Suche löschen...
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung : 21.06.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-190206219
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-19020621
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-19020621
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-06
- Tag 1902-06-21
-
Monat
1902-06
-
Jahr
1902
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
König Heorg von Sachsen. Sachsens KönigSkronc gehl, da die Ehe König Albert« be kanntlich kinderlos geblieben, auf seinen erlauchten Bruder, den Prinzen Georg, Herzog zu Sachsen, über. Wie da» sächsische Volk in aller Treue stet» zu seinem König Albert gehalten, so begrüßt c« auch in der gleichen Sachsentreuc seinen neuen Landesherr». Möge die Regierung König Georg», dessen hervorragende Thätig- kcit zum Wohle unsere» Lande» und de» gesammte» deutschen Baterlande» wir ja alle schon seit langer Zeit kennen und schätzen gelernt haben, eine gleich gesegnete sein, wie die seine» »unmehr von uns geschiedenen Bruder». König Georg ist am 8. August 1832 als jüngster Sohn de» damaligen Prinzen, späteren König« Johann zu Pillnitz ge boren. Wie im militärischen Dienst, so ist unser jetziger König auch, gleich allen Angehörigen de« sächsischen Königshauses, früh zeitig persönlich thätig gewesen in der berufenen gesetzgebenden Bcrtrctung unsere» Lande». Erst vor wenigen Tagen konnte unser jetziger König aus eine vierzigjährige Mitgliedschaft in der Ersten Kammer zurülkblicken und noch kurz vor Schluß der Session machte Prinz Georg seinen gewichtigen Einfluß bei der Durchführung der Steuerreform geltend. König Georg von Sachsen ist Wittwer. Im Jahre 1884 hätte er seine silberne Hochzeit feiern können. Aber wenige Monate vorher, am 5. Fe bruar, sank seine Gemahlin, die am 21. Juli >843 geborene Infantin Maria Anna von Portugal, mit welcher er sich am ll.Mai >859 zu Lissabon vermählt hatte, nach kurzem Kranken lager in» Grab. Sie hatte ihrem Gatten vier Söhne und vier Töchter geschenkt. Bon Letzteren verstürben die ersteren beiden im zarten Kindesalter, die anderen zwei sind: Prinzessin Mathilde, welche unrerinähll geblieben ist, und Prinzessin Maria Josepha, welche sich am 2. Oktober >886 mit dem Erzherzog Otto von Oesterreich zu Dresden vermählte. ' Von den vier Söhnen de« Prinzen Georg war der jüngste Prinz Albert, geboren am 25. Februar >875; er diente al« Offizier bei dem Oschatzer Ulanenregiment Nr. >7 und erlitt am >6. Juli >900 einen jähen und frühzeitigen Tod durch einen Sturz au« dem Wagen, dessen Pferde durchgingen. Der nächstjüngste ist Prinz Max, geboren am >7. November >870, während sein Vater vor Paris im Felde stand. Er diente, nachdem er zu Freiburg im Breis gau und in Leipzig studirt hatte, zuerst al« Offizier bei den sächsischen Kaiser-Grenadieren in Dresden, sowie den Kaiser-Ula nen in Oschatz. Seit >896 ist er geweihter Priester der römisch- katholischen Kirche und zur Zeit Professor an der katholischen Hochschule zu Freiburg in der Schweiz. Prinz Johann Georg ist der Zweitälteste Sohn de» König« Georg. Er wurde geboren am >0. Juli >869 und ist zur Zeit Oberst de« Schützen-Regt«. Nr. >08. Der Prinz ist seit dem Truppeneinzug in Dresden am >>. Juli >87 > Chef de« 8. sächsischen Infanterie-Regiment« Sir. >07 und gehört auch der preußischen Armee an, indem er ü In üuiio de» 2. Garde-Ulancn-Regiment« geführt wird. Am 5. April >894 