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448 Noch vor dem Pfinastfeste überreichte der deutsche Botschafter in Paris, Fürst Hohenlohe, dem Mar schall Mac Mahon sein Beglaubigungsschreiben. Die gegenseitig ausgetauschten friedlichen Versicherungen weichen von der bei solchen Gelegenheiten üblichen Schablone nicht ab und gewähren für die Zukunft keinerlei Garantie. Bei der europäischen Macht stellung Deutschlands, welche den Franzosen nur zu sehr bewußt ist, wird aber der Vertreter Deutsch lands um so mehr Ansehen und Achtung genießen, als er nicht der preußischen Junkerpartei »«gehört und je weniger dieser erprobte bairische Staats mann sich dazu hcrgeben dürfte, ein Werkzeug fran zösischer Jntriguen zu sein. Die Indolenz, womit eine jüdische Banquiersfrau an Mac Mahon« Tafel den Grafen Arnim behandelte, wird sich an den Fürsten Hohenlohe gar nicht heranwagen. Graf Arnim har dem Staatsdienste den Rücken gekehrt; er besitzt ein großes Vermögen, welches ihm das Leben in der Zurückgezogenheit versüßen kann. Doch soll er mit einer RechlfertigungSschrift beschäftigt sein, die sich vermuthiich gegen Bismark wenden und in der Presse wieder viel Staub auswirbeln wird. In Oesterreich sind nun die Delegationen ge schlossen. Ihre Hauptarbeit — das Militärbudget — wurde in einer Weise erledigt, daß der Kaiser durch den Grafen Andrassh den beiden Vertretungskörpern seine vollste Anerkennung und seinen Dank aussprechen ließ. Freilich konnte Rechbauer den Seufzer nicht unterdrücken, daß von den Völkern Oesterreick-Un garns größere Opfer in Anspruch genommen wür den, als an sich zu rechtfertigen wäre. In Italien ist die Freude über den kürzlich in der Deputirten - Kammer errungenen Sieg des Ministeriums eine sehr kurze gewesen, denn das Gesetz über die Nichtigkeitserklärung der nicht regi- strirten Privaturkundcn wurde mit 166 gegen 165 Stimmen abgelehnt. Trotzdem fährt Herr Minghetti fort, dem Wunsche des Königs gemäß mit seinen Collegen im Amte zu bleiben und man hofft, daß die Deputirtenkamnur noch in dieser Session nicht nur die Berathung des definitiven Budgets für.1874, sondern auch die übrigen nolhwendigen Vorlagen zur Erledigung bringen wird. Fast in allen französischen Blättern herrscht darüber nur eine Stimme, daß das an Stelle Brog- lie's getretene Cabinet Cissey nur ein Ministerium politischer Nullität sein wcree. Auch beim Wieder zusammentritt der Nationalversammlung unterblieb jedwede Kundgebung von Seiten des Regierungs tisches. Weder Mac Mahon noch das Ministerium verstand sich zu einer Auslassung und es verlautet nur, daß das Cabinet über seine politische Stellung erst dann Erklärungen abgeben wolle, wenn darüber bestimmte Interpellationen eingebracht wer den. Bis dahin bleibt es Jedem unbenommen, sich seine eigenen Gedanken über das neue Regiment zu machen. Noch mehr Aufmerksamkeit der Franzosen zieht die Ersatzwabl im Nievre-Departement auf sich. Dasselbe Departement, welches am 12. Ociober 1873 dem Republikaner Thurignh 39,872 Stimmen gab, wählte am 24. Mai 1874 den Kammerherrn und Stallmeister Napotwn HI., Hcrrn v. Bourgoing mit 37,599 Stimmen. Für Mac Mahon beginnt diese Wahl ähnliche Wirkungen zu äußern, wie die Wähl Barodet'S für Thiers einst halte. Die öffentliche Meinung ist ausgerüttelt und discutirt die Frage, ob man dem BonapartiSmuS sich wieder überant worten wolle. Mac Mahon gilt jetzt als Brücke für denselben unv man erinnert sich plötzlich, daß er wie Cisseh dem Kaiserthum seine hohe Stellung ver dankt und Magne stets bonapartistischer Finanzagent war. „Die Unterstützung der gemäßigten Republi kaner habt ihr verschmäht", ruft bereit« da« „Jour nal de« DebatS" den Führern in der Nationalver sammlung entgegen, „jetzt werdet ihr die treulose Allianz der Bonapartistrn haben und bald ihr Joch tragen." Uns scheint diese Prophezeiung durchaus nicht als eine gewagte. Die großen Festlichkeiten am englischen Hofe sind vorüber. Die Königin von England hat sich nach ihrer Sommerresidenz in's schottische Hockland begeben. In der Politik herrscht völlige Ruhe. Das neue Ministerium in Spanien erließ ein Manifest an die Nation, welches wenig beachtet und sehr kühl ausgenommen wurde. Im Uebrigen geht nach wie vor Alles ächt „spanisch" her, auch auf dem Kriegsschauplätze, wo die Carlisten hin- und hertappen, da ihnen Concha'S FelvzngSplan noch nicht klar zu sein scheint. Neuere Nachrichten von Belang liegen aus keinem der bciecn Lager vor. Wie aus Persien gemeldet wird, hätte der Schah soeben eine collective Ministerverantwortlich keit hergestellt. Demnach wäre die europäische Rund reise doch von einiger Wirkung auf den „König aller Könige" gewesen. Das Gerücht, daß in EmS eine Dreikaiser- znsammcnkunft stattfinden werde, wird von den Offi- ciösen als unbegründet bezeichnet. Die Confirmation des ältesten Sohnes Sr. kaiserlichen Hoheit des deutschen Kronprinzen ist, soweit bis jetzt Bestimmungen getroffen, auf den 1. September festgesetzt; über einen Besuch der Königin von England bei diesem Anlaß steht nicht« fest. Fürst Bismark ist am 31. Mai früh nach Varzin abgereist. Der Berliner „MontagS-Ztg." geht aus sicherer Quelle die Nachricht zu, daß Fürst Bismark in Varzin drei Wochen bleiben unv dann bestimmt zur Cur nach Kissingen gehen wird. Der König von Baiern hat bez. der Aufmerksamkeiten, Stellung der Equipagen rc., welche er dem Fürsten für dessen Aufenthalt in Kissingen anbot und die der Fürst dankend ablehnen zu müssen glaubte, jetzt in freund licher Weise erklärt, daß er auf diese Ablehnung keine Rücksicht nehmen könne. Die kriegsgerichtliche Untersuchung gegen den Capitän zur See, Werner, soll nun endlich ihren Abschluß finden. Das Kriegsgericht, welches in dieser Sache sein Urtheil abgeben soll, wird (nach der „D. R.-Corr.") Ende Juli zusammemreten und unter dem Vorsitz des commanvirenren General» des 10. ArmeecorpS zusammengesetzt sein au« zwei General-Lieutenants, zwei General-Majore, zwei Obersten und zwei Oberstlieutenant». Aus Wien schreibt man unterm 30. Mai: Da« heutige Wiener Diöcesanblatt veröffentlicht da« erste