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Anlage zu Wylers. M 71 Ixs lächUchm Bischofswerda, ^eri 3. September 18f87. Eine Sedanrede tzchaltm 186? in rinrr höheren Töchterschule von Clemens König. Liebe Schülerinnenl Ueberall, „so weit die deutsche Hunae klingt und Gott im Himmel Lieder singt", wird der Tag von Sedan festlich begangen. Die Gräber der gefallenen Helden schmücken duftige Blumen; die auS Erz oder Stein errichteten Gedenksäulen schmücken grüne Ranken und Kränze mit flatternden Schleifen; von den Häusern wehen stolz herab Fahnen und Flaggen, und die Schule hat den alltäglichen Unterricht verlassen, hat Festschmuck angelegt und ihre Schülerinnen zu einer patriotischen Festfeier versammelt, welche einzig und allein der hohen Aufgabe dieses Tages gewidmet ist. Und wie lautet diese Anfgabe? Was fordert sie von uns? Der Tag von Sedan soll ein nationaler Sonn- und Bußtag in des Wortes edelster Bedeutung sein. Da lege ein jeder die Hand auf's Herz und prüfe sich, ob er allezeit für Kaiser und Reich, für König und Vaterland ge- than und gern gethan und alles gethan habe, was in seinen Kräften stand. Und darnach gelobe er, fortan alles zu thun und nichts zu unterlassen, wodurch Gott im Himmel geehrt und des Vater- Landes Wohl gefördert werde. An Euch, meine lieben Schülerinnen, stellt der Tag von Sedan dieselbe Aufgabe, indem er Euch ermahnt: 1., Erinnert Euch der Thaten Eurer Väter, die sie in dem großen Jahre 1870 auf 1871 vollbracht haben. 2., Freuet Euch der Güter, die das Vaterland in dem großen Jahre 1870 auf 1871 erworben hat. Z.^Uebt deutsche Tugend. Und 4., haltet fest an Gott. Zuerst, liebe Schülerinnen, sollt Ihr Euch der Thaten des großen Jahres 1870 auf 1871 erinnern und dieselben immer besser und fester und ausführlicher Eurem Gedächtnisse einprägen. Studiert im Geschichtsbuch, declamiert der 'Dichter herrliche Gesänge, oder laßt Euch irgend einen Tag aus diesem Jahre von denen schildern, die draußen auf dem Schlachtfelde mitgestritten oder daheim im stillen Haus opferwillig mitge schaffen: und Ihr werdet andächtig, mit verklärtem Auge dem Sängers nachempfinden und nachsprechen: „Es klingt in mir herauf wie Geisterrauschen, Wie Schwerterlust in kühner Männer Strauß. Ich sehe Waffenleuchten, Fahnenbauschen, Ich sehe Heldenwerk in Kampfes Graus. Und wie ich horchend steh mit stillem Lauschen, Hör' unsres Volkes Herzschlag ich heraus. Es reißt mich fort mit unsichtbaren Schwingen, Von meines Volkes Thaten will ich finden!" Als Frankreich unter Napoleon III. in blindem Uebermut mutwillig und frevelhaft den Krieg heraufbeschwor: da erhob sich ganz Deutschland einmütig wie kaum zuvor, um Haus, Vaterland und Ehre gegen den alten Erbfeind an der Seine zu verteidigen. Von den hohen Alpen bis herab zur Ostsee, „da die Möve zieht", vom fernen Preußenland im Osten bis zum Rheine, „da die Rebe blüht", in allen Gauen des weiten Vater landes war nur eine Stimme, eine Begeisterung, ein Gottvertrauen. Aus aller Munde brauste einmütig „wie Donnerhall, wie'Schwertgeklirr und Wogenprall", der Ruf durch dieThäler und über die Ebme: Zum Whein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!") Die Begeisterung war so allgemein und so groß, daß sie selbst die kleinsten Buben erfaßte. Auch sie marschierten und sangen die „Wacht am Rhem" und waren „so mit Leib und Seel' dabei", daß sie darüber Glockenschlag und Mittags essen vergaßen. So erging es, wie der Dichter singt, unserm Fritz. Als er sich zu Tisch setzte und der Vater mahnte: „Fritz, unaebetet ißt man "icht", war er noch so kampfbegerstert, daß er die Händchen faltete und betete: „Lieber Gott, magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"") Und unsere Wacht stand nicht nur fest und treu um Rhein, sondern sie zog sogar hinüber „in das überrheinische Land, das herrliche," und drang, von der erprobten Hand genialer Führer muster haft geleitet, unaufhaltsam siegreich vorwärts. Unsere Väter und Brüder nahmen im heißen Kampfe die Linien von Weißenburg, warten in todesmutiger Tapferkeit den Feind bei Wörth und Saarbrücken und setzten den Marsch gegen ") Feodor v. Köppen. 's Mar Schneckenburger. . . 's Karl Gerok. 