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Vor zehn Jahren. „Ew. Majestät Canzler hat die Versprechungen Don 1870 vergessen", so schrieb vor einem Jahr zehnt der russische Czaar dem deutschen Kaiser Welche Versprechungen waren 1870 ergangen? Offenbar meinte der Selbstherrscher aller Reussen den Brief, in welchem König Wilhelm seinem Neffen den Abschluß der Friedenspräliminarien anzeigte: „Preußen wird niemals vergessen, daß es Ihnen zu danken ist, wenn der Krieg nicht die äußersten Dimensionen angenommen hat; möge Gott Sie dafür segnen!" Hatte der leitende Staatsmann diese Worte vergessen? Oder war er zur Befolgung einer Politik gezwungen worden, welche sie zu vergessen wenigstens scheinen konnte? Das Einvernehmen mit Rußland war einer der unantastbarsten Glaubenssätze der Reichsregierung noch lange nachdem Fürst Gort- schakoff von Berlin aus die Meldung verbreitet hatte, der Czaar habe den Frieden geboten; das Dreikaiserbündniß wurde als der höchste erreich bare Gipfel der Staatskunst gefeiert, und noch vor dem Kriege gegen die Türkei vertheidigte der Canzler die „thurmhohe Freundschaft" Rußlands für Deutschland, welche kein fortschrittliches Miß trauen erschüttern könne. Woher nun der Wandel, wenn ein solcher vorlag? „Niemand als die kaiserlich russische Regie rung selbst wäre im Stande, in die erprobte hundertjährige Freundschaft zwischen der preußi schen und der russischen Regierung einen Riß zu machen", so hatte Fürst Bismarck am 5. Decbr. 1876 gesagt, und auf dem Berliner Congreß mahnte er den Fürsten Gortschakoff: „Zwingen Sie mich nicht, zwischen Ihnen und Oesterreich zu wählen." Aber wiewohl Deutschland alle von den russischen Bevollmächtigten auf dem Congreß gestellten Anträge unterstützte, trennten sich fortan die Wege beider Staaten. Denn hatte man ohnehin den „ehrlichen Makler" in der russischen Presse wie einen Betrüger behandelt, weil er nicht zu Rußlands Gunsten Oesterreich übervortheilen wollte, so wurde Deutschland mit förmlichen Drohungen angegangen, als es sich nicht dazu verstehen wollte, das Czaarenreich bei dem Bruch des Berliner Vertrages zu unter stützen und Oesterreich von der Besetzung von Novi-Bazar abzuhalten. Der Canzler wollte nicht aus Dankbarkeit gegen Rußland zum Ver- räther an Oesterreich werden — das ist der Ursprung des zornigen Wortes des Czaaren und zugleich der Ursprung des deutsch-österreichischen Bündnisses, dessen zehnjähriges Gedächtniß durch die Anwesenheit des Kaisers Franz Joseph in Berlin gefeiert wurde. Schon in seiner Depesche vom 14. December 1870 versuchte Fürst Bismarck die „freundschaft lichen Beziehungen" mit Oesterreich herzustellen, nachdem die Friedensbedingungen von Nikols burg so milde gefaßt worden waren, daß nicht, wie Graf Moltke in dem Generalstabswerke sagt, „ein Stachel zurückbleibe, den keine Zeit entfernt hätte". Der Monat August 1879 war für Europa eine kritische Zeit. Die russische Armee mußte vertragsmäßig Bulgarien räumen, ob wohl Fürst Dondukoff-Korsakofs sich so wenig um den Berliner Vertrag gekümmert hatte, daß er den Ostrumelioten erklärte, sie würden trotz Europa mit Bulgarien vereinigt werden. Oester reich besetzte Bosnien, was nach einer Aeußerung Lord Salisburys bedeutete, „daß nimmermehr Rußland