hat er sich vermählt mit der Herzogin Maria Isabella von Württemberg. Der erstgeborene Sohn König Georg«, auf den dereinst die Krone nach menschlichem Ermessen übergehen wird, ist Prinz Friedrich August, geboren am 25. Mai >865. Er be fehligt als Generalleutnant zur Zeit die l. Division Nr. 23 Le« Königl. sächsische» >2. Armeekorps. Der Prinz ist vermählt seit 21.. November >891 mit der Erzherzogin Luise von Oester reich-Toskana, geboren am 2. September >870, welche da« sächs. Königshaus mit drei Prinzen und einer Prinzessin beschenkt hat. Tagesgeschichte. — Deutschland. Der Kaiser wohnte Mittwoch in Bonn dem Festmahl zur Feier de« 75 jährigen Bestehen» de« Korps „Borussia" in Kouleur bei. In einem Trinkspruch wandte er sich an die jungen Mitglieder, die „noch den sckäumenden Becher der Freude zum Munde führen," und mahnte sie der Tage zu gedenken, aus die sie sich vorbereiten müßten, denn da« Leben sei ein ernstes und da« Vaterland bedürfte der Männer. Die Jugend aber bedürfe vor allen Dingen der Vorbilder. Deshalb könnten sie „dem Himmel dankbar sein" für „alle die Männer, die au« dem Korps hervorgegangen sind, von denen ein jeder an seinem Ort, in seinem Stande und in seinem Amte dazu beiträgt, unser Vaterland groß und glücklich zu machen, und dabei die Ehre unseres Bandes, unseres Korps zu verherrlichen und zu erheben." — Gelegentlich der Parade der Königshusaren hielt der Kaiser auch eine Ansprache an die Krieger-Vereine, die mit folgendem Satze schloß: „Die Kriegervereine sind die Stütze meiner Armee und ich habe nur den einen Wunsch, daß ihr alle, auch wenn ihr die Uniform auSgezogcn habt, al« Mitglieder der Kriegcrvcreine treue Untcrthanen bleiben werdet." — Im vorigen Jahre wurden sechs deutsche Kriegsschiffe, darunter vier Linienschiffe zu Wasser gelassen. In diesem Jahre wird die Zahl der Stapelläufc nur vier betragen. E« handelt sich um 'Neubauten de« MarineetatS 1901. Auf der Weserwerst-Bre men wurden im März und April bereit« die kleinen Kreuzer „Frauenlob" und „Arcona" zu Wasser gebracht. Am 21. Juni läuft bei Blohm und Voß in Hamburg der Panzerkreuzer „Ersatz König Wilhelm" vom Stapel und kurze Zeit darauf wird der Stapcllauf des aus HowaldtSwcrken bei Kiel im Bau befindlichen Keinen Kreuzers „6" staltfinden. Weitere Stapelläufc dürften im Lause diese« Jahre« nicht vor sich gehen. Während im vorigen Jahre die Linienschiffe da« Uebergcwicht hatten, laufen in diesem Jahre nur Kreuzer vom Stapel. — Oesterreich-Ungarn. Der Tscheche Klofac hat im ReichSrathe von Neuem unerhörte Ungezogenheiten gegen Kaiser Wilhelm vorgebracht. Man weiß ja in Ber lin, daß die« unter dem Schutze der Parlamentarischen Redefrei heit geschieht und daß sieb deshalb dagegen nicht viel thun läßt. Schlimmer scheint die Sache in Rußland zu liegen, wo die Zen sur Len Blättern ausdrücklich erlaubt hat, die vollständige (erste) Rede Klosac« gegen Kaiser Wilhelm zum Abdruck zu bringen! — E« muß verzeichnet werden, daß in der Mittwochsitzung Ministerpräsident Körper die Jntcrpcllalion Klofac» beantwor tete und auf« schärfste die wiederholten Angriffe gegen den deut schen Kaiser und den Grasen Bülow verurrhciltc. — Südafrika. Ein Spezialbcricht de« Bureau Reuter au» Bloemfontein giebt einige höchst interessante Erinner ungen Dewet« wieder. Der Bericht lautet: „Weder Dewet noch Steijn wurden während de» Krieges auch nur einmal ver wundet. Dewet verbrachte nur >0 Tage de» Feldzuges