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Eiskaskaden ganz und gar nicht. Sie entstehen einfach durch die Steilheit und Unregelmäßigkeit des darunterliegenden Berghanges, wodurch die dem Zug nicht nachgebenden Firn- und Eismassen aus ihrem Zusammen hang gerissen werden und im Sturz zertrümmern. Die große Bruchzone des Eises ist deshalb nicht nur nach Erdbeben da, sondern immer, und immer in derselben Region, wie auch aus früheren Schilderungen erhellt. In vielen Windungen die Seracs und Spalten umgehend oder auf vereisten Schneebrücken überschreitend, gelangten wir allmählich in das Niveau des großen Eisturmes, der uns von Anfang die Richtung gewiesen hatte, aber der Firnhang wurde immer steiler und schwieriger, der Wind immer wütender, der Nebel immer dichter, das Schneestieben immer toller. Trotz der schweren Arbeit fühlte keiner von uns besondere, aus der Bergeshöhe resultierende Beschwerden. Santiago, der sich mit Tüchern wie ein altes Bauernweib eingebunden hatte, wimmerte bisweilen ein wenig, aber er hielt aus. Unsre dicken Schneehauben bewährten sich wieder vortrefflich. Darüber aber waren wir von Schnee und Eis in krustiert wie der berühmte Eispeter im Bilderbuch von Moritz Busch. Endlich betraten wir einen ziemlich breiten Firnrücken vor einem Steil absturz; unter uns ein graues düsteres Nebelchaos. Das war die Caldera des Antisana und unser Standpunkt der Sattel zwischen den beiden Gipfeln (5505 m). Zu sehen war aber hier so gut wie nichts. Nur das stand fest, daß wir bei dem Wetter nicht daran denken konnten, über die Klüfte und Wände, die uns noch vom Hauptgipfel trennten, wegzukommen. Der erste Versuch, den ich machte, führte uns gleich an einen Schrund von über 20 m Breite und unsichtbarer Tiefe, so daß wir ohne langes Zögern umkehrten. Von unsern heraufführenden Spuren war schon nahe unter dem Sattel nichts mehr zu erkennen. Der Wind hatte sie weggefegt oder mit Kornschnee ausgeglättet. Wir begannen daher nach dem Kompaß und nach der Erinnerung eine „ice-navigation“, wie es Whymper seinerzeit genannt hat, die im Nebel und Sturm verteufelt heikel war und unsre Auf merksamkeit auf das höchste anspannte. Aber glücklich wanden wir uns wieder zwischen den bösartigsten Spalten durch und erreichten nach einer Stunde unterhalb der Bruchregion das große Firnfeld, wo wir in flottem Tempo ausgreifen konnten. Der Schnee fiel aber jetzt auch hier so dicht, daß eine Orientierung nach außen unmöglich war. Es entstand erst