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Erklärung der Penitentes als Erosionsformen trifft nicht auf den Nieve penitente — den übrigens Günther fälschlich Nieve penitentes nennt — zu, sondern auf die vom abfließenden Schmelzwasser angelegten Karren formen des Gletschereises, wie ich sie vom Stübelgletscher des Chim borazo und vom Drygalskigletscher des Kilimandjaro beschrieben habe. In meinem Kilimandjarowerk habe ich schon 1900 auf die Analogie dieser Karrenformen mit den Erdpyramiden hingewiesen und den Ver gleich genetisch begründet’). Die Anlage zur Reihenbildung der Penitentes — namentlich wo die Reihen nicht dem Gefälle der Firnoberfläche folgen — kann nicht ein sekundäres Moment in dem Bildungsprozeß sein, sondern sie muß primär sein; sie muß in der inneren Beschaffenheit der Firnmassen, wohl schon in der Struktur des Schnees, in der Art seiner Anhäufung, in seiner Schichtung und verschiednen Dichte begründet sein. Das hat auch Facilides (1904) vermutet * 2 ), ohne eine Erklärung gefunden zu haben. Es ist ihm entgangen, daß schon vor ihm Conway (1902) eine solche primäre Ursache angegeben hat, denn dieser schreibt 3 ): „Die Penitentes, die ich sah, waren aus altem Lawinenschnee gebildet, dem härtesten Schnee, den es gibt. Eine ge stürzte Lawine ist, wenn sie zur Ruhe kommt, Druck unterworfen, der ziem lich senkrecht zur Richtung ihres Falles wirkt, und so verhärtet sie sich zu Schichten verschiedner Dichtigkeit, die oft nahezu senkrecht stehen. Wo dies der Fall war, standen die Penitentes in Reihen, die den härteren Schichten entsprachen.“ Zweifellos hat Conway hiermit für viele Vorkommnisse von Nieve penitente recht. Schon in unsem Breiten sieht man oft auf altem Lawinen schnee tiefe napfförmige Ausschmelzungen in Reihen geschart, von denen ich stets den Eindruck habe, daß sie nur der starken und langen tropischen oder subtropischen Sonnenwirkung bedürften, um zu echten Penitentes zu werden. Auch ein guter Teil der von mir in Ostafrika und Südamerika beobachteten Penitentes läßt sich am einfachsten auf die bezeichnete Struktur von Lawinenschnee zurückführen. In vielen andren Fällen aber versagt Conways Erklärung; vor allem da, wo Penitentesfelder auf Gipfeln *) Hans Meyer, Der Kilimandjaro, Leipzig 1900, S. 364—367 (mit Abbildungen von Eiskarren und Erdpyramiden). ’) C. Facilides, Beitrag etc., a. a. O., S. 261. 3 ) Sir Martin Conway, Aconcagua etc., a. a. O., S. 66.