Volltext Seite (XML)
Soldaten des in Möckern garnisoriren- den 106. Infanterieregiment« sind wegen Bethel« liguog an dem Stiftungsfest des socialdemokratischen Arbeitervereins zu Reudnitz mit je 3 resp. 1 Tag Arrest belegt worden. Der Reichstagsabgeordnete Bebel, welcher den Professor Birnbaum in Leipzig in einem Wahl- siugblatte in maßlosester Weise angegriffen hatte, ist hierfür zu 500 Mark Geldstrafe verurtheilt worden. In diesen Tagen wurde ein GutöauSzügler in Gommern um drei Sparcasscnbücher der Pirnaer Sparkasse (Einlagen 700, 800 und 3000 M.), sowie um Talons und Coupons zu 8 Staatspapieren von je l00 Thalern und zu 1 von 500 Thalern, eine Eisenbahnactie von 300 Gulden, mehrere Obligationen, eine Erbskette und einen Siegelring bestohlen. Der „Reichs-Anzeiger" bringt einen Erlaß des Kaisers an Bismarck vom 14. d., welcher lautet: Die That eines auf Irrwege geratenen Menschen, welcher nach meinem, von Gottes gnädiger Fügung so lange beschützten Leben trachtete, hat zu ungemein zahlreichen Kundgebungen treuer Anhänglichkeit an mich Veranlassung gegeben, die mich tiefgerührt und innig gefreut haben. Nicht allein aus ganz Deutsch- lanv, sondern auch vielfach aus dem Auslände, von Behörden, Corporationen, Vereinen, Privatpersonen aller Lebenskreise und Lebensalter ist mir bethätigt, daß das Herz des Volkes bei seinem Kaiser und König ist und Gutes und Trauriges mit ihm em pfindet. Dasselbe Gefühl habe ich insbesondere auch hier in jedem Auge gelesen, in welches ich nach diesem Vorfall gesehen und ich bin in der That tief und warm von der würdigen erhebenden Art berührt, in welcher die Bevölkerung Berlins mir ihr Mitgefühl gezeigt. Ich wünsche, daß Jeder, der mir seine Theilnahme bcthätigte, auch wissen möge, daß er damit meinem Herzen wohlgethan und beauftrage Sie, zu diesem Zwecke Vorstehendes be kannt zu machen. Die Untersuchung gegen den Attentäter Hödel begann Dienstag früh 9 Uhr. Vor den Untersuchungs richter waren 10 Zeugen geladen, die sämmtlich mit Entschiedenheit Hödel als denjenigen recognoscirten, der den Revolver gegen die Person des Kaisers ge richtet hatte. — Von so viel gegen ihn sprechenden Beweisen erdrückt, änderte Hödel sein System und meinte nun, wenn er auf den Kaiser geschossen, dann sei er verstandlos gewesen, denn wenn ich, ruft er aus, meinen Verstand gehabt hätte, hätte ich jeden getroffen, auf den ich gezielt. — Hödel gab in seinem Verhör am Montag auch einen Nadlergesellen Bau mann, der in einer Gescllenherberge, resp. in einem Hause, wo fremde Gesellen verkehren, in der Krausen straße 11, wohne, als Zeugen an, dem er mitgetheilt, daß er sich erschießen wolle. Baumann erschien denn auch am 13. d. früh vor dem Untersuchungsrichter. Er wurde von Hödel in vertraulicher Weise wie eia alter Bekannter begrüßt. .Du" rief Hödel ihm ent gegen, .was meinst Du wohl, man möchte mir gerne zwanzig Jahre aufbrummen; ich soll auf den Kaiser geschossen haben, Du weißt aber, daß ich mich selbst gar Nicht« von dieser Absicht; schwer« er auch, Hödel überhaupt nicht zu kennen; r« sei wohl möglich, daß er ihn ein Mal gesehen habe, aber er könne sich dessen nicht entsinnen. Hödel war über diese Antwort höchst aufgebracht. Er warf dem erst so freundschaftlich Begrüßten nunmehr vor, daß er lüge — eine Taktik, die er anwendet, so oft iv« eine Zeugenaussage nicht behagt. — Im Borüber gehen sei noch erwähnt, daß Hödel von sämmtlichen Zeugen mit Bestimmtheit als der Attentäter erkannt worden ist. Am heftigsten zeigt er sich gegen die Frau, die mit Bestimmtheit bekundet, daß sie gesehen, daß er den Revolver gegen den Kaiser gerichtet und wohl auf dessen Haupt gezielt hat. .Den Eid, den die schwört, leiste ich auch; was die schwört, schwöre ich alle Tage", ruft Hödel in beleidigender Weise der Frau zu. Die Voruntersuchung gegen denselben, soweit es das Attentat betrifft, dürfte bald geschlossen sein; denn derselbe erscheint nach jeder Richtung hin übersührt. Die Untersuchung aber, ob die That lediglich seinem Hirn entsprungen sei, dürfte noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Für den Umstand, daß Hödel die Absicht gehabt, ein Attentat zu vollführen und daß er sich mit diesem Gedanken schon einige Zeit beschäftigt habe, spricht ferner folgende Thatsache. Ein hiesiger Photograph hat in dem veröffentlichten Bildniß des Hödel einen Menschen wiedererkannt, der etwa 8 Tage vor dem Attentat sich bei ihm hatte photographiren lassen und eine Anzahl von Abzügen bestellt hatte, welche er angeblich an seine Freunde verlheilen wollte. Der Photograph meldete sich infolge dessen bei dem Un tersuchungsrichter, bei dem er noch folgende wichtige Aussage deponirte: „Bei der Abholung der fertigen Bilder hat der Unbekannte ihm gegenüber ausge sprochen, ich solle nur für mich noch eine größere Anzahl von Exemplaren anferligen, da ich mit seiner Photographie ein gutes Geschäft machen werde. Auch hat der Unbekannte im Verlauf des Gesprächs mir erklärt, nach etwa einer Woche werde er todt sein, aber „wie ein elektrischer Funke werde eS durch die ganze^Welt gehen". Hödel wurde hierauf vorgeführt, und der Photograph constatirte sodann die Identität seines Unbekannten mit dem Attentäter. Die Frage nach der Strafe, welche nach dem bestehenden Gesetze den frevelhaften Attentäter treffen dürfte, ist ohne Mühe zu beantworten. Der Artikel 80 des Strafgesetzbuchs lautet: Der Mord und der Versuch des Mordes, welche an dem Kaiser.... verübt worden sind, werden als Hochverrats mit dem Tode bestraft. (Folgen des Attentats.) Bei dem Empfange des Staats-Ministeriums, welches aus Anlaß der glücklichen Errettung des Kaisers am Sonntag Mit tag in Gegenwart des Kronprinzen demselben seine Glückwünsche darbrachte, hielt der älteste der anwe senden Minister, Justizminister Leonhardt, eine kurze warme Ansprache an den Kaiser. Der Kaiser er widerte darauf, nach der .Prov.-Corresp." etwa Fol gendes: .Es sei dies das dritte Mal, daß auf Ihn geschossen worden. So erschütternd und betrübend dies sei, so finde Er doch Seinen Trost in der Theil-