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zweite Sieg Osman Pascha'- ^bei Plewna hat sich aber vollends zu einer wahren Catastrophe für die Russen gestaltet. Ihre strategischen Operationen sind durch das Vordringen des Osmanischen Corps in die Mitte ihrer Aufstellung und an die Nord eingänge der Balkanpässe ganz und gar umgeworfen und die russische Hauptarmee bei Sistowa, mit der Donau in ihrem Rücken, in die denkbar ungünstigste Defensivstellung gedrängt. Mit Spannung sieht nun die Welt der weiteren Entwicklung des blutigen Dramas auf der Balkan-Halbinsel entgegen. Dieselben gewaltigen Meinungsverschiedenheiten, welche die englische Nation in zwei große Par teien theilen, herrschen bekanntlich auch im Schooße de« englischen Ministeriums. Der kriegerische DiS- raeli ist wieder einmal von den Anhängern des Marquis von Salisbury überstimmt worden; sein Antrag ging dahin, daß 18,000 Mann Gallipoli besetzen und die Dardanellen halten, daß die Be satzungen von Malta und Gibraltar durch 7000 Mann verstärkt werden und diese die Vorhut eines zweiten Armeecorps bilden sollten, das sofort aus gerüstet werde, um in das Mittelmeer zu folgen. Der Dcrby'sche Bermittelungsantrag, der sich auf 3000 Mann beschränkt, ist bekanntlich bereits zur Ausführung gelangt. Wie es scheint wird dieser Beschluß als ein endgültiger angesehen, wie folgender Zwischenfall in der Sitzung de« englischen Unter hauses vom 30. Juli beweist. M. Whalley wünschte zu wissen, ob irgend ein besonderer Credit zur Bestreitung der mit der Equipirung und Ab sendung von Schiffen und Truppen nach dem Osten infolge des jetzt schwebenden Krieges verknüpften Kosten nachgesucht werden würde; ob bei dieser oder irgend einer anderen Gelegenheit der Schatzcanzler irgend welche weitere Erklärungen vor dem Schluffe der Session über die Ansichten und Absichten der Regierung in Bezug darauf abgeben würde, und ob in Anbetracht der Beschwerden in amtlichen russi schen Journalen, daß die Regierung dem Hause Berichte über Ausschreitungen seitens russischer Truppen liefere, ' er die Güte haben würde, die Natur des. britischen Interesses, welches eine solche Publikation erheische, mitzuthcilen. Der Schatzcanzler Sir Nafford Northcote erwiderte: „Es wird nicht noth- wendig sein, irgend einen besonderen Credit zur Bestreitung der mit der jüngsten Absendung von Truppen nach Malta oder von Schiffen zur Verstärkung des Mittelmeergeschwaders verknüpften Kosten zu beantragen. Die Kosten sind sehr gering und es ist sehr zweifelhaft, ob eS überhaupt oöthig sein wird, vor demAb- lauf dieses Jahres irgend eine weitere Summe zu verlangen. Gegenwärtig würde es durchaus nicht nöthig sein, dies zu thun. Was das Abgeben einer Erklärung über die Ansichten der Regierung in Bezug darauf betrifft, so ist mir nicht bekannt, daß die Regierung dies beabsichtigt; aber sie würde bereit sein, solche Erklärungen abzugeben, welche das HauS für noth- wendig erachten dürfte. Was die letzte Frage be trifft, so würde eS nicht wünschcnswerth sein, sich auf eine Controverse mit den russischen amtlichen Journalen einzulaffen." Fast gleichzeitig und jedenfalls nicht ohne eiM inneren Zusammenhang hat sich ein ähnlichc- Schauspiel in Oe st erreich abgespielt. Mit großem Lärm wurde die Nachricht von einer österreichischen Mobilmachung in Umlauf gesetzt. In der That fand am 31. Juli ein Ministerrath unter Vorsitz des Kaisers statt, in welchem folgender Beschluß gefaßt wurde: „1. Es ist ein Plus von dreisigtausend Mann mobil zu machen, beziehungsweise ist der Mannschaftsstand der activen Armee um diese Zahl zu vermehren. 2. Es ist ein Observationscorps an der serbischen Grenze zu concentriren, um für alle Fälle bereit zu sein. Die Truppen in Dalmatien sind um ungefähr 15,000 Mann zu verstärken, behufs Beobachtung der Vorgänge in Montenegro und der Herzegowina. 3. Dem Grafen Andrassy wird unbeschränkte Vollmacht ertheilt, die beantragte Mobilisirung nach seinem Ermessen in Vollzug zu setzen. 4. Mit Beschaffung der nothwendigen Fonds ist der Reichsminister Baron Hofmann be traut und ist derselbe auch mit der Vollmacht für die nothwendige Creditoperation ausgerüstet." — Der Beschluß des Ministerrathes muß ein weiser genannt werden. Oesterreich sieht ganz ab von hal ben oder verfrühten Maßregeln, wozu in London die eine oder andere Partei drängt, aber dem Grafen Andrassy wird die Vollmacht ertheilt, die Mobili sirung eintreten zu lassen, sobald er den geeigneten Zeitpunkt für gekommen erachtet. Der Effect, den Oesterreich durch diese Maßnahme bewirkt, ist nicht gering anzuschlagen. Ein Räthsel ist heute noch die Anwesenheit Midhat Pascha's in Wien. Seine Mission in Wien und London wird von „Gutunterrichteteten" dahin interpretirt, daß der türkische Staatsmann das Terrain zur Erzielung, eines Einverständnisses zwischen Oesterreich England zu Gunsten der Pforte sowohl im kriegerischen Sinne, als auch für den Fall eines Friedensschlusses zu sondiren und der selben für alle Fälle die Unterstützung der beiden Mächte zu sichern bestrebt sei. Midhat sei zur Er reichung dieses Zieles mit den größten Vollmachten versehen und sogar in die Lage versetzt, Gebiets abtretungen in bestimmte Aussicht zu stellen. Dies Alles scheint aber in weiter Ferne zu liegen. Die Türkei hat jetzt, wie das ,N. W. Tgbl." hervorhebt, eine weit reellere Probe ihrer Widerstandskraft ge liefert, als zur Zeit des Krimkrieges. Wenn nicht bald eine Wendung zu Gunsten der russischen Waffen' sich bemerklich macht, so darf Kaiser Alexander seinen Vater um das Glück beneiden, von ganz Europa bekriegt worden zu sein. Inzwischen ist in Wien der rumänische Minister Cogalniceanu eingetroffen und hat eine längere Unterredung mit dem dortigen rumänischen Agenten Balaceano gehabt. Wie die „Bohemia" mittheilt, betrifft die Mission des Ministers den Preis der nicht mehr aufzuschiebenken activen Cooperation Ru mäniens : die Abtretung dreier rumänischer Distrikte an Rußland, wofür Rumänien mit der Dobrudscha und dem Küstenstrich bis Baltschik entschädigt werden soll. In Constantinopel hat wiederum ein Mi nisterwechsel stattgefunden. An Stelle Aarifi Paschq'S, der noch kaum auf seinem Sessel warm geworden,