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Mit reiferem Verständnis folgte der zwölf» jährige Prinz den Begebenheiten de» Krieges von 1870/71. Mit begeistertem Herzen bejubelte der Hohenzollernknabe die Siegesbotschaften, welche damals von dem deutschen Heere auS Frankreich eintrafen, wohl mit dem Wunsche, daß es auch ihm dereinst vergönnt sein möchte, an so großen Ereignissen thatkräftig mitzuwirken. Wer aber daraus schließen wollte» daß der Prinz dereinst nur nach Befriedigung seines kriegerischen Ehr geizes streben würde, der dürfte jetzt eines Anderen belehrt sein. Wir wissen jetzt, daß Kaiser Wilhelm die Wohlthaten und Segnungen des Frieden« sehr wohl zu schätzen weiß und sie seinem Volke zu erhalten suchen wird, aber auch, daß er eher den letzten Blutstropfen seines Volkes fordern und einsetzen wird, ehe er auch nur einen Zoll von den Errungenschaften des deutschen Volkes in jener großen Zeit unter Führung seines er habenen Großvaters und Vaters preisgeben wird. Die Erziehung des Prinzen Wilhelm war im Jahre 1866 demDr.Hinzpeter übergeben worden, der sie bis zur erlangten Großjährigkeit des Prinzen geleitet hat. Derselbe sagt: „Zorn und Haß so gut wie Liebe und Bewunderung werden stets seine Seele erwärmen zu energischem Vorgehen, schwerlich sie erhitzen zu tollkühnem Wagen. Klugheit und Gerechtigkeit sind für ihn nicht bloS theoretische Tugenden, sondern seiner ganzen Natur entsprechende, sein Streben und Handeln bestimmende Eigenschaften." — In dem Garten des „Neuen Palais" (jetzt Schloß Friedrichskron genannt), welches der Kron prinz und seine Gemahlin bei Potsdam bewohnten, war ein besonderer Spiel- und Tummelplatz für die kronprinzlichen Kinder eingerichtet. In einer Ecke desselben standen Turngerüste, Barren, Reck und Schaukel; daneben war im schattigen Tannen grün der Schießstand für Bolzenbüchsen mit Schießhütte und Graben angelegt. In einem andern Theile des Gartens erhob sich eine nach allen Regeln der Beiestigungskunst erbaute kleine Schanze mit Graben und Palissaden, davor Lauf gräben, im Zickzack vorschreitend, Schanzkörbe und Faschinen. Hier lernte Prinz Wilhelm mit seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich, unter Leitung seines Militärgouverneurs — nach Schrötter's Rücktritt des Premierlieutenants O'Dan ne vom Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm IV. (1. pommer'sches Nr. 2), später (nach 1871) des Generalmajors von Gottberg — spielend die Wissenschaft des Krieges, den Bau der Schanzen, die Belagerung und Vertheidigung der Festungen, damit die jungen Hohenzollernaare dereinst, wenn sie flügge werden, den kühnen Sonnenflug wagen könnten. Alljährlich fand im Garten des Neuen Palais ein Kinderfest statt, welches die kronprinzlichen Herrschaften der Bornstädter Dorfjugend gaben und bei welchen der zukünftige deutsche Kaiser sich mit den Dorfkindern in ungezwungener Jugend lust auf den Spielplätzen tummelte. So wuchs der Prinz zum Jünglinge heran, gesund von Leib und Seele, rüstig und tüchtig, von jugendlichem Frohsinn und sittlichem Ernste, und wurde durch den Prediger Persius zu seiner Confirmation vorbereitet, welche am 1. September 1874 durch den Oberhofprediger Heim in der Friedenskirche bei Sanssouci stattfand. Nach einer Ansprache des Geistlichen legte der Prinz mit fester Stimme sein Glaubensbekenntniß ab, beantwortete alle Fragen de« Geistlichen bestimmt und zuversichtlich