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Das dauernde Socialistengesetz. Am 4. December sollte die von dem Reichs tage mit der Vorberathung de« neuen Socialisten- gesetzrS beauftragte Tommlssion eine entscheidende Berathung abhalten. Sowohl die verbündeten Regierungen wie die regierungsfreundlichen Par teien sind gegen ein weiteres HinauSfchieben des Entschlusses betreffs der zweckmäßigen Bekämpf ung der Socialdemokratie, weil anderen Falles die Gegner eine sehr wirksame Loosung für die Agitation bei den in den ersten Monaten des JahrcS 1890 bevorstehenden ReichStagswahlen erlangen würden. Noch in dieser Session sollen deshalb die Würfel über das Verhältniß zwischen dem Staate und der socialdemokratischen Bewegung fallen und ist nun auch von liberaler Seite zu gegeben worden, daß der dauernde Character des neuen Gesetzes den Bortheil biete, dieses Ver hältniß endgiltig zu regeln. Dieses Zugeständ- niß dürfte nach einer Mittheilung der „Berliner Börsenz." eine Verständigung um so eher ermög lichen, als der deutsche Reichskanzler sich über zeugt haben soll, daß sich auch über die „Aus- weisungSbefugniß" in einer Form Hinwegkommen lassen wird, welche der Reichsregierung die Mög lichkeit der Zustimmung giebt. Der von conser- vativer Seite erhobene Einwand, daß das nach den bisherigen Commissionsbeschlüssen und den Wünschen einiger Nationalliberalen abgeänderte Socialistengesetz unwirksam sein werde, dürfte kaum stichhaltig sein. Die „Nat.-Ztg." macht darauf aufmerksam, daß das neue Socialisten gesetz es auch ferner den Verwaltungsbehörden ermöglichen würde, Vereine, welche Umsturz- Bestrebungen verfolgen, zu verbieten undCassen- vereine, die zu solchen Bestrebungen mißbraucht werden könnten, unter eine außerordentliche staat liche Controle zu stellen. Versammlungen der bezeichneten Art könnten ohne Rücksicht auf das allgemeine Vereinsrecht ausgelöst, unter Umständen könnte sogar ihre Abhaltung im Voraus ver hindert werden. Das Gleiche gilt von öffent lichen Festlichkeiten und Aufzügen. Druckschriften, welche den mit dem Socialistengesetz zu bekämpfenden Bestrebungen dienen, können ohne Rücksicht auf die einschränkenden Bestimmungen des Preßgesetzes vorläufig mit Beschlag belegt, sie können ver boten, und es kann sogar bei Zeitungen und sonstigen Zeitschriften, das Forterscheinen, nachdem eine Beschwerde gegen das Verbot abgewiesen worden, verhindert werden. Das Einsammeln von Beiträgen für die Umsturz-Zwecke kann ver boten werden. Das sind denn doch Befugnisse, welche so weit über das Maaß der gewöhnlichen Abwehrmaßregeln gegen den Mißbrauch der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen, um die laut gewordene Behauptung, kein Socialisten gesetz würde besser sein als ein so „unwirksames", als unhaltbar darzuthun. Den eigentlichen Zankapfel bildet jetzt noch die „Ausweisungsbefugniß", gegen welche die Nationalliberalen ernste Bedenken hegen, während diese Befugniß von anderer Seite als unentbehr lich hingestellt wird. Hierbei ist zu bemerken, daß der erste Entwurf eines Socialistengesetzes, den die Reichsregierung am 20. Mai 1878 dem deutschen Reichstage vorlegte, die Bestimmung über die Ausweisungsbefugniß nicht enthielt. Ge rade der dauernde Character, den das Gesetz erhalten soll, erschwert es Vielen, die Zustimmung zu einer solchen Befugniß zu ertheilen. Die „Nat.