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4. Der Chimborazo. 97 Am 16. Juni ritten wir mit meinem „Mayordomo“ Santiago, den beiden Arrieros Spiridion und Moran und 7 Lasttieren von Riobamba nach dem am Ostfuß des Chimborazo 3628 m hoch gelegnen Tambo Chuquipoquio fort. Dieser am Camino real gelegne Tambo ist der höchste ständige Wohnplatz auf der Ostseite des Chimborazo, die einzige Rast- und Nächtigungsstelle in jenen Höhen. Seinem Besitzer, Herrn S. Merino in Riobamba, hatte ich vorsorglich meine Aufwartung gemacht. Unmittel bar vor unserm Abmarsch erfüllte ich aber erst noch ein Gelübde, das ich in den schlimmen Quarantänetagen an Bord der „Quito“ getan hatte. Ich hatte der Santa Virgen de Riobamba drei dicke Wachskerzen gelobt, falls wir aus der damaligen bösen Lage glücklich nach Riobamba kämen. Ich bin zwar kein Katholik, aber in diesen reinkatholischen Ländern schien mir ein Appell an die höchste katholische Instanz am sichersten zu sein, und warum sollte sich ein von bestem Willen beseelter Protestant, wenn er nur sonst ein ordentlicher Kerl ist, nicht auch einmal des Schutzes der Santa Virgen erfreuen können? Außerdem steckt in jedem Reisenden, der einem unbekannten Geschick entgegengeht, wie in jedem Soldaten ein gutes Teil Aberglaube, der bemüht ist, das Schicksal günstig zu stimmen. Kurzum, ich hatte das Gelübde getan, und da ich ein Mann von Wort bin, erfüllte ich nun das Versprechen, indem ich meine Gastwirtin, die täglich zweimal, Sonntags dreimal in die Kirche ging, unter Einhändi gung der nötigen Silberlinge um ihre gütige Vermittlung bat. Sie ist der Bitte auch sofort nachgekommen und hat überdies ohne Auftrag gründ lichst für Verbreitung unsres guten Rufes gesorgt. Von Riobamba nach Chuquipoquio geht ein breiter bequemer Reit weg, der bei gutem Wetter auch mit Karren befahren werden kann; in 4 Stunden kann man bei flottem Reiten die Strecke zurücklegen. Wir ritten auf der vom Wind glatt gefegten, von endlosen Agavenhecken ge säumten Straße meist im Trab voraus, die „Carga“, d. h. die Lasttiere mit den zu Fuß gehenden Arrieros, folgte im Schritt nach. Langsam hebt sich das meist aus Tuff und Lapilli aufgeschüttete Hügelland zum Chim borazo und der Wcstkordillere hin, monoton, vom Wind zerfegt und von Staub und Flugsand verweht, gegen dessen erstickende Anhäufung sich die wenigen kümmerlichen Mais-, Gersten- und Lupinenfelder durch Agaven- und Kakteenzäune zu schützen suchen. Dazwischen weit ver streut stehen wenige Indianerhütten, graubraun wie die ganze Landschaft, Meyer, Ecuador. 7