in Ge sellschaft seiner Frau und sah sie in den letzten zwei Jahren überhaupt nicht. In vielen Theilen der Oranje - Fluß - Kolonie litten die Buren zuletzt stark durch Mangel an Lebensmitteln. Sie lebten hauptsächlich von Fleisch und „MealieS". Brot, Salz und Zucker besaßen sie nicht, dagegen hatten sie viel Honig und machten sich Kaffee au» Kafferkor» und MealieS. In Trans vaal wurde Kaffee au» den Wurzeln eine» gewissen Waldbaume» hergestellt. Die Buren behaupten, daß dieser Kaffee ein aus gezeichneter Ersatz für Javakaffee sei. Die letzten Treiben im Nordosten der Oranje-Kolonie raubten den Buren sämmtliche Nahrungsmittel. Dewet schlief niemals in Farmgcbäuden, da er befürchtete, gelangen zu werden. In einem seiner letzten Armee befehle verhängte er eine Strafe von >0 Dollar ober 25 Peit schenhieben über jeden Burgher, der in einem Hause schlafend gesunden würde. Dewet erzählt viele interessante Einzelheiten. Die Kommando» schliefen niemals zwei Nächte hintereinander an demselben Platze. Auf diese Weise erschwerten sie den englischen Truppen so sehr erfolgreiche nächtliche Ucberfälle. Der Nach richtendienst war ganz vorzüglich, wie man wohl bemerkt hat. Die Kundschafter, oder wie die Buren sie nennen, die Spione, waren so ausgestellt, daß, sobald eine englische Kolonne oder ein Wagenzug sich in Bewegung setzte, sämmtliche Kommando» in einem Umkreise von 70 Meilen die« an demselben Tage erfuhren. Dadurch hatten sie Zeit, abzuziehen, oder sich auf einen Angriff vorzubereiten. Die 'Nachricht über die Marschrichtung englischer Kolonnen wurde von Kommando zu Kommando weitergegeben, so daß alle Kommando« sehr schnell über unsere Bewegungen unterrichtet waren. Der Sjambok wurde von den Kommandan ten häufig gebraucht, um zaghafte Burgher in die Kampflinie vorzubringen. Sein Gebrauch hatte einen viel größeren mora lischen Erfolg al« jede andere Strafe. Die Burgher hielten e« für eine Erniedrigung, gesjambokt zu werden. Dewet erzählte einige Fälle, bei den er selbst von der Peitsche Gebrauch machen mußte. Die längste Wunde, die durch ein Gcwehrgeschvß ver ursacht wurde, war wohl die, die ein Burgher von Vredefort davontrug. Der Mann lag flach zwischen den Schienen der Eisenbahnlinie zwischen zwei Blockhäusern. Er erhielt einen Schuß von dem hinter ihm gelegenen Blockhaus. Da» Geschoß schlug in den Fuß ein und ging dann durch da« ganze Bein durch und blieb in der Hüfte stecken. Der Mann — er heißt Grobler — blieb mehrere Tage ohne ärztliche Hilfe auf dem Felde liegen. Er wurde dann in die englischen Linien gebracht. Hen Gebrauch seines Beines hat er verloren." Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 20. Juni. Eine tieftraurige Botschaft war c«, welche wir heute unseren Lesern als Morgengabe bieten muß ten. Die 'Nachricht von dem am gestrigen Abend erfolgten Hili sch eid en unsere« geliebten, unvergeßlichen Königs Albert. Die tiefe Theilnahmc der hiesigen Bevölkerung an dem herben Verluste ist eine allgemeine. Sowie die ersten Extrablätter aus gegeben, gelangten schon Anfragen Fernerwohnender nach solchen an un«. Wenn man auch durch die wenig tröstlichen 'Nachrichten der letzten Tage aus da« Schlimmste gefaßt sein mußte, so ver breitete doch die vollendete Thatsachc tiefe Niedergeschlagenheit, denn jedes einigermaßen wieder günstiger lautende Wort in den Berichten vom Schmerzenslager in Sibhüenort ließ die Hoffnung auf Wiedcrgenesung Sr. Majestät