- Ztg." schreibt wörtlich: „Für Liberale ist es unmöglich, künftigen unbekannten Regierungen eine Ausnahme-Befugniß zur Ausweisung der Staatsangehörigen aus ihrem Aufenthaltsorte wegen einer politischen Thätigkeit, die sich der scharfen, jeden Mißbrauch ausschließenden gesetz lichen Bezeichnung entzieht, zu ertheilen. Die Unwirksamkeit, ja Zweckwidrigkeit der Ausweisungen als Mittel gegen die socialdemokratische Agitation ist so überzeugend dargethan, daß es schwer ver ständlich ist, wie man um einer solchen Vollmacht willen sich der Gleichgiltigkeit gegen ein wirkliches „Grundrecht" mag beschuldigen lassen. Wir haben niemals verhehlt, daß nach unserer Auf fassung der Angelegenheit die Staatsordnung sogar durch minder weit gehende Befugnisse der Behörden ausreichend geschützt werden könnte. Da die deutsch-freisinnigen und clerikalen Gegner jedes Specialgesetzes aber auch zu keiner Er gänzung des gemeinen Rechts bereit sind, so bleibt nichts Anderes übrig, als durch ein Special gesetz die systematische Verbreitung socialrevo lutionärer Gesinnungen zu bekämpfen, es aber fo zu gestalten, daß es mit den obersten Grundsätzen einer gesicherten Rechtsordnung vereinbar wird." Man ist nun sehr gespannt, wie der vermittelnde Vorschlag lautet, oer nach dem Gewährsmann der „Berliner Börsenzeitung" geeignet sein soll, diejetztnoch obwaltenden Meinungsverschiedenheiten über die Ausweisungsbefugniß zu beseitigen. Darüber herrscht unter oer Reichstagsmehrheit kein Zweifel, daß die Behörden hinreichende Boll« machten behalten müssen, um den Umsturz-Be strebungen wirksam entgegen zu treten. Das So cialistengesetz in der Fassung, wie es die Liberalen al« dauerndes Gesetz annehmbar finden, würde solche Vollmachten enthalten, welche in weiterem Umfange als das gemeine Recht strenge Maßnahmen gegen die socialdemokratische Agitation ermöglichen. Zur Verhinderung des Mißbrauches dieser Voll machten sind schon in dem Entwurf gewisse Rechtsbürgschaften enthalten; diese letzteren sollen aber nach dem Wunsche der Liberalen noch da durch ergänzt werden, daß eine gerichtliche In stanz an die Stelle der Beschwerde-Commission gesetzt wird. Aus die gerichtliche Instanz legt man deshalb Werth, weil es sich um die etwaige ungerechtfertigte Anwendung einer Befugniß handeln würde, welche eine gemeinrechtliche Ein richtung bis zur Veränderung ihres Wesens verschärft. Die außerordentliche scharfe Wirkung des nach dem neuen Socialistengesetz zulässigen Verbots des Forterscheinens einer Zeitung läßt Bürgschaften dafür wünfchenswerth erscheinen, daß ein solcher Schlag nicht auch in Fällen ge führt werden kann, in denen die berufene Be schwerde-Instanz ihn hinterher als ungerecht fertigt erklären müßte. Die Nationalliberalen wünschen, daß ein Reichsverwaltungsgericht zur Beschwerde-Instanz gemacht werde, falls eine Definition der zu verfolgenden Bestrebungen, welche die Nebertragung dieser Entscheidungen an das Reichsgericht zuließe, sich nicht erreichen läßt. In dem Bundesamt für das Heimaths- wcsen wäre bereits ein Reichsverwaltungsgcricht mit beschränkter Zuständigkeit vorhanden; die Erweiterung dieser und eine etwas verstärkte Besetzung könnte keine erhebliche Schwierigkeit machen. Es sind dies anscheinend keine Forde rungen, welche das Zustandekommen des neuen Socialistengesetzes in Frage stellen können, nach dem man über das Wichtigste über den dau ernden Character des Gesetzes bereits zu einer Verständigung gelangt ist. Die Vermehrung der Rechtsbürgschaften gegen einen Mißbrauch der zu