am Bosporus herrschen werde" und die „Nowoje Wremja" durfte drohen: „Oester reich ist eine zweite Türkei; es ist dazu heran gereift, nicht bloß der Verbündete der Pforte zu werden, sondern auch ihr Schicksal zu theilen". Wäre Deutschland damals schwankend gewesen, so wäre der Krieg um den Orient, nicht mehr mit der Türkei, sondern um die Türkei auS- gebrochcn. Lord Beaconsfield gab dem Versuche Ruß lands, seine Truppen in Bulgarien zu belassen und Oesterreich an der Besetzung des „Halses von Novi-Bazar" zu hindern, die Erklärung ab, die britische Regierung würde im Nothfalle mit Vertrauen das Volk aufrufen, damit es sie in der Aufrechterhaltung des Buchstabens und vollen Geistes des Berliner Vertrages mit aller That- kraft und mit allen Mitteln unterstütze. „Das Bestreben, Frieden um jeden Preis zu erhalten, hat mehr Kriege verursacht, als irgend etwas auf der Welt." Aehnlich war die Sprache der öster reichischen Staatsmänner, der Kampf wäre unver meidlich entbrannt, wenn Deutschland doppelzüngig gewesen wäre. „Diese Angriffe (der Presse) Masten lick ru starken Forderungen eine» fchofstverda, d e« 24. Sachen, wo wir das österreichische Recht nicht ohne weiteres angreifen konnten. Ich konnte meine Hand dazu nicht bieten. Denn wenn wir uns Oesterreich entfremdeten, so geriethen wir, wenn wir nicht ganz isolirt sein wollten in Europa, nothwendig in Abhängigkeit von Ruß land", so sprach der Canzler am 6. Febr. 1888, indem er von den Vorgängen im Bereiche des Balkans hinzufügte: „Dieser Streit über In structionen, die wir an unsere Bevollmächtigten in den Verhandlungen im Süden gegeben oder nicht gegeben hatten, steigerte sich ms zu Droh ungen, bis zu vollständigen Kriegsdrohungen von der kompetentesten Seite. Das pst der Ursprung unseres österreichischen Vertrages." Es war in demselben Monat August 1879, als Fürst Gortschakoff einen Vermittler nach Paris entsandte, um die französische Regierung zum Abschlüsse eines Bündnisses mit Rußland zu bewegen. Damals war Waddington Minister präsident. Er und GrSvy waren entschiedene Gegner eines Abenteuers, welches für Frankreich die Vernichtung bedeuten konnte.. Der russische Agent erhielt abschlägigen Bescheid, und die französische Regierung setzte die deutsche Diplo matie von diesen Verhandlungen in Kenntniß. Trotz russischer Truppenansammlungen an der Grenze gab Fürst Bismarck die Erklärung ab, Deutschland lind Oesterreich würden die strenge Ausführung des Berliner Vertrages überwachen und jeden Versuch, demselben Hindernisse in den Weg zu legen, entschieden zurückweisen. Die Verhandlungen über den Bündnißvertrag waren schon im Gange. Am 17. August siedelte Fürst Bismarck nach Gastein über, wohin ihm Graf Andrassy folgt; zur Ueberraschung aller Welt reist Freiherr v. Manteuffel gleichzeitig zu dem Czaaren nach Warschau; es folgt die Reise des deutschen Kaisers nach Alexandrowa — ein Zwischenspiel, welches, wie officiös verrathen wurde, nicht den Canzler zum Autor hatte —; fünf Tage später sind die Oesterreicher in Novi- Bazar, und abermals drei Tage nachher ruft Fürst Gortschakoff Herrn Peyramont zu: „Frank reich muß sich stark machen, sehr stark!" Die Reise des Fürsten Bismarck, welche sich diesen Vorgängen anschloß, ist noch in frischer