neu aufleben. — Umflorte Fahnen in den Straßen geben Kunde von dem Beileid der Ein wohnerschaft, der eherne Mund der Glocken trug die Trauerbot schaft über Berge und Thälcr zu den fern Weilenden, und heute Abend 8 Uhr findet, wie au« Plakatanschlägen zu ersehen, eine öffentliche Gedächtnißtrauerfeier der städtischen Collegien im Rath haussaale statt, auf welche auch hier hingewiesen sei. — Plauen. Infolge de« schnellen EmporblühenS der Stadt und der steten Steigerung de« Wasserverbrauchs soll im Geigen- bachthale eine Thalsperre errichtet werden. Der Stauweiher kommt in da« obere Geigenbachthal, nahe der Chaussee von OelS- nitz nach Falkcnstein zu liegen, und zwar an einer sehr günstigen Stelle, da da« Thal tief eingeschnitten ist und seine Wände au» dem harten Andalusitglimmcrfel« bestehen. Durch die Errichtung diese« Stauweiher« wird ein große« künstliche« Wasscrbassin ge schaffen. Der Kostenanschlag hierfür ist aus 2 600000 M. ver anschlagt. Da« Master au« den Thalsperren wird, wie Professor Kruic in seinem hygienischen Gutachten sagt, ein gute« Trinkwasser sein, La e» sich im Becken selbst reinigt. Zum Bau der Sperre hat die Sadt Plauen in den Orten Poppengrün, Werda, Ncudors, Siehdichfür und Neustadt 37 l Hektar Mundstücke für 27O OOO M. angckaust. — Großenhain, 18. Juni. Dieser Tage starb hier ei» seit langen Jahren gelähmter, allen Großenhainern und be sonder« allen ehemaligen Husaren bekannter Mann, Namen» Thieme, der sich seinen Unterhalt durch Verkauf von Militär effekten, die er in den Kasernen vertrieb, erwarb. Der Tod diese» Manne» ruft die Erinnerung an eine schaurige, noch ungesühnte Thal wach. Man bezeichnete ihn nämlich mehr oder minder versteckt al« den Mörder der Birnsteinschen Eheleute, die am 24. August >865, also vor 37 Jahren, in ihrer Wohnung er mordet worden waren. Der Mord erregte damals gerechtes Auf sehen. Der Thätcr konnte nicht ermittelt werden, obwohl ein Verdacht immer wieder auftauchte. So auch gegen den eben verstorbenen, damals gegen 30 Jahre alten Thieme, ohne daß man irgendwelche Beweise zur Bekräftigung dieser Behauptung hätte erbringen können. Thieme soll in seiner Jugend allerdings sehr jähzornig gewesen sein; er war von Beruf Fleischer, groß und stark. In einem JähzornSanfallc tras ihn ein Schlagfluß, der ihn völlig lähmte, und nur ganz langsam vermochte er sich noch fortzubewegen. Die Mitmenschen aber nannte» da« Ver- hängniß, das den Unglücklichen betroffen, ein „GotteSurthcil" und waren nun erst recht nicht von dem Wahne abzubringen. Aber noch auf dem Sterbebette soll der Mann seine Unschuld betheuert haben. Nun ruht er, der lange körperliche und seelische Qualen erlitten, im Grabe und jetzt wird wohl auch die Nach rede Halt machen. — Großenhain, >8. Juni. Gestern stürzte ein Mau rer vom Dach eine« zweistöckigen Hause«, ohne daß ihm dieser Sturz etwas geschadet hätte. — Augustusburg, >4. Juni. Der „Direktor" Rottlof de« hiesigen Saisontheater« ist durchgegangen. Zu dem Ver schwinden des R., welcher früher Cigarrenarbeiter war, sind fol gende Einzelheiten zu erwähnen: Durch da« anhaltend ungünstige Wetter wurde der Besuch de« Theaters sehr start beeinträchtigt und von Tag zu Tag schlechter, sodaß R. in starke Geldverlegen heit kam. Ohne Aussehen zu erregen, hatte er, während seine au» 28 Köpfen bestehende Truppe im benachbarten Börnichen Komödie spielte, sein Gepäck zur Bahn bringen lassen. Al» am nächsten