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Reichstage den Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr ' socialdemokratischer Ausschreitungen vorzulegen. Der Reichstag hat diese Vorlage abgelehnt. Inzwischen ist durch ein weiteres ruchloses Verbrechen gegen Se. Majestät den Kaiser von neuem der erschütternde Beweis geliefert worden, wie weit jene Gesinnungen bereits um sich gegriffen haben und wie leicht sie sich bis zu mörderischen Thaten steigern. Von neuem und mit erhöhtem Ernst tritt deshalb an die Regierungen die Frage heran: welche Maßregeln zum Schutze von Staat und Gesellschaft zu ergreifen sind. Angesichts des Attentats vom 2. d. M. wird die Veranwortlichkeit der verbündeten Regierungen für die Aufrechthaltung der Rechtsordnung durch die geschehene Einbringung des vorhin erwähnten Gesetz entwurfs bei dem Reichstage nicht mehr gedeckt sein. Die königlich preußische Regierung wenigstens ist der Ansicht, das cs nöthig sei, den Weg der Gesetz gebung in der durch jene Vorlage bezeichneten Richtung indessen, welche die Mehrheit de» Reichstages zu dem erwähnten Gesetzentwurf eingenommen- hat, läßt sich nicht darauf rechnen, daß die wiederholte Vorlage desselben oder eines auf gleicher Grundlage ruhenden Entwurfs kürze Zeit nach der ersten Ab lehnung bei ganz derselben Zusammensetzung des Reichstages einen besseren Erfolg erzielen wekd«. Unter diesen Umständen erscheint es rathsam, durch Auflösung des Reichstages Neuwahlen herbeizuführen. Die königlich preußische Regierung glaubt diese Maßregel um so mehr befürworten zu sollen, als sie gegen die Richtung, in welcher ihr von Rednern des Reichstages eine eventuelle Unterstützung bei künftigen Vorlagen in Aussicht gestellt wurde, prinzipielle Bedenken hegt. Sie ist nicht der Meinung, daß das Maß freier Bewegung, welches die bestehenden Gesetze gewähren , im Ganzen einer Einschränkung bedürfe, sie hält es nicht für gerecht und nicht für nützlich, mit den von ihr erstrebten Sicherheitsmaßregcln auch andere Bestrebungen zu treffen, als Diejenigen, durch welche die bestehende Rechtsordnung gefährdet ist. Sie glaubt, daß gerade die Bestrebungen der Socialdemokratie es sind, welche die Abwehr nöthig machen und gegen welche daher diese Abwehr zu richten ist. Der Unterzeichnete beehrt sich hiernach mit Bezug auf Artikel 24 der Verfassung den An trag zu stellen: Der Bundesrath wolle die Auflösung des Reichstages beschließen, von Bismarck. Wie von zuverlässiger Seite gemeldet wird, darf die Annahme des oben gestellten Antrags von Seiten des Bundesraths als völlig gewiß betrachtet werden, nachdem Fürst Bismarck sich der Zustimmung der Majorität des Bundesraths versichert hat. Der BundcSrath hat sich über die Vorlage Preußens bezüglich der Auflösung des Reichstags am Sonnabend nicht schlüssig gemacht. Da einzelne Mitglieder noch nicht mit den erforderlichen genauen Instructionen versehen waren, und wird erst die heute (Dienstag) stattfindende Sitzung des Bundesraths die Entscheidung bringen. In eben dieser Sitzung wird auch der Termin der Ausschreibung der Neuwahlen zur Erörterung gelangen. Bis jetzt verlautet, daß frühestens am 14., spätestens am 20. Juli die Wahlen statifinden und der neue Reichstag etwa Anfangs September zusammentreten wird. Der Reichstagsabgeordnete für Straßburg, Berg mann, hat an alle Abgeordnete von Elsaß-Lothringen ein Schreiben gerichtet, in welchem er sie einladet, in den nächsten Tagen zu einer Besprechung bei ihm zusammenzutreten, um eine Adresse an Se. Maj. den Kaiser, aus Anlaß des Attentats, zu richten. Der Kronprinz hat, wie wir hören, den vr Lewin zu den Eltern des Nobiling geschickt, um diesen sein Beileid ausdrücken zu lassen. In der That, ein Zug von Humanität und Zartgefühl, den wir mit hoher Genuglhuung verzeichnen. Daß der Kaiser infolge des ruchlosen Anschlages auf sein Leben auch einen Theil seiner ehrwürdigen Gesichtszierde, des stattlichen schneeweißen Backen bartes, cinbüßen mußte, ist leider selbstverständlich. Von der linken Wangenseite mußte an den Stellen, in welche das tückische Blei aus der Schußwaffe de» Meuchlers einschlug, diese Zier entferne werden. / A^rlin, S.Jvui. Bulletin. Mittags 124 Uhr. schon jetzt weiter zu verfolgen. Mach der Stellung NW in ungestörter Ruhe hingebrachter Nacht ist das Allgemeinbefinden Sr. Majestät de» Kaisers zufrieden stellend. Die active Beweglichkeit de» Körpers Hat au Energie gewonnen, ungeachtet de« noch bestehenden Gefühls von Mattigkeit.' Der rechte Vorderarm istz wiederum mehr abgeschwollen, jedoch noch empfindlich f gegen Berührung. Fieber ist nicht vorhanden. Der Appetit ist noch gering. — Von heute ab werdend Wich nur zwei Bulletins ausgegeben. Berlin, 10. Juni 1878, Abends 9H Uhr. DaS heute auSgegebene Bulletin über das Befinden Sr. Majestät des Kaisers und König« lautet wie folgt: In dem Befinden Sr. Majestät des Kaisers und Königs sind seit heute Morgen merkliche Fortschritte zur Besserung zu verzeichnen. Allerhöchstderselbe hat gegen 8 Stunden im Lehn stuhl sitzend zugebracht. Das kräftige Gefühl des hohen Patienten ist wesentlich gehoben, auch der Appetit war reger. Berlin, 11. Juni 1878,114 Uhr Vormittags. Se. Majestät der Kaiser und König fühlen fich durch die Nachtruhe wiederum gekräftigt und haben nach beendigtem Verbände das Bett ver lassen und den Lehnsessel eingenommen. Die Wunden find der Mehrzahl nach geheilt, nur der rechte Arm ist noch geschwollen, gegen Berührung . aber weniger empfindlich als bisher. gez. vr. v. Lauer. Or. v. Langenbeck. Or. v. Wilms. Die vorstehenden Bulletins zeigen eine so ent schiedene Tendenz in der Besserung des Befindens unseres Kaisers, daß sein und seiner treuen Acrzte Wunsch der baldmöglichen Uebersiedelung nach Babelsberg der Erfüllung immer näher gerückt Wird. lAuflösungdes Reichstags.) DemBundeS- rathe ist folgende Vorlage Seitens der preußischen Regierung zugegangen: Berlin, den 6. Juni 1878. Die Erkenntniß der Gefahren, von welchen Staat und -Gesellschaft durch das Umsichgreifen einer, jedes sittliche und rechtliche Gebot verachtenden Gesinnung^ bedroht sind, hatte die verbündeten Regierungen i bewogen, aus Aülaß des am 11. v. M. gegen s