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Die dritte Sitzung des Reichstages wurde am Dienstag um 2 Uhr vom Präsidenten v. Forckenbeck eröffnet. Nach Bekanntmachung des Resultats der Schriftführerwahlen wurde der Postvertrag mit Brasilien, welcher das Porto eines frankirten Briefes «ach Brasilien bei direkter Dampfschiffsbeförderung auf 5 Sgr. feststellt, in erster und zweiter Berathung fast ohne Debatte genehmigt. An die sodann folgende erste Berathung des Entwurfs wegen Gewährung von nachträglichen Vergütungen für KriegSleistungen der Gemeinden schloß sich die erste Lesung des Au-lieferungSvertrageS mit der Schweiz; in diesem Vertrage verpflichten sich die vertragschließenden Mächte zur gegenseitigen Auslieferung aller an Verbrechen, ausgenommen politische, Betheiligten. Damit war die Tagesordnung erledigt. In der Donnerstag-Sitzung steht namentlich der Antrag die Reichstags-Abgeordneten zur DiScussion. Nach dem „Elsässer Journal" vom 11. d. weilte Herr Lauth noch an diesem Tage in Straßburg und waren nur die ultramontanrn Abgeordneten de» Reichslandes zum Reichstage nach Berlin gereist. Von diesen läßt sich da» Journal berichten, daß sie „weder geneigt seien zu protestiren noch sich zurück» zuziehen, sondern zu bleiben und sich mit den geist lichen Angelegenheiten zu befassen." Nach der Vorschrift im Artikel 9 de» Gesetze» - vom 9. Juli vorigen Jahre» ist außer den Reichs und Landescassen, von welchen Rei'chSsilbermünzen in jedem Betrage in Zahlung genommen werden müssen, Niemand verpflichtet, Reichssilbermünzen im Betrage von mehr als 20 Mark und Nickel- und Kupfermünzen im Betrage von mehr al» einer Mark in Zahlung zu nehmen. Der Kronprinz und seine Gemahlin sind wohl behalten von ihrer russischen Reise nach Berlin zurück gekehrt. Am DienStagfand im kronprinzlichen Palais zur Feier des Geburtstages des jungen Prinzen Woldemar ein Kinderfest statt. Der Kronprinz des deutschen Reichs soll die Absicht ausgesprochen haben, die von ihm inncgehabte höchste Stelle in der großen Landesloge (Freimaurer) niederzulegen. Ueber die Dauer der von dem Erzbischof Ledochowski zu verbüßenden Strafe sind in der klerikalen Presse vielfach irrige Angaben verbreitet. So rechnet z. B. das bairische „Vaterland" aus,, daß Graf 8. nach den gegen ihn ausgesprochenen Geldstrafen 33 Jahre gefangen sitzen müßte. Nach 8 78 des deutschen Reichsstrafgesetzes, ist aber bei Umwandlung mehrerer Geldstrafen das Maximum der an die Stelle derselben tretenden Freiheitsstrafe auf zwei Jahre Gefängniß fixirt. Dem Erzbischof von Mecheln sagt die „Nordd.. Allg. Ztg." officiöS: wenn er nicht den Nachweis führe, woher ihm die Gewißheit gekommen, daß sein AmtSbruder von Posen beide Briefe (aus Mecheln) nicht erhalten und daß er wirklich dreimal an den selben geschrieben, sei der Verdacht begründet, „daß der Erzbischof den Erzbischof belogen hat." Das preußische Staatsministerium erläßt eine Bekanntmachung, betr. die Ausgabe, sowie die Form und das Gepräge der Reichsmünzen, welche schon vor Eintritt der Reichsgoldwahrung in Preußen als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. ES werden geprägt 1. Reichsgoldmünzen (20 Markstück — 6 Thlr. 20 Sgr., 10 Markstück -- 3 Thlr. 10 Sgr., 5 Markstück 1 Thlr. 20 Sgr.) 2. Reichssilber münzen (Fünfmarkstück — 1 Thlr. 20 Sgr., Zweimarkstück — 20 Sgr., Einmarkstück — 10 Sgr., Fünfzigpfennigstück — 5 Sgr., Zwanzigpfennigstück — 2 Sgr) 3. NeichSnickelmünzen (Zehn pfennigstück — 1 Sgr., Fünfpfcnnigstück — j Sgr. oder 6 Pfennige). 4. ReichSkupfermünze'n (Zweipfennigstück — 1 Sgr. oder 2tz Pfennig, Ein pfennigstück — Sgr. oder 1H Pfennige). Die wiederholt vom preußischen Landtag gestellte Forderung auf Einverleibung de- Herzogthum» Lauenburg in die preußische Monarchie geht ihrer Verwirklichung entgegen . Die Haupthindernisse, «elche Fall wird sie einen ganzen Mann erfordern, der Schulze-Delitzsch wegen Gewährung von Diäten den Umtrieben der dort sehr mächtigen social- ' " demokratischen Partei an der Hand de» Gesetzes fest rntgegentritt. In einem Dresdener kaufmännischen Geschäfte wurde in den letzten Tagen ein auf 5 Thaler lau tender ZinScoupon der Chemnitz-Kommotauer Eisen bahngesellschaft ausgegeben und angenommen, von dem sich später herauSstrllte, daß er falsch war. Da« Falsifikat ist geschickt angefertigt, und dürften sich gleiche Exemplare möglicherweise noch im Verkehr befinden. Wegen de- Leipziger Earneval» werden nächsten Montag auf beiden Linien der Leipzig-Dresdner Eisenbahn besondere Extrazüge abgelassen und Extra- billet» zum einfachen Preise für Hin- und Rückfahrt in Dresden ausgegeben werden. Aus Niederschöna wird dem „Freib. A." be richtet: Bor 8 Wochen schon entdeckte man auf den Feldern des SteinbruchbesitzrrS Ranft Steinkohlen, welche hier zu Tage ausstreichen. Man machte den Versuch und grub nach. Der Erfolg davon war ein äußerst günstiger; denn man fand in der ge ringen Tiefe von nur 3 Ellen 8 Zoll ein mächtiges Steinkohlenflötz bei einem Fallen von 65 Grad. Diese Kohle erprobte man und gewahrte, daß sie der Zaukeroda'schrn Kohle an Güte vollkommen gleicht. Eine Trauung unter den schmerzlichsten Ver hältnissen fand kürzlich in Zwickau statt; eine Arbeiterin, 22 Jahre alt, in der Zwickauer Papier fabrik beschäftigt, verunglückte am 20. Januar und mußte in'S Krankenhaus geschafft werden. Dieselbe war Braut und bereits 3 Mal aufgeboten; am Sonnabend nun erfolgte die Trauung und am Mon tag verstarb die Unglückliche. Wie das „W. W." berichtet, hakte auf dem Rittergutc Thallwitz bei Wurzen ein 32 Jahre alter Dienstknecht schon eine übermäßige Quantität Schnaps getrunken, als er in der Gesindestube den Andern die Weste anbot, für 1 Thlr. sein ganzes, von der Verwaltung erhaltenes Wochenquantum Schnaps — 2 Liter — auf einmal anszutrinken. Obschon diese Wette nicht acceptirt wurde, producirte der ver wegene Prahler doch dieses „Kunststück", mußte es aber mit dem Leben büßen; der Tod ereilte ihn noch in derselben Nacht.