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zu walten. Kaiser Wilhelm selbst hat diese Frage schon scherzend an sich selbst gerichtet und sie ist ihm auch in seltsamer, wunderbarer Weise beant wortet worden. Bor 3 Jahren kam nach Berlin, um hier bei Hose vorgestellt und in die Gesellschaft eingeführt zu werden, eine junge Dame aus Siebenbürgen, aus altadeligem, gräflichen Geschlechte stammend, eine Nichte des österreichischen Botschafters Grafen Szechenyi. Bildschön und erst 17 Jahr alt, von bezaubernder Anmuth und Liebenswürdigkeit, erschien die junge Comtcsse noch besonders interessant durch den ihrem Eintritt in die hohe Gesellschaft voraus gegangenen Ruf, daß sie eine merkwürdig sensible Natur sei, häufig Visionen habe, in Verzückungen verfalle und — die Zukunft Vorhersagen könne. Einst sprach man in einer Gesellschaft bei Hofe von diesem seltsamen siebenbürgischen Naturkind, und auch Kaiser Wilhelm hörte bei dieser Gelegenheit von demselben. Als die junge Dame bald darauf in Berlin eintraf und bereits drei Tage nach ihrer Ankunft anläßlich einer kleinen Hoffestlichkeit dem Monarchen vorgestcllt wurde, da wandte sich dieser in gewohnter Liebens würdigkeit zu ihr und richtete mit huldvollem Lächeln folgende Frage an sie: „Nun, Comtesse, was habe ich denn für meine alten Tage noch von der Zukunft zu erwarten?" — Da ergriff die schöne siebenbürgische Gräfin die ihr entgegen gestreckte Hand des Kaisers, warf einen kurzen prüfenden Blick in die innere Fläche derselben und sagte mit ruhiger, tonloser Stimme: „Ich sehe ein Alter von 96 Jahren " kaum war dieses Wort gesprochen, als Kaiser Wilhelm sichtlich betroffen zurückfuhr und seine Gesichts züge einen so ernsten Character annahmrn, daß den Umstehenden das Lächeln auf den Lippen erstarb und die Siebenbürgerin einen Augenblick innehielt. Kein Zweifel, den Monarchen hatte diese Prophezeiung peinlich, wenn nicht gar schmerzlich berührt. Gleichwohl bezwang er bald die unangenehmen Gedanken, die sich ihm auf gedrängt zu haben schienen; er lächelte über den „Scherz" der Comtesse und unterhielt sich noch längere Zeit anscheinend in bester Laune mit ihr unter vier Augen, während die übrigen Anwesenden zur Seite getreten waren. Bald darauf trennte sich die Gesellschaft und Manche wollten die Beobachtung gemacht haben, daß der Kaiser, trotz äußerlicher Heiterkeit doch innerlich recht ernst gewesen sei. — Monate waren hierauf vergangen, die Episode mit der schönen, jungen siebenbürgischen Gräfin war vergessen, als eines Abends vor einem sehr kleinen und intimen Kreise der Kaiser selbst darauf zurückkäm und unaufgefordert erzählte, warum ihn jene Prophezeiung unwillkürlich so sehr betroffen gemacht habe. Kaiser Wilhelm erzählte — wie dem „Wiener Tageblatt" entnommen wird — ungefähr Folgendes: „Es war im Jahre 1863 während unseres Aufenthalts in Baden- Baden; es war jene politisch schwere, gewitter schwangere Zeit, als wir Oesterreichs Aufforderung zum deutschen Fürstentag abgelehnt hatten. Bis marck und ich hatten Tag und Nacht gearbeitet und statt wir uns in Baden-Baden erholten, kamen wir aus Arbeit und Aufregung nicht heraus. Eines Tages nach dem Frühstück beschlossen wir auf meinen Vorschlag uns eine Zerstreuung zu gönnen, die in einer Ausfahrt und in einem Picknik im