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1878 Sonnabend, den 26. October lyreiunddreißigst« Jahrgang. Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt -er Kgl. Amtshauptmannschaft und -er Kgl. Schulinspection zu Kautz,n, sowie -ro Bön'lliiti'tn Verichtsamteo und des Stadtralhes zu Kischofswerda. Es giebt kaum ein besseres Mittel, die Un zufriedenheit mit der bestehenden Gesellschaftsordnung zu beseitigen und die erhaltenden Kräfte des StaatS- lebcns zu stärken, als ein, wenn auch noch so kleiner Besitz für alle Staatsbürger. Wer erst einen kleinen Besitzstand erlangt hat, wird eineStheilS daran eine gute Hilfe in dem Kampfe um das Dasein haben, andcrnthcils die Hoffnung und den Sporn, allmählich durch Fleiß und Sparsamkeit zu einer weitern Verbesserung seiner Lage zu kommen, und endlich auch einen Gegenstand der Aufmerksamkeit, welcher ihn davon abhält, über großen und weitgehenden Weltverbesserungsplänen das Nächstliegende, das. rüstige Schaffen für sein und der Seinigen Wohl, außer Augen zu lassen. Wer erst selbst etwas er übrigt hat, wird nicht so leicht bereit sein, mit den socialdemokratischen Agitatoren den Sprung in das Finstere zu machen, wie Derjenige, welcher nichts zu verlieren hat. Schulze-Delitzsch hat das schon längst richtig erkannt und schon vielfach auf die hierin liegende Mission der Spar- und Vorschuß-Vereine hingewiesen. Nun ist es aber mit dem Sparen ein eigenes Ding. Der Anfang ist immer das Schwerste; Jeder weiß, daß die ersten Hundert Mark sich schwieriger er sparen lassen, als von da ab fünf hundert Mark, und viele unserer Arbeiter kommen zu diesen ersten hundert Mark ihr ganzes Leben lang nicht. Wenn man gerecht sein will, muß man auch anerkennen, daß cS für einen Familienvater in vielen Fällen schwer genug sein mag, von seinem Arbeitslöhne etwas zurückzulegen. Wenn unser Arbeiter sonach zu einem Besitz stände kommen soll, so wird also der größte Werth auf den Anfang des Sparens zu legen sein. Dieser Anfang wird zu einer Zeit gemacht werden müssen, in welcher der Arbeiter noch nicht für eine Familie zu sorgen hat, in den frühen Iugenvjahren. In vielen Arbeitsbranchen bekommt der 18 jährige den selben Lohn, wie der 40 jährige, welcher Frau und Kinder davon zu ernähren hat; aber bleibenden Nutzen hat der junge Arbeiter von seiner günstigeren Stellung gegenüber dem verheiratheten Collegen nur selten. Er verjubelt sein Geld in Schänken Diese Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwoch« und Sonnabend« und kästet einfchlie-lich de« Sann, abends erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich 1 Mark bv Pfg. (IS Ngr.). Inserate werden bl« Dienstag« und Freitags früh k» Uhr angenommen. oder noch auf schlimmere Weise, er gewöhnt sich an Bedürfnisse, welche er später nur selten und mit großer Ucberwindung ablegcn kann, er gründet sich vorzeitig einen Hausstand. Die Fälle, in welchen Arbeiter mit Ersparnissen aus der Junggesellenzeit in die Ehe treten, sind äußerst spärlich gesäet. Es sind uns Vorschußvereine bekannt, welche unter 800 Mitgliedern nur 30 junge Handwerksgesellen und Arbeiter haben, und zu den meisten öffentlichen Sparkassen stellen neben den Kindern Frauen und Mädchen ein viel stärkeres Contingent als die jungen Männer. Die Lust am Sparen ist bei uns in Deutschland überhaupt viel geringer als in andern Ländern, namentlich in Frankreich. Während in Preußen nach der amtlichen Statistik'»»» 1876 in den alten Provinzen 706 Millionen Mark, d. h. 34 Mark pro Kopf, und in den neuen Provinzen 280 Mill. Mark, d. h 39 Mark pro Kopf angelegt in öffent lichen Sparcassen waren, betrugen die Einlagen in öffentlichen Sparcassen schon 1872 in der Schweiz 86 Mark pro Kopf, und in Frankreich legen noch jetzt 2H Millionen Arbeiter jährlich 80 Millionen Mark in Sparcassen nieder. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß in Frankreich ganz beträchtliche Summen von den arbeitenden Elasten außerdem in Grundbesitz und in französischer Rente angelegt werden! Freilich fängt der französische Arbeiter in einem Alter zu sparen an, in welchem der Deutsche noch möglichst wenig an den Ernst des Lebens denkt. Aber es würde sich doch auch bei uns Manches er zielen lassen, wenn die Lust zum Sparen recht ernst lich in der arbeitenden Jugend geweckt und gepflegt würde. Die Sparcassen freilich , wie sie jetzt mit ihrer bureaukratischen Einrichtung bestehen, reiche» dazu allein nicht aus. Diese Casten, welche nur zu bestimmten Tagen und Stunden Gelder annehmen, regen die Lust zum Sparen viel zu wenig an. Schon haben viele Arbeitgeber Sparcasten für ihre Ar beiter begründet, denen wöchentlich ein gewiffer An- thcil vom Lohne gutgeschrieben und verzinst wird. Dieses Beispiel müßte überall nachgeahmt werden. Außerdem müßten sich aber auch die Handwerks meister zur Aufgabe machen, auf den Sparfirm ihrer Gesellen und Lehrlinge einzuwirken. Hier