und fügte laut mit fester, er hobener Stimme hinzu: „Ich weiß, daß schwere Aufgaben meiner im Leben warten; aber dieses Bewußtsein soll meinen Muth nicht niederdrücken, sondern stählen." Nach der Einsegnung ging der Prinz mit der königlichen Familie zum heiligen Abendmahl. ES lag in dem Plane der erlauchten Eltern, die vom Staate anerkannten, bewährten Erzieh ungsmittel auch an ihren Söhnen zu erproben und diese zunächst eine vollständige Gymnasial bildung genießen zu lassen. Dabei mochte der Wunsch gleichzeitig maßgebend sein, die Prinzen in nähere Beziehung mit dem Leben des Volkes zu dringen. Ihre Wahl fiel auf das Gymnasium zu Kassel, genannt I^asum lÄäsrivirmum. Der Director desselben, Professor vr. Vogt, ant wortete auf eine Anfrage der erlauchten Eltern, „er betrachte den Wunsch der Eltern als einen Befehl, erwarte ober von den beiden künftigen Zöglingen seiner Anstalt die stricte Uebernahme derselben Pflichten und Respectirung derselben Ordnung und Zucht, wie von jedem anderen Schüler, und könne er keine Unterschiede zulassen." Dies war eS gerade, was die Eltern wollten. Bald nach der Einsegnung des Prinzen Wil helm gingen die beiden Prinzen pach Kassel ab, wo der Generallieutenant von Gottberg ihnen in dem sogenannten Fürstenhause, dem ehemaligen kurfürstlichen Schlosse gegenüber, ihren kleinen Hofstaat einrichtete. Als Civilgouverneur be gleitete die Prinzen der Geheimrath vr. Hinzpeter. Prinz Wilhelm wurde in der Obersecunda des Gymnasiums ausgenommen. Die Erwartung des Directors, daß er sich derselben Ordnung und Zucht wie jeder andere Schüler fügen werde, ging in vollstem Umfange in Erfüllung. Der Prinz bethätigte durch den regelmäßigen und pünktlichen Besuch der Unterrichtsstunden und durch den treuen Fleiß bei Ausführung der ihm übertragenen Arbeiten die ihm von Jugend auf eigene Pflichttreue. Der öffentliche Unterricht wurde noch durch Privatstunden ergänzt, der Tag war daher von Morgens bis Abends be setzt und die Zeit genau und gewissenhaft einge- theilt. Die Freistunden, welche eigentlich nur auf die Nachmittage des Mittwochs und Sonn abends fielen, wurden durch körperliche Uebungen, durch Reiten, Schlittschuhlaufen, Kroket- und Kriketspiel, zuweilen auch unter Hinzunahme des Sonntags durch Ausflüge in die Umgegend zu Fuß und zu Pferde ausgefüllt. Der Geheime Ober-RegierungSrath und Schul rath vr. Wiese, welcher im Juni 1875 zur Schulrevision nach Kassel kam, stellte dem Fleiße und dem klaren, einsichtsvollen Urtheil des Prinzen das rühmlichste Zeugniß aus. „Das größte Interesse," sagt Wiese, „widmete er der Geschichte, von meinen prüfenden Fragen verfehlte er keine, und als ich, da ich von seinen Ausflügen gehört, fragte, ob er auch in Gelnhausen gewesen, bejahte er eS und wir machten dann von den localen Erinnerungen von Barbarossa aus einen Excurs in die deutsche Kaisergeschichtc, dem er mit Vergnügen und einer nicht auf Namen und Zahlen beschränkten Kenntniß folgte. Auch auf meine Frage, was das Hohenstaufen'sche, daS Habsburgische und das Hohenzollern'scbe Fürstengeschlecht in ihrem Ursprung geographisch Gemeinsames hätten, fand er bald die Antwort, daß die Stammsitze derselben alle im Süden, und alle drei auf dem weiten Zuge des Juragebirges liegen." — Zu Ostern 1875 war Prinz Wilhelm nach Prima versetzt worden, im Januar 1877 machte und bestand er sein Abiturientenexamen. Um dieselbe Zeit erreichte er nach