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im Vorau» beglückwünschte, sagte vr.Hammacher, er sei eigentlich nur durch Zufall in die ganze Bewegung hineingekommen und habe dann sein Möglichstes aethan. Lachend erwiderte Fürst Bismarck: „Ich bin auch nur durch Zufall ReichScanzler geworden und habe dann auch mein Möglichstes aethan." Am Mittwoch wurde das Kaiserliche Hoflager nach Schloß Friedrichs- kron bei Potsdam verlegt und an demselben Tage verließ der Reichskanzler Berlin, um sich einige Tage der Erholung aus seinem Gute in Schönhausen zu gönnen. Graf Herbert Bismarck war nicht in der glücklichen Lage wie sein Bruder Graf Wilhelm Bismarck, seine Eltern nach Schönhausen begleiten zu dürfen, da die durch die schwierigen Verhandlungen mit den Vertretern der nordamerikanischen Union aufgehaltene Sa- moa-Conferenz noch nicht zur Erledigung ihrer Aufgaben gelangt war. An einem für alle Theile befriedigenden Abschluß wird trotzdem nicht mehr gezweifelt. Auch der deutsche Bundes rath tagt noch in Berlin weiter und wird wohl iu der nächsten Plenarsitzung über das Alters und Jnvaliditäts-Versicherungsgefetz, wie es aus den Beschlüssen des Reichstags hervorgegangen ist, endgiltigen Beschluß fassen. Da die Annahme außer Zweifel steht, dürfte dann auch sofort die amtliche Veröffentlichung des Gesetzes erfolgen, dessen Einführungssrist durch Kaiserliche Verord nung aus den 1. Januar 1891 festgesetzt werden soll. Die erforderlichen ziemlich umfangreichen Vorbereitungen zur Einführung würden kaum zu einem früheren Zeitpunkt beendigt sein können. Wenn der Beginn der Sitzungen der öster reichisch-ungarischen Delegationen bisher noch nicht festgestellt werden konnte, lag dies nur daran, daß das ungarische Abgeordnetenhaus erst am 29. Mai die Budgetdebatte beendigte und noch einige andere wichtige Arbeiten zu bewältigen hat, bevor die Vertagung eintreten kann. Die drohende weitere Abbröckelung der vor 20 Jahren erlassenen österreichischen Reichsvolksschulgesetz gebung wirkte auf alle deutsch-liberalen Kreise Oesterreichs tief niederbeugend. Um so freudiger wurden dieselben durch die Worte berührt, welche Erzherzog Rainer als Curator der Academie der Wissenschaften in Wien am Mittwoch bei der Eröffnung der Sitzung einfließen ließ. Dieselben lauteten: „Leider muß gesagt werden, daß ein Kampf gegen Aufklärung und Fortschritt eröffnet wurde; aber wir wollen hoffen, daß diese trübe Erscheinung bald vorübergehen wird." — Der Streik der Grubenarbeiter zu Kladno bei Prag nahm ziemlich große Verhältnisse an und konnte bis jetzt trotz der eifrigsten Vermittelung der Regierungsbeamten nicht beigelegt werden. Die Bergleute verhielten sich vollkommen ruhig, be standen aber auf der Abkürzung der Arbeitszeit, worauf die Bergwerksbesitzer nicht eingchen zu können erklärten. Der bereits sehr fühlbare Kohlenmangel dürfte sich noch wesentlich steigern, da auch im ganzen Pilsener Kohlenrevier ein Streik auszubrechen droht und in Nürschau be reits die Arbeiter auf allen Schächten feiern. Für das clerikale belgische Ministerium Beernaert bedeutete der Ausgang des Socialisten- processes in Mons eine herbe Niederlage, da von den angeklagten 22 Socialisten nur drei und zwar Diejenigen verurtheilt wurden, welche als »§6nt8 xrovooateurs eine sehr zweifelhafte Rolle gespielt hatten. Diese peinliche Sache hatte aber