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Sonnabend, den S Januar Zum neuen Jahr Es geschieht mit gutem Grunde, daß wir die Sitte pflegen, beim Jahreswechsel eine Einkehr in uns selbst zu hatten. Nicht ohne ernstes Rückblicken soll man die Schwelle eines neuen Jahres über schreiten, den» wir sind Kinder der Zeit und ordnen unser Denken nach ihren Abschnitten. Beginnt ein neuer mit dem Jahreswechsel, so halten wir eine Weile an, wie der Wanderer bei einer Biegung seines Weges, wenn er eine Höhe erklimmt. Wir überblicken, was hinter uns liegt; wir genießen in der Erinnenung und sammeln damit Kraft und Hoffnung für die Zukunft. Kein -Jahr geht hin, ohne daß der Denker wahrnimmt, wie in der rast losen Arbeit des Menschengeschlechts die Hoffnung auf Vernichtung alter UebelstLnde und Plagen sich stärkt. Das Treiben der Menschen und Völker schläft nimmer! Die Geschichte webt fort und. fort und von Woche zu Woche kann man ihre wunder same Arbeit verfolgen. Bald scheint sie, gleich Penelope, aufzutrennen, was sie gefestigt; bald sieht man unscheinbare Fäden sich zu dichten .Flechtwerk einen. Sterne gehen auf und verschwinden; Großes Versinkt in Nicht», Kleines wird Macht. Und doch folgt Alles dem ewigen Naturgesetze des Ringens und Strebens bis zum Tode. Wenn wir vyn unserer politischen Warte das innere Auge zurückschweifen lassen über die Arbeit der Völker in diesem verflossenen Jahr, so finden wir, daß sie im Wesentlichen nur eine Fortsetzung der langen Anstrengung ist, bessere Zustände in Staat mid Kirche zu schaffen. In ganz Europa, welches so ziemlich einem Culturgrade angchört, hat die Auf lösung der mittelalterlichen Ordnung fast gleichzeitig begonnen, und sich zwar durch verschiedene Phasen, aber doch in der Stetigkeit einer naturgemäßen Ent wicklung fortgesetzt. Begriffe, die vor einem Viertel- ,, jahrhundert noch als heilig gelten mußten, sind heute^ der Kampf, welchen der Vatikan durch Verkündigung abgethan und veraltet. Aus der Herrschaft über Sclaven, wie sie die Staaten des vorigen Jahr hunderts aufwiesen, ist eine gesetzlich beschränkte Re gierung über freie Bürger entstanden. Das erlang ten die Völker durch ihre Arbeit, durch die Macht ihrer Ideen. Freilich ist trotz konstitutioneller Schranken neben brr kräftigen Freiheitsentwickluug der Völker auch Nrunundjwanzigster Jahrgang. Bischofswerda, Stolpe« und Umgegend. Amtsblatt -es Königlichen Gerichtsamte» und des Ktadtrathe» zu Kifchosswerda. vUsc Zeitschrift erscheint wSchMtlich zwei Mal, Mittwoch» und Sonnabend«, und testet einschüeßlich der Sann» -abend« erscheinenden „belletristischen Beilage" vierteljLhrlich 1b «a». Inserate werden bi« Dienstag« und greitag« früh » Uhr angenommen und kostet di« gespalten« Sorpu«ieile oder deren «am» t Ngr. die Stärkung der Fürstenmacht durch den Milita rismus nicht zurückgeblieben, mindestens nicht in großen Staaten. Man weiset sogar ost auf die Aehnlichkeit'des modernen Militärstaates mit dem alten EäsariSmus Roms hin. Das gesellschaftliche Bild von damals und jetzt hat allerdings manch ver wandten Zug. Auch die Zeit vor Cäsar war mate riell, reich an Ausnutzung wissenschaftlicher und technischer Entdeckungen, an Eifer für Hebung des Verkehrs bis zu den fernsten Punkten der bekannten Erde. Freigeister« herrschte in den höheren Claffen und griff weiter; die Sitten lockerten sich, die Ehe wurde ein bloßes Gewohnheitsrecht, die Erziehung der Kinder eine Arbeit-der Sklaven. Die Sucht nach Vergnügen wuchs, die Vorrechte der Claffen fielen, die sociale Frage tauchte mit den Gracchen und Carilina (Unruhen u. Verschwörungen) auf. Aberder große Unter schied zwischen damals und jetzt tritt doch gerade in Bezug der politischen Cultur hervor. Die Cäsaren Roms erhoben sich auf den Trümmern einer jahrhundert alten republikanischen Freiheit, die durch EröberungS- gelüste sich ihre Todfeinde selber erzog: wir aber streben und ringen noch nach politischer Freiheit, und wenn neben ihr der Militärstaat mit emporwuchert, so wird, sobald es die Umstände gestatten, die Ver minderung der stehenden Heere eine unserer Haupt aufgaben sein. Unsere Freiheit, wie unsere Cultur ist jung; sie hat ihr Leben offenbar noch u-or sich: das ist der Trost und die Hoffnung, die wir haben. Sie hat es vermocht, den alten Absolutismus zu brechen; je mehr sie erstarkt, desto weniger gefährlich werden die Erscheinungen sein, die dem letzteren noch entsteigen. Darum können wir wohl behaupten: ja, wir sind fortgeschritten in der Arbeit politischer Wiedergeburt; aber wir haben Noch viel zu thun, um auch auf dem Gebiet der Kirche das Mittelalter zu besiegen. Mit wachsender Heftigkeit tobt fort und fort des UnfehlbarkeitsdogmaS der ganzen modernen Ci- vilisation erklärte. Wenn bisher noch Unklarheit darüber herrschen konnte, um welche Ziele es sich in letzter Linie handelt, auch dem beschränktesten Ver stände müssen jetzt alle Zweifel darüber geschWuvdK sein, daß ein friedlicher Ausgleich zwischen dtnsWk- lichen und kirchlichen Machtänsprüchen nicht m«Dk möglich ist. Schroff wie nie stehen sich die HtzM»