Erinnerung, nicht minder die Mühe, welche es kostete, den greisen Monarchen, den Oheim des Czaaren, den erprobten Freund Rußlands, zur Unterzeichnung des Vertrages zu bewegen! Fürst Bismark hat niemals ein Entlassungsgesnch ernster gemeint als das damalige. Großfürst Constantin reiste durch Berlin, ohne seine Verwandten zu sehen; der von Cannes zurückkehrende Thron folger, der heutige Czaar, konnte nur durch den von zwei russischen Offizieren aus Livadia über brachten Befehl seines Vaters genöthigt werden, in Berlin Besuche abzustatten; Lord Salisbury aber verkündete triumphirend: „Die österreichische Wacht ist auf den Wällen. Wenn die Türkei fällt, so erinnern Sie sich, daß Oesterreich jetzt in Äovi-Bazar steht und bis an das Gebiet des Balkans vorgerückt ist, und daß kein Vorrücken Rußlands über den Balkan oder die Donau er folgen kann, bevor der Widerstand Oesterreichs bezwungen ist. Oesterreich selbst ist mächtig. Ich glaube, daß auf der Stärke und Unabhängig keit Oesterreichs die beste Hoffnung der Sicher heit und des Friedens Europas beruht." Die Nachricht von dem deutsch-österreichischen Bünd nisse aber begrüßte Lord Salisbury mit dem Rufe: „Großes Heil ist der Welt widerfahren!" Das Bündniß hat seine Tragkraft erprobt. Daß es nichts als die Erhaltung des heutigen RechtSzustandes in Europa bezweckt, hat das letzte Jahrzehnt erwiesen. Das Bündniß beruht auch nicht auf unklaren Gefühlen, sondern auf klaren Interessen auf beiden Seiten. „Das Saldo der Dankbarkeit ist ausgeglichen," hat Fürst Bismarck gesagt, wohl im Hinblick auf den Brief des Czaaren. Auch kann die Politik der Völker nicht vom Standpunkte der Dankbar keit geleitet werden, Rußland hat niemals aus anderen als eigennützigen Beweggründen Dienste geleistet. Das Bündniß war eine Rothwendig- keit, wie es seine spätere Ergänzung war. Ob daher heute das schon vor einem Jahrzehnt er strebte russisch-französische Bündniß eine That- fache oder ein Phantasicgebilde sei, der Rückblick auf die Vergangenheit berechtigt zu der Hoffnung, für die Zukunft, daß, so lange die heutige Gruppirung der Mächte besteht, die Schrecken de- Krieges den Völkern der alten Welt erspart bleiben werden. Sachsen. — (Reinigt die Obstbäume vom Unge ziefer!) Die Obstbäume, namentlich die Birn bäume, habe» dies Jahr außerordentlich vom Ungeziefer zu leiden. Die Raupen, durch die große Wärme im Mai und Juni frühzeitig zur Entwickelung gelangt, vernichteten die jungen Triebe und fraßen ganze Zweige kahl. Die außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse diese» Jahres haben feit zwei Wochen ein zweites Mal eine Raupenplage herbeigeführt. Die meisten Birnbäume der Stadt und Umgegend sind von zahlreichen Raupennestern besetzt, daß die Zweige, namentlich die Wipfel, vollständig absterben und welken. ES ist deshalb dringend nöthig, daß jeder Gartenbesitzer seine Bäume gründlich unter suche und durch Ausästen der verraupten Zweige den Baum rette. Zu Hunderten sind die kleinen vollständig entwickelten Raupen in jedem einzelnen Neste vorhanden und werden bei warmem Wetter auskriechen und ihr Vernichtungswerk beginnen. Eigenthümlicherweise sind gerade die am schwersten erreichbaren Zweige am meisten mit Ungeziefer besetzt. Um auch hier den Kampf gegen