Morgen die von ihrem Direktor bestellten Schauspieler kamen, um ihre Gage in Empfang zu nehmen, fanden sie da» Nest leer — der „Herr Direktor" war mit seiner Gattin durch gebrannt, und zwar, wie die Spuren vermuthen lasten, nach Oesterreich. Nicht nur die Schauspieler sind um ihre Gagen be trogen worden, sondern auch bei einer großen Zahl hiesiger und auswärtiger GeschästSleute hat Rottlof kleine und größere „An denken" zurückgelassen. Höhe Hold. Von v. Bargstede. <S. Fortsetzung.: Barßcn wurde mit der Tode»botschaft unsanft au« sein ein Schlummer geweckt, sein Schmerz war tiefer, al» man nach dem Zusammenleben der Eheleute hätte vermuthen dürfen. Mit lau tem Schluchzen stürzte er sich über die Leiche und rief hände ringend wieder und wieder Telse» Namen. Der Gericht-arzt konstatirte den Tod durch Erdrosselung, die Herren von der Polizei gingen im „Goldenen Dorsch" ein und au«, nie war eine derartige Angelegenheit klarer, sicherer zu durch- schauen gewesen, al« diese. Der Thäter war gefunden, ohne daß man ihn gesucht hatte, der zurückgelassene Hut war der Ver- räther geworden, der Hut von Wach-tuch, der zerdrückt am Boden lag. Die Magd hatte die Unterredung der Frau mit Jen« be lauscht, sie wiederholte jede« Wort. Zuletzt hatte die Ermordete laut ausgeschrieen: .Jen»!" und dann war Alle« still geworden, so still, daß sie sich gefürchtet habe. Und nun wußten die Nachbarn aus einmal alle, daß ein große« Unglück hatte geschehen müssen, da» Käuzchen hatte die verflossene Nacht kläglich gerufen, und von weither hatte man das Winseln der Hofhunde vernommen. Die schöne Wirthin war tobt, und ihr früherer Bräutigam hatte sie ermordet, da« stand fest, und nun wünschten sic ihm ein baldiges strenge« Urtheil und Gericht. Der Barßen war bei der ganzen Sache am meisten zu bedauern, er sah auch um Jahre gealtert aus. Wie ein in Blut getauchter Ball versank die Sonne im Meer, weißgrauc Wolkenberge mit schwefelgelben Säumen und Spitzen bedeckten den Horizont, Möven und Reiher flogen kreisch end dem Lande zu. Die eben noch regungslose Fluth begann sich in kleinen, krausen Wellchen zu beleben, die hüpften und sprangen, thürmten sich auf und flohen vor dem Winde her, der mit seinem schweren Fittich langsam über die Wogen strich. Aber die Sehnsucht nach dem Himmelsbotcn, dem Sturm, war in der See erwacht, sie bäumte sich hoch auf, grollend und donnernd, um ihm zu begegnen, um dann die weißen, schaumgekröntcn Wellen hinabzustürzen in einen tiefgrünen, grundlosen Abgrund. Die Dämmerung war zur Nacht geworden, die Bäume neigten sich, vom Winde gepeitscht, bi« zu Boden, um sich ächzend und knarrend zu neuem Spiel emporzurichten. Ohnmächtig, verzweiflung-voll hatten sich die Insulaner am Strande eingefunden, da draußen in dem empörten Element schwammen auf unsicheren Booten ihre Ernährer und rangen dort mit der tückischen Fluth. E« gab kein Hau» aus der Insel, das nicht mindestens ein Mitglied in Todesgefahr wußte, und sie, Weiber, Kinder und Greise, standen hilflos am User und konnten nicht« thun, al» zum Himmel um Erbarmen zu schreie», zum Himmel, der tiefschwarz und drohend über der gurgelnden Fluth hing. Pastor Braunvw ging mit Erdmuthe von -einer Gruppe zur andern, seine milde, unbewegte Stimme suchte zu trösten und auf zurichten, um der Verzweiflung zu wehren. Auch Erdmuthe sprach leise zu den Weinenden; aber ihr Antlitz war bleich und traurig. Wie viele hoffnungsvolle Menschen