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V Sachsen. Bischofswerda, 3. Sept. Trotz des naßkalten trüben Wetters nahm der gestrige Sedantag doch die allbekannte und gewohnte Festtagsstimmung an. Früh 5 Uhr wurde durch eine Reveille, ferner um 6 Uhr vurch einstündiges Glockenläutender Anbruch des Natio- nalfesteS verkündet. Nicht nur wehten von sämmtlichen öffentlichen Gebäuden Flaggen, sondern auch die Häuser vieler Straßen und des Marktes hatten überaus reichen Fahnenschmuck angelegt. Früh HlO Uhr zog die gesammte Schuljugend im Festschmucke unter Borantritt zweier Musikchöre mit ihren Lehrern von der Schule aus durch die Bautzner, Albert- und Kamenzer Straße nach dem Markt vor das RathhauS. Daselbst fand der FestactuS statt. Herr Schuldirektor vr. Henze hielt hier von der Freitreppe des Rathhauses aus an die Kinder eine sehr gediegene Festrede, welche wir an dieser Stelle folgen lassen: „Liebe Kinder! Eine wunderbare, herzerhebende Zeit war es, als in dem ewigunvergeßlichen Jahre 1870 auf den dröhnenden Ruf: „Zu den Waffen!" aus allen deutschen Gauen, vom Gestade des Meeres bis zum Fuß der Alpen, die deutschen Mannen zusammenströmten, um das gefährdete Vaterland und den deutschen Heerd gegen das frevelhafte Gelüst des Feindes zu schützen. Und wer etwa damals bangen Herzens fragte, ob die große Zeit ein groß Geschlecht finden werde, ob unser ganzes deutsches Volk, eingedenk der Mahnung unseres Dichters: „Nichtswürdig ist die Nation, Die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre!" Schulter an Schuller dem Feinde einmüthig die Stirne bieten werde, der konnte es bald von den waldumkränzten Höhen der süddeutschen Lande trost reich herniedertönen hören: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, In keiner Noth uns trennen, noch Gefahr!" So zogen sie mitsammen siegesfroh hinaus und einmüthig, wie nie zuvor, begleitete sie mit ihrem Herzschlag die gesammte Nation voll Zuversicht von Sieg zu Sieg. Wohl waren cs Tage banger Er wartung, während sich die eherne Mauer am deutschen Strom aufbauete, aber .wunderbar war die Wendung durch Gottes Fügung": nach kaum 50 Tagen kam der 2. September, da dröhnte es erschütternd durch die Welt: „Der Kaiser, der Kaiser gefangen!" Co hatte noch keine Siegesbotschaft gezündet und überwältigt: überall, wo deutsche Herzen schlugen, drang der Jubelsturm der Herzen in Liedern und Gesängen zum Himmel auf: und von den Wällen dröhnten cs die Kanonen, und von den Thürmen die Glocken, Trompetenfanfaren und wehende Flaggen riefen es durch die Straßen, daß der deutsche Aufer stehungstag gekommen, und daß unser Vaterland von nun an ein einiges Reich werden müßte. Heil, dreimal Heil diesem großen Tage, dem Ehrentag des deutschen Heeres und Volkes, und immer wieder wollen wir uns desselben freuen! Aber leider können wir es diesmal nicht mit un- getheiltem Herzen: Germania trägt abermals das Haupt mit dem Trauerschleier umwunden, denn eine . klaffende Wunde zehrt am Mark des deutschen Volke«. „Der böse Feind, mit Ernst er'S jetzt meint!" Er hat das Banner der Vaterlandslosigkeit entfaltet und seine Schaaren drohe» schnaubend Lerherbkft bE Deutschen Reiche. Die alte deutsche Treue jist, G-it sei's geklagt, in vielen Tausenden erstorben, uüd in Scham und Trauer senkt der Genius des deütM» Vaterlandes sein Angesicht zur Erde, denn der blanke Ehrenschild des deutschen Volk« ist mit Schande und Meuchelmord besudelt! Aber getrost! Auch in diesem Kampfe wird uns der Siez zu Theil werden: noch lebt der alte deutsche Gott; und „er ist bei «ns wohl auf dem Plan", wenn wir zu ihm stehen. Schaaren wir UNS nur wieder in alter deutscher Treue um das kaiserliche Banner; und besonders Ihr, deutsche Knaben und Mädchen, bleibt eingedenk der Mahnung unseres Dichters: „An's Barerland, an's theure schließ' Dich an, Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen; Hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft!" Ihr seid dereinst berufen, die höchsten und heiligsten Güter des Vaterlandes zu schützen. Nun wohlan, lernet euch vor Allem als Söhne und Töchter des Vaterlandes fühlen und schauet auf das Vorbild eurer Väter und Brüder, die dem Tod in tausend facher Gestalt in's Auge gesehn und nicht gezittert haben, und die zum Theil die Treue gegen das Vater land mit ihrem Herzblut besiegelten. Euch gehört die Zukunft, wenn ihr beharret in deutscher Treue und in deutscher Frömmigkeit. Und ist es Euch Ernst damit, und wollet ihr diese Tugenden in euren Herzen pflegen, wohlan! so gebet eurem Vorsatz lauten Ausdruck, indem ihr mit ganzem Herzen ein stimmt in den Jubelruf: Hoch, unser Kaiser Wilhelm! Hoch, unser König Albert! Hoch, unser liebes, deutsches Vaterland!' Enthusiastisch stimmte Jung und Alt in ein dreifaches begeistertes Hoch ein. Nach Schluß des Fcstactes bewegte sich der Zug durch die große Töpfergasse, Dresdner, Herrmann- und Bahnhofstraße über den Markt durch die Kirch gasse nach dem Kriegerdenkmal. Rührend war die Ansprache eines Mädchens, welches einen Epheukranz daselbst niederlegte; unter patriotischen Gesängen der um das Denkmal aufgestellten Schulkinder, legten alsdann mehrere Classen ihre BlumenbouquettS und Kränze am Denkmal nieder. Von H12 bis Hl Uhr Mittags sand Festmusik auf dem Markt platze statt und Abends war derselbe mittelst GaS- pyramiden brillant erleuchtet. Abends vereinigten sich div. Gesellschaften und Verein^ in ihren Localen und feierten den Tag in ächt patriotischer Weise. q. Umschau in der Lausitz, 2. September. Der Congreß sächs. Gewerbevereine hat Oederau zur nächstjährigen Versammlung und Zittau zum Vororte erwählt. — An Stelle des nach 34jähriger Wirksamkeit ausscheidenden Direktors der Zittau- Reichenberger Eisenbahngesellschaft, Herrn Kaufmann Helfft, ist Herr Kaufmann Slröhmer erwählt worden. — Den 15. Sept, gedenkt Rosenthal das 100jährige Bestehen ihrer Kirche (Capelle) zu feiern, wobei der Bischof selbst einen PrätificatS-GotteSdienst ab halten wird. — Den 23. hat sich zu Neukirch der Hausbesitzer Rößler, 60 Jahr alt und Ernährer einer zahlreichen Familie, erhängt. -7- In gleicher Mise brachte sich am 28. die Tagearbeitrrin Schier; in