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ziehen. Jansön erklärte, daß sich die clerikal« Mehrheit nach der bei der Brüsseler Wahl er littenen Niederlage entweder unterwerfen oder durch eine Kammerauflösung beseitigt werden müsse; der Ministerpräsident Beetnaert habe selbst gesagt, daß die Wählerschaft von Brüssel ihr letztes Urtheil in der gegen die Regierung erhobenen Anklage sprechen werde. Beernaert bestritt darauf, daß die Thatsache seiner Wahl Janson das Recht gebe, die Entlassung des Ministeriums zu verlangen; dasselbe habe niemals diese Absicht gehabt und werde auch seine Ent lassung nicht fordern, so lange die jetzige clerikale Kammermehrheit bestehe. Die Letztere bekundete erst neuerdings dem Ministerium Beernaert ihr volles Vertrauen; auf liberaler Seite meint man aber, daß sich der König der Belgier angesichts der in allen Theilen des Landes stattfindenden Protest-Kundgebungen veranlaßt sehen werde, sein jetziges Ministerum zu entlassen und die Kammer aufzulösen — ein Fall, welchen Beernaert bisher als ganz unmöglich von der Hand wies. Von den französischen Behörden werden die Versammlungen der Boulangisten jetzt aufs Schärfste überwacht. Die Abhaltung einer von Laguerre, Laisant und DSroulöde am 16. d. in Lisieux anberaumten Versammlung verhinderten die behördlichen Organe gänzlich, weil die gesetz lichen Formalitäten nicht erfüllt waren. Eine am 17. d. im Circus Fernando in Paris abge haltene boulangistische Massenversammlung ver lief ohne ernstlichen Zwischenfall, doch kam es nach dem Schlüsse der Versammlung auf der Straße zu einigen Zusammenstößen und Ver haftungen. Der Ansturm der boulangistischen Presse richtet sich jetzt zumeist gegen den Oppor- tunisten-Führcr Ferry, der aus seiner bisherigen Zurückhaltung neuerdings hervortrat, um mit den Boulangisten abzurechnen. Als eine erhebliche Friedenskundgebung ist eine Rede des englischen UnterstaatssecretärS Fergusson angesehen worden, in welche derselbe am 18. d. bei dem Jahresessen des conservativen Vereins in Wandsworth erklärte, die Regierung habe betreffs der politischen Lage allen Grund für die Hoffnung, daß das gegenwärtige Jahr ebenso friedlich verlaufe, wie es begonnen. Die orthodoxe Kirche Rußlands feierte am 20. d. den fünfzigjährigen Gedenktag der unter dem Czaaren Nikolaus I. erfolgten Wieder vereinigung von etwa 2 Mill, uniirter griechischer Christen Lithauens und Polens mit dieser Kirche. Eine ähnliche Genugthuung bietet der orthodoxen russischen Geistlichkeit jetzt die Wiedereinsetzung des serbischen Metropoliten Michael in Belgrad, durch welche die geistliche Selbstständigkeit Serbiens nach etwa siebenjähriger Dauer ein Ende nahm. Daß Michael auch die von seinem Vorgänger Theodosius bewirkte Scheidung des Königs Milan für ungiltig erklären werde, wie die russischen Panslavisten bisher annahmen, wird von den Regierungskreisen in Belgrad aus ebenso ent schieden bestritten wie das vielverbreitete Gerücht von dem Abschluß einer serbisch-russischen Militär- Convention. Die Königin Natalie soll erklärt haben, sie werde nur dann um Aufhebung der Scheidung nachsuchen, wenn Milan ihr öftere Besuche ihres Sohnes, des Königs Alexander, verwehren würde. Des letzteren Reise nach Paris mit seinem Vater unterbleibt auf Beschluß des serbischensMinisterrathes