gewährenden großen Vollmachten liegt in Interesse aller Parteien, die gleichmäßig Grund haben darzuthun, daß sie die Sicherheit aller Bürger hinsichtlich der wichtigsten staatlichen Rechte zu vertreten ebenso bereit sind, wie sie es für Pflicht halten, zur Verhinderung des künftigen Mißbrauchs dieser Rechte durch die Zustimmung zu einem neuen dauernden Socialistengesetz das Ihrige beizutragen. Deutsches Reich. Dresden, 6. December. (Telegramm des „sächs. Erzählers".) Se. Majestät der König empfing heute Mittags den persischen Gesandten Mioza Koza Whow in Berlin zur Entgegen nahme seines AecreditivS. Nachmittags findet in der . königlichen Villa zu Strehlen Tafel statt, an welcher der Gesandte mit theilnimmt. Dresden, 2. December. Se. Majestät der König haben Allergnädigst geruht, die durch das Ableben des Obersorstmeisters Beyreuther zur Erledigung gekommene Oberforstmeisterstelle im Forstbezirke Eibenstock dem zeitherigen Verwalter des SpechtShausener Forstreviers, Oberförster Christian Heinrich Schumann, unter Ernennung desselben zum Oberforstmeister zu übertragen. Die Erste Kammer trat am 28. November Mittags zu einer Sitzung zusammen, welcher der Staatsminister von Nostitz-Wallwitz beiwohnte. Aus Antrag ihrer 4. Deputation beschloß die Kammer einstimmig und ohne Debatte die vom ständischen Archivar Dietzel besorgte Zusammen stellung der während des Landtages 1887/88 von den Kammern gefaßten Beschlüsse und ge stellten Anträge, sowie der darauf erfolgten Er ledigungen und Entschließungen, unter besonderer Anerkennung der sorgfältigen Arbeit, gleich früheren Vorgängen, zur beliebigen Einsicht für die Herren Kammermitglieder 14 Tage lang in der Canzlci der Kammer auszulegen und sodann an die Zweite Kammer abzugebcn, hierauf ließ die Kammer auf Antrag derselben Deputation die Petition des vormaligen Bahnwärters Reich hardt in Leipzig, Pensionsgewährung betr., in gleichen die Les Gastwirths Karl August Müller in Lugan um Veranlassung einer Grenzberichti gung, einstimmig und ohne Debatte'auf sich be ruhen. Schluß der Sitzung '/.I Uhr. Die Zweite Kammer beschäftigte sich in ihrer am Montag Abend abgchaltenen Sitzung mit der allgemeinen Vorberathung des königl. DecretS, betr. die Erbauung mehrerer Eisenbahnen (Gera-Pforten-Wolfsgefährt, Falkenstem-Mulden« berg, Taubenheim - Beiersdorf«Dünh«»ei«dörf, Hohenfichte-Eppendorf, Oschatz-Strchla. Wolken stein-Jöhstadt). Die zahlreichen Redner sprachen durchgängig ihr Einverständniß theilS mit den gemachten Vorschlägen, theilS mit den für die Zukunft von der Regierung kundgegebenen Ab sichten au» und beschränken sich in der Mehr zahl darauf, einzelne mehr untergeordnete Wünsche vorzutragen, deren möglichste Berücksichtigung von dem RegierungScommissar Wirkt. Geh. Rath v.Thümmel zugesagt wurde. Die Vorlage wurde der Finanzdeputation L überwiesen. Die Zweite Kammer hatte am Mittwoch als ersten Berathungsgegenstand die Interpellation des Abg. Geyer und Genossen, das Verbot öffentlicher, gegen Gewerbetreibende gerichteter Verrufserklärungen betreffend, gesetzt. Bekanntlich ist ein solches Verbot kürzlich von der königl. Amtshauptmannschaft Chemnitz erlassen worden. Die Interpellation lautet: „Hat die königliche Staatsregierung Kenntniß von diesem Erlaß und hat sie Stellung zu demselben genommen?" Auf die Frage des Präsidenten üi. Haberkorn, ob und wann die königl. Staatsregierung geneigt sei, die Interpellation zu beantworten, erklärte Herr