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40 1878. That ein Ziel zu setzen. Doch auch hier waltete über dem Kaiser eine höhere Hand: Unversehrt ist er geblieben; ja er mußte erst fragen, ob der Schuß, der gefallen war, ihm gegolten habe. Auch sonst wurde Niemand verletzt. Der Attentäter wurde nur durch die Beamten der Sicherheitspolizei davor bewahrt, von den Händen des entrüsteten Volkes zerrissen zu werden. Die Untersuchung ist sofort eingeleitet worden. Der Verbrecher, Max Hödel, leugnete, daß er die Absicht gehabt habe, auf den Kaiser zu schießen; Zeugen bekundeten indessen, daß er, al« der Wagen de« Kaisers einhergefahren kam, an den Straßendamm herangetreten sei, in der Richtung nach dem Wagen zu geschossen und hinter her noch einen zweiten Schuß in der nämlichen Richtung abgegeben habe. Die Ausrede des Atten täters, daß er Angesichts des Kaisers sich selber habe erschießen wollen, um zu zeigen, daß dem ver hungernden Volke keine andere Wahl als der Tod durch eigene Hand übrig bleibe, ist schlecht erfunden; denn verfolgt schoß der Attentäter zweimal auf seine Verfolger und nicht auf sich selber! Es bleibt nur die Frage nach den Motiven des Mordversuchs gegen den Kaiser. Der Attentäter hatte keinerlei Grund zu privater Rache am Kaiser: er ist anscheinend durch das Lesen sozialdemokratischer Zeitungen und Schriften und durch den Besuch sozialdemokratischer Versammlungen in einen Zustand politischer Exaltation versetzt worden, die ihm mit einem köstlichen Hasse gegen alle staatli chen Einrich tungen erfüllt hat. Er selber bekennt, zu den „Anarchisten", jenen extremsten Sozialisten von der Schule Bakunin's zu gehören, die keinerlei staatliche Ordnung anerkennen, sondern die schrankenlose Willkür des Individuums als ihr Ideal hinstellen, was verwirklicht dann freilich der im Urzustände der Menschheit bestandene „Kampf Aller gegen Alle", die Nolhwehr in Permanenz, der Untergang aller Cultur wäre. Man hat es anscheinend nicht mit einer That im Dienste einer politischen P artei zu thun, sondern mit der frevelhaften Bethätigung eines in seinen Gedanken unklaren bis zur Verrücktheit aufgeregten Menschen, für welche direct kein Dritter verant wortlich gemacht werden kann. Die That der Wjera Sassulitsch, die Freisprechung derselben durch Das Attentat auf den Kaiser. Da» am 11. Mai, Nachmittags, gegen den Kaiser verübte Attentat, welches zum Glück keinerlei Schaden ".»gerichtet, konnte nicht verfehlen, durch die ganze Welt das größte Aufsehen und zwar ein für uns Deutsche sehr unliebsames Aufsehen zu erregen. Kaiser Wilhelm ist nicht bloS der älteste und darum der ehrwürdigste aller lebenden Monarchen; er ist auch ein Fürst, der noch am Abend eines langen Lebens zu den größten Thaten berufen ge- wesen ist, mit dessen Regierung die glänzendsten Waffensiege aller Zeiten und das weltgeschichtliche Ereigniß der Wiedcraufrichtung des deutschen Reiches sich verknüpfen. Sein Name ist bis in die ent- legensten Winkel fremder Welttheile, wohin nur noch eine sagenhaft verschleierte Kunde von europäischen x Dingen sich verliert, bekannt und mit einem eigen- Uthümlichen Zauber ausgestattet. Die Phantasie der Wölker stellt ihn sich vor, wie er, ein hoher Greis, ungebeugt von der Last der Jahre, die andere Menschenkinder zu Boden drückt, mit Jugendfrische sich zu Rosse schwingt, um, begleitet von seinen Prinzen und von den Fürsten und Paladinen seines Reiches, das tapferste Heer, welches auf dem Erdball unter Waffen steht, zu mustern und, wenn es sein muß, zu neuen glanzvollen Siegen in's Feld zu führen — oder wie er, unter goldenem Thron himmel stehend, seinen reckenhaften Canzler zur Seit«, an die Vertreter seines Volkes huldvolle Worte richtet, um sie zu den Arbeiten für das öffentliche Wohl einzuladen. Vor Allem aber glaubt die Welt ihn umgeben von der Liebe eines treuen Volkes, das sich stolz fühlt in dem Bewußt sein, unter sich einen von der Vorsehung so sichtbar ausgezeichneten Fürsten des Herrscheramtes walten zu sehen. Da fallen unter den Linden, der vi» triumpkslis der Reichshauptstadt, zwei Schüsse, gegen den nämlichen Kaiser, während er mit seiner Tochter, wie alle Welt an einem wunderschönen Maientage, um an Lenzesluft sich zu erquicken, in's Freie fährt — und ein schwarzer Schleier senkt sich 'über da» sonnenhelle Bild. Unter diesem Volke schleicht der Meuchelmord einher, um jenem von der Borschuog so lange gehüteten Leben durch frevle Hniunddreißigster Jahrgang. Wochenblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend Amtsblatt -er Kgl. Amtshauptmannfchaft und -er Kgl. Schulinfpection zu Dauhen sowie -es Königlichen Verichtsamtes un- -es Sta-trathes zu Aischofswer-a. Diese Seilschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwochs und Sonnabend» und kostet einschließlich der Sonn abend« erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich 1 Mark SO Pfg. (IS Ngr.). Inserat« werden di« Dien«tag« und Freitag« früh N Uhr angenommen. Sonnabend, den L8 Mai