Walde bestehen sollte. Wir waren eine große Gesellschaft, Herren und Damen, Jung und Alt, auch Bismarck war dabei. Nachdem wir eine Strecke gefahren waren, ver ließen wir die Wagen und vertieften uns zu Fuß, nur von wenig Dienerschaft begleitet, in eine der herrlichen Waldunyen in Baden-Badens Umgebung. Dann lagerten wir uns und ließen uns die mit gebrachten Speisen und Getränke köstlich munden. Plötzlich wurden wir in unserer WaldeSeinsamkeit durch eine Zigeunerin überrascht, die Beeren und Kräuter sammelte. Der junae, übermüthige Graf N . . . warf ihr ein Goldstück zu und ließ sich zur größten Heiterkeit aller Anwesenden wahr sagen. Sein Beispiel fand Nachahmer und schließlich kam die Frau auch zu mir. Ich wieß sie zurück, aber sie war sehr hartnäckig und ich ließ sie endlich gewähren. Ihre Prophezeiung lautete ungefähr: Ich sehe eine große Krone, ick sehe viel Blut und Krieg, Sieg und Lorbeer, und ich sehe ein — Alter von 96 Jahren. An diese Boraussagung mußte ich denken, als neulich die keine Siebenbürgin mir gleichfalls von den 96 Jahren fabelte. Jene Zigeunerin wußte nicht, daß sie den preußischen König vor sich hatte, und die schöne Comtesse kann mit ihren 17 Jahren auch nicht von der Prophezeiung der Zigeunerin gewußt haben. Das stimmte mich momentan «frust, dann aber mußte ich recht herzlich darüber lachen."—So ungefähr erzählte KaiferWilhelm. Hoffentlich haben sich aber beide Prophetinnen verzählt und Kaifer Wilhelm feiert in gleicher Frische wie heut seinen hundertsten Geburtstag. — Als Altersgenosse des deutschen Kaisers feierte Herr Lehrer Sachs in Hundsbach Unterfranken) am 22. März das Fest feines 90. Geburtstages. Der Jubilar ist noch rüstig und munter und hält bis zum heutigen Tage noch mit ungeschwächten Kräften seine Schule. — Aus Anlaß des 90. Geburtstages des Kaisers Wilhelm veröffentlicht die neueste Nummer der in Berlin erscheinenden „Statistischen Corre- spondenz" eine Uebersicht der im Umfange der preußischen Monarchie lebenden Personen, welche das 90. Lebensjahr überschritten haben. Es er- giebt sich aus dieser Zusammenstellung, daß im preußischen Staate gegenwärtig noch über 5600 solcher Personen vorhanden sind, von denen mehr als 200 sogar mindestens zehn Jahre älter sind als der Kaiser. In allen Provinzen kommen Personen im Alter von 90 bis 95 Jahren noch in ziemlich beträchtlicher Zahl vor, ältere Per sonen dagegen namentlich häufig in den Provinzen Posen, Schlesien vorzugsweise im Regierungs bezirke Oppeln), Westprcußen und Ostpreußen. In Berlin, Sachsen und Hohenzollern wurden über 100 Jahre alte Personen gar nicht ermittelt. Bei der Volkszählung am 1. December 1885 wurden in Preußen gezählt: 13 Männer und 7 Frauen, welche 106 Jahre alt waren; 2 Männer und 10 Frauen von 107 Jahren, 3 Männer und 2 Frauen von 108 Jahren, 1 Mann und 4 Frauen von 109 Jahren, 5 Frauen von 110 Jahren, 2 Männer und 1 Frau von 111 Jahren, 2 Frauen von 112 Jahren, 1 Frau von 115 Jahren, 1 Frau von 117 Jahren, 1 Mann von 118 und 1 Mann von 120 Jahren. — Wie aus Minden berichtet wird, sind am 23. März bei Votho von sechs auf einem Moor schiffe befindlichen Schiffern vier in der Weser ertrunken. — Fast doppelt so viele Personen, als das deutsche Reich Einwohner zählt, sind im Jahre 1886 von der Großen Berliner Pferdeeisenbahn