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jlolitilche Welljchau. „Friede auf Erden und den Menschen «in Wohlgefallen" — so tönen auch in diesem Jahre die Weihnachtsglocken, ohne daß wirklich der Frieden, «ach welchem sich die europäische Völker familie sehnt, unserem Welttheile zurückgegeben wäre. Allerdings hat die Pforte eine Art Vermittlungs gesuch an die Großmächte gerichtet. Die Art und Weife jedoch, wie die Pforte vermittelt zu haben wünscht, und die Haltung der tonangebenden Groß mächte lassen einen Waffenstillstand oder gar einen Frieden zwischen den Russen und Türken in nächster Zeit durchaus nicht voraussehen. Der Türkei fällt eS noch nicht ein, Cvncesfionen zu machen; sie hält fest an ihrer Integrität und stützt sich außerdem auf ihre höchst bedenklich gewordene Souveränität. Eng land hat vielleicht Lust, einen Vermittlungsversuch zwischen Rußland und der Türkei zu wagen, doch Deutschland und Oesterreich finden es noch sehr müssig, zu vermitteln und Italien und Frankreich schließen sich wie verlautet, den Meinungen Deutsch lands und Oesterreichs an ; England dürfte daher die Lust verlieren, allein den ohnehin aussichtslosen Vermittlungsversuch zu machen. Die kämpfenden Parteien werden daher sich noch weiter der ultimo ratio bedienen müssen. Die Regierung des deutschen Reiches hat sich nach längerem Zögern dennoch entschlossen, den Vorschlag Oesterreich-Ungarn« auf eine halbjährige Verlängerung des Handelsvertrages anzunehmen. Man trägt sich daher wohl in beiden Großstaaten mit der Hoffnung, in dieser Zeit eine neue Einigung in der Handelspolitik zu erzielen. Diese Hoffnung ist jedoch nur dann eine begründete, wie die Handels grundsätze Deutschlands und Oesterreichs dieselben bleiben. Realisirt Oesterreich seine schutzzöllnerischen Neigungen, dann muß das deutsche Reich den Handels bund mit dem Habsburger Kaiserstaate wohl oder übel brechen und die sechsmonatliche Verlängerung des deutsch-österreichischen Handelsvertrages wäre in einem solchen Falle nur eine Galgenfrist für diese Conveution. Die Berathungen im preußischen Herrenhause wurden in dieser Woche eifrig betrieben, doch boten sie. wegen ihrer untergeordneten Berathungsgegen- stände nur wenig Interesse dar. — Das preußische Abgeordnetenhaus wird, nachdem es bereit« zur dritten EtatSbcrathung geschritten ist, am Jahres schlüsse wahrscheinlich dir Budgelbekathungen be endigt haben. Alte Klagelieder au« den Reihen der Ultramontanen und Altconservativen über den Cultur- kampf und die Gründerprozesse wurden von Neuem angestimmt, doch sie waren nur im Stande, der Mehrheit des Hauses Gelächter zu entlocken, oder deren Entrüstung zu provociren. Die Ungarn haben wiederum durch eine eklatante Demonstration ihrer Türkenfreundschaft Luft gemacht. Mehrere Tausend erhitzte Magyaren brachten den Ministern Andrassy und Tiska eine Katzenmusik, warfen die Fenster der Ministerhotel« ein und schrien den Ministern ein tausendstimmige« „Pereat" zu. Auf den . Wünsch de« ungarischen Unterhauses soll jedoch die Regierung diese Demonstration unter suchen und den beleidigten Ministern Genugthuurttz gewähren. In Italien ist eine Ministerkrist« auSgebroche«, deren Ursachen jedoch nur die Beseitigung einiger illiberalen Elemente io dem bisherigen Ministerium ist. Denn DepretiS, der seitherige Ministerpräsident, ist mit der Bildung eines neuen Cabinets vom König Victor Emanuel betraut worden. Auch dürften noch einige andere Minister im Amte bleiben. Die übrigen italienischen Minister sollen aus der libe ralen Kammermehrheit genommen werden, was auch durch den Umstand verrathen wird, daß man den Kammerpräsidenten Crispi bei der Neubildung de« Cabinets zur Rathe gezogen hat. Um einen System wechsel handelt e« sich bei der italienischen Minister- krisi« daher nicht. Während die Mehrheit de« französischen Volkes sich der glücklichen Beseitigung deS RegierungS- conflicteS erfreut, herrscht in den Kreisen de« Elyssc eine ziemliche Bitterkeit. Auf einer Soiree, die Mac Mahon am 15. December veranstaltete, sah man weder hervorragende conservative noch republi kanische Persönlichkeiten. Die Conservativen sahen sich von Mac Mahon im Stich gelassen und die Republikaner trauen ihrem neuen Freunde jedenfalls noch nicht recht. So sieht sich der Marschall Mac Mahon vereinsamt und dürfte vielleicht bald an Abdankung denken. Die parlamentarischen Schwierig keiten hat man dadurch beseitigt, indem Senat und Kammer schleunigst zwei Zwölftel deS Budgets be willigten. Dem neuen Ministerium Dufaure-Marsere läßt Mac Mahon vollständig freie Hand, so daß alle RcgierungSatte im Sinne der gemäßigten Republi kaner geschehen können. Alle der Republik feind seligen Beamten werden unbarmherzig über die Klinge springen müssen und man wird ihre Stellen mit denjenigen Beamten besetzen, welche das Ministerium Broglie-Fourtou wegen ihrer republi kanischen Gesinnung entfernt hatte. Die Bonapar- tisten und Klerikalen sind darüber in größter Ver zweiflung. Im russischen Volke hat die Freude über den bedeutenden Fortschritt der russischen Waffen bei Plewna sehr verschiedene Früchte hervorgebracht. In vielen Kreisen hofft man, daß es nun bald Frieden mit der Türkei werde, weil man den Frieden wegen der colossalen Kriegsopfer herbeisehnt. ES giebt jedoch auch eine Anzahl russischer Zeitungen, welche durch den Fall Plewna's veranlaßt werden, der Türkei den Untergang zu prophezeihen. Die Rückkehr des Kaisers Alexander vom Kriegsschau plätze wird von den Russen mit Genugthuung be trachtet, da man in dieser Rückkehr ein entschiedenes Anzeichen zum Besseren auf dem Kriegsschauplätze sieht. Auch in Bukarest, welches Kaiser Alexander bei seiner Rückkehr berührte, ist der Monarch mit großen Ehrenerweisungen empfangen worden. Wie man über die Türkei auch denken mag — das serbische Kriegsmanifest ist ein Hohn auf das primitivste Völkerrecht. Die Türkei hat im vorigen Jahre auf den Wünsch aller Mächte dem serbischen Sraate einen großmüthigen Frieden gewährt. Ob wohl Serbien den Krieg begonnen hatte, zahlte es damals keinen Pfennig Kriegskosten und trat