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Weihnächte»«. Weihnachten! Wie ferne» Glockengeläut« erklingt e« leise in der Seele bei diesem Worte, und längst vergessene Träume einer glücklicheren Zeit beginnen sich wieder zu beleben. Wer denkt bei der Wiederkehr der Weihnacht nicht an so manchen hell erleuchtete» Abend au» der Lindheit. Die schönsten Erinner ungen an den goldenen Morgen unsere» Leben«, der poetische Zauber de» Feste», dem die Liebe den Weihekuß aufgedrückt hat, drängen die Gegenwart mit ihrem leidenschast-durchwogten Kampf gewühl, mit ihren Sorgen und Plagen zurück! Wer wäre inner lich fo verdorrt und abgestumpft, daß er sich gegen die stille Freude ablehnend verhielte, die diese» schönste christliche Fest durch da« Glück derer verbreitet, um dcretwillen e» vorzugsweise ge feiert wird! Und doch ist Weihnachten nicht nur ein Freuden fest der Familie, e» ist da« Sinnbild einer größeren Gabe, die vom Himmel stammt. .Euch ist heute der Heiland geboren." Da» ist die frohe Botschaft, L>e nach der Erzählung der bib lischen Geschichte au« Engelimund den Menschen verkündet wor den ist, der Heiland ist gekommen, der den Fluch der Sünde in Segen verwandelt, der die Menschcnhcrzen mit Gott verbindet, der sie selig macht, ter alle Sehnsucht stillt, alle Angst über windet und jede Traurigkeit in Dank und Freude verwandelt. Diese Botschaft gilt c« umzusetzen in Lob und Preis unsere» Gotte« ; e» gilt sic zu bewähren und zu beweisen im täglichen Leben bei der Erfüllung unserer BerusSpflicht und im Verkehr mit der Welt. Ist Weihnachten vor Allem ein Fest der Kinder, so wird e« die erlle und nächste Ausgabe derer sein, die der Jugend den Weihnachtstisch schmücken, sie mit christlichem Sinne und gläubigem Geiste zu erfüllen. Je mehr in unseren Tagen ge klagt wird über die Verrohung de» Heranwachsenden Geschlecht«, über eine Abwendung von den Idealen de« Leben«, um so mehr gil> e«, in den jugendlichen Herzen den Sinn wahrer Gottes furcht und aufrichtiger Frömmigkeit zu pflegen, um sie gegen die Gefahren zu wappnen, die grade der Jugend drohen. Aber auch über den engen Kreis de« Hause« hinaus muß sich da« tharkräslige Zeugniß eine« lebendigen, praktischen Christen- thum« auch aus alle Verhältnisse unsere» öffentlichen Leden« er strecken. Dazu gehört vor allem die Entfaltung und Berührung der christlichen Liebe, der in so hervorragender Weite die Aufgabe zufällt, Schäden in unserem Volksleben, wo sie vorhanden sind, wirksam zu heilen. Nicht bloß am heiligen Abend u. in den Tagen de« Feste« soll e« un« ein Bedürsniß jein, di« Liebe nach außen kund werden zu lassen, sondern die auf Miltbeilcn und Wohl thun gerichtete Stimmung muß da« Fest überdauern, wenn wir Weihnachten nicht umsonst gefeiert haben sollen. Es gilt fort und fort, da« Licht der Gotte«- und Menschenliebe, dessen Sinn bild unsere Weihnacht« kerzen sind, in jede« Dunkel der Armuth und der Noth hineinleuchtcn zu lassen. Es gilt, die Liebe, die am WeihnachtSfest auch der Armen und Nothleidenden, der Be drängten und Verlassenen de« Volke« gedenkt, alle Zeit zu be währen und so die Kluft zwischen Reichen und Armen, zwischen Besitzenden und Entbehrenden, zwischen Ueberfluß und Mangel auszugleichen und zu überbrücken. Möge der kurze Ruhepunkt, den un« die Feiertage in dem rastlo« vorwärt» hastenden Leben bringen, Allen von Segen sein; mögen sie einen Ansporn gewinnen, ihre Kraft nicht nur in den Dienst de« eigenen, selbstischen .Ich" zu stellen, sondern auch in den Dienst der Gesammtheit. Allen unfern Lesern aber wünschen wir zum Schlüsse: „Fröhliche Weihnachten." Tagesüeschichte. — Deutschland. E« soll von der Behörde beabsichtigt