen. Neben der allgemein anerkannten Thatsache des großen Erfolges der republikanischen Partei verdient auch wohl noch der Umstand hcrvorgehoben zu werden, daß in den meisten Fällen, wo sich gemäßigte und radi kale Kandidaten gcgenübcrstanden, die Ersteren den Sieg davontrugen. Insbesondere muß in dieser Beziehung hervorgehoben werden, daß selbst der ehemalige radikale Minister-Präsident Goblet im Srine-Departement unterlegen ist, und daß auch hier die Gemäßigten die Mehrheit der den Jrrthümern der Partei auf den -Meten der inneren Angelegenheiten, der fiskalischen und Zollpolitik abzulenken. Der Indianer-Aufstand breitet sich ersichtlich au» und die Vernichtung ganzer Stämme scheint nur noch eine Frage der Zeit. Wa» Hunger, Kälte und Krankheit übrig lassen, fayt unter den Kugeln und Säbelhieben der Truppen. In Pinerivge sind beträchtliche Verstärkungen amerikanischer Truppen eingetroffe», welche eine verabredete Bewegung zur Umzingelung de» indianischen Lager» unternehmen. Die Truppen wollen die Indianer durch Hunger zur Unterwerfung zwingen, wofern, wie e» in der Meldung heißt, die Indianer „nicht einen Kampf vorziehen". Das klingt beinahe, al« sähe man dies auf Seite der Amerikaner und ihrer Regierung gern, die bisher noch immer unterlassen haben, das Uebel an der Wurzel zu packen. Der sächsisch- «-zähl--, «-tte ». Wähler für sich hatten. Bereit» bei den letzten Kammerwahlrn hat sich eine gewisse Abneigung der Wählerschaften vor radikalen Kandidaten be merkbar gemacht, und e» hat sich nun diese Er scheinung bei den Srnatorenwahlen vom 4. d. M. in verstärktem Maße wiederholt. Angesicht» dieses Ergebnisse» ist eS daher auch begreiflich, daß, während da» „Journal de» DebatS" von dem konservativen Geist der Senatorenwähler sehr befriedigt ist und darin da» Bestreben der Bevölkerung nach einer gewissen Stetigkeit erblickt, die radikale „Justice" den neu ergänzten Senat mit Drohungen begrüßt. Mit einem weit auSgebreiteten Ausstand der schottischen Bahnbediensteten und der ungelösten irischen Streitfrage ist England in das neue Jahr getreten. Auch die zweite Berathung zwischen Parnell und O'Brien in Boulogne ist vorübergcgangen, aber nach wie vor bleibt die Ungewißheit darüber bestehen, ob eS zu einem Einverständniß gekommen, welche» die Wieder vereinigung der irischen Partei sichert. Das Geheimniß, mit dem man die Verhandlungen geflissentlich umgeben hat, sowie der Umstand, daß dieselben auf französischem Boden stattge funden haben, gestatten den Schluß, daß das Vorgehen O'BrienS nicht die allgemeine Billigung der irischen Abgeordneten findet. Nach wie vor heißt es, Parnell habe eingewilligt, seine poli tische Thätigkeit für unbestimmte Zeit einzustellen, vorausgesetzt, daß O'Brien oder Dillon an Stelle Mc. Carthy's zum Vorsitzenden der irischen Partei gewählt werde. Dem Anschein nach haben aber die Mc. Carthyaner keine Neigung, sich von Parnell Bedingungen vorschreiben zu lassen und Mc. Carthy selbst scheint nicht gesonnen, auf den ihm übertragenen Vorsitz so ohne Weiteres wieder zu verzichten, blos um Parnells persön licher Abneigung gegen ihn ein Opfer zu bringen. Am 15.d. M. soll in London eine Versammlung der irischen Abgeordneten zur Wahl eines neuen Führers zusammentreten. Dann wird sich zeigen, was O'Briens Vermittelung vermocht hat. Einst weilen ist O'Brien noch in Boulogne zurückgeblieben, angeblich, weil er den Besuch Mc. Carthy's er wartet. Auch das deutet auf große Schwierig keiten hin, die zu überwinden sind. Die Gerüchte von Gladstone's Rücktritt von der Leitung der liberale» Partei haben eine zuverlässige Be stätigung bisher noch nicht gesunden. Von Seiten der Regierung der Bereinigten Staaten beginnt man in der Behringsmeer- Streitigkcit bereits wieder abzuwiegeln. Am 22. Dezember v. I. brachte der „Newyork Herald" eine Meldung, wonach, hätte sie sich bestätigt, alle diplomatischen Anstrengungen, den Fischerei streit im Behringsmeerc beizulegen, fernerhin als nutzlos anzusehen gewesen wären. England hatte vor einiger Zeit der Washingtoner Regierung das Anerbieten gemacht, es sollte einer befreundeten und unparteiischen Macht die Frage zur Begut achtung unterbreitet werden, ob die Beschlagnahme britischer Robbenfänger durch amerikanische Kreuzer in den Jahren 1886, 1887, 1889 ge setzlich gewesen sei oder nicht. Das genannte Ncwyorkcr Blatt hatte nun mitzutheilen gewußt, Präsident Harrison beabsichtige, an den Kongreß in Washington eine dies Anerbieten des Londoner Kabinets endgiltig ablehnende, von weiteren- Aktenstücken über den Konflikt begleitete Botschaft zu übersenden. Zugleich, fügte die Meldung hinzu, hege der Präsident die Absicht, den Kongreß um eine ansehnliche Bewilligung anzu gehen zur Ausrüstung einer hinreichenden Anzahl von Kreuzern, um alle unberechtigten Robben fänger im Behringsmeerc zu kapern und das Gesetz zum Schutze der kostbaren Pelzthiere buch stäblich durchzuführen. Weitere Nachrichten des „NewyorkHerald" aus Washington und Ottawa wollten dann von der erfolgten Ueberreichung eines Ultimatums der Washingtoner Regierung an England wissen, und der Londoner „Standard" brachte sogar eine so alarmirende Darstellung des Streitfalles, daß man einen anglo-ameri- kanischen Konflikt befürchten mußte. Obwohl nun ein amtliches Londoner Dementi in Betreff des angeblichen Ultimatums Mr. Blaine's die Frage ihres unmittelbar drohenden Charakters entkleidet, die angebliche Zusammenziehung eines amerikanischen Geschwaders in den Behrings gewässern dcmentirt und bereits ein anglo-ameri- kanischeS Abkommen in Sicht erklärt wird, so darf man doch wohl die Angelegenheit noch nicht als aus der Welt geschafft betrachten. Die bei den Novemberwahlen geschlagene republikanische Partei in den Bereinigten Staaten braucht kür die Präsidentenwahlen 1891 einen Konflikt auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, um ihr verblaßtes Ansehen wieder aufzufrischen, bezieh, ungsweise die Aufmerksamkeit des Volkes von