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334 11. Der Antisana. beieinanderliegendenVegetationsformationen einen so verschiednen physio- gnomischen Charakter geben. An der untern Moränengrenze, unter dem Westgletscher, bei 4500 m, liegen drei typische Formationen in derselben Höhe, in demselben Klima nebeneinander: die alpine Grasflur und Staudenmatte der obersten Päramoausläufer mit ihren zahlreichen groß blumigen, platt auf den Erdboden sich andrückenden Rosettenstauden von Achyrophorus quitensis, Eryngium humilo, Werneria disticha, Hypo- chaeris sessiliflora, Bidens humilis, etc., mit ihren brandroten spargelför migen Stengeln von Lycopodium crassum und mit ihren vielen kleinen und großen Polstern von Maja compacta, Lysipoma muscoides, Werneria humilis, Azorella diapensioides etc.; daneben die alpine Wüste der Moränenzone, wo das Leben nur in vereinzelten Flechtenkolonien vertreten ist; und auf der andern Seite die oben geschilderte Vegetationsformation des felsigen Lavastromes. Ohne Übergänge grenzen diese drei Vegetationsfonnationen scharf aneinander mit den ebenso scharfen Grenzen ihrer drei verschied nen geologischen Substrate, und das gleiche Verhältnis wiederholt sich überall, wo die zwei jungen geologischen Bildungen Lavastrom und Moräne dem älteren Vulkanboden aufliegen. Hier können die gegenseitigen Be grenzungen wirklich als Linien angesehen werden, nicht als Säume im Sinne Ratzel’scher Definition von geographischen und biographischen Grenzen. Aber diese Linien sind nur der Ausdruck eines zeitweiligen Bewegungsstillstandes. Allmählich wird auch hier mit dem Altern der Lavaströme und der Moränen der Lebenskampf wieder mehr in Fluß kommen und aus der Grenzlinie ein Grenzsaum werden, in dem der Kampf hin- und herwogt, wie in allen Grenzgebieten der Erde. Es ist eine prächtige Gletscherlandschaft, die unser Zeltlager in der Runde umgibt. Zum Berg hin gewandt, haben wir rechts von und über unserm Lavastrom die lange Eiszunge des Westgletschers, links einen höher am Berg endenden kürzeren Eisstrom, beide auf mächtigen Moränen kegeln ruhend, und vor uns zwischen beiden ein breites, von den Seiten moränen der Gletscher gebildetes Moränental, das weiter oben an der Gabelung der beiden Gletscher in das große Firnfeld übergeht, dessen weite Flächen sich zum Sattelkamm zwischen den beiden Antisanagipfeln hinanheben. Ich nenne den uns zunächstliegenden langen Eisstrom einfach We stgletscher, weil er ziemlich in der Mitte der Westseite liegt; den nördlicheren, kürzeren aber Guagraialinagletscher, weil der Guagraia-