aus ernsten politischen Gründen. Berlin, 23. Juni. Se. Majestät der König Albert von Sachsen traf heute Mittag hier ein und wurde von Sr. Majestät dem Kaiser Wilhelm empfangen und nach dem Schlosse geleitet. Se. Majestät der König besuchte, wie das „Dr. Journ." mittheilt, am Montag Vormittag in Berlin die Ausstellung für Unfallverhütung, verweilte daselbst 2 Stunden und besichtigte alle Haupttheile der Ausstellung, insbesondere die zahlreichen Ausstellungsobjecte aus Sachsen. Präsident Bödiker, Commerzienrath Könike und die übrigen Mitglieder des Vorstandes empfingen und führten Se. Majestät, Allerhüchstwelcher von den Generalen von Rauch und von Carlowitz, dem Gesandten Grafen Hohenthal und dem Obersten von Schlieben begleitet war. Nach bisherigen Dispositionen trifft der Kaiser, wie dem „Kieler Tgbl." gemeldet wird, am 30. Juni in Kiel ein und tritt an Bord der „Hohenzollern" die Reise nach dem Nordkap an. Auf hoher See geht der Kaiser auf das Panzer schiff „Kaiser" über, mit welchem Schiffe die Reise nach Hammerfest fortgesetzt wird. Die „Hohenzollern" geht nach Wilhelmshaven und bleibt zur Verfügung der Kaiserin Friedrich für die Reise nach England. Durch CabinetSordre, datirt FriedrichSkron, den 14. Juni, hat der Kaiser für eine Anzahl Angehöriger des Königreiches Sachsen, welche im preußischen Militärcontingent Dienste thuen, den Erlaß verschiedener verhängter Militärstrafen angeordnet. Berlin, 22. Juni. Ihre Durchlaucht die Prinzessin Luise Sophie von Schleswig-Holstein traf heute 12 Uhr 20 Minuten Vdrmittags mit großem Gefolge auf dem Potsdamer Bahnhose ein und wurde daselbst von dem Oberstallmeister Rauch, dem Stadtkommandanten und dem Polizeipräsidenten empfangen. Die Prinzessin, welche in offenem Vierspänner mit Spitzreiter nach Schloß Bellevue fuhr, wurde von der zahl reichen Menschenmenge enthusiastisch begrüßt. Berlin, 22. Juni. Bei dem Einzug der Prinzessin-Braut bildete die Garnison Spalier, die Cavallerie bis zum Brandenburger Thor, die Infanterie bis zum Schloß. Beim Passiren des Brandenburger Thores wurden Salutschüsse gelöst. Die goldene Staatscarosse hielt auf dem Pariser Platz vor der Tribüne mit einer Depu tation des Magistrats. Die Ansprache des Bürgermeisters Duncker an die Prinzessin Luise, gehalten auf dem Pariser Platze in Berlin, lautet: „Mit lebhafter Freude blicken die Bewohner Berlins auf den Ehebund, welchen die Schwester der ge liebten Kaiserin mit dem Sohne des Hohenzollern einzugehen entschlossen ist, der auf dem höchsten Gipfel einer ruhmreichen Laufbahn warmes Inte resse bewahrt hat für die einst seinem Befehle unterstellten Söhne der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin. In dankbarer Erinnerung der Vergangenheit und in froher Hoffnung auf die Zukunft bringt die Bürgerschaft mit herzlichem Willkommen ihren innigen Wunsch dar. Gesegnet sei der Eintritt in unsere Stadt, werde sie eine Stätte reicher Freuden und ungetrübten Glückes." Die Prinzessin antwortete: Ich danke der Bürger schaft herzlich für den freundlichen Empfang; die Stadt ist mir nicht fremd, da meine Schwester, die Kaiserin, hier residirt. Ich freue mich, die Vertreter der Stadt begrüßen zu können und bitte, der Bürgerschaft Meinen herzlichen Dank zu übermitteln." — Um 6 Uhr fand Galatafel im Weißen Saale