sein, eine nähere Erklärung der .Gneisenau"-Katastrophe zu veröffentlichen, sobald man im Besitz eingehender Berichte sein wird. Bezüglich der Bergungsarbeiten haben die begonne nen Taucherarbeiten gezeigt, daß die .Gneisenau" aus dem Felsen sestsitzt und verloren ist. Bisher konnte nur die Dokumcntenkistc geborgen werden. — Berlin, 21. Dezember. Nach fast zweimonatlichen Verhandlungen, nach einem mit den ausgedehntesten und skrupel losesten Mitteln turchgeführlen Ringen zur Aufdeckung und zur Verdunkelung der Wahrheit ist heute Sternberg zu einer er heblich schwereren Strafe verurtheilt worden, al« bei der ersten gerichtlichen Behandlung derselben Angelegenheit. Da« Gericht hat aus 2'/r Jahre Zuchthaus erkannt, gegen früher ausgespro chene zwei Jahre Gefängniß. Von der Strafe wurden 6 Mo nate al« durch die Untersuchungshaft verbüßt erachte«. Zugleich sind dem Angeklagten 5 Jahre lang die bürgerlichen Ehrenrechte abgcsprochen worden. Wenn eine menschliche Existenz vernichtet ist, nachdem sie einen furchtbaren Kampf, sei e« auch um die schlechteste Sache, bi» zum Schluß mit aller Energie durchgesoch- ten hat, kann man sich eine« gewissen Gefühl« de« Mitleid« nicht erwehren. In diesem Falle aber wird von vornherein die Genugthuung überwiegen müssen, daß die Schuld ihre Sühne findet. Und wenn einmal die Richter zu der Ueberzeugung ge langt sind, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Ver brechen an unerwachjenen Mädchen wirklich begangen hat, dann dürste e» auch da« Richtigere sein, nicht au« der sinnlich ange legten Natur de« Schuldigen mildernde Umstände herzuleiten, wie c« der frühere Richterspruch that. — Von den Führern de« großen Kriege« in Rath und That, deren wir un« seither noch erfreuen durften, ist der betagteste, der 90jährige Generalfeldmarschall Graf Blumen thal in dieser Nacht aus dem Landsitze zu Quellendorf bei Köthen au« dieser Zeitlichkeit geschieden. Leonhard Graf Blumen thal war am 30. Juli 1810 zu Schwedt a. d. Oder geboren und trat 1827 al« Offizier in da« damalige Garde-Reserve-, jetzige Garde-Füsilier Regiment, ein. Er nahm 1848 am 18. März beim Füsilier-Bataillon de« 131. Regiment» am Straßcnkampf in Berlin theil. Im Stabe de» General« von Bonin wohnte er 1849 dem Feldzüge in Schleswig und Jütland bei. Zum Chef de« kombinirten mobilen Armeekorps gegen Dänemark er nannt, hatte er entscheidenden Antheil am Sturm auf die Düp- peler Schanzen und am Uebergang nach Alsen. Beim Au-bruch de« Kriege» gegen Oesterreich 1866 wurde er Chef de« General stabe« der 2. Armee unter dem Kronprinzen. In dieser Stellung zeichnete er sich hervorragend au«, insbesondere am 3. Juli bei Königgrätz und durch die Anordnung der BersoIgung«mLrsche zwischen Olmütz und Wien. Im deutsch- sranzösischen Krieg von 1870 war er wieder Chef de« General stabe« der Armee de» Kronprinzen. Bekannt sind seine berühm ten Operationen, die zum Sieg bei Sedan und zur Vorbereitung der Einschließung von Pari« führten. Bereit« 1883 in den erb lichen Grafenstand erhoben, wurde er von Kaiser Friedrich am 12. März 1888 zum Generalfeldmarschall ernannt. — Die .Post" meldet au» Wilhelm-Haven: Die Pan zerschiffe .Baden" und .Freya" sind zu den Hochzeit«feierlich- keiten in Holland kommandirt. — Oesterreich-Ungarn. Eine Versammlung von Arbeiterverlretern dcSnordböhmischen Kohlenbezirk« in Teplitz hat einstimmig beschlossen, aus »oller Durchführung der Forderung de» Achtstundentage» zu bestehen und bet Ableh- nung weiterer Unterhandlungen seilen« der Werktverwaltungen den Generalstreik zu proklamiren. Für den I. Januar sind große Bergarbeiterversammlungen zur Beschlußfassung einberufen. — England. London, 