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1869 Mittwoch, den 2. Juni vkfe Zeitschrift erscheint wöchentlich zwei Mal, Mittwochs und Sonnabends, und kostet vierteljährlich 12'j, Rgr Inserate werden bi« Dienstag« und Freitags früh 8 Uhr angenommen. Bischofswerda, Stolpen und Umgegend Amtsblatt des Königlichen Gerichtsamtes und des Stadtraches zu Bischofswerda. Nundschau. Wenn eine andere Regierung in einem Parlament von 300 Mitgliedern nur höchstens 60 — 70 ent schiedene Gegner zählt, so hält sie ihre Herrschaft für felsenfest, für unerschütterlich. Nicht so Kaiser Napoleon! Denn in den Augen der Franzosen be deuten gerade die Deputaten, welche aus den großen Städten hervorgingen, wenn sie auch im Parlamente in erheblicher Minderzahl sitzen, den wahren Aus druck der Stimmung von Frankreich. Napoleon ist durch den Ausfall der Wahlen tiefbetrübt ; die Na tion hat ihm fast ein Mißtrauens-Votum gegeben. Rechnet man Alles zusammen, was in Paris und in den Provinzen an Stimmen gegen ihn abgegeben wurde, so hat er nur eine Million Stimmen mehr erhalten, 4j Millionen kaiserliche, 3^ Millionen von unversöhnlichem Hasse gegen ihn und seine Herrschaft eingegeben. Der Erwählte von 8 Mill. Stimmen ist also bedeutend reducirt worden. Es tritt hinzu, daß die mittleren Parteien entschieden an Terrain verloren haben. Charaktere, deren aufrichtige De mokratie gar keinen Zweifel zuläßt, wie JuleS Favre, der so oft von der Tribüne sein mächtiges Wort gegen die Willkürherrschaft erhob, ist in 19 Be zirken, wo er aufgestellt war, durchgefallen und wenn er am 7. Juni zur Stichwahl gegen den witzigen Rochefort kommt, so wird er noch eine 20. Nieder lage zu verzeichnen haben. Auch der berühmte Thiers hat seinen Sitz im Parlamente noch nicht in der Tasche; ein republikanischer Graf macht ihm den- klarer Kopf, wie" Napoleon, sich überlegt, was zu thnn ist — denn daß es nicht so bleiben kann, wie bisher, ist sicher. Paris ist zwar nicht Frankreich, ocker Frankreich läßt sich allmälig von Paris beein flussen, es nimmt das Schlagwort, den Gedanken und den Willen von Päris an. Und merkwürdiger Weise haben sich in allen größeren Städten des Landes dieselben republikanischen Scenen wiederholt, die str Paris sich abspielten. Man sang die Marseillaise, insultme die Polizei-Organe, wenn diese Miene machten, etzMchreiten, es setzte einige Verwundungen, man - Lierundjwanjigster Jahrgang. brachte ein Hoch auf die Republik und ein Pereat auf dm kaiserlichen Candidaten aus u. s. w. Kurz, das ganze Land befand sich in einer revo lutionären Aufregung. Wie wird sich der Kaiser zu ihr verhalten? Die verschiedensten Einflüsse machten sich sofort, als die Wahl der Republikaner in Paris in den Tuilerien bekannt wurde, geltend. Die Reaktionäre, die Männer, welche im früheren gesetzgebenden Körper die äußerste Rechte, die soge nannte Mamelukenpartei bildeten, verlangten augen blicklich einen Staatsstreich. Die wenigen liberalen Institutionen des Kaiserreichs, die beschränkte Preß- und Versammlungsfreiheit sollten augenblicklich casfirt und eine ultra - reaktionäre Herrschaft eingeführt werden, denn sagten sie: wir sehen es, daß der Kaiser mit den geringsten Zugeständnissen, die er an dm Liberalismus macht, auf die abschüssige Bahn kommt, daß jedes Opfer an seinen Rechten nur den Appetit nach Mehreren reizt, beruft uns: die Männer der unerschrockenen Ordnung! Nein —-sagen die Li beralen, beruft den Ollivier; es gilt muthig auf der Bahn der Freiheit vorwärts zu schreiten, ein par lamentarisches Regiment einzusetzen; die geordnete Freiheit ist das beste Mittel gegm die Ausschreitungen der Freiheit. Schafft die persönliche Verantwort lichkeit des Kaisers ab und führt die parlamentarische - Verantwortlichkeit der Minister ein. Angeblich soll der Kaiser geneigt sein, diesen Weg zu betreten, wenigstens hat er angeordnet, daß man gegm exce- dirende Volkshaufen nur im Falle der äußersten Noth einschreiten soll. Dank dieser weisen Politik. Es ... . ... . , herrscht in Frankreich auch augenblicklich überall die selben noch streitig.^ Nun ist es sicher, daß ein so größte Ruhe. Man spricht sogar davon, daß der Kaiser dem boshaften Laternenmann Rochefort vor seiner Wahl in Paris begnadigen werde, womit er ihm allerdings einen sehr üblen Streich spielen würde, da Rochefort dann um viele Scandalscenen kommen würde. Rochefort ist bekanntlich wegen seiner Laterne zu mehreren Monaten Gesängniß verurtheilt worden; er lebt in Brüssel; kommt er jetzt nach Paris, so ruft er, unbegnadigt, heftige Erörterungen über die Frage hervor: ob er infolge seiner parlamentarischen Unverletzlichkeit in dm Sitzungssaal eintreten köuttLs, — Nun giebt es in Paris noch eine dritte Partei,