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? S4 11874. Sonnabend, den 28. November. für Bischofswerda, Stolpen und Ilmgegend. Amtsblatt Leo Königlichen Gerichtsamteo und Leo Sladtrathe« z« Kischosowerda. vi«s« Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwoch« und Tonnabenr«, und kettet einschließlich der Bann- ^beicht erscheinenden „belletristischen Beilage' vierteljährlich tb Rg». Inserate werden bi« Dienstag« und Freit-,« früh 0 Uhr angenommen und kostet die gespaltene Sorpuszeile oder deren Raum > Rqr. Die Versailler Versammlung. Mit dem Ablauf dieser Woche erreichen die Ferien 1>er französischen Nationalversammlung ihr Ende. Ein neuer Act der Cömödie, welche die Versailler Versammlung seit Jahren der Welt bietet, wird also wieder beginnen. Mac Mahon und sein unfrucht bares Ministerium harren mit Bangen der Dinge, die da kommen sollen. Und was wird die neue Session des Parlaments bringen? Genau dasselbe, was früher aus ihren Arbeiten hervorsprang: Nichts! Die anderthalb Jahre, seitdem Mac Mahon an der Spitze Frankreichs steht, haben gar nichts geschaffen; nur ohnmächtige Versuche wurden ge macht, die Monarchie herzustellen. Aber was kam dabei heraus? Bittere Streitigkeiten der dynastischen Fractionen, sowie die Unmöglichkeit, dem Septennat des Marschalls die nothwendigsten gesetzlichen Unter lagen zu geben. Bei der Zerfahrenheit aller Partei- verhälinisse kann man sich darüber gar nicht wundern. Die Legitimisten hören nicht auf, mit „ihrem König" in FrohSvorf zu liebäugeln und für ihn zu intriguiren. Sie haben den EleruS, den Unfehlbaren iin Vatikan und die fromme Heerde im Volke für sich. Jeder Fortschritt ist diesen Menschen verhaßt, wie die Sünde. — Die Orlea- nisten, von jeher Schlauköpse, aber nie thalkräftig und kühn, lassen die Umstände für sich arbeiten. Sie haben zwar Fühlung mit den Legitimisten ge nommen, als es sich voriges Jahr darum handelte, Chambord als Heinrich V. auf den Thron zu setzen; aber seit der Prätendent in seiner feudalen Weisheit den Plan selbst durchkreuzte, ist diese Fühlung mehr und mehr verloren gegangen. Sie richten deshalb ihre Augen wieder auf Aumale. — Die Bonapar- 1 ist en regen sich kräftig und nicht ohne Erfolg. Nach ihrer Anschauung ist die Dynastie Napoleon's so lange im rechtlichen Besitz der Krone, als die Nation sich nicht im anderen Sinne wie im Mai 1870 ausgesprochen hat, wo sie bekanntlich mit gewaltiger Mehrheit für das mit liberalen Institu tionen umgebene Napoleonische Kaiserreich sich erklärte. — Die Republikaner, unter sich in rothe und blaue, d. h. in radikale und gemäßigte grtheilt, suchen im Lande immer mehr Boden zu fasten. „Kommt Leit, kommt Rath" — denken sie und so wird denn Rcunundzwantigfier Jahrgang. von ihnen fleißig an der Republikanisirung des Landes gearbeitet. Aus solchen heterogenen Elementen durchweg zu sammengesetzt — was soll da die Nationalversamm lung leisten ? Alle Parteien finden sich mit dem Septennat Mac Mahon'S, dieser unglückseligsten Mißgeburt französischer StaatSweiSheit, in der Hoff nung ab, daß der Moment endlich kommen werde, das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen. Denn was im Augenblicke auch noch aussichtslos ist, kann zu einer anderen Zeit Chancen haben. Die gemeinsame Parole aller Parteien — der Legitimisten, Orleanisten, Bonapartisten und Republikaner — lautet daher: laviren! ", Die Lage Frankreichs ist mithin trotz des Sep- tennats eine trostlose. Scheinbar möchte man als den ehrlichsten Ausweg aus diesem Partei-Chaos die Errichtung der konservativen Republik nach den Ideen von Thiers ansehen. WaS wäre jedoch damit gewonnen? Eine conservative Republik ist an sich ein so unfaßbarer Begriff, daß seine Lebensfähigkeit von vornherein bezweifelt werden muß. Auch unter dieser Firma würden die Parteien nur daran arbeiten, gelegent lich aus der Republik zu machen, was ihnen gut dünkt. Der Name thut's doch wahrhaftig nicht und dem Wesen nach ist Frankreich ja eine Republik, denn es hat keine regierende Dynastie. Aber es ist eben ein Provisorium und eS scheint kein Mittel vorhanden zu sein, diesem Zwitterzustande dauernd abzuhelsen. Die monarchischen Parteien sind einerseits zu schwach und uneinig, den Thron auszurichtcn, anderer seits zu stark, um nicht die Befestigung der Repu blik verhindern zu können. Die Republikaner mögen vielleicht über den größten Theil des Volkes gebieten, aber der französische RepublikaniSmu« ist ein sehr unzuverlässiges Wesen und kann über Nacht in sein Gegentheil umschlagen. Wie will man also aus den gegenwärtigen Zuständen heraus? Vielleicht böte ein Appell an'« Volk die einzige Möglichkeit, wenn nämlich die jetzige National-Ver sammlung, die vor vier Jahren lediglich zum Ab schluß de« Frieden« einbrrufen wurde, sich enschließen könnt», ihre Auflösung zu decretiren und Neuwahlen anznordnen. Wir glauben abex nicht, daß fit solcher Entsagung ihre« kläglichen Ehrgeizes fähig ist Aber auch selbst in diesem günstigsten Falle der Auflösung