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zwischen den Anhängern der verschiedenen Par teien zu ausgiebigen Prügeleien. Die anti-bou- langistischen Blätter behaupten, Boulanger habe ein Schein-Attentat auf seine Person vorbereiten lassen, um für sich damit Reclame zu machen, ferner, daß er unmittelbar vor der Wahl falsche Depeschen mit Unglücksnachrichten aus Tonkin habe publiciren lassen. Dagegen behauptete die „France", daß die Regierung mehrere für nicht ganz zuverlässig geltende Regimenter aus Paris entfernt und die Truppen für Nothfälle bis nach Amiens und Poitiers consignirt habe. Zweifel los hatte die französische Regierung für Sonn tag mit Rücksicht auf die an diesem Tage statt gefundene Wahl- umfassende Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ruhe getroffen. Nach den neuesten Meldungen aus Irland gehen dort die englischen Behörden wieder sehr scharf gegen die Mitglieder der Nationalliga vor. Der Secretär der Waterforder Section wurde am Donnerstag in Blackburne verhaftet und gegen die beiden nationalistischen Parlaments mitglieder Carew und Kilbride sind auf Grund des irischen Zwangsgesetzes Haftbefehle erlassen worden. Einzelne Londoner Blätter hatten be hauptet, daß von der englischen bez. amerikanischen Regierung gegen eine Beeinträchtigung der Un abhängigkeit Zanzibars in Berlin Einspruch er hoben worden sei. — Die englischen Regierungs organe bezeichneten alsbald Beides für unbe gründet, was auch von Berlin aus officiös be stätigt wurde. König Milan von Serbien denkt gar nicht daran, den ungeduldigen serbischen Radikalen das jetzige Cabinet Christic sofort zu opfern. Das selbe soll vielmehr bei der jetzigen Ausarbeitung der Wahlordnung mitwirken und wenigstens bis zu den am 14. September d. I. stattfinden den Wahlen für die ordentliche Scupschtina im Amte verbleiben. Eine beabsichtigte Acnderung der Gesetzgebung der nordamerikanischen Union könnte auch auf europäische Verhältnisse einen großen Einfluß ausübcn. Die Einwanderung soll noch mehr als bisher beschränkt werden. Wurde vor zwei Jahren nur die Landung von Mittellosen ver boten, so heißt es in dem neuen, dem Repräsen tantenhause vorgelcgten Entwürfe, daß „Arme", Arbeiter ohne Beschäftigungsvertrag, Schwach sinnige, Verbrecher und mit gewissen Krankheiten behaftete Personen, ferner Anarchisten und So- cialisten an der Einwanderung verhindert werden. Die Vereinigten Staaten schließen sich damit ab gegen Einwanderer, welche geeignet sind, den Arbeitslohn in Amerika zu drücken, gegen Per sonen, von denen zu befürchten ist, daß sie den amerikanischen Anstalten zur Last fallen und gegen Leute, die mit der Absicht über das große Wasser gehen, die anarchistische oder socialistische Pro paganda hinüberzutragen. Berlin, 27. Jan. Die Feier von Kaisers Geburtstag in der Hauptstadt gestaltete sich in ihrem ganzen Verlaufe zu einer überaus impo santen Kundgebung der unbegrenzten Verehrung, welche das Herrscherhaus in allen Kreisen des Volkes genießt. Alle öffentlichen Gebäude, sowiezahlreiche Privathäuserwaren reich mitFlaggen und Tannengewinden geschmückt. In vielen Schaufenstern waren die Büsten des Kaisers und der Kaiserin ausgestellt. Unter den Linden be wegte sich eine zahllose Menschenmenge, welche die zum königlichen Schlosse fahrenden fremden Fürstlichkeiten mit lebhaftemEnthusiasmuS begrüßte. Der Kaiser und die Kaiserin wohnten dem Gottes dienst in der Schloßcapelle bei, alsdann fand eine Defilircour statt. Auch der Reichskanzler war zur Beglückwünschung erschienen. Derselbe wurde bei der Fahrt nach und vom Schlosse mit großer Begeisterung begrüßt. Für den Abend waren umfassende Vorbereitungen zur Illumination getroffen. Das Wetter war sonnig. Berlin, 27. Januar. Um 12^ Uhr fand im Opernhause eine Matinöe, ausgeführt von 300 Bläsern, statt. Der Kaiser und die Kaiserin wohnten der Aufführung bis zum Schluffe bei, ferner der König von Sachsen und die Prinzen Albrecht und Leopold, sowie zahlreiche andere hier verweilende Fürstlichkeiten. Das Publikum brachte dem Kaiser begeisterte Ovationen dar. Berlin, 27. Januar. Der Kaiser hatte sich heute Nachmittag, bevor die Abholung der Fahnen und Standarten erfolgte, nach dem Fahnenzimmcr im Palais des verstorbenen Kaisers Wilhelm begeben und dort einen großen Lorbeer kranz niedcrgelegt. Bei der Ausfahrt nach dem Palais und der Rückfahrt begrüßten Menschen massen unter den Linden den Kaiser mit