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380 13. Zweite Chimborazo-Besteigung. */ 2 1X1 dicken Decke rötlichen, von den Felswänden herabgefallnen Schuttes überzogen war, und standen, als wir die Felswände hinter uns hatten, vor der seltsamsten Schnee- und Eislandschaft, die ich jegesehen. Viel größer, als sie mir aus der Ferne im Feldglas erschienen waren, erwiesen sich nun die Veränderungen, die sich hier in den letzten Wochen vollzogen hatten (s. S. 127). Da es in dieser Zeit in den obersten Regionen offenbar keinen gründlichen Neuschnee mehr gegeben hatte, hatten Sonne und Wind in dieser Zeit einen wahren Vernichtungskrieg gegen Firn und Eis unbehindert fuhren können. Die vordem so gut begehbaren, wellig angeschmolznen Firnhänge waren bis zum Gipfel hinauf in einen furchtbaren Stachelpanzer verwandelt, der dem andringenden Bergsteiger die stärkste Gegenwehr leistete. Die Oberfläche des Gletschers, soweit sie aus Firn bestand, und des ganzen Gipfelfirns starrten von eisigen Zacken, Schneiden, Säulen, Tafeln und Klippen, die, ! / 2 bis l 1 ^ m hoch, zu Millionen nebeneinander standen, und zwar so dicht, daß man sich oft nur mit großer Mühe dazwischen durch zwängen konnte. Sie sind alle in mehr oder minder deutliche ost-westliche Reihen angeordnet, haben am Fuß eine Dicke von 10—30 cm, verjüngen sich nach oben und sind an der Spitze von einem wahren Filigran dünn- geschmolznen Eises gekrönt, das unsrer Phantasie allo nur denkbaren Figuren und Gestalten vorgaukelt. Wir haben das typische Bild des „Nieve penitente“, des „Büßerschnees“ oder „Zackenfirns“ vor uns, wie er zuerst von den südlicheren und dann auch von den nörd licheren Kordilleren Amerikas bekannt geworden ist. Im äquatorialen Amerika war er noch nicht beobachtet worden; ja man hatte behauptet, 1 ) daß er in Südamerika nördlich von der Puna de Atacama gar nicht und dann erst wieder in Mexiko vorkomme. Da ich aber sehr ähnliche Formen im äquatorialen Afrika, am Kilimandjaro, gefunden hatte, so hatte ich sie auch im Hochgebirge von Ecuador erwartet. Trotzdem war ich auf das höchste überrascht von der enormen Ausdehnung und großartigen Aus bildung dieses Phänomens, wie ich es nun hier auf den Gipfeln des Chimborazo von ca. 5500 m aufwärts sah, nachdem ich es in geringerem Maß auch am obern Antisana (s. S. 338) beobachtet hatte. Wie ich mir seine Entstehung denke, führe ich weiter unten im 15. Kapitel aus. Der Eindruck dieser Penitenteslandschaft war um so ernster, als ihr *) Sir Martin Conway, Aconcagua and Tierra del fuego, London 1902, 8. 65/66.