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weilte der russische Kaiser in Berlin. Diplomatische Zwecke lagen diesmal der Zusammenkunft fern, in- deß bewies Alexander H. doch durch einen ändert- halbstündigen Besuch de» noch imnier an da« Hau gefesselten Fürsten Bismark sein sympathisches Wohl wollen für den Leiter der Politik des deutschen Reiche». Die Session des ö st e r r e i ch i s ch e n Reichsrathe« naht ihrem Ende ; die liberale Majorität des Abge ordnetenhauses hat aber noch so viel auf dem Herzen, daß Präsident Rehbauer sie dieser Tage zu ermahnen müssen glaubte, mit der Zeit sparsamer umzugehen, als bisher, da noch acht bis zehn Gesetzentwürfe zu erledigen seien. —- Infolge einer Interpellation über die Geschäfts- und Geldstockung ertheilte Minister DepratiS eine im Ministerrathe unter Vorsitz des Kaisers beschlossene Antwort, welche dahin ging, daß die Regierung vollkommen den Ernst der wirthschaft- lichen Situation begreife, auch ferner die Entwickelung der ökonomischen Verhältnisse scharf im Auge behalten und im Sinne des kaiserlichen Handschreiben» vom 18. Febr. sich bemühen werde, die Bedrängnisse zu lindern, wenn sie sich auch nicht berufen fühle, Schäden, welche Einzelne durch verfehlte Spekulationen erlitten, zu heilen. — Der Kaiser und Andrassy sind nach Pest geeilt, wo die Delegationen eifrig arbeiten. Das italienische Parlament genehmigt das Einkommensteuer-Gesetz mit erheblicher Majorität und verschaffte somit dem Ministerium in einer vielbestrittenen Frage den Sieg. Die bisherige Linke der Kammer ist in der Auflösung begriffen, wie ein Schreiben ihres Führers Crispi an die „Riforma" bestätigt. Die „Riforma", das Organ dieser Partei, ist bereit» eingegangen. — Am PiuS- tage (5. Mai) hielt der Unfehlbare des Vatikans wieder eine Ansprache, die nach wenig Friedens- bedürfniß athmet. Er sagte unter Anderem: „Zählen wir nicht auf die Regierungen, um Frieden zu erhalten; lassen wir die Todten die Todten be graben .... Ich segne Frankreich und auch die, welche es regieren, damit sie die Freiheit bewilligen, auf gesunde Weise die Jugend zu unterrichten, damit sie die Zügellosigkeit der Presse unterdrücken, damit sie das allgemeine Stimmrecht, welches die allgemeine Lüge ist, vernichten oder wenigstens vermindern." Die Parlamentsferien in Frankreich gehen heute, am 12. Mai, zu Ende. Die Mehrzahl der Majoritätsmitglieder befindet sich bereits in Ver sailles; in den Salons und in den Blättern summt es wie in einem Bienenkorb kurz vor dem Schwärmen, und dennoch weiß Niemand, was die Sommer-Session bringen wird. Noch vor acht Tagen blühte die Hoffnung, daß die gemäßigten Parteien der National-Versammlung sich vereinigen würden, um dem Präsidenten der Republik eine feste Stütze zu bieten. Plötzlich drehte sich der Wind und es hieß: Keine Botschaft, keine liberale Regierung! Geht Alles, wie es jetzt den Anschein hat, io legt Broglie den Entwurf über Einführung einer ersten Kammer, Magne den über die neuen Steuern zur Herstellung des Gleichgewichts im Budget von 1874 auf den Tisch der Nationalversammlung nieder. Mein nicht» bürgt dafür, daß es anders kommt. Im Gefühl dieser Unsicherheit ist Mac Mahon auf Reisen gegangen, um die Stimmung des Landes zu erforschen. In Tour» und Saumur Hörte er - frei lich nur, wa» er hören sollte ; die Menge Kevbachwte überall, wo er sich zeigte, tiefe« Schweden, oder ließ hier und da ein Lebehoch auf die Republik er schallen. Unter den gegebenen Verhältnissen wäre jede Combination müssig ; der Versailler Hexenkessel wird bald über Feuer gestellt sein, um lustig zu brodeln; und dann sehen wir ja, welche Gebilde ihm entsteigen. Ans Spanien liegen jetzt nähere Angaben über di? Entsetzung Bilbao's vor. Vier Tage dauerte der erneute Kampf, ohne jedoch von schweren Verluste» begleitet zu sein. Die Carlisten wurden durch eine combinirte Bewegung des dritten Armeecorps unter Concha und eines Theils der beiden übrigen Corps gegen den linken Flügel aus ihren Stellungen so zu sagen herauSmannöverirt, und als die furchtbaren Positionen von San Pedro Akanto rc. den Truppen Serranos ohne Kampf in die Hände gefallen waren, sah der Carlistenführer Elio sich gcnöthigt, die Be lagerung Bilbao's aufzuheben und den Rückzug an zutreten. Die carlistische Armee zog sich in de» Richtungen von Durango und Orduna zurück. Concha ordnete sofort die Verfolgung des Feindes an. Nach neueren Depeschen aus vermuthlich carlistischer Quelle soll der fliehende Feind Halt gemacht, größere Streitkräfte wieder an sich gezogen und so der Ver folgung Concha's ein Ziel gesetzt haben. Allein selbst wenn dies der Fall wäre, so würde die Vertreibung der Carlisten, nachdem ihnen Bilbao entrissen ist, nur noch eine Frage der Zeit fein. Auf die gemessene Mahnung des türkischen Kaisers an die Parteien der armenisch-katholischen Kirche, sich bis zu einer bestimmten Frist zu einigen, haben die Anti-Hassunisten (Altkatholiken nach deut scher Bezeichnung) sich mit den von der Pforte auf gestellten Bedingungen einverstanden erklärt. Den Hassunisten (Ncukatholiken oder Anhänger des Un fehlbarkeit-Dogmas) wurde bedeutet, daß, wenn sie die Bedingungen nicht schlechtweg annähmen, die Kirchen- und Gemeindegüter sofort den Anti-Hassu- nisten zugewiesen werden würden. — In Bethlehem haben die Pilger des lateinischen Ritus wieder ein mal eine Rauferei gehabt. — Aus Bagdad wird von großen Ueberschwemmungen des Tigris und von einer in Klein-Asien herrschenden Hungersnoth ge meldet. Kaiser Wilhelm ist nach Wiesbaden, Kaiser Alexander nach Ems gereist. Preußen führt vom 1. Januar 1875 an die Reichsmarkrechnung ein. Am 8. d. M. Mittags hat in Stuttgart im Beisein des Königs und der Königin, des Kaiser von Rußland, des Großfürsten Constantin und aller übrigen hohen fürstlichen Gäste die feierliche Ver mählung des Herzogs Eugen von Würtemberg und der Großfürstin Vera im Königlichen Residenzschloffe stattgefunden. In Constanz wurde am letzten Dienstag ein in Sauldorf verstorbener Altkatholik durch Pfarrer Hosemann zur letzten Ruhe geleitet. Der dortige Pfarrverweser Hämmerle verweigerte die vom Mi nisterium angeordnete Herausgabe der nöthtgen Pa-