14., IS. und 18. August die beste Heerkraft des Feindes besiegend und lähmend. Das war eine sehr schwere Arbeit. Noch will das Blut in unseren Adern erstarren, wenn wir lesen, in welch' heldenmütiger Weise am 16. August in dem furchtbarsten Augenblicke der Entscheidung die zwei vom General v. Alven-t leben vorgeschickten Regimenter — eS war das 7. Kürassier- und das 16. Ulanenregiment — den Angriff ausführten. Obgleich den Tod vor Augen sehend, stürzten sie sich auf die vor ihnen stehenden Batterien, die sie überritten, brausten auf Infanterie - Colonnen, die sie zersprengten, drangen in eine Mitrailleusen-Batterie und bahnten sich den Rückweg durch feindliche Reiterei, welche sie, die Atemlosen, faßte. „— ein Blutritt war es, ein Todesritt! Wohl wichen sie unseren Hieben; Doch von zwei Regimentern, was ritt und was stritt) Unser zweiter Mann ist geblieben"'). ' Ja, die Walstatt war überall bedeckt von gefallenen Helden. Die blauen Röcke und die rothen Hosen der Gefallenen leuchteten wie Mohn- und Kornblumen im wilden Felde. Durch diese Opfer war viel erreicht und gewonnen. Bazaine lag in Metz, von Prinz Fried- rich Karl belagert, welcher mit der I. und II. Armee die Festung umschlossen hielt. Mac Mahon war aus dem festen Lager von Chalons gescheucht; er zog nach der belgischen Grenze, um von hieraus Metz zu entsetzen, ein Vorhaben, welches unsere Hl. und IV. Armee vereitelte. Während unser geliebter König, der damals als Kronprinz die IV. Armee führte, den Feind bei Beaumont faßte, aufhielt und über die Maas warf, die er bald selbst überschritt, hatte der Kronprinz von Preußen die III. Armee herangezogen, und damit war der geniale Plan unseres großen Strategen, des Grafen Moltke, durch geführt. Der Feind war umringt, er war in das eiserne Netz gegangen. Nun galt es, denselben zu überwältigen. König Wilhelm, unser all- verehrter Kaiser, übernahm den Oberbefehl; die Schlacht brach los, und unser war der Sieg. Hier vor Sedan erlebte die Welt das un glaubliche, in der ganzen Kriegsgeschichte einzig dastehende Schauspiel, daß außer den 25,000 Mann, die während der Schlacht gefangen ge nommen, sich ein Heer von 83,000 Mann (darunter 1 Marschall, 40 Generale, 230 Stabsoffiziere, 2600 andere Offiziere mit 70 Mitrailleusen, 150 Festungsgeschützen, 330 Feldgeschützen, 10,000 Pferden und einer Unzahl von Wagen und Waffen aller Art) dem Sieger ergab und nebst dem Kaiser nach Deutschland in Kriegsgefangen schaft wanderte. Mit diesem wunderbaren Ereigniß, das zwar den Krieg nicht beendet, aber doch in seinem Ver laufe und Ausgang bestimmt hat, schließt der Abschnitt der kriegerischen Poesie, und es beginnt die Zeit der kriegerischen Prosa mit ihren langen Tagen und Nächten voll aufopfernden Ausharrens und ruheloser Wachsamkeit. Leider verbietet es die Zeit, auch nur in großen Zügen anzudeuten, mit welch' heldenmütiger Hingebung und Treue der Belagerungskampf zu Ende geführt wurde. Je schwerer das Werk, je größer der Sieg: desto inniger der Dank, der draußen auf blutigem Felde und daheim in Stadt und Land, in Palast und Hütte Dem -argebracht wurde, von Dem allein alle gute und vollkommene Gabe kommt. Aus der blusigen Saat erwuchsen unserem Volke die herrlichsten Früchte, die höchsten natio nalen Güter. Freuet Euch derselben! so lautet die zweite Aufgabe, die Euch der Tag von Sedan stellt. Liebe Schülerinnen! Mit Kaiser Rotbart war des Reiches Herrlichkeit hinabgestiegen unterird'sche Schloß und wollte, obgleich Hunderte vergingen, nicht wiederkommen. Die alten, krächzenden Raben umzogen immerdar den Berg. Allein das laute Krachen der Schlachten, Hnk^äkserNVm^^ Dir!" An dem Tage, da vor 170 Jahrm Friedrich I. die preußische KöniaSkrone auf sein Haupt gesetzt, an diesem denkwürdigen Tage feierte das neue deutsche Reich seine Auferstehung. Freuet Euch derselben! Bald darauf diktierte der eiserne Kanzler, der Politiker ühne Gleichen, den Frieden, und nun setzt der Fürst, der gewaltige Staatsmann, alle seine Kräfte daran, den Auf- und Ausbau des neuerstandenen Reiches zu leiten. Der Main, der so lange Deutschland in einen Norden und in einen Süden geschieden, der Rhein, von dem Arndt so laut gesungen, daß er „Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze" sei, und