21. Dezember. Da« Krieg«- awt giebt bekannt, daß angesichts der allgemeinen Lage in Süd afrika beschlossen worden ist, in der nächsten Woche 8000 Mann berittene Infanterie zu entsenden. Zwei Regimenter Kavallerie werden abgehen, sobald TranSporldampser bereit sind. Ablhcii- ungen der Kolonialpolizei werden abgehen, sobald sie sormirt sind. Ein weiterer "Nachschub für die in Südafrika befindlichen Kavallerie-Regimenter wird entsandt werden. Gleichzeitig wer den Australien und Neuseeland ausgefordert werden, weitere Kon tingente berittener Truppen zur Verfügung zu stellen. — China. Generalfeldmarschall Gras Waldersee meldet au» Peking, 21. Dezember: Die au« Paotingsu abgesandle Kolonne unter Major Haine, Kommcndcur de« 2. Bataillon« de« 3. ostasiatischen Infanterieregiment«, hatte am 15. ds«. Ml«, bei Aungtsinghsien, 90 Kilometer nordöstlich von Poatingsu, einen Zusammenstoß mit regulären chinesischen Truppen, wobei biesseit« 1 Osfizier und 2 Unterosfiziere leicht verwundet wurden; auf Seilen der Chinesen ist ein bedeutender Verlust zu verzeichnen. Am 19. Dezember ist eine Kolonne unter Oberst Grueger, Kommandeur de« 6. ostasialiscken Jnfanlerieregiment», von Ticnt sin über Fongtai auf Zuetienhsten, 100 Kilometer nordöstlich von Tientsin, geschickt worden. — Südafrika. Die in die Kapkolonie eingebrochenen drei Burenkolonnen werden von den Kommandanten Hertzog, Philipp Botha und Haasbroek befehligt. Außer diesen drei Kom mando« ist jetzt noch ein vierte« Burenkommando über den Oranje gegangen und zwar bei ZoutpanS-Drift, um die Buren in PhilippSIown zu verstärken. Locale und sächsische Nachrichten. — Eibenstock. Beim Herannahen de« Jahreswechsel« empfiehlt e« sich dringend, den Einkaus von Freimarken zur Frankirung der NeujahrSbrtese einige Tage vor dem 31. Dezember zu bewirken, damit zur Zeit de« Neujahr«- verkehr« Erschwernisse an den Postschaltern möglichst vermieden werten. Ebenso liegt e« im eigenen Interesse de» Publikum«, daß mit ter Auflieferung der NeujahrSbriesc insbesondere der nach entfernten Orten bestimmten, frühzeitig begonnen und hier mit nicht etwa bi« zum 31. Dezember gewartet wird. Damit bei dem zum Jahreswechsel beträchtlich gesteigerten Briesvcrkehr die Bricsbcslellung ordnungsmäßig durchgesührt werten kann, ist e« noch -in höherem Grade al« zu gewöhnlicher Zeit erforder lich, daß in den Aufschriften der Sendungen die Angabe der Wohnung de« Empfängers recht genau erfolge, unter Bezeichnung von Straße, Hausnummer und Stockwerk. Bei Briesen nach Berlin ist auch der den Postbezirk bezeichnende Buchstabe (di. 8. VV. usw.) hinzuzusügen. — Ferner ist es erwünscht, daß die Be stellungen auf die Zeitungen möglichst frühzeitig, und nicht erst am 30. oder 31. Dezember erfolgen. - Schönheide. Die am 1. Dezember 1900 vorgenom mene Viehzählung stellte fest, daß in hiesiger Gemeinde 68 Pferde, 411 Rinder, 8 Schafe, 71 Schweine, 248 Ziegen, 1773 Gänse, 77 Enten, 2968 Hühner, 8 Truthühner und 38 Bienen stöcke vorhanden waren. — Rautcnkranz, 21. Dezember. Da» königl. Finanz ministerium hat den KommissionSralh Leo bei der königl. Stra ßen- und Wasserbau-Inspektion in Plauen mit der Ausarbeitung eine» Projekte« zur Wiederherstellung zweier großer Teiche be- auft'oat, die in früheren Zeilen in der Gegend von Rautenkronz bestanden hatten und mit Zugichlcußen versehen waren, sodaß die Pyra, an welcher eine größere Anzahl industrieller Betriebe liegen, auch in wasserarmer Zeil Wasser Halle, während bei hef tigen Niederschlägen die Teiche al« Sammelbehälter für die Pyra gedient haben. Al« die Zugschleußen verfielen, grub man die Dämme der Teiche ab und damit hatte deren Bestehen auf- gehört. — Dresden, 21. Dezbr. Mit