dasselbe erfolgreich führen zu können, bedient man sich mit Erfolg einer langen Stange, an deren Spitze ein mit Spiritus getränkter Schwamm in Brand gesteckt und unter die Nester gehalten wird, bis dieselben verkohlt sind. Mit Hilfe dieses Mittel kann man in kurzer Zeit und ohne große Mühe seine Bäume reinigen. — Obwohl das Augenlicht eine der köstlichsten Gaben ist, welche Gott dem Menschen schenkte, wird doch theilweisc recht unvorsichtig damit um gegangen. Ganz besonders ist dies zu rügen bei verschiedenen Fahrgästen der Eisenbahn. Unvor sichtig wird da das Auge bei offenem Coupecfenster dem wahrhaft beißenden Zugwinde ausgesetzt, abgesehen davon, daß glühende Kohlentheilchen der Lokomotive sofort das Augenlicht zerstören können. Vor allen Dingen sind es die Kinderaugen, die solcher Gefahr ausgefetzt werden, da der kleine Reisende am liebsten bei offenem Fenster Ausschau nach den vorbeifliegenden Naturschön heiten hält. Ein halb geschlossenes Fenster ermöglicht aber den Auslug auch und verringert die Gefahr. Aber auch eintretender Witterungs wechsel wirft oft störend durch nach sich ziehende Erkältung auf das Augenlicht. *** Umschau in der sächs.-preuß. Lausitz und dem Meißner Hochland, 22. August. Durch Feuer wurden vernichtet: die Gebäude des Nahrungsbesitzers Schwabe zu Friedersdorf an der Landskrone. — Zu Lobendau wurde ein Kind überfahren und getödtet. — Beim Tanz vergnügen zu Geibsdorf fiel ein Tänzer und brach ein Bein. — In Leschwitz wurde eine Frau vom Wagen geschleudert und verletzt, weil das Pferd scheute. — Der Arbeiter Zachmann aus P.-Machen stürzte auf einem Neubaue 2 Stock hinab und wurde lebensgefährlich verletzt. — Ein 8jähriger Knabe in Zittau wurde von einem Pferde gebissen und erheblich am Kopfe verletzt. Ein Radfahrer bei Ostritz wurde durch einen Sturz mit dem Fahrrade erheblich verletzt. — Einem Schlossergehilfcn in Gersdorf flog ein Stück Blech in's Auge, wodurch er das Augen licht verlor. — In der Kirnitzsch ist das 3jähr. Kind (Knabe) einer Familie ertrunken, die in Schandau zur Kur weilt. — In Groß-Schönau wurde ein lOjähriger Knabe als Beschädiger des Kaiserdenkmals Und als Dieb von Engelsfiguren ermittelt, die er von den Gräbern gestohlen. — In Groß-Kozenau bei Lüben wurde zum Besten der Abgebrannten ein Concert veranstaltet, das 420 Mark ergab. — Die 26 Sparcassen der Lausitz hatten im Juni 969,106 Mk. Ein- und 930,326 Mark Rückzahlungen. (Bautzen und Bischofswerda 182,130 und 85,523 Mark und 162,956 und 56,223 Mark). — In Löbau wurde die 5. BezirkSauSschußsitzung abgehaften und dabei eine reiche Tagesordnung erledigt, auch eine Unterstützung für dty Taubstummenvorschule zu Zittau genehmigt. -4 In Zittau hat Herr Maurermeister Hiller mehrere Häuser erbaut, durch die dem WohnungSmangel für Arbeiter abgeholfen werden soll. — Der vom Rector Kretzfchmer, Vater des sächsischen Componisten, in Ostritz gegründete Männergcsangverein gedenkt den 2b. d. vaS 50jährige Jubiläum zu feiern. — Das Gauturnfest zu Forst war von 7—800 Turnern besucht. — Der Verein von GaS- und Wasserfachmännern Schlesiens und der Lausitz hielt in Hirschberg die 21. Jahresversammlung ab. — Herr Bildhauer Pohl zu Brdß-Kotzenau schoß einen Hirsch (14-Ender), »er ziemlich drei - Tentner wog.