stürmischen Zurufen. Berlin, 27. Januar. Der Kaiser hat den Prinzen Heinrich unter Belassung in seiner Stellung als Abtheilungscommandeur der ersten Matrosendivision zum Capitän zur See in der Marine und zum Oberst in der Armee ernannt. Berlin, 27. Jan. DaS Armeeverordnungs blatt veröffentlicht eine Cabinetsordre des Königs vom heutigen Tage, welche 65 Regimentern der Infanterie und der Cavallerie und zwei Pionier- Bataillonen die Namen früherer preußischer Könige und Prinzen (von König Friedrich Wil helm I. an) oder die Namen ausgezeichneter Generale (von Sparr, Dcrfflinger, Barfuß bis auf die neuesten ausgezeichneten Heerführer) ver leiht. Zum Andenken an das Lützow'sche Frei- corps erhält das Infanterie-Regiment Nr. 25 den Namen v. Lützow. Neun anderen Regimentern sind die Namen solcher Familien beigelcgt, deren Mitglieder seit langen Jahren in großer Zahl in bedeutenden Stellungen der Armee angehörten (Borcke, Dönhoff, Goltz, Marwitz, Holstein, Bredow, Wedell, Arnim, Dohna). — Der „Post" zufolge erhielt das Lcib-Garde-Husaren-Regiment silberne Kesselpauken, die dritte und die vierte Compagnie des ersten Garde-Regiments, welche aus dem Jahre 1688 stammen, erhielten zu dem bisherigen Spruche auf Helm und Blechmützen den weiteren Spruch „8vmp6r talib". Die diesjährigen Kaisermanöver finden, wie die „Nat.-Ztg." als sicher mittheilt, zunächst bei dem 10. und alsdann bei dem 9. Armeecorps statt. Im Schlosse an der Leine werden jetzt schon Vorbereitungen zur Aufnahme des Kaiser paares getroffen. Im nächsten Jahre sind Kaisermanöver beim 5., 6. und 12. Armeecorps in Aussicht genommen. Die große Colonialdebatte im Reichstage hat stattgefunden. Das Resultat war das erwartete: Die Vorlage ist einer Commission zur vertrau lichen Besprechung einzelner Punkte überwiesen, und diese Besprechung fand schon am Montag statt; mithin steht der definitiven Annahme des Gesetzentwurfes noch in dieser Woche nichts im Wege. Geschlossen dafür stimmen werden National liberale und Conservative; vom Centrum ist die Mehrheit dafür, von freisinnigen Abgeordneten werden, wie Eugen Richter's Blatt schreibt, zwei für das Gesetz stimmen. Der Andrang zur Reichstagssitzung war ein gewaltiger, und die Zuhörer wurden auch durch den interessanten Verlauf der Debatte hoch entschädigt. Fürst Bismarcks Rede war leider nur einem sehr kleinen Theil der Anwesenden verständlich. Der Canzler sah recht wohl aus, sprach aber ausnahmsweise leise, und die Berichterstattung hat deshalb sehr schwere Arbeit gehabt. Die hohe Aehnlichkeit in der Redeweise des Canzlers und seines Sohnes trat auch diesmal hervor. Graf Herbert spricht lauter als sein Vater, das ist aber auch der ganze Unterschied. Als ein sehr „schneidiger" Redner zeigte sich Hauptmann Wißmann, der in der Uniform des 2. Garde-Regiments erschien. Seine Abreise nach Afrika dürfte Ende der Woche erfolgen. Berlin, 28. Januar. Die Commission des Reichstages für die ostafrikanische Vorlage be schloß auf Antrag des Abg. v.Huene, die Stelle der Vorlage, wonach die dem Reichskanzler zu stehende Aufsicht über die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft dem Reichscommissar übertragen werden soll, zu streichen und genehmigte hiernach die abgeänderte Vorlage mit allen gegen 2 Stimmen. Staatssecretär Graf Bismarck hatte sich mit dem Anträge v. Huene einverstanden erklärt und gleich zeitig bemerkt, von dem geforderten Credit seien 800,000 M. für einmalige Anschaffungen, 1 Million für Proviant, Munition und Geschenke, 200,000 M. als Reservefonds bestimmt. Bei der Reichstagsstichwahl in Breslau hat nach dem amtlichen Resultat der socialistische Candidat Schneidermeister Kühn 9948, der frei sinnige Candidat Friedberg 8237 Stimmen er halten. Der erstere ist also gewählt. Der Toast, den Kaiser Franz Josef auf den deutschen Kaiser bei dem zu dessen Ehren ver anstalteten Galadiner ausbrachte, lautete: „Ich trinke auf das Wohl Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm, meines Freundes und Verbündeten." Pest, 27. Januar. Die Versammlung der Studirenden gegen die Wehrvorlage war von ungefähr 3000 Theilnehmern besucht und währte drei Stunden. Unter den Rednern befanden sich die Abgeordneten Jranyi und Kaas. Eine ans sechs Punkten bestehende Resolution, welche gegen die Erhöhung der Dienstzeit der Einjährig-Frei willigen und gegen die Ablegung der Offiziers prüfung in deutscher Sprache protestirt und die