noch ein Nachspiel in der belgischen Repräsen tantenkammer, in welcher die Liberalen dem Ministerpräsidenten Beernaert und dem Minister des Innern de Volder die Enthüllungen des er wähnten Processes in schneidigster Weise vor hielten. Nach einer sehr geschickten Vertheidigungs- rede Beernaerts nahm die Kammer mit 78 gegen 32 Stimmen ein Vertrauensvotum an, welches es dem klerikalen Cabinet ermöglicht, sich über die Entrüstung der liberalen Kreise gleichmüthig hinwegzusetzen und ruhig im Amte zu bleiben. Mitten in dem Jubel über die Erfolge der Pariser Weltausstellung wurden die Franzosen durch die falsche Nachricht, daß König Humbert auf der Rückreise nach Italien durch Straßburg kommen und dort einer Truppenschau beiwohnen werde, auf das Tiefste erbittert. Diese gänzlich ungegründete Annahme bewirkte ein bedeutendes Herabgehen der italienischen Rente an der Pariser Börse und wahre Wuthausbrüche der Pariser Presse, die es von dem Sohne Victor Emanuels ganz ungeheuerlich fand, daß er „die Truppen der Sieger inmitten der besiegten Bevölkerung an sich vorüberziehrn lassen wolle, in der sich noch zahlreiche Männer befinden, die 1859 für die Befreiung Italiens unter den französischen Fahnen fochten." Die französische Presse gab auch nach dem Bekanntwerden der richtigen Reise route des Königs Humbert nicht zu, sich übereilt zu haben, sondern behauptete, daß die Straß burger Reise wirklich beabsichtigt gewesen und nur angesichts des von Frankreich darüber be kundeten Unwillens später aufgegeben worden fei. Der Versuch der Boulangisten, eine Inter pellation über die Verschleppung der Anklage des SenatS-GerichtShofeS gegen Boulanger zum Aus gangspunkte einer neuen Agitation zu machen, scheiterte an der Festigkeit der regierungsfreund lichen Mehrheit der französischen Deputirten- kammer, die über die Anregungen der Deputirten Laguerre und Andrieux ruhig zur Tagesordnung überging, über den sich dabei herausfordernd be nehmenden Bonapartisten Cassagnac aber die Censur verhängte. Die englische Flottenvrrmehrungsbill ist so gut wie unter Dach und Fach gebracht, nach dem auch das Oberhaus dieselbe in zweiter Lesung genehmigte. Die Verhandlungen des Oberhauses erhielten durch das Eingreifen des Premierministers Salisbury eine besondere Bedeutung, da derselbe die europäische Lage dabei keineswegs rosig dar stellte. Am 28. Mai äußerte sich Salisbury im englischen Oberhause über die deutsche Action in Ostafrika in entschieden deutschfreundlichem Sinne. Er erwiderte auf gewisse Anfragen, welche zweifelsohne durch die infolge der deutschen Operationen schwieriger gewordene Lage der eng lischen Missionare angeregt waren, daß England weder durch seine Land- noch Seemacht die Operationen des Hauptmanns Wißmann aufhalten könne. Nach einem Rescript des Kaisers von Ruß land hat sich derselbe durch die an ihm und seiner Familie bei dem Unfälle von Borki offen barte Gnade Gottes bewogen gefunden, den an der Eisenbahn-Catastrophe schuldigen Beamten gegenüber ebenfalls gnädig zu sein. - Der Kaiser verordnete demnach, die bezügliche gerichtliche Untersuchung einzustellen und die Schuldigen nur disziplinarisch zu bestrafen. Gelegentlich des am 27. v. M. in Belgrad abgehaltenen Parteitages der serbischen Fort schrittler kam es infolge drohender Kundgebungen der vor dem Versammlungslokal aufgestauten Menge zu heftigen