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jetzt herrschende Regierungssystem. In diesem Sinne — uns nur in diesem Sinne habe ich die au» mehreren Wahlkreisen an mich gerichteten An- -fragen aufgefaßt und demgemäß die Erklärung ab gegeben: „Den Parteigenossen sei meine Ansicht über das preußisch-deutsche Kaiserreich zur Genüge bekannt; sie mögen hiernach ermessen, wie wenig Verlangen ich trage, an den unersprießlichen Reichstags-Ver handlungen mich zu betheiligen; — sollte — aus taktischen Gründen — die Partei für gut befinden, mich als ihren Cavdidaten aufzustellen, so hätte ich meinerseits nichts dagegen, müsse jedoch im Voraus bemerken, daß ich — im Falle der Wahl — die freie Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Mandats mir Vorbehalte." Von diesem meinen Vorbehalte mache ich jetzt — nach erfolgter Wahl — Gebrauch, indem ich, wie hiermit geschieht, das mir angetragcne Mandat ablehne. Im Voraus von der Unmöglich keit überzeugt, auf parlamentarischem Wege einen Militärstaat in einen Volksstaat umzugestalten, kann ich mich nicht dazu entschließen, an Verhandlungen Theil zu nehmen, deren Erfolglosigkeit für mick außer Zweifel steht. — Meinen Wählern herzlichen Dank und demokratischen Brudergruß! Königsberg i. Pr., den 3. Februar 1874. l)r. Johann Jacoby." Koblenz, 9. Februar. Der Pfarrer Wehn in Niederberg, gegen den wegen fortgesetzter Weige rung in Herausgabe der Kirchenbücher eine 14tägige Executivhaft verhängt worden war, ist heute früh verhaftet und in das hiesige Arresthaus eingeliefert worden. Ludwigsburg, 9. Februar. David Friedrich Strauß ist gestern hier gestorben. Die in das Strafgesetz des CantonS St. Gallen neu aufgenommene Bestimmung, welche Geistliche wegen Canzelmißbrauch mit einer Strafe bis zu 1000 FrcS. und bis zu 4jährigem Gcsängniß belegt, ist bei der Volksabstimmung vom St. Gallener Volke mit ca. 19,800 gegen 16,500 Stimmen ange nommen worden. Das Dorf Bassecourt (Altdorf) im Berner Jura ist wegen dort vorgekommener Ruhestörungen von 2 Scharfschützencompagnien besetzt worden. Haag, 8. Februar. Nach einer officiellen De pesche aus Atchin vom 4. d. fahren die Häuptlinge der Eingeborenen fort, eine feindliche Haltung anzu nehmen und erbauen Forts im Innern des Landes. Von dem General van Swieten wird indessen diesem Umstande keine besondere Wichtigkeit beigelegt. Die Einnahme des Kraton hat die Kräfte der Feinde gebrochen; das holländische Lager ist nicht mehr angegriffen worden. Der General v. Swieten will, bevor er weitere Schritte thut, abwarten, ob die Bevölkerung nicht allmählich eine weniger feindliche Haltung beobachten wird. — Der Tod des Sultan» wird bestätigt. Sachsen. Bischofswerda» 10. Februar. Der bisher «llde Winter zeigt sich nunmehr in seinem richtigen Gewände, indem es seit Sonntag fast unaufhörlich schneit. Heftige« Wehwetter verursacht auch auf der sächs.-schlesischen Staatsbahn unregelmäßige« Ein treffen der Züge. Der Schnee liegt stellenweise ellenhoch. — Am Sonnabend wurde in der Expcd. dies. Blattes ein lebender Schmetterling (Pfauenauge), welcher im Freien gefangen, abgegeben; es dürste die« bei der jetzigen Jahreszeit gewiß al« eine große Seltenheit bezeichnet werden. — Am 2. d. M. feierte der hiesige Gewerbe verein sein 14. Stiftungsfest. Herr Musikdirektor Kunze aus Bautzen concertirte mit seinem Chor und ein solenner Ball beendete die Feier. P Dresden, 8. Februar. Wohl noch niemals hat die erste Kammer einen so reichen Dameoflor auf ihren Tribünen gesehen, als gestern, wo es sich um die Unfehlbarkeits-Verkündigung han delte. Wußte man doch genau voraus, daß Bischof Forwerk in dieser Angelegenheit das Wort nehmen werde. Wie leicht, daß ein Hinüberzreisen biese hohen katholischen Geistlichen auf fremde Gebiete erfolgt wäre und die protestantischen Geisler zur lebhaften Abwehr aufgerufen hätte. Es wurde also eine lebhafte Debatte erwartet, und daher der groß artige Andrang des Publikums, den die Tribüne» nicht zu fassen vermochten. Der Verlauf der Debatte war jedoch ein ganz normaler. Die bericht erstattende 3. Deputation, Ref. Lahrer v. Sahr, schlug in ihrer Majorität der Kammer vor: in Er wägung, daß die bisher abgegebenen Erklärungen der Regierung in genügender Weise beurkunden, daß eine Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas durch die Verlesung des Fuldaer Hirtenbriefes von den katholischen Canzeln nicht stattgesundcn habe und nicht habe stattfinden können, dem Beschluß der zweiten Kammer auf eine nochmalige Beurkundung nicht beizutreten. Hingegen empfiehlt die Minorität, Bürgermeister Clauß, den Beschluß der zweiten Kammer also anzunehmen: an die Staatsregierung das Ersuchen zu richten, in geeigneter Weise alsbald öffentlich zu beurkunden, daß eine Verkündigung des Unfchlbarkeitsdogmas durch die Verlesung des Hirtenbriefes von den Canzeln nicht stattgefunden habe und nicht habe stattfinden können. Außerdem empfiehlt die Gesammt-Deputation: die königliche Staatsregierung zu ersuchen, daß dieselbe den durch Decret vom 4. Octbr. 1845 dem damaligen Landtage vorgelegten, damals jedoch unerledigt gebliebenen Entwurf eines Regulativ« wegen Ausübung der weltlichen Hoheitsrechte über die katholische Kirche im Königreiche Sachsen unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Aenderung einschlagender Ver hältnisse schleunigst einer Revision und Ergänzung,, beziehrndlich Umarbeitung unterwerfe und den neuem Entwurf als Gesetzentwurf spätesten« dem nächsten Landtage vorlege. Die Debatte hierüber eröffnete der frühere Cultusminister v. Falkenstein mit der Erklärung: er habe, al« Bischof Forwerk um die königliche Genehmigung (Placet) zur Verkündigung de« Dogma» nachsuchte, diese Genehmigung ver weigert, ohne erst die Sache dem verstorbenen Könige vorzutragen. Dagegen sei srinerseit« die Verlesung de« Fuldaer Hirtenbriefe« erlaubt worden, weil er darin durchaus keine Verkündigung de« Dogma« gefunden. Er müsse Verwahrung gegea die ihm in der »weiten Kammer gemachten Vorwürfe eialegen, al« habe er damals maia ücke gehandüt.