würde da« Meer heute wieder begraben, wieviel Elend würde morgen zu lindern sein, und zudem kam ihr persönliche« Empfinden mit in Betracht. Der Kutter war unterwegs, der Herrn von Messingen aber mal« auf die Insel führen sollte, wo er allen ein guter Freund war, und ihr zumeist. Sie hatte e« an seiner Seite empfunden, daß man ein ganzer, echter Mann sein und doch Mitgefühl und Schonung üben kann; ohne Leidenschaft und knabenhafte« Unge stüm halte ihr Messingen seine Zuneigung bewiesen, und doch kannte und theitte sie seine Gefühle. Erwin Feldbach war ver gessen. Verachtung war da» beste Heilmittel de« Mädchen« ge wesen, grenzenlose, unsagbare Verachtung für den feigen, den ver- rätherischen Mann. Jetzt sah man draußen auf den milchweißen Wellen schwarze Punkte erscheinen und deutlicher sichtbar werden. Ein einziger Schrei entrang sich all' den Kehlen: „Da sind sie!" Und alle diese entsetzten angstbleichen Frauen und Mädchen fielen wie aus ein gegebene« Zeichen auf die Kniec und hoben die gefalteten Hände gen Himmel, au« allen diesen fürchtenden, verzagenden Herzen stieg der eine Ruf nach oben: „Rette!" Wo war das Wunder au« der Höhe, welche» einst dem auSerwählten Gottesvolk in der Wüste Speise, da« der heiligen Cäcilia himmlische, blumentragende Engel sandte? Stiegen diese Jammerrufe nicht hinauf bi« zum Thron des Erlöser«? Nur Pastor Braunow und seine Tochter standen aufrecht da, die treue Hand des Vater« hielt die de« Kinde» umfangen, und mitten durch den heulenden Sturm, mitten durch »lacht und Grau« kam die alte Anke daher. Ihr aufgelöste« weißes Haar flatterte im Winde, mit auSgebreitcten Armen vorwärtSschreitenv, sang sie laut vor sich hin ein monotone«, unverständliche« Lick. Der geistliche Herr ergriff ihren Arm und hielt sie zurück. „Anke, Mutter Anke, höre mich; wohin willst Du in dieser furchtbaren Nacht? Geh' nach Hause!" „Still!" sagte die Irre, warnend den Finger erhebend. „Hörst Du den herrlichen Gesang nicht? Da« sind sie — die Wasserweiblein! Horch, horch!" und mit vorgeneigtem Haupt stehen bleibend, begann sie von Neuem ihr heisere» Lied. „Laß' sie, Papa," bat Erdmuthe, „sic ist in ihrem Wahn glücklich, sie fürchtet sich nicht einmal." „Wohl wahr, mein Kind; aber die Nähe der See ist für sic gefährlich." Wie um Braunow» Worte zu bestätigen, eilte Anke jetzt dem Meere zu, dessen flockiger Schaum bis weit aus den Strand flog, immer mit geöffneten Armen, immer singend den Meerfraucn entgegen. „Anke!" rief der alte Herr, ihr nachcilend. „Anke, wohin? Halt ein. Du läufst in Dein Verderben!" Da rollte eine gewaltige Woge heran, bi« an die Dünen wälzte sich die grünliche Fluth, mit einem markerschütternden Aufschrei unbändiger Freude stürzte die Irre vorwärts, beide Arme gen Himmel hebend. „Dirk, Dirk, ich komme!" Der Sturm heulte wie im Triumph, lauter al» bisher, die See rauschte auf, und dann — ein minutenlange» Schweigen. Verstummt war der unheimliche Gesang, verschwunden die große, alte Frau mit dem flatternden weißen Haar! Der Ruf der Wassergeister war zu mächtig gewesen, die Lockung zu unwider stehlich, sie war ihr erlegen. Nimm sie aus in deinen unergründlichen Schooß, du alte», unersättliche» Meer ; bette sic still und kühl auf deinem geheimniß- vollen Grund, wohin ihre Sehnsucht sie zog; gieb dem müden Geist Frieden! Jetzt war e» dem einen der Boote gelungen, dem User näher
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)