378 13. Zweite Chimborazo-Besteigung. die Schneedecke des Berges sehr reduziert worden. Von den Schnee feldern, die sich damals von unserm Lagerplatz zu den „Roten Nordwest wänden“ (5715 m) hinaufzogen und die oben (Seite 126) beschriebne eigentümliche Schalenform hatten, waren nur noch kleine Reste vorhanden. Der Stübelgletscher und die Eiskalotten der Gipfel waren stark aus- geapert. Die hohen Seitenwände des Stübelgletschers waren in noch viel größerer Ausdehnung als 7 Wochen vorher mit zahllosen spitzen Eistür men von 1—8 m Höhe besetzt, die mit den Schmelzformen der west lichen Kilimandjarogletscher sehr große Ähnlichkeit hatten'). An den tieferen Teilen der Gletscherzunge waren diese Schmelzformen viel weni ger ausgebildet als in der größeren Bergeshöhe, und auf dem flachen Rücken des Gletschers viel weniger als an seinen steilen Flanken. Da gegen sahen die Schmelzformen der Firnfelder oberhalb des Stübelglet schers jetzt ganz anders aus als damals. Wir sollten sie am nächsten Morgen gründlich kennen lernen. Im Lauf des Nachmittags hatte ich wohl ein Dutzendmai den Donner der Eislawinen gehört, die von den Abbruchwänden des Firnrandes (s. Abb.92) in die tiefen Talrunson der Nordseite des Berges stürzten. Gegen Abend wurde es mit dem Sinken der Temperatur unter 0° still in den Eisregionen, aber um unser Lager pfiff der kalte östliche Nebelwind und bombardierte uns bald mit körnigem Schnee, vor dem wir uns in unser Bergzelt zurück zogen. Wenn draußen ein Unbeteiligter die beiden stummen kleinenZelte im stürmischen Schneewehen der über 5000 m hohen Gebirgswüste hätte liegen sehen, er hätte sie für verlassen halten müssen. Wenn er aber durch die Tür klappe gelugt hätte, hätte er in unserm Zelt ein eigenartiges Stilleben ent deckt. In der Mitte ein länglicher, niedriger Stahlblechkoffer, und rechts und links davon, in den Schlafsäcken halb vergraben, zwei hockende Euro päer in Wolljacken und Wollmützen, die beim trüben Schein einer alpinen Kerzenlaterne Notizen schrieben, ihre zerrißnen Hosen flickten, Tabak rauchten und über die Aussichten des kommenden Tages plauderten. In allen Ecken des Zeltes alpines Gerät, Kleidungsstücke, Proviantbüchsen, Instrumente u. dergl.: Das Ganze die primitivste, engste, einsamste Heim stätte europäischer Kulturmenschen, die in eine große lebensfeindliche Natur für kurze Zeit hinoingezaubert ist, und gerade im Gegensatz zu ’) Hang Meyer, Der Kilimandjaro, Berlin 1900, S. 175 u. 366, mit Abbildungen.