Ausschreitungen. Dem fort schrittlichen Führer Garaschanin gelang es, sich in das Ministerium des Innern zu flüchten, vor dem es darauf zu einem heftigen Handgemenge kam. Dabei fiel ein Revolverschuß, welcher einen Realschüler, den Sohn des Postmeisters Mis- kovits, tödtetc. Die Ausschreitungen, welche sich am Tage darauf in Belgrad erneuerten, hatten eine Ministerkrise zur Folge, die noch nicht ab geschlossen ist. Sowohl der serbische Minister des Innern, Tauschanovic, als auch der Cultus- minister Milosavljevic sollen zum Rücktritte ge neigt sein, weil der Kriegsminister Gruic ihnen die nachgesuchte militärische Unterstützung gegen die Unruhestifter verweigerte. Die Regentschaft steht dabei auf der Seite des Kriegsministers. Für das Inkrafttreten des Jnvaliditäts- und Altersversorgungsgesetzes für Ar beiter war von vorn herein das Jahr 1891 in Aussicht genommen. Ob das Gesetz aber mit dem Anfang des genannten Jahres oder im Laufe desselben in das Leben tritt, bleibt weiterem Ermessen Vorbehalten. Der BundeSrath wird nicht an erster Stelle sich mit der Ausführung zu befassen haben. Zunächst werden die Re gierungen der Einzelstaaten sich über die Er richtung von Landesversicherungs-Anstalten ver ständigen müssen, und es bleibt von den Ver fassungen der Bundesstaaten abhängig, ob und in wie weit auf dem Wege der Gesetzgebung, also unter Mitwirkung der Landtage oder auf dem Verordnungswege vorzugehen ist. Erst nach dem Ergebniß dieser Vornahme wird der Bundes rath an die Organisation der Versicherungs anstalten herantreten. Es wird für wahrschein lich gehalten, daß man seitens der Regierungen ein Normativstatut für die Landesversicherungs anstalten vereinbart. Ferner wird durch die Einzclregierungen entschieden werden; welche Casscninstitute den Bestimmungen des Gesetzes entsprechend zu erachten sein sollen. Rom, 1. Juni. Der König und der Kron prinz sind Mittags eingetroffen und wurden von CriSpi und den übrigen Ministern, dem Präsi denten und den Mitgliedern des Senats und der Kammer, dem Präfecten, dem Bürgermeister, den Mitgliedern des Munizipalrathes-und den Spitzen der Behörden empfangen. Vor dem Bahnhofe hatten sich zahlreiche Vereine mit Fahnen aufge stellt. Eine große Volksmenge begrüßte den König enthusiastisch und begleitete seinen Wagen bis zum Quirinal, wo der König und der Kron prinz wiederholt auf dem Balcon erschienen. Rom, 1. Juni. Der Einzug König Hum bertS in Rom übertraf schon die Bevölkerung erst gestern ... Zeitpunkt der Rückkehr des Monarchen erfahren hatte und die Stunde der Ankunft selbst sehr ungünstig fiel, wälzte sich dennoch gegen Mittag eine große Menschenmenge durch die reichbeflaggte Via aarionalo nach dem Bahnhof, vor welchem im weiten Viereck viele Bereme mit Fahnen, sowie die akademische Jugend aufgestellt waren. Der Perron wimmelte von Deputirten, Sena toren und anderen Notabilitäten, nur die Depu tirten der äußersten Linken fehlten. Der König wurde auf dem Perron wie außerhalb der Bahn hofshalle mit unbeschreiblichem Jubel begrüßt. In die betäubenden, entlosen HochS: „Lvviva il Ro!" mischten sich fortwährend die Rufe: „Lwiva Lsrolilw!" — „Lvviva äsrmania!" — Lvviva 1' aUiansa!" Durch das Menschengewoge der Viaowriouals fuhren nun der König und der Kronprinz immer unter brausendem Jubel und von den Stand arten und Bannern der zahlreichen Vereine um