Staatsminister v. Nostitz-Wallwitz, die Beantwortung ablehnen zu müssen, da infolge eines vorgekommenen Straffalles die richterliche Entscheidung über die Rcchtsbeständigkeit des amtshauptmannschaftlichen Verbotes provocirt worden sei. Unter solchen Umständen müsse die Regierung zur Zeit Anstand nehmen, die Inter pellation zum Gegenstand einer richterlichen Ent scheidung zu machen. Ein von dem Abg. Geyer- gestellter Antrag auf eine Besprechung der Inter pellation fand nicht die genügende Unterstützung. Das königl. Decret über Errichtung eines neuen Polizeibezirkes in Strehlen wurde ohne Debatte und einstimmig an die Finanzdeputation überwiesen. Auch die2. Deputation der Ersten Kammer hat sich bezüglich des königl. Decrets Nr. 7, den Entwurf eines Gesetzes wegen der Umwandlung der 4proc. Staatsanleihen von 1852/68, 1867 und 1869 in eine Z^procentige Staatsschuld bez. die Tilgung der ersteren und die Aufnahme einer 3proc. Rentenanleihe betr., in eine Mehrheit und eine Minderheit (Vicepräsident: Oberbürger meister Vr. Stübel) getheilt. Erstere beantragt: Die Kammer wolle beschließen: 1) dem dem kgl. Dccrete Nr. 7 bcigefügten Gesetzentwürfe ihre Znstimmung zu ertheilen, 2) die Staatsregierung zur Gewährung einer mäßigen Provision an Diejenigen, welche die Umwandlnng einer größeren Anzahl 4proc. Staatsschuldencassenscheine ver mitteln, sowie zur Verschreibung des der Staats- casse durch die Convertirung entstehenden Auf wands bei Capitel 25 Titel 3, 5 und 6 des des Majoritätsberichterstatters (der MinoritätS- votant hatte darauf verzichtet) mit 23 gegen 10 Stimmen den 8 1 de« Könial- Decket«/und Staatshaushaltsetats für 1890/91 zu ermäch tigen. Leytere beantragt: Die Kammer wolle beschließen: 1) den dem königl. Decret Nr. 7 beigefügten Gesetzentwurf abzulehnen, 2) für den Fall der Annahme dieses Gesetzentwurfs aber dem Anträge der Majorität unter 2 zuzustimmen. Dresden,5.December. Die Erste Kammer beschäftigte sich in ihrer heute Mittags 12 Uhr zusammengetretenen Sitzung, welcher die Staats minister v. Nostitz-Wallwitz und Dr. v. Abeken, Geh. Rath Meusel, Geh. Regierungsrath vr. Freiesleben und Geh. Zinanzrath vr. Barchewitz am RegierungStische beiwohnten, mit der Schluß- berathung über das Königl. Decret Nr. 7, den Entwurf eines Gesetzes wegen Umwandlung der 4 prvc. Staatsanleihen von 1852/68, 1867 und 1869 in eine 3^/z proc. Staatsschuld, bez. die Tilgung der ersteren und die Aufnahme einer 3 proc. Rentenanleihe betreffend. (Berichterstatter der Mehrheit: Generalcomul vr. Wachsmuth, der Minderheit: Vicepräsident Oberbürgermeister Di. Stübel.) Die Majorität beantragt Annahme des Regierungsvorschlags, der Minderheitsantrag steller Ablehnung derselben. Nachdem die beiden Berichterstatter je die von ihnen vertretenen An träge begründet hatten, sprachen sich Geh. Rath a. D. Herbig, Frhr. v. Finck und Graf Rex gegen, Bürgermeister Beutler für die Vorlage aus, während der RegierungScommissar Geh. Rath Meusel unter Hinweis darauf, daß die zwar beachtlichen Interessen einzelner doch eine allgemein für zweckmäßig erachtete Maßregel nicht hintanhalten könnten, die Annahme der Vorlage befürwortete und Superintendent Pank sich als durch die eingehende Begründung des Majoritätsberichterstatters bekehrt bezeichnete. Die Kammer beschloß nach dem Schlußworte votant hatte darauf verzichtet) mit 23 gegen Stimmen den K 1 de« Königl. Decrett/1 damit diese« selbst anzunehmen. Rät"- unbestimmt.