Hohenzollern'schen Hausgesetz mit dem vollendeten 18. Lebensjahre (27. Januar 1877) seine Volljährigkeit und er hielt, nachdem er vor dem Kaiser Wilhelm und dem Capitel der Ritter des Schwarzen Adler ordens die Ordensgelübde abgelegt hatte, durch seinen kaiserlichen Großvater feierlich die Investitur mit Mantel und Kette dieses höchsten preußischen Ordens. Schon seit seinem vollendeten zehnten Lebens jahre gehörte der Prinz altem Hohenzollern'schen Brauche gemäß der Armee und zwar dem 1. Garderegiment zu Fuß an, in dessen Listen er seit 1869 als Secondelieutenant geführt wurde. Nun sollte er die preußischen Soldatentugenden selbst üben und trat zur praktischen Dienstleistung in die 6. Compagnie des 1. Garderegiments ein. „Mein Sohn", sagte der Kronprinz, als er ihn am 9. Februar dem Offiziercorps des Regiments zuführte, „kennt die glorreichen Thaten zweier kriege, in denen das Regiment, wie ja stets, einen alten Ruhm bewährte. Ich kann wohl agen, daß mein Sohn stolz sein kann, diese Uni- orm zu tragen, welche ich während meiner ganzen Dienstzeit getragen, und so vertraue ich Ihnen denselben hiermit an". Von nun an that der Prinz seinen Dienst wie jeder Frontoffizier. Die Pflichttreue und Pünkt lichkeit, die er dabei zeigte, die bestimmten Forde rungen, die er an seine Untergebenen stellte, kennzeichneten ihn als den echten Soldaten. Im Frühjahr 1880 stellte er die von ihm selbst aus gebildete Rekruten der Leibcompagnie dem Könige vor und wurde darauf am Königs Geburtstag zum Hauptmann befördert. In die Zwischenzeit zwischen dem Herbst 1877 und dem Herbst 1879 fiel sein Besuch der Bonner Hochschule, an welcher er vier Semester hindurch die Vorlesungen regelmäßig hörte und seinen vielseitigen Studien oblag. Es war dies die Zeit, in welcher die beson dere Eigenart des Prinzen, sein Character ein immer fchärferes, selbstständiges Gepräge annahm. Der Einfluß der ruhmvollen Geschichte seiner Vorfahren, sowie der heldenhaften Vorbilder feines erhabenen Großvaters und Vaters traten immer deutlicher erkennbar in seinem Wesen und Haltung hervor. Er betheiligte sich dort an dem Liebesmahle der Kameraden, wo in feurigen Reden und Toasten der Kameraden auf König und Vaterland der Helle preußische Schlachten- muth wetterleuchtete, und er stimmte hier in der Corpskneipe der „Borusia" mit weißer Kappe- und schwarzweißem Corpsband unbefangen in die frischen deutschen Burschenlieder ein: „Stoßt an I Männerkrast lebe Hurrah hoch! Wer nicht singen», nicht trinken und lieben kann, Den sieht der Bursch voll Mitleid an. Frei ist der Bursch!" aber er blieb hier wie dort derselbe, immer takt fest und würdevoll. ES war der Hohenzollern- fche, der echt preußische und darum echt deutsche Kern, der in seiner reich und vielseitig angelegten Natur überall zum Durchbruch kam. In dieselbe Zeit fallen die mehrfachen Be gegnungen des Prinzen Wilhelm mit dem Kron prinzen Rudolf von Oesterreich, au« welchen sich ein inniges Freundschaftsverhältniß zwischen den beiden Fürstensöhnen entwickelte. Solche Freundschaften zwischen Fürsten sind nicht immer von politischer Bedeutung, aber sie sind doch bezeich nend für die Beziehungen der Nationen zu ein ander. So mag denn auch die bis auf den heutigen Tag und hoffentlich noch lange fortdauernde Freundschaft unseres gegenwärtigen Kaisers mit dem ein halbes Jahr älteren Kronprinzen Ru dolf von Oesterreich als ein vollgültiges Zeugniß dafür