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den Parlamenten sollen wlr es von derselben zurückzuziehen suchen? Das erstere schließt sich für die Gegner der protek tionistischen Abschließung von selbst aus. Es kann sich also nur darum handeln, auf welche Weise unsere Nachbarn am zweckmäßigsten veranlaßt werden könnten, den verhängnißvollen Schritt wieder zurück zu thun. Im freihändlerischen Lager fehlt es nicht an Stimmen, welche Vorschlägen, deutscher seits bei dem bisherigen Tarife stehen zu bleiben und ruhig abzuwarten, bis Oesterreich durch den eigenen Schaden klug werde. Eine derartige Passi vität würde allerdings den Vorwurf rechtfertigen, welcher der deutschen Handelspolitik von der Schutz zollpartei bisher gemacht worden, den Borwurf, sich lediglich von doktrinärer Schwärmerei für das radi kale Freihandelssystem leiten zu lassen und auf das Verhalten der übrigen Länder gar keine Rücksicht zu nehmen. Ein Staat, der dem Freihandelssystem huldigen will, hat auch die Verpflichtung, seiner Industrie die Möglichkeit des Exports zu verschaffen. Darum ist es für uns schlechterdings unmöglich, dem Vorgehen Oesterreichs gegenüber in Unthätigkeit zu verharren. Für die Action aber giebt cs nur Einen Weg, denjenigen der Vergeltung. Wir wissen, wie ungünstig die Idee der „Kampfzölle" früher von freihändlerischcr Seite beurtheilt worden ist. Daß solche Zölle die deutschen Consumenten theilweiie empfindlich berühren müßten, versteht sich von selbst; aber man wird dies Ungemach für eine hoffentlich kurze UebcrgangSzeit nicht scheuen dürfen, wenn man der Wohlthaten des bisherigen Bertragsver- hältnisseS auf die Dauer wieder theilhaftig werden will. Und je energischer die Retorsionspolitik von vornherein auflritt, um so eher wird sie von Erfolg sein. Bereits jetzt wird klar, daß man sich in Oesterreich felsenfest auf die Gutmüthigkeit der deutschen Freihändler verlassen hat, die auch auf die derbsten schutzzöllnerischcn Herausforderungen nicht rückwirken würden. Vielleicht ist es für die be treffenden Verhandlungen Oesterreichs und Ungarns nicht ohne Einfluß, wenn man von der Irrigkeit dieses Vertrauens noch recht zeitig überzeugt wird. Jedenfalls aber können sich unsere Freihändler nicht darüber täuschen, daß eine Politik, welche der österreichischen Schwenkung gegen über vollständig unthälig bleiben wollte, im Volke kein Verständniß finden würde. Die thatsächlich gegebene Alternative ist: entweder Retorsion (Vergeltung) gegen Oesterreich oder allgemeine Revision des deutschen Zolltarifs, d. h. vollständiger Bruch mit der bis herigen Handelspolitik. Ein Drittes giebt es nicht. Kein Land Europas — selbst nicht der Kriegs schauplatz im Orient — zog in voriger Woche so große Aufmerksamkeit aus sich, als Frankreich. Die neue Deputirtenkammer und die Männer des 16. Mai traten mit einander auf die Mensur. Der zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer ge wählte Grevy hatte folgende Resolution eingebracht: Art. 1. Ein in den Abtheilungen ernannter Aus schuß von 33 Mitgliedern wird beauftragt, eine parlamentarische Untersuchung über die Acte zu führen, welche feit dem 16. Mai darauf abzieltea, einen ungesetzlichen Druck auf die Wahlen zu üben. Art. 2. Zu diesem Behuf kann der Ausschuß,. abgesehen von den . besonderen Unter suchungen, die er in den Departements einzuleiten für angemessen halten sollte, sei es auf die von der Kammer im Laufe der Wahlprüfungen beschlossene Verweisung, sei es von Amtswegen, sich sämmlliche Aktenstücke über die Wahlen vom 14. und 28. Ok tober vorlegen lassen. Er wird zur Erfüllung seine» Auftrages mit den umfassendsten Gewalten, die nur den Ausschüssen für parlamentarische Unter suchungen zustehen können , auSgestattet. Art. 3. Er hat so bald als möglich einen Bericht zu er statten, in welchem er alle Thaksachen, die geeignet sind, aus irgend einem RechtSgrunde die Ver antwortlichkeit ihrer Urheber, wer diese auch sein mögen, zu belasten, darzulegen, und der Kammer die Beschlüsse vorznschlagen, welche seiner Ansicht nach durch diese Thatsache geboten sind". — Aus der Rede, womit Grevy diesen Antrag begründete, citircn wir folgende Stellen: Die Untersuchung ist nothwendig, weil die Campagne der Regierung, nach dem alle Gesetze gebrochen wurden, um einen Druck auf die Wahlen ausüben zu können, durch den Skandal der officiellen Can- didaturen gekrönt wurde, die sich unter Formen breit machten, welche das öffentliche Gewissen empörten. Es wäre vergeblich und lächerlich, wenn wir die Minister zur Verfolgung der Strafbaren auffordern sollten, denn strafbar sind die Agenten der Minister, wenn nicht die Minister selber. Man hat das Land fünf Monate hindurch wie eine eroberte Provinz behandelt und Frankreich erwartet, daß Diejenigen, welche zu lange auf der Ministerbank bleiben, Rechenschaft ablegen über das, was sie aus der Ruhe des Landes, seinen Freiheiten und seinen Rechten gemacht haben.' (Stürmischer Beifall.) Frankreich will wissen, wem man Gehorsam schuldig ist, ob dem Souverän (dem Volke), dessen Reprä sentanten wir sind, oder den revoltirenden Dienern. (Anhaltender Beifall.) Das Land hat seine Pflicht gcthan; jetzt haben wir die unsrige ohne Zögern zu erfüllen. — Die Minister de Fourtou und Broglie bekämpften diesen Antrag. Namentlich hob Letzterer hervor, das Cabinet bleibe nur, um auf die An griffe der Republikaner zu antworten. Der Mar schall werde, sobald diese Pflicht erfüllt sei, weiter sehen, was zu geschehen hat. Die Versetzung in den Anklagestand mit gerichtlichen Garantien acceptire er, aber nicht eine Enquete ohne gerichtliche Formen, welche darauf abziele, die Anklage in die Hand der Ankläger zu lege». — Die Kammer nahm den An trag Grevy's mit 320 gegen 203 Stimmen an! Was nun? Man sieht, der Zündstoff ist so massig angehäuft, daß ein Zufall, ein Mißverständniß ge nügt, um Alles in Brand zu stecken. Es ist auch fraglich, ob die Republikaner nicht den Kampf vor ziehen. Gewiß ist, daß, wenn der Staatsstreich ver sucht wird, dieses Unternehmen mit großen Gefahren für den Marschall und seine Umgebung verbunden sein würde. Sollte aber die Revolution ausbrechen, dann würde diese nicht auf Paris allein beschränkt bleiben, sondern sich auch auf einige andere Punkte Frankreichs ausdehnen. Aus Spanien laufen wieder einmal allerlei Gerüchte von einer bevorstehenden carlkftischen Schild-