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Ueber österreichische Mastodonten. 27 bemerkt man sehr deutlich die Spur eines Bruches, welcher aus der Gegend des vorderen Alveolar-Randes, schief nach hinten, gegen die untere Begrenzung des Kiefers verläuft. Gerade von dem Punkte an, in welchem der Bruch die untere Begrenzung trifft, biegt die untere Contour plötzlich unwahrscheinlich stufenartig auf, so dass man den Fehler wohl zum grossen Theil an diesem Horizontal-Aste zu suchen hat. Es erscheint wohl um so dringender, auf diese Verhältnisse aufmerksam zu machen, als das Unter kiefer-Stück im Darmstädter Museum lange Zeit hindurch das einzige von M. longirostris in der Literatur bekannte war, und weil sich nicht nur die Charakteristik Falconer’s auf denselben bezieht, sondern auch die Copien der Kaup’schen Abbildungen vielfach in andere paläontologische Werke übergegangen sind. Die letzte zusammenfassendere Arbeit über M. longirostris rührt von Lartet 1 ) aus dem Jahre 1859 und zeigt, dass die Kenntniss dieser Art noch bedeutende Lücken aufweist. So ist die Formel für die Milch bezahnung, wie Lartet ausdrücklich bemerkt, nur eine theoretische, da er untere Milchzähne weder in der Natur, noch abgebildet jemals gesehen. Dessgleichen gibt Lartet auch die oberen Stosszähne als unvollkommen bekannt an. Ueber den ersteren Punkt ist ein fossiler Rest Aufschluss zu geben im Stande, der erst vor Kurzem 2 ) als ein Geschenk des Herrn Artillerie-Lieutenants Jihn in die Sammlung der k. k. geologischen Reichsanstalt gekommen ist. Es ist dies ein noch mit Milchgebiss versehener Unterkiefer eines jungen Individuums von M. longirostris aus einer Sandgrube am Laaer Berge bei Wien, also aus dem Niveau der Belvedere-Schichten (Tafel I und II, Fig. 1). In der linken, vollständiger erhaltenen Kieferhälfte sieht man ausser dem dritten beinahe intacten noch die Reste dreier anderer Backenzähne, und zwar die Wurzelspitze des ersten, sodann die hintere Hälfte des zweiten und den Keim des vierten, noch in der Alveole liegend. Unter dem zweiten Milch-Backenzahn bemerkt man (Tafel II, Fig. 1), den Rest einer runden Alveole. Dieselbe höhlt die Knochenmasse aus, welche die beiden Wurzeln des zweiten Milchbackenzahnes trennte und muss nach dieser ihrer Lage und runden Form nothwendiger Weise das Lager eines Ersatzzahnes gewesen sein, der den zweiten Milch-Backenzahn von unten her, also in verticaler Richtung zu verdrängen bestimmt war. Um die Ueberzeugung zu gewinnen, dass auch unter dem dritten Milch-Backenzahne, der nach Lartet’s Annahme ebenfalls von unten her ersetzt wird, ein Ersatzzahn in ähnlicher Weise wie unter dem zweiten sich finde, wurde der Kiefer an der betreffenden Stelle durchgeschnitten. Es war jedoch nicht möglich, selbst durch tiefes Nachgraben in die Knochenmasse auch nur eine Andeutung einer Alveole zu finden. Und doch sollte man nach dem Entwickelungsgrade des Kiefers einen Ersatzzahn unbedingt finden, wofern überhaupt für den dritten Milchzahn, ähnlich wie bei M. angustiäens ein Ersatz von unten her stattfindet. Ein ähnliches Resultat ergaben auch die Untersuchungen Kaup’s, welche er an dem von H. v. Meyer 3 ) seinerzeit als M. arvernensis beschriebenen Oberkiefer-Fragmente eines jungen Thieres von M. longirostris anstellte, indem er dasselbe auf das Vorkommen von Ersatzzähnen untersuchte, und, wie er (Beiträge Heft III, pag. 21) angibt, nur über dem zweiten, stark angekauten Milchzahne einen Ersatzzahn vom Aussehen des ersten Milchzahnes fand 4 * ). Kaup bildet ferner ein Unterkiefer-Fragment von 31. longirostris aus dem Teyler’schen Museum in Harlem ab 6 ); welches so ziemlich in demselben Altersstadium sich befindet, wie der Kiefer vom Laaer Berge, indem der vierte Molar, ähnlich, wie man dies Tafel II. Fig. 1 d. A. sieht, noch ganz in der Alveole liegt. Dessgleichen sieht man in der Alveole liegend den Ersatzzahn des zweiten Milchzahnes. Kaup, der das Kiefer- Fragment untersuchte, erwähnt nichts davon, dass unter dem wohl erhaltenen dritten Backenzahne sich irgend eine Spur von einem Ersatz finde, im Gegentheile er nennt (pag. 23 1. c.) diesen dritten Backenzahn den ersten wahren Molar. Dieser Bezeichnung konnte er sich offenbar nur dann bedienen, wenn er sich vorher von dem Fehlen des Ersatzzahnes überzeugt hatte. Nach diesem, nun für Ober- und Unterkiefer übereinstimmenden Untersuchungs-Resultate ist wohl der Schluss berechtigt, dass bei M. longirostris nur für den zweiten oder besser vielleicht für die beiden ersten Milchzähne ein Ersatz in verticaler Richtung stattfinde, jedoch, im Gegensätze zu 31. angustiäens, kein solcher für den dritten Backenzahn. Wenn gesagt wird, der einzige Ersatzzahn trete an die Stelle der beiden ersten Milchzähne, so geschieht dies nur mit Rücksicht auf die Form und Function dieses Ersatzzahnes, die derselbe nicht mit dem zweiten Milchzahne, unter dem freilich seine Alveole liegt, sondern vielmehr mit dem ersten gemeinsam hat. ‘) Lartet, Bull. soc. geol. Fr. 1859, p. 496. 2 ) Vergl. Verliandl. der k. k. geol. Reichs-Anstalt. 1875, p. 29G. 3 ) II. v. Meyer, Nov. Acta. Ac. nat. cur. Bd. XV. II. T. 1831. J ) Vergl. Kaup, Oss. foss. Tafel XVI, Fig. 3. h ) Beiträge Heft III. Tafel II, Fig. 2. 4*