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W o ch e n b latt für Bischofswerda, Stolpen und Umgegend. Amtsblatt Les Königlichen Verichtsamteo und -es Atadtrathes zu Dischofswer-a. Diese Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, MittwocftS und Sonnabende, und kostet vierteljährlich I2st, Rgr. Inserate werden bi» Dienstag« und Freitags früh 8 Uhr angenommen. I8M Mittwoch, den 13. Qctober Rundschau. Ob Händedruck oder Kuß? darüber streiten sich die Wiener, nämlich, ob der Kaiser Franz Joseph und der preußische Kronprinz sich geküßt oder blos herzhaft die Hand geschüttelt haben. Sicher ist, daß der preußische Thronerbe in Wien nicht blos mit allen Ehren, sondern mit vieler Herzlichkeit ausgenommen worden ist. Er verweilte mehrere Tage in der schönen Kaiserstadt und daß er mit allen politischen Größen verkehrte, ist wohl nur natürlich. In längerer Audienz empfing er den Grafen Beust und andererseits tele- graphirt man, daß er mit dem Minister Giskra eine längere Unterredung gehabt habe. Er kennt noch von Brünn her, aus der Zeit des Feldzugs, den ehemaligen Bürgermeister und weiß seine Talente hochzuschätzen. Das Vergnügungs-Programm res hohen Reisenden übergehen wir, es hat für unsere Leser kein Interesse; höchst wichtig aber ist der Umstand, daß Baron Keudell, welcher als der intimste Freund und Amtsgenosse Bismark's gilt, dem preußischen Kronprinzen nicht nach Wien gefolgt ist. Herr v. Keudell war wieder holt bei dem Einsiedler in Barzin und seine Abreise von Varzin nach Wien faßte man allgemein als ein Zeichen dafür auf, daß auch Bismark mit der Wiener Reise des preußischen Kronprinzen einverstanden sei. Jetzt, wo im letzten Augenblicke diese Reise wider rufen wird, scheint es, als hätten die Recht, welche annehmen, daß sich hinter dem Rücken Bismark's, Wohl gar auch gegen seinen Willen Dinge vorberei ten, zu denen der Barziner Bundeskanzler ein gries grämiges Gesicht macht. Dagegen spricht auch nicht der Umstand, daß Graf Usedom, der als preußischer Gesandter in Italien die berüchtigte Depesche schrieb, wornach es Preußens Aufgabe sei, Oesterreich einen Stoß bis in's Herz zu geben, nicht, wie es erst hieß, zu dem Kronprinzen in Wien stößt, daß er vielmehr in Venedig erst sich ihm anschließt, um der Führer und Erklärer bei der prinzlichen Orientreise zu sein. Graf Usedom ist durch seine Depesche eine in Wien so sehr verhaßte Person, daß seine Erscheinung daselbst als eine Beleidigung aufgefaßt worden wäre. ? Lasst«' wir inzwischen dm Monprinzen -weiter» Lieru»dj«.,njkzst-r Jahrgirg reisen, warten wir ab, wie sich die versöhnlichere Stimmung zwischen Wien und Berlin äußert, hoffw wir insbesondere, daß dieselbe nicht eine Spitze gegeü die freiheitliche Fortentwicklung der Völker heraus kehren werde. Am goldnen Horn zu Constantinopel und dann am Suez-Canal wird in nächster Zeit allerdings ein glänzendes Schauspiel aufgeführt wer den. Es finden sich der Kaiser von Oesterreich, die Kaiserin von Frankreich und der preußische Kronprinz daselbst ein. Am interessantesten ist der Entschluß Franz Joseph's, dem Sultan einen Besuch abzustat ten und dann der Eröffnung des Suez-Canals bei wohnen zu wollen. Eugenie hat Venedig verlassen, wo sie mit Victor Emanuel die reichen Kunstschätze der wunder baren Lagunenstadt ansah. Wie wenig ihre streng kirchliche, bigotte Persönlichkeit den Italienern zusagt, davon ist sowohl ihre Reise, als ihr Aufenthalt in Venedig Zeuge. Bei Nacht und Nebel, ohne sich in den Städten zu zeigen, durchflog sie das blühende Oberitalien; überall schloß man die Bahnhöfe ab, um das Publikum fern zu halten, und in Venedig nahm sie nicht einmal Wohnung in einem der herr lichen Paläste, sondern sie quartierte sich am Bord eines Kriegsschiffes ein. Die umfassendsten Polizei maßregeln hat man überall getroffen und kein Mensch weiß von einem auch nur achtungsvollen Empfang Seitens der Bevölkerung zu sprechen. Natürlich hat es die üblichen Trinkgelder in Gestalt von Orden an die Spitzen der Behörden gesetzt, wie denn über haupt Eugenie ganze Kisten voll Orden mit sich schleppen soll, da das die billigste Art ist, die fabel hafte Gastfreundschaft des Orients zu erwidern. Der Sultan steckt sich ihretwegen in Schulden bis über die Ohren, er hat ihr nicht einen, sondern zwei der luxuriösesten Paläste zur Disposition gestellt und bereitet sich vor, in wunderbaren Festlichkeiten das Mährchen von 1001 Nacht zu insceniren. Auch Eugenie würde sich in Schulden stiirzen, wenn sie noch Credit fände, so aber hat sie bereit- ihre hohe Lebenspolice versetzen müssen, um einen Theil der- Reisekosten herauszubekommen. Was Alles jetzt in Paris möglich ist, davor» überzeugt ein Blick in die Sprache, welche jetzt die