Elsaß-Lothringen, unsere alte grüne Westmark, die das Vaterland zwei lange Jahrhunderte hindurch vermißt und beklagt hat: alles einigte sich jetzt, da in eines jeden Brust das Gefühl der Zusammengehörigkeit sich auf das lebhafteste regte, nach Wunsch und Willen. Deutschland blieb einig und gewann das Größte, eS gewann sich selbst und damit die Kraft, sich nach außen und innen gleichherrlich zu entfalten. Freut Euch dieses großen Erfolges! Wie unser Leldenkaiser in seiner Proklamation an das deutsche Volk gesagt: „Uns aber und Unseren Nachfolgern in der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, Allezeit Mehrer des deutschen Reiches zu sein, nicht in kriegerischen Eroberungen, sondern in den Werken des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Ge sittung!" so ist es in den 16 Jahren seiner Kaiserlichen Regierung geschehen, und so wird es auch in Zukunft bleiben. Die hohe Staatsregierung ist fort und fort besorgt, den Wohlstand des Volkes zu heben; sie setzt alle Kraft daran, das soziale Uebel zu heilen; sie stärkt und vermehrt unsere Flotte; sie ist bestrebt, die Leistungsfähigkeit der erworbenen Kolonien und Schutzgebiete zu erhöhen; sie unterhält die denkbar schnellsten Schiffs-Verbin dungen mit den außereuropäischen Ländern; kurz überall ergreift sie Mittel und Maßnahmen; um Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft auf das mächtigste zu fördern und des Landes Wohlstand zu vermehren. Freuet Euch einer solchen Regierung! Eine solche That und Maßnahme ist auch unser — Heer. Der Kaiser sorgt, daß die Schlagfertigkeit, die Leistungsfähigkeit der Armee sich von Jahr zu Jahr erhöhe, nur um des Friedens willen. Unser Nachbar im Westen, der Franzose, ruft, von Thorheit und Ruhm sucht geblendet, nach Revanche, und unser Nach bar im Osten, der Russe, ist neidisch auf „des einigen deutschen Reiches nimmer geahnte Pracht"^) und mißachtet aus Groll die durch die Zeiten geheiligten Rechte der Deutschen, die in seinem Lande rechtschaffen arbeiten. Um diesen Nach bar zum Frieden zu zwingen, heißt es, das deutsche Geld nur in den Dienst des Vaterlandes stellen. Deutsches Geld in russischen Werten anlegen, heißt den Feind gegen das eigene Vater land rüsten. Das wirksamste aller Mittel, den Frieden zu erhalten, ist und bleibt Gottes gnädiger Beistand. Ihm verdanken wir es, daß im Osten wie im Westen die den Krieg auf's eifrigste anschürenden Männer stumm und machtlos geworden. Skobelew ist gestorben, Gambetta ist tot; Katkow ist begraben und Boulanger des Ministerpostens entsetzt. So hat Gott bis hier her geholfen; er wird auch weiter helfen, wenn wir m unseren Gedanken, Worten und Werken deutsch verbleiben. Deshalb, liebe Schülerinnen, verlangt der Sedantag von Euch: Uebet deutsche Tugend. Ein Händedruck — ein Eid; ein Wort — ein Mann. Diese Gewissenhaftigkeit und Ehrlich keit im Reden und Handeln, diese deutsche Wahr haftigkeit sei Euer aller Stolz. Seid wahr gegen Euch, gegen jedermann und gegen das Vaterland. Wo das erste Menschenauge sich liebend über Deine Wiege neigte, wo Deine Mutter Dich zuerst mit Freuden auf dem Schooße trug und Dein Vater Dir die Lehren der Weisheit und des Christentums in'S Herz grzch:- Da isVDein Vaterland, Dein Vaterhaus;, da Ist' DtzmäTiebe«). „O lieb', so lang' Du lieben kannst, O lieb', so lang^ Du lieben magst, Die Stunde kommt, die Stunde kommt. Wo Du an Gräbern stehst und klagst"'). ') Hermann Hölty. " ') Vgl. Moritz Arndt. h Ferdinand Freiligrath. „ > in's obgleich Jahr ¬ alten, krächzenden Raben umzogen immerdar den Berg. Allein das laute Krachen der Schlachten, die Schlag auf Schlag auf Frankreichs Erde fielen, hat die Raben verscheucht, und, wie wunder bar, gerade da, wo seit den Tagen Richelieu's so viele Pläne zur Erniedrigung Deutschlands gefaßt und wo so viele bildliche Darstellungen an die Zeiten seiner Schmach und Zerrissenheit erinnern, geradeDa trasi.AMgeprn^orr treuen Fürsten und gewaltigen Recken, der 74t jährige Held, frisch und rüstig wie ein Jipsgling hervor, angethan mit Purpur und auf dem Haupte die alte, in neuem Glanze strahlende Kaiserkrone, und alles Volk jubelte laut und rief: ') Ferdinand Freiligrath.