des Schlosses statt. Stuttgart, 22. Juni. Der „Staats anzeiger" veröffentlicht einen Erlaß des Königs Karl mit der Ueberschrift: „An mein Volk!" worin der König gelegentlich seines 25jährigen Regierungsjubiläums seine Freude ausspricht, daß es ihm vergönnt gewesen, in bewegter großer Zeit seines fürstlichen Berufes zu warten. Der König dankt für die zahlreichen Zeichen der Treue und Anhänglichkeit des Volkes, welche man ihm auch in diesen Tagen entgegenbringt. Die Wohlfahrt Württembergs werde auch ferner das Ziel seiner Bestrebungen sein. Der schönste Lohn seien für ihn die dankbaren, treuen Ge sinnungen des Volkes. Möge Gottes Segen ferner auf Mir, Meiner Gemahlin, Meinem Hause und dem ganzen Württemberger Lande ruhen! Stuttgart, 14. Juni. Die Feier des 25- jährigen Regierungs-Jubiläums begann mit einem Gottesdienst, dem die Enthüllung des Herzog Christoph-Denkmals folgte. An dem Huldigungs zuge nahmen 14,000 Krieger mit 500 Fahnen Theil. Von guter Seite schreibt man der„B. B.-Z-": Angesichts des Entgegenkommens der Schweiz und der Einführung eines Generalanwalts ver zichtet Deutschland auf fernere Repressivmaßregeln. Es ist jetzt an der Zeit, hervorzuheben, daß so fort bei Ausbruch des bekannten Wohlgemuth- Conflicts von deutscher Seite eine Verständigung mit Oesterreich und Rußland zu gleichzeitigen Vorgehen angestrebt und thatsächlich erzielt wurde. Während ein Theil der Presse nun die Schweiz gegen eine bevorstehende Vergewaltigung durch das starke Deutschland in Schutz nehmen zu müssen glaubte, hat der Reichskanzler durch gesunde und natürliche Klärung der eigentlichen bedenklichen Momente eS zu Wege gebracht, daß die Cooperation in dem einen Falle eine nicht unwesentliche Annäherung Rußlands zu Oester reich zur Folge hatte. Und eS ist bekannt, daß eS des Fürsten Bismarck vornehmste Sorge ist, zwischen den genannten beiden Staaten nicht nur keine bleibende Entfremdung aufkommen zu lassen, sondern eine Annäherung durch Herbeiführung der Möglichkeit identischer Interessen zu Stande zu bringen. Dies Alles im Interesse der Er haltung des Weltfriedens. Im oben gedachten Falle hat der „ehrliche Makler" nun einen recht schätzenSwerthen Erfolg erzielt. In einem hochoffiziösen Artikel drückt die „Nordd. Allg. Z." ihre Genugthuung aus, daß der größte Theil der süddeutschen Presse in dem Schweizer Streit auf Teile der Reichs«^. stehe. Obwohl die Folgen einer Störung unserer Beziehungen zur Schweiz, namentlich für Süd- deutschland Unbequemlichkeiten zur Folge haben werden. Es sei nicht zu verkennen, daß Wohl- gemuths Ungeschicklichkeit die Beurtheilung de« Falles zu Ungunsten Deutschlands beeinflusse, aber gerade daß die Schweizer Behörden gegen einen so naiven Beamten emschritten, beweise, daß sie für die Socialdemokraten im Kampfe gegen das Deutsch« Reich Partei nehmen. Bern, 24. Juni. Bei der vierhundertjährigen Feier des Sieges bei Murten sagte der Pastor Wißmann in seiner Festrede: „Sollten die mit Diplomaten-Tinte geschriebenen Verträge nicht mehr gelten, so sind wir bereit, dieselben mit unserem Herzblute gültiger zu schreiben." Bern, 24. Juli. Der Nationalrath hat ein stimmig und ohne Discussion die Einführung des neuen Repetirgewehrs beschlossen. Der Bundes rath ist beauftragt, alle Maßnahmen zur rasche sten Einführung des