voller Strenge ging da« Kriegsgericht der 1. Division Nr. 23 unter dem Vorsitz de» Hrn. Major von Schlicken vom 1. (Leib-) Grenadierregimenr Nr. IM gegen den 1879 geborenen, in der Unteroffizierschule zu Marien berg erzogenen Unterosfizier Karl Arthur Groß vor, welcher sich, bei der 1. Kompagnie de« Leibgrenadierregiments Nr. 100 dienend, mit Planmäßigkeit und unerhörter Rücksichtslosigkeit der Miß handlung von 10 Rekruten schuldig gemacht hat. Er hat die Leute, die au« Furcht keine Meldung erstatteten, 4 Wochen lang nur mit „Du" angercdet und täglich mit Ohrfeigen traktirt. Einzelne davon ließ er 8—10 Minuten Kniebeuge machen mit vorgcslreckten Armen. Andere stieß er mit der Gewehrmündung in den Unterleib, einem Manne warf er einen Patronenrahmen vor die Brust, daß dieser erkrankte, wieder einen Anderen ließ er so lange am Ouerbaum hängen, bis der Mann kraftlos herunter fiel, Schläge mit der Faust unters Kinn und Fußtritte beim Exerzircn bildeten weitere Ausdrücke der Roheit diese» Unter- osfizier«. Der rohe Patron wurde zur Verbüßung einer einjähr igen Gefängnisstrafe verurtheilt und außerdem Legradirt. Gegen diese« Urthcil legte er Berufung ein. — Dresden, 21. Dezember. Uebcr einen abermaligen, von einem Straßenbahnwagen in Vorstadt Striesen gestern ver ursachten schweren Unglückrfall wird gemeldet: Al« ein von der Wallherstraße kommender, nach Tolkewitz fahrender Wagen kurz vor 12 Uhr in der Nähe de« ehemaligen Striesener Bahnhofe« gekommen war, sprang au» dem Kreise einiger aussicht«lo« auf der Fußbahn spielender Kinder, die 5jährige Tochter de« Kauf mann« Dietrich ca. 6—8 Meter vor dem in der Fahrt befind lichen Wagen auf den Bahnkörper und wurde, da trotz sofortiger vollständiger Bremsung der Wagen auf so kurze Strecke nicht zum Stehen zu bringen war, umgestoßen, überfahren und so ver letzt, daß sie nach zwei Stunden den erlittenen Wunden erlag. Nach Aussagen der zugegen gewesenen Zeugen soll den Fahrer keine Schuld treffen. — Dre«den, 22. Dezember. Se. Kgl. Hoheit Prinz Friedrich August, bei.dem sich schon seit längerer Zeit ein Bruch entwickelt hatte, erkrankte am Donnerstag unter Er scheinungen, die eine Operation erforderlich machten. Diese wurde gestern Mittag auSgesührl, verlies in normaler Weise und läßt eine baldige völlige Genesung erwarten. v»r («achvruck vsrdwUn.) 25. Dezemßer. Attentat auf Napoleon Bonaparte. Die wachsende Macht des ersten EonsulS war sowohl den Terroristen, (den alten Jakobinern), al- auch den Royalisten, welch« die alte Ordnung der Dinge zurücksehnten, ein Dorn im Auge. Die Letzteren verübten nun am genannten Tage ein Atten tat, dem Bonaparte nur durch ein Wunder entging. Leiter war der Roya list Heyde de Neufville und Edelleute auS der Bretagne besorgten die Aus führung. Man verpackte Pulver und Kugeln auf eine solche Weise in ein Faß, daß dasselbe, durch einen Zündfaden in Brand gesetzt, rund herum Alles zerschmettern mußte. Die- Faß wurde am genannten Tage auf einem Karren in einer engen Straße aufgestellt und in dem Augenblick durch eine Zündschnur entzündet, al- sich Bonaparte in einem Wagen nahte. E- sprang mit einer so furchtbar zerstörenden Gewalt auseinander, daß 8 Menschen getödtet und 28 schwer verwundet wurden. Bonaparte selbst wurde jedoch durch den zufälligen Umstand gerettet, daß sein Kutscher gerade beim Ein lenken in jene Straße, vielleicht weil er die Gestalt de- Karren- auffällig fand und Verdacht schöpfte, die Pferde stärker angetrieben hatte. Bonaparte ließ >38 Terroristen verhaften, die ganz unschuldig waren, trotzdem aber ohne alle- Gericht verurtheilt wurden. Die eigentlichen T Hüter wurden erst später entdeckt. 2t». Dezemser. Die