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PolUischr Welisch-«. Die qn die deutsche ReichStagSwahl geknüpfte 'Erwartung einer hervorragenden Bekundung nationalen Sinnes durch die Mehrheit des deutschen Volkes ist in schönster Weise erfüllt worden. Die -ergreifende Aufforderung vr. Miquels: „DeS Kaisers Herz ist ttaurig, machen Sie eS wieder fröhlich!" fand lebhaften Wiederhall in zahllosen treuen Gemüthern. In vielen Orten vergast man allen Partehwist, um Schulter an Scyulter mit früheren politischen Gegnern gegen Diejenigen zu Wuchsen, welche der ReichSregierung die von ihr zum Schutze des Reiches verlangte Vermehrung der Wehrkraft versagt, »der doch die Bewilligung an unannehmbare Bedingungen geknüpft hatten. Diesmal gebührt den mittel- und süddeutschen Staaten das Verdienst, in dem Wahlkampfe in vorderster Reihe gestanden und am entschiedensten gesiegt zu haben. Mit einem kräftigen Ruck ent ledigte sich das Königreich Sachsen seiner bisherigen sechs socialdemokratischen Vertreter im Reichstage und die vielen aus dichtbevölkerten sächsischen Arbeiterkreisen für die Candidaten der Ordnungs parteien abgegebenen Stimmen beweisen klar und deutlich, daß sich der ehrliche und treue Sinn der sächsischen Arbeiter von der socialdemokratischen Partei nicht mehr blenden läßt, seitdem dieselbe sich dazu verstand, aus allen Ländern, selbst aus dem feindlichgesinnten Frankreich Geldmittel für -ihre Wahlagitation anzunehmen. Die ganze Pfalz wählte nationalliberale Vertreter; überhaupt fielen die Wahlen in Süddeutschland derartig aus, daß diesem Thcile des Reiches Niemand mehr den Borwurf des Partikularismus machen darf, welcher letztere als ein überwundener Standpunkt angesehen werden muß, wenn es sich um das nationale Ge fühl, um das Einstehen für die heilige Sache des gesummten deutschen Vaterlandes handelt. Ent täuschend für den wahren Vaterlandsfreund ist eigentlich nur das Wahlergebniß in Elsaß-Loth- ringen, wo trotz des günstigen Ausfalls verletzten Gemeindewahlen in den Reichslanden und trotz der ernsten Warnung des Statthalters Fürsten Hohenlohe, sämmtliche Protestcandidaten durch gekommen sind. Der Jubel, welchen diese Wahl ergebnisse in Paris erregten, wird wesentlich dazu dienen, die deutsche Regierung zu überzeugen, daß die von dem verstorbenen Statthalter v. Manteuffel in Elsaß-Lothringen eingeleitete Politik der Ver söhnung den offenen und versteckten Franzosen freunden in den Reichslanden gegenüber undurch führbar ist und daß den feindseligen, die Land- und Fabrikbevölkerung terrorisirenden Elementen gegenüber endlich Ernst gemacht werden muß. Wie wenig bei erbitterten Gegnern mit Milde aus gerichtet wird, zeigt auch der Umstand, daß von allen septennatsfeindlichen Parteien das ultra montane Centrum am wenigsten bei den Wahlen eingebüßt hat, trotzdem Kaiser und Papst sich über dieKirchenpolitikinPreußenfreundlich verständigten und damit für die früheren Anhänger des Centrums fast jeder Grund entfiel, principielle Gegner der Reichsregierung abermals zu ihren Vertretern zu wählen. In 397 Wahlkreisen sind 334 Abgeordnete definitiv gewählt, die Ergebnisse von drei Kreisen noch unbekannt und 60 Kreise zu Stichwahlen gcnöthigt, deren Ergebniß nicht vor dem 10. März festgestellt werden kann, trotzdem der deutsche Reichs tag schon zum 3. März einberufen ist. Da bei den Stichwahlen 56 Verfechter des Septennats und nur 28 Deutsch-Freisinnige in Frage kommen, ist noch eine wesentliche Stärkung der nationalen Parteien zu erwarten. Auch ohne diese weitere Vermehrung der Septcnnatlisten ist nach dem Ausfall der Reichstagswahl vom 21. v. M. die glatte Annahme der Militärvorlage vollständig gesichert. Es läßt sich außerdem schon jetzt un schwer voraussehen, daß nach dem Wahlerfolg der uationalliberalen Partei dem hervorragendsten Führer derselben, Rudolf von Bennigsen, eine der ersten Stellen im Reichstagspräsidium zufallen wird. — Dem preußischen Herrenhause ist am Dienstag der neue Gesetzentwurf über die Ab änderungen der kirchenpolitischen Gesetzezugegangen, welcher alle Wünsche der katholischen Bevölkerung Preußens erfüllt, soweit dies nur irgend thunlich ist. Die nltramontane Presse spricht sich zwar noch immer nicht voll befriedigt aus, aber der Centrumsführer Windthorst und seine Freunde Haben dennoch