Gewehres zu ergreifen und zu dem Behufs eine Anleihe von 16 Millionen zu erheben. In der französischen Deputirtenkammer machte der Abg. Keller eine interessante Ent hüllung. Er führte Klage über die schwachen Bestände der französischen Regimenter und be hauptete widerspruchslos, daß viele Regimenter höchstens 500 Mann stark.seien. Paris, 23. Juni. Bei einem heute in Böziers stattgehabten Banket der Boulangisten, an welchem 1500 Personen theilnahmcn, hielten DSroulöde und Laisant Reden, in welchen sie die Regierung heftig angriffen und erklärten, Bou langer werde eine nationale Republik gründen und ein gerechtes und ehrliches Regime Herstellen. Zu gleicher Zeit fand in Böziers auch eine anti- boulangistische Versammlung unter Liffagaray statt. Später kam es zwischen den Zuhörern Lissagary's und den Boulangisten zu einem Zu sammenstöße. Als DSroulude das Banket ver ließ, wurde er verhaftet, vor den Polizei-Commissar und dann vor den Staatsanwalt geführt, später aber wieder freigelassen. Sachsen. Se. Maj. der König hat folgenden Armee befehl erlassen: „Ich will diese denkwürdigen Tage der erhebenden Feier des Jubelfestes Meines Hauses nicht vorüber gehen lassen, ohne der Huldigungen zu gedenken, welche Mir Meine Armee in allen ihren Theilen in diesen unver geßlichen Tagen zu Meiner hohen Freude und Genugthuung in so mannigfacher und hingebender Weise dargebracht hat. Meiner Armee entbiete Ich hierfür Meinen Königlichen Dank und bleibe überzeugt, daß dieselbe jederzeit in alter Treue, Hingebung und Tapferkeit zu Mir und zu Meinem Hause stehen wird. Ich beauftrage das Kriegs- Ministerium, das Vorstehende zur allgemeinen Kenntniß der Armee zu bringen." Der bei der Galatafel im Kgl. Schlosse zu Dresden am 18. Juni auf Se. Majestät den Kaiser und König von Sr. Majestät dem Könige von Sachsen ausgebrachte Trinkspruch lautete: „Erlauben Mir Ew. Majestät, im Namen der hier anwesenden Mitglieder des Wettiner Hauses Unseren wärmsten Dank auszusprechen, daß Ew. Majestät geruht haben, an Unserem Feste theil- zunehmen und demselben dadurch eine höhere Weihe zu geben. Ich fordere alle Anwesende auf, Ihre Gläser zu leeren auf das Wohl Sr. Majestät des Deutschen Kaisers. Er lebe hoch! und nochmals hoch! und abermals hoch!" Hierauf erhob sich Se. Majestät der Kaiser und König zu folgendem Trinkspruch: „Gestatten Mir Ew. Majestät, Ihnen Meinen herzlichsten Dank aus zusprechen. Es war Mir eine Pflicht als Mo narch und ein HerzcnSbedürfniß als Verwandter des Hauses, an dem heutigen Tage, an welchem Ew. Majestät mit Ihrem Volke so ein einziges Fest feiern, auch Meinerseits Meine Reverenz zu bezeugen. Ich spreche aus dem Herzen aller Anwesenden, wenn Ich rufe: Gott schütze, Gott segne, Gott erhalte Ew. Majestät und Ihr ganzes Haus! Se. Majestät der König von Sachsen, Er lebe hoch! und abermals hoch! und zum dritten Mal hoch!" Se. Majestät der König und Ihre Majestät die Königin sind am Freitag Abend 8 Uhr zum Sommeraufenthalt mit Gefolge im Lustschlosse zu Pillnitz angekommen. Mit den Majestäten trafen auch Ihre Königl. Hoheit die Herzogin von Genua und der Graf und die Gräfin von Flandern im Königl. Schlöffe ein. Ebenfalls traf am Freitag in Pillnitz oaS -große Wacht» commando unter Führung de« Trennet von Tschirschky ein. Don Z Kgl. Schloßgarten für da