gelten, daß die langjährige Eifersucht der beiden Staaten nunmehr einem aufrichtigen Bündniß derselben zur Aufrechterhaltung des Friedens in Mittel-Europa gewichen ist. Ein bedeutsames Ereigniß in dem Leben des Prinzen Wilhelm fand im Jahre 1880 statt- Zwischen der herzoglich Augustenburgiichen Fa milie auf Schloß Primkenau in Schlesien und der Familie des Kronprinzen von Preußen be standen seit längerer Zeit freundschaftliche Bezieh ungen. Um diesen von Neuem Ausdruck zu geben, sandte Herzog Friedrich von Augusten burg dem Prinzen Wilhelm von Preußen, der als leidenschaftlicher Jäger bekannt war, durch seinen Vater den Kronprinzen (1879) eine Ein ladung zur Auerhahnjagd, welcher der Prinz, folgte. Ueber die bei dieser Gelegenheit statt findende erste Begegnung zwischen dem Prinzeir Wilhelm und seiner späteren Gemahlin, der Prinzessin Augusta Viktoria von Schleswig- Holstein-, Sondcrburg-, Augustenburg geht in Primkenau eine hübsche Sage, die wir den ge ehrten Leserinnen nicht vorenthalten möchten: Im Schloßpark von Primkenau war in der Nähe von Rosensträuchern und Hecken zwischen: zwei Bäumen eine Hängematte angebracht, in melcher sich die Prinzessinnen zu schaukeln pflegten- Als der Prinz Wilhelm bald nach seiner An kunft in Schloß Primkenau den ihm noch aus seiner Knabenzeit her bekannten Park durchstreifte^ kam er an die Stelle, wo die Hängematte in den Lüften schwebte. In der Hängematte ruhte ein liebliches Mädchen, das offene blonde Haar über den Nacken niederhängend, die langen Wimpern zum Schlummer gesenkt, die Wangen irisch ge- röthet, von Rosen umblüht, von Rosen überdacht. Der Prinz stand einen Augenblick, von dem holden Anblick gefesselt. Die Erinnerung an ein halbverklungenes liebliches Kindermärchen stieg in seiner Seele auf, und auf seine Lippen drängte sich unwillkürlich halblaut das Wort: „Dorn röschen!" Bei diesem leisen Ausrufe erwachte die Prin zessin Augusta Viktoria, — denn Niemand anders als diese war die jungfräuliche Erscheinung — in der Hängematte zwischen den Rosensträuchern^ — sie sah verwundert um sich und vernahm feste männliche Tritte, die sich schnell entfernten. Die Prinzessin sprang auf, warf einen schüchternen Blick auf ihr einfaches Morgenkleid und eilte dem Schlosse zu. Hier erfuhr sie erst welcher hohe Besuch angekommen war. — Als darauf die herzogliche Familie mit ihrem hohen Gaste sich bei dem Lunch zusammenfand, flüsterte Prinz Wilhelm der erröthenden Prinzessin zu: „Ich habe Sie soeben als Dornröschen bewundert." Ohne uns auf eine historische Kritik dieser Sage einzulassen, halten wir nur an der einfachen Thatsache fest: Prinz Wilhelm hatte seine Wahl getroffen, und sowohl seine hohen Eltern als das erhabene Haupt des Hohenzollern'schen Hauser, Kaiser Wilhelm I., erklärten sich mit der selben vollkommen einverstanden. So wurde denn am 14. Februar 1880 die Verlobung ge feiert, nachdem der Vater der Prinzessin, Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg- Augustenburg, einen Monat vorher (14. Januar 1880) zu ihrem tiefen Schmerze verstorben war. Die Vermählung fand am 27. Februar 1881 statt. Durch sie wurde zugleich daS Werk der Versöhnung des alten Preußen mit dem von Preußen annectirten, zum Theil noch mehr augustenburgisch als hohenzollcrnsch gesinnten Schleswig-Holstein vollbracht; denn mit der holden Prinzessin Augusta Viktoria ging zugleich die Liebe und Anhänglichkeit, welche ihxe LmM^