befördert morden, nämlich 85,500,000 Personen. — Breslau, 23. März. Der nördliche Thurm der Maria-Magdalenenkirche ist bis au die untersten Umfassungsmauern vollständig aus gebrannt. Die Feuerwehr ist noch mit dem Ablöschen beschäftigt. Unglücksfälle sind nicht vorgekommen. Die durch Müllers Gedicht: „War einst ein Glockengießer zu Breslau in der Stadt" weitbekannte sogen. „Armensünderglocke", deren 500jähriges Jubiläum im vorigen Sommer be gangen worden ist, hat von dem Brande gar nicht zu leiden gehabt, da sie in dem vom Feuer verschont gebliebenen südl. Thurme aufgehängt ist. — Aus Thüringen, 20. März. In Tannrode flog vorgestern die Pulvermühle in die Luft. Die Erschütterung war eine so colossale, daß man in dem 2 Stunden entfernten Kranichfeld an ein Erdbeben glaubte. Die Arbeiter der Mühle waren zum Glück während der Catastrophe in dem 25 Dieter entfernt gelegenen Wohnhaufe, wo sie ruhig beim Mittagessen saßen. Es sind eigentlich zwei Explosionen zu verzeichnen. Zuerst flog das eigentliche Pulveretablissement in die Luft, woselbst nur eine geringe Menge Pulver lagerte. Sodann wurden gegen 50 Centner Pulver,die imsogenannten Pulverhäuschen lagerten, entzündet. Es folgte ein zweiter, furchtbarer Schlag, der ungeheure Verwüstungen angerichtet hat. Die Gebäude sind natürlich vollständig demolirt, wie von Kanonen in Trümmer geschossen. Die stärksten Bäume in der Nähe wurden aus der Erde gerissen und wie dünne Neste weit fortgeschleudert; die Erde ist tief aufgewühlt; das in der Nähe lagernde Scheitholz wurde über 1 Kilometer weit fortgeführt. Der Schrecken über dieses Ereigniß war ein grenzenloser. — Ein bedauernswerther Fall unschuldiger Verurtheilung wird aus Zweibrücken gemeldet. Durch schwurgerichtliches Urtheil vom 14. Mär» 1884 wurde der damals 24jähr. Winzer Jacob Mayer von Grethen wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode zu 8 Jahren Zuchthaus ver- urtheilt, welche, Strafe er seit dem 17. März 1884 in der Strafanstalt Kaiserslautern verbüßte. Nunmehr hat sich, durch Gewissensbisse getrieben, der Bruder des Mavrr als Thäter bekannt. In folgedessen wurde der Verurtheilte freigesprochen u. sein Bruder zu 8»/, Jahren Zuchthaus verurtheilt. — Ein frecher Ubrenraub fand in der Nacht zum Sonntag bei dem Uhrmacher Hegest in Augsburg statt. Dir Dirb« stabstnIturÄ« neue Uhren im Wtrthe von 10,800 M pm>M> N. Baargeld. Auch fehlen die Geschäftsbücher. Bon deft Thätern hat man keine Spur. — Aus Reichenberg in Böhmen, 22. März, wird berichtet: Der seit zwei Tagen wüthenoe Orkan hat in der Umgegend an Häusern, Bäume« re. erheblichen Schaden ungerichtet. In HeinerS- )orf (Bezirk Friedland) ritz derselbe einen Theil »es Dampfkamines für die große mechanische Weberei der Wollwaarenfirma E. Heintschel um» Co. nieder und wurden hierbei die Dächer von 2 Gebäuden und des DampfstsselhauseS durch geschlagen, wodurch der Betrieb auf einige Tage ' gestört ist. Glücklicherweise geschah dieser Unfall erst um 9 Uhr Abends, als die Arbeiter die Fabrik bereits lange verlassen hatten. Im Wall fahrtsorte Haindorf bei Liebwerda (Bezirk Fried land) warf der Sturm den oberen Theil des Kirchthurmes herunter. — Wien, 22. März. Gestern Abend gegen halb zehn Uhr wurde in Sanct Veit, unweit Krems, ein Erdbeben mit lautem Getöse ver nommen. In Baden bei Wien wurde zu gleicher Zeit ein heftiger Erdstoß verspürt. Auch in Travnik (Bosnien) fand am 24. März, morgens um 3 Uhr ein leichtes Erdbeben statt, wenige Minuten später folgten zwei stärkere Stöße mit unterirdischem Getöse. (Hiermit ist abermals aufs Frappirendste die Falbsche Erdbebentheorie be stätigt; in seinen kürzlich in Berlin gehaltenen Vorträgen hatte Rudolf Falb bekanntlich betont, daß um den 24. März neuerliche Erdstöße zu erwarten seien. Auch der gewaltige Witterungs- umscklag der eingetreten, sowie die orkanartigen Stürme, sind auf die um den „kritischen Tag" des 24. d. M. unvermeidlichen atmosphärischen Umwälzungen zurückzuführen.) -- In dem ital. Städtchen San Marco (Provinz Foggia) wurde eine ganze Familie, auS fünf Personen bestehend, ermordet aufgefunden. Die erwähnte Familie stand im Verdachte, einige verborgen gehaltene Socialisten der Polizei ver- rathen zu haben. Bischofswerda, 24. März. Dem rühmenswerthen und allerwärts sich kund gebenden Wetteifer, das neunzigste Geburtsfest Sr. Maj. unseres hochverehrten Kaisers in angemessener und würdiger Weise durch eine besondere Feier öffentlich zu begehen, konnte sich der hiesige Militär- sowie der hiesige deutsche Reformverein um so weniger entziehen, je mehr dieselben bestrebt sind, Vaterlandsliebe und Treue zu Kaiser, König und Reich angelegentlich zu pflegen. Zu diesem Zwecke versammelten sich gedachte Vereine nebst zahlreichen Gästen am Kaiserlichen Geburtstage Abends in den Sälen des Gasthofes zur goldenen Sonne. Das Fest ward mit den Klängen eines Jubelfestmarsches eröffnet, worauf der Vorstand des Militärvereins, Herr Kaufmann Klemm, mit einer kurzen, aber markigen Rede die Festversammlung herzlich begrüßte und unter Hinweis auf die wichtige Bedeutung und die Unvergleichlichkeit des in der Geschichte einzig dastehenden Jubelfestes zu einem Hoch auf das mit seinem Kaiser jubilirende deutsche Vaterland feurig aufforderte, welchem Rufe auch von der ganzen Versammlung ein- müthig entsprochen wurde. Der Allgemeingesang „Deutschland, Deutschland über Alles" bot jedem Gelegenheit, seinen Empfindungen Ausdruck zu geben. Die Feier gipfelte in der vom hiesigen Oberpfarrer Hrn.vr. Wetzel gütigst übernommenen Festrede. Durch Bilder aus dem langen und wechsclreichen Leben des Kaiserlichen Jubelgreises wußte der Herr Festredner den musterhaften Charakter dieses gottgesegneten Herrschers außer ordentlich zu veranschaulichen und dadurch alle Festgenossen zu einem in inniger Liebe und Bewunderung jauchzend dargebrachten Hoch auf unfern erhabenen Kaiser und Herrn zu entflammen. In gleicher Weise wurden alle Herzen tief ergriffen, als der Vorsitzende des Reformvereins, Herr Blumenfabrikant Gräfe, ein in längerer Rede wohlbegründetes Hoch auf die Einigkeit de» deutschen Volks ausbrachte und später eine da» seltene Fest betreffende hocherhebende Dichtung deS Ab«ock>neten vr. Cremer wirkungsvoll vor trug. Die vortrefflichen Leistungen der Sänger de- Militärverein», sowie eine- keinen, aber wackeren Musikorp» und zweier tavftrtn Piano spieler, endlich die passend eingeflochtenen W- aemeivgesänge waren wohlaeeignet, in reichem Wechsel den festlichen Abend zu würzen. Boll befriedigtdürfte jedem Festtheilnehmer da» herrsche Fest unvergeßlich bleiben.