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sM7 Sonnabend, den 8. September. Thiers f. Die Kunde von dem Tode des greisen Staats mannes Thiers ist auch für uns Deutsche nicht ohne mächtigen Eindruck. Im Älter von 80 Jahren legte er sich am Abende des 3. September ohne alle vor herige Anzeichen des Todes zur ewigen Ruhe nieder. Ihn auf seinem Lebenswege Schritt für Schritt be gleiten wollen, hieße die Geschichte Frankreichs schreiben. Man weiß, daß ex 1836 und 1840 an der Spitze des Ministeriums stand, beide Mal freilich nur für kurze Zeit. Bis 1848 entzog er sich dem öffentlichen Leben, um dann als Parteiführer wieder eine um so energischere Thätigkeit zu entwickeln. In dem Netz der Hcrrschaftsgclüste, das der Staats streich Louis Napoleons urplötzlich über die Republik warf, blieb auch Thiers hängen. Erst gefangen, dann verbannt, doch bald begnadigt und nach Frank reich heimkehreod, lebte er ein Jahrzehnt als Privat mann seiner Studien und schriftstellerischer Thätig keit, bis ihn die Wahlen von 1863 von Neuem in die Volksvertretung beriefen. Aber er war der alte Gegner Louis Napoleons geblieben und der Feuereifer, mit dem er dessen Nationalitätsprinzip als den vor Allem berechtigten staatenbildenden Factor bekämpfte, ist noch frisch in Aller Erinnerung. Für Thiers war es ein staats männisches Axiom (Grundsatz), daß Frankreichs Macht und Größe nur durch die Zersplitterung Italiens und die Ohnmacht Deutschlands bedingt sei. Er sah voraus, was Napoleon freilich, wenn nicht verhindern, so doch zu seinem Dortheil auS- beuten zu können hoffte, daß die Einheit Italiens die Einigung Deutschland« nothwendig zur Folge haben müsse, und weit er es vorausgesehen und den Franzosen oft genug prophezeit hatte, so hielt man ihn und hielt er sich selbst, als der weltgeschichtliche Act sich wirklich vollzog und da« Kaiserreich dabei in Trümmer ging, mit Recht vor allen Anderen für berufen, zu retten, was zu retten war und die neu geschaffene Republik nach außen wie nach innen zu vertreten und zu leiten. In dieser schwierigen Stellung hat Thiers, was man auch wider ihn Vorbringen möge, sich um sein Vaterland wohl verdient gemacht und mußte auch m»S Deutschen eine hohe Achtung vor seinem Pa- ll»ftunNr»isii-per Jahrgang. triotismus, seinem BerwaltungStalent und seiner staatsmännischen Begabung abnöthigen. Ls war wahrlich etwas Großes, den Credit des geschlagenen, aus tausend Wunden blutenden Landes, dessen innere Organisation aus allen Fugen gewichen schien, im ; Handumdrehen so mächtig wieder aufzurichten, daß er seine Anziehungskraft auf das sonst so schüchterne Werthmetall aus's Neue bewährte, die Abzahlung der gewaltigen Kriegsentschädigung noch vor dem ausbedungenen Termin und damit weit früher, als die Franzosen es selbst für denkbar gehalten, die Räumung des Landes von den deutschen Besatzungs truppen ermöglichte. Die Zeit ist darüber hinge gangen, und Frankreich hat nur allzubald vergessen, wie es damals von Dank und Freude über den glücklichen Leiter seiner Geschicke überströmte. ES hat willenlos geschehen lassen, daß eine unselige Parteienclique den verdienten Staatsmann hinterlistig complotirend aus seiner Stellung drängte, um statt seiner, der ein Mann und ein Character war, einen Namen auf den Schild zu erheben, einen Namen, der weiter nichts ist als ein Name. Mit dem Un dank der Welt gelohnt, stieg Thiers von seinem Präsidentenstuhl herab und begrub sich verbitterten Gemüths in dem schmucken Palais, das ihm auf Staatskosten auf der Stelle seines ehemaligen, unter der Herrschaft der Commune zerstörten Hauses er baut worden war, unter seine Bücher. Aber er blieb dem öffentlichen Leben auch jetzt durchaus nicht fremd. Hatte er auch aufgchört, das Oberhaupt des Staates zu sein, das Oberhaupt der Liberalen war er geblieben. Er war der Leiter ihrer Angelegenheiten, die Seele ihrer Beschlüsse. Mit ihnen litt, mit ihnen kämpfte, mit ihnen hoffte er. > Nun ist er von ihnen genommen, und mehr <ckS da«, er ist Frankreich genommen. Ganz Frankreich hat Ursache, an seinem Grabe zu trauern. Er hat es treu und hiagebunWoll geliebt , wie nur ein Mann sein Vaterland lieben kann. Er war der Geschichtschreiber seines Ruhmes und seiger Größe; er war ein tüchtiger Beamter, ein kluger Staats mann und der besten Bürger Einer. Thiers ist bis jetzt die erste Civilperson, deren ä Beerdigungsfeier hegte Sonnabend, im Jnvalidendpin begangen wird. Diese Auszeichnung war Ustzjr - allein militKWsn NotabilkÄen vyrvehMn. L Wochenblatt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt -er Kgl. Ämtohauptmannfchaft und -er Kgl. Schnlinspection zu Kautzen sowie -es Königlichen Verichtsamteo un- -es Sta-tratheo zn Kischosswerda. Diese Zeitschrift erscheint wöchentlich.zwei Mal, Mittwochs und Sonnavend» und kostet einschließlich der Sonn abend« erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljährlich 1 Mark b0 Pfg. (IS Sjlgr.). Inserat« werden di« Dipiitag« und Freitag« früh » Uhr angenommen und kostet die gespaltene Corpuszeile oder deren Raum 10 Pfennig«.