Errichtung einer nationalen Armee wünscht, wurde einstimmig angenommen, Der Pariser Wahlkampf hat auSgetobt^ Boulanger ist, wie wir bereits gestern durch Extrablatt mittheiltcn, gewählt und zwar mit 244,070 Stimmen. .Sein Hauptgegencandidat JacaueS erhielt 162,520 Stimmen, für den Socialisten Bonks votirten 16,760 Wähler und 10,358 Stimmen zersplitterten sich. Bon 568,697 eingeschriebenen Wählern betheiligten sich also 435,860 an der Wahl. WaS den Verlauf des Wahltages betrifft, so sind ernste Ruhestörungen trotz des bis 2 Uhr Nachts währenden lebhaften Treibens nicht vorgekommen. Die Zahl der vor genommenen Verhaftungen beziffert sich auf 7; Boulanger verließ um Mitternacht das Restaurant Durand, in welchem er das Resultat abgewartet hatte und kehrte im Wagen unter den Zurufen der Volksmenge in seine Wohnung zurück. Die republikanischen Blätter erkennen an, daß die republikanische Partei durch die Wahl Boulangers eine schwere Niederlage erlitten habe, indessen brauche man sich dadurch nicht entmuthigen zu lassen; man müsse kaltes Blut bewahren und das Bündniß aller Republikaner gegen den drohenden Cäsarismus immer enger gestalten. Die monarchistischen und boulangistischen Journale sehen in dem Resultat der gestrigen Wahl eine Verurtheilnng der parlamentarischen Republik und eine Ankündigung des nahen Sturzes der selben, vor Allem richte sich da» Votum der Wähler gegen die jetzige Negierung. Gegen 11 Uhr Abends trat der Ministerrath im Elysee unter dem Vorsitz Carnots zusammen. Gutem . Vernehmen »ach erklärte Floquct dem Präsidenten^ daß er und seine College» bereit wären, die Demission zu geben, falls der Präsident annehme, daß ihr Rücktritt zur Ueberwindung der voraus sichtlichen Schwierigkeiten beitragen würde. Einige Minister sollen in Vorschlag gebracht haben, ein Cabinet zu bilden, in welchem die einflußreichsten Personen aller Parteien vertreten wären. Eine Entscheidung des Präsidenten dürfte erst nach der heutigen Kammersitzungen zu erwarten sein. Carnot conferirte am Abend noch mit Ferry, Waldeck-Rousseau, Tirard, Raynal und anderen politischen Persönlichkeiten. — Für Boulangers Programm der Kammerauflösung und der Ein berufung einer Constituante hat sich nunmehr nicht nur die Provinz verschiedentlich, sondern auch Paris deutlich ausgesprochen. Boulangcr hat anzeigen lassen, daß er der am Donnerstag stattfindendcn Sitzung der Kammer beiwohnen werde. Rom, 28. Jannar. Die bei dem heutigen Wiederzusammentritt der Kammern gehaltene Thronrede sagt über die finanzielle Lage Italiens: Die finanziellen Verhältnisse legen uns die Pflicht auf, die Ausgaben in den engsten Grenzen zu halten und bei strikter Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich der öffentlichen Ar-' beiten und der militärischen Maßnahmen Unter nehmungen zu suspendiren, welche neue Kostew auflegen. Die Regierung vertraut auf die Mit wirkung des Parlamentes, um das Budget im Gleichgewicht zu erhalten. In Bezug auf die äußere Politik sagt die Thronrede, Italien ist infolge seiner durch Allianzen verstärkten Kräfte nach wie vor ein Element des Friedens in der Welt. „Ein hoher und meinem Herzen sehr wohlthuender Besuch ist Italien in seiner Haupt stadt gemacht worden. Dieser Besuch zeigt, wie eng die Bande sind, welche Italien und mich mit Deutschland und seinem Kaiser verbinden. Diese Bande sind ein Pfand des Friedens, dessen Er haltung nicht nur Italien, sondern alle Staaten lebhaft wünschen, weil er nothwendig ist, für die Wohlfahrt der Nationen und den Fortschritt der Civilisation, und der Friede wird, ich versichere es, von uns erhalten werden." London, 28. Januar. Der „Times" wird aus Zanzibar gemeldet: Am Freitag wurde in Dar-es-Salam hart gekämpft, wobei viele Araber getödtet wurden. Deutscherseits fanden Verluste nicht statt, doch erlag nach dem Kampfe der Capitän-Lieutenant Landfermann den Folgen eines Sonnenstiches. Wie aus Zanzibar gemeldet wird, ist außer dem englischen Missionar Brooks auch dessen aus 16 Personen bestehendes Gefolge von den Arabern ermordet. Die Araber verweigern die Annahme des Lösegeldes für die gefangenen Missionare, und Hallen an der Bedingung fest, daß die Küste von Fremden gänzlich geräumt werden müsse. Auch> soll die Bekehrung der Gefangenen zum Möha- mendanismus verlangt werden. Sachsen. Se. Majestät der König kam am Sonnabend- Abend 7 Uhr 25 Min. auf dem Anhalter Balm hof in Berlin an. Zum Empfange hattM AM