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390 13. Zweite Chimborazo-Besteigung. Alles, was die Atmung und damit die Sauerstoffzufuhr erschwert, ver schlechtert das Befinden des Bergsteigers: z. B. schwüles Wetter, stürmi scher Wind, namentlich Föhn, große Kälte, heftige Bewegungen, schwere Muskelarbeit, trübe Gemütserregung, Erkältungen. Alles was die Luft- und Sauerstoffzufuhr zu den Lungen vergrößert, verkleinert auch das Übel: z. B. frische, leicht bewegte Luft, ruhige aufrechte Körperhaltung, heitere Gemütsverfassung; auch gewisse kräftige Hautreize, welche die peripheri schen Blutgefäße erweitern und dadurch den Blutkreislauf fordern. Mittel wie Kola, etwas Champagner oder anregende Medikamente sollen oft von guter Wirkung sein, aber ich habe sie nicht erprobt. Von Wichtigkeit ist es, daß man für möglichst regelmäßigen Stuhlgang sorgt, nötigenfalls vermittels schwacher Glycerin-Klystiere, denn Obstipation ist nicht nur ein Symp tom des Soroche, sondern auch oft ein direkter Anlaß dazu. Aus alledem ergibt sich, daß der Soroche niemand dauernd be lästigt, der in einer bestimmten Höhenlage, welche seine individuelle Widerstandsfähigkeit nicht übersteigt, verbleibt und arbeitet. Es tritt da bald Anpassung ein. Für die meisten Menschen scheint diese Höhen grenze zwischen 3000 und 4000 m zu liegen, während in 6000 m niemand dauerndzu existieren vermag. Der Bergsteiger hingegen, der heute in 4000 m, morgen in 3000 m, übermorgen in 5000 m, den nächsten Tag in 6000 m sich bewegt, und zwar mit großen Anstrengungen sich bewegt, kann sich den Wirkungen bestimmter Höhenlagen nicht anpassen. Er wird dem Einfluß des immer wieder veränderten Sauerstoffgehaltes und Druckes der Luft stets von Neuem ausgesetzt sein. Und diese Wirkung wird desto stärker sein, je größer die Höhendifferenz, je schneller der Auf stieg, je größer der Kraftaufwand ist. Oft verspürt man auch unangenehme Folgen, wenn man nach längerem Aufenthalt in großen Höhen rasch in ein viel tieferes Niveau absteigt, aus geringem Luftdruck und Sauerstoff vorrat schnell wieder in stärkeren, normaleren zurückkehrt. Ich möchte den dann eintretenden Zustand dem Unbehagen vergleichen, das man nach langer Seereise beim Wiederbetreten des festen Bodens oft tagelang empfindet. Man wird, nachdem man anfangs vielleicht seekrank gewesen — übrigens ein dem Soroche in vieler Beziehung ähnlicher Zustand nervöser Störung — und nachdem man sich dann dem neuen Milieu angepaßt hat, nun infolge des plötzlichen Wechsels auf dem Lande „landkrank“ mit Kopfweh, S chwindel, schlechtem Schlaf us w., bis man sich auch da wieder angepaßt hat.