geben, im Schritt langsam nach dem Schloß. Auch der Quirinal-Platz wimmelte von einer dichten Menschenmenge mit Fahnen, die unter den Rufen „Lvviva Ilmbsrtol" — Lvviva ysrmania!" so lange stürmische Ovationen dar brachte, bis der König und der Kronprinz auf dem Balkon erschienen. König Humbert äußerte sich zum Präsidenten der Deputirtenkammer, Manchen, über die Ber liner Feste in geradezu gerührten Worten. „SolcherJubel war nicht künstlicher, nicht offiziöser Natur, man fühlte, daß er aus dem innersten Volksherzen kam. Er, der König, hoffe jedoch, daß dieser Jubel nicht sowohl seiner Person, als vielmehr seinem Lande ge golten habe. Eine Beschreibung der Berliner Feste vermöge weder er, noch überhaupt Jemand zu geben." Der König zeigte sich ferner hocherfreut über die unerwartet enthusiastische Aufnahme bei seiner Rückkehr nach Rom. Der heutige Festjubel bei der Begrüßung des Königs bewies auch in der That glänzend, daß die Eindrücke der Berliner Entrevue im italienischen Volk bereits feste Wurzel gefaßt haben. Wie herzlich das Verhältniß zwischen König Humbert und seinem Volke ist, davon legten mehrere Scenen Zeugniß ab, die bei der Fahrt nach dem Quirinal vorfielen, aber erst später be kannt wurden. Die jubelnde Menge durchbrach den Kordon der Karabinieri und stürzte auf den Wagen des Königs zu, der die ihm entgegenge- streckten Hände der Bürger herzlich schüttelte. Dasselbe wiederholte sich auf der ganzen Fahrt bis zum Quirinal, während das Freudengejauchze sich ins Endlose steigerte. Als die Polizei Miene machte, die Menge zurückzudrängen, ries der König abwehrend: „Laßt sie gehen!" Im Gedränge wurden der Polizeipräsident und mehrere Polizeioffiziere umgerannt. Nach der am Sonntag abgehaltenen großen Truppen-Revue brachte die Menge dem König neue großartige Ovationen dar. Der Quirinal platz und die anstoßenden Straßen waren von einer zahllosen Menschenmenge erfüllt, welche jubelnd in die Hochrufe auf König Humberh auf Kaiser Wilhelm und Deutschland einstimmte. Wie der „Times" aus St. Petersburg berichtet wird, hat die russische Polizei jüngst mehrere geheime Gesellschaften entdeckt, von denen eine den Zweck hatte, den Czaar und die kaiser liche Familie umzubringen. Noch sei es aber nicht den Behörden gelungen, das Haupt der Verschwörerbande zu ermitteln, welches in stän diger Verbindung mit den russischen Flüchtlingen in Zürich stand. Ebensowenig sei man den Bomben und anderen Höllenmaschinen auf der . Spur, welche aus der Schweiz nach Rußland geschafft worden. „Russische DetectiveS (bemerken hierzu die officiösen „Berl. Vol. Nachr.") reisen jetzt überall umher und werden in ihrem Vor haben von verschiedenen Regierungen unterstützt. Daß zu den letzteren auch die Schweizer gehört, ist außer Zweifel. Daselbst befinden sich ganze Inspektionen der russischen Geheimpolizei in voller Organisation. Auffallend ist, daß die Schweiz russische DetectiveS in ihrem Lande duldet, deutsche Polizeibeamte, die sich Information ver schaffen wollen, dagegen ausweist und wie Ver brecher behandelt." Der Toast des Czaaren hat in Paris einen peinlichen Eindruck gemacht. Die Blätter sind sichtlich perplex. Belgrad, 1. Juni. Laut amtlicher Fest stellung sind während der jüngsten Unruhen 1 Offizier und 19 Gendarmen theil» verwundeh. theils verletzt worden, von den TiumAWM und Fortschrittlern ist linrr, MchMM