mit Rücksicht auf diese neuen Zu geständnisse diesmal im preußischen Abgeordneten hause dem CultuSetat zugestimmt, ohne dabei wie sonst eine Culturkampfdebatte anzuregen. Eine so schnelle Abwickelung des Etats, namentlich seiner schwierigeren Theile, des Etats der Verwaltung de« Innern und des CultuSetatS, ist noch nie ;uvor im preußischen Abgeordnetenhaus« dagewesen, I ms dadurch im Stande sein wird, schon in der I nächsten Woche die gesammte EtatSberathung in I dritter Lesung vollständig zu erledigen. Im österreichischen Abgeordnetenhause ist der von der Regierung für die Ausrüstung der Landwehr und des Landsturms verlangte Credit von 12 Millionen Gulden unter lautem Jubel einstimmig angenommen worden, nachdem der LandesvertheidiaungSminister von WellerSheimb wacker für die Vorlage eingetreten war und die Abg. Polak, KrauS, Menger, Rieger, Kreuzer, v. Plener und Graf Hohenwart im Namen ihrer Gesinnungsgenossen derselben ihre Zustimmung zu gesagt hatten. Der Behauptung des panslavistffchen Blattes, daß man in Moskau die Spuren eines österreichischen Spions entdeckt habe, traten die Wiener Regierungsblätter mit bemerkenSwerther Schärfe entgegen. Nicht minder schneidig wider legte der „Pester Lloyd" die Behauptung, daß Oesterreich-Ungarn einer etwaigen Occupation Bulgariens durch Rußland sich nicht widersetzen werde. Das ungarische Blatt machte darauf auf- merkfamj, daß im Falle einer Occupation sich Rußland erst den Durchzug durch Rumänien er zwingen müßte, daß dem Seetransporte russischer Streitkräfte nach Bulgarien die Engländer einige Hindernisse in den Weg legen dürften, daß infolge all' dieser und noch anderer Umstände Rußland nur ein kleines Occupationsheer nach Bulgarien entsenden könnte, mit welchem die Bulgaren allein fertig würden. Es sei also gar nicht unbedingt nothwendig, daß „Oesterreich-Ungarn gegen eine russische Armee in Bulgarien operire." Der Aus gleich zwischen Oesterreich und Ungarn machte in den letzten Tagen erfreuliche Fortschritte. Die beiden Regierungen werden nun in Verhandlungen über die Reform der Spiritussteuer eintreten; es scheint, daß der österreichische Finanzminister von Duna- jewski der Erhöhung dieser Steuer gleich der ungarischen Regierung zuneigt. Während man am Mittwoch in Italien die Vervollständigung des neuen Cabinets Depretis bestimmt erwartete und demselben im Voraus die Bezeichnung „Aschermittwochs-Ministerium" bei legte, erfolgte an diesem Tage die überraschende Ankündigung, daß Depretis auf die Neubildunc des Cabinets verzichtete und dem König Humber anrieth, den Grafen Robilant mit dieser Aufgabe zu betrauen. Der italienische Monarch soll ent schieden erklärt haben, das neue Cabinet müsse die auswärtige Politik Robilants verfolgen und sich eng an Oesterreich und Deutschland anschließen. Ein hervorragendes Mitglied der Linken, welches Aussicht gehabt, mit der Mission zur Neubildung betraut zu werden, erklärte darauf, unter solchen Bedingungen den Eintritt in das Ministerium ablehnen zu müssen. Ein römischer Correspondcnt der „Temps" versichert, die Combination Depretis sei nur deshalb gescheitert, weil sich der König weigerte, den Israeliten Luzatti zum Unterrichts minister zu machen. Der Senatspräsident Durando hat dem Monarchen angerathen, ein Geschäfts ministerium zu bilden und die italienische Kammer aufzulösen. — Die Kämpfe um Massauah sind eingestellt; zu einem Friedensschluß mit Ras Aelula ist es aber noch nicht gekommen. — Italien wurde von einem Erdbeben heimgesucht, welches viele Orte in großen Schrecken versetzte und auch wesentlichen Schaden anrichtete. In dem bei San Remo ge legenen Orte Bajardo stürzte die Kirche ein; die Zahl der dabei verschütteten Personen wird au 300 angegeben. Auch in Oneglia und Diano Marina (Provinz Maurizio) wurden viele Personen unter den Trümmern ihrer Häuser begraben. In Frankreich war man hochentzückt über den Ausfall der Wahlen in Elsaß-Lothringen und verkündeten die meisten Pariser Blätter, daß die öffentliche Meinung in Frankreich niemals einem Staatsoberhaupt oder einem Ministerium einen Verzicht auf Straßburg und Metz gestatten werde. Die inzwischen durch den Petersburger „Herold" wieder etwas abgeschwächten Artikel russischer Blätter, welche unverblümt für ein russisch französisches Bündniß eintraten, machten in Paris tiefen Eindruck. Indessen billigten eS die dortigen Friedensfreunde dennoch, daß die Polizei die russischen Fahnen und die provocirenden Transvarente von den Fenstern der Bureaux des Hetzblattes „Re vanche" gewaltsam entfernte und daß der Chef redakteur Pevramont verhaftet und wegen staats gefährlicher Manöver in Anklagestand versetzt wurde. Die englischen Blätter äußerten sich mit großer Befriedigung über die Ergebnisse der Wahlen zum deutschen Reichstage. Die „TimeS" erblickte in der Wahl einer dem Septennate günstigen Mehrheit eine Bürgschaft des Friedens. Der „Standard" sagte, «an Rane die Hoffnung Laß eins der ersten Ergebnisse d* Wählst^ der deutschen Regierung die Beschwichtigung der europäischen Besorgnisse sein »erde. Weit weniger zufrieden sprachen sich die russischen Blätter über die Erfolge der Sep- tennatSparteien auS: so schreibt z. B. das Journal „Nowosti", daß nun Fürst B smarck seine bis herige Politik gegenüber Frankreick noch ener gischer fortfühün und damit die anderen Mächte zwingen werdet beständig Gewehr bei Fuß zu bleiben. Die russischen Regierungsorgane sucken jedoch seit einigen Tagen ihre Landsleute wieder zu beschwichtigen, weil die Erklärung des „Nord", daß Rußland Bulgarien zunächst unbeachtet lassen und den Rhein im Auge behalten müsse, von Berlin aus die schneidigste Abfertigung er fahren hat. Anscheinend ist der russische Einfluß bei den türkischen Ministern im Schwinden begriffen. Die Pforte lehnte jede weiteren Verhandlungen mit dem Rusienfreund Zankow ab und ertheilte dem Generalprocurator am CassationShofe, Riza Bey, den Auftrag, als außerordentlicher Com- missar des Sultans nach Sofia zu gehen. Der Umstand, daß der bulgarische Delegrrte Grekow Riza Bey nach Sofia begleitet, läßt hoffen, daß die Pforte auf dem Punkte steht, sich mit der bulgarischen Regentschaft zu verständigen. Berlin, 28. Febr. Die „Nordd. Allgem. Ztg." meldet: Se. Majestät der König von Sachsen wird zum Geburtstag Sr. Majestät deS Kaisers und Königs gleichfalls nach Berlin kommen. Ebenso wird auch ein italienischer Prinz, als Vertreter des Königs Umberto von Italien, zur Gratulation hier erwartet. — Der Erzherzog Rudolf, Kronprinz von Oesterreich- Ungarn, trifft, wie schon gemeldet, am 16. März Abends in Berlin ein. Ueber die Ankunftszeit des Prinzen von Wales, sowie des Großfürsten Michael Nikolajewitsch von Rußland, des Oheims Kaiser Alexanders, und der Großfürstin Vera von Rußland, des Kronprinzen und der Kron prinzessin von Schweden sind noch keine defini tiven Nachrichten hierher gelangt. Außerdem werden zum Geburtstage Sr. Maj. des Kaisers noch hier erwartet; der Großherzog und die Großherzogin von Baden, der Großherzog von Hessen, der Großherzog und der Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar und andere Fürstlichkeiten. Wie es laut der „Post" in unterrichteten Kreisen heißt, wird dieEröffnung des Reichs tages durch den Fürsten v. Bismarck erfolgen. Fürst Bismarck veröffentlicht in der „N. A. Ztg." folgenden Dank: Die Zahl der Kund gebungen, welche mir aus Anlaß der Reichstags wahlen von befreundeter Seite zugegangen sind, ist in der jüngsten Zeit so angewachsen, daß es mir nicht möglich bleibt, sie im Einzelnen zu beantworten. Ich erlaube mir daher auf diesem Wege für die mir zugegangenen Beweise wohl wollender und patriotischer Gesinnung meinen verbindlichsten Dank auszusprechen, v. Bismarck. Einer Anzahl Mitglieder des Magistrats collegiums in Stettin ist eine disciplmarische Warnung wegen dienstwidrigen Verhaltens vom Regierungspräsidenten von Wegner zugegangen, weil dieselben einen freisinnigen Wahlaufruf unter zeichnet und ihrem Namen den Amtscharacter bei gefügt haben. Die Wahlen, nach den Landestheilen zu- sammengestcllt, zeigen folgendes Bild: Der Berliner officiöse Korrespondent de» „St. Petersburger Herold" behauptet, man glaube in Berlin an den Rücktritt BoulangrrS und in» Cartellparteien. Gegner. Stichwahlen. Ostpreußen 14 2 1 Westpreußen 6 4 3 Brandenburg 17 2 7 Pommern 13 — 1 Posen 2 11 2 Schlesien 12 18 5 Sachsen 12 1 7 Schleswig-Holstein 3 3 4 Hannover 13 3 3 Westphalen 8 9 — Hessen-Nassau 7 4 3 Rheinprovinz 5 27 4 Baiern 12 31 5 Sachsen 21 — 2 Württemberg 13 4 — Baden 12 2 Hessen 7 1 1 Mecklenburg 4 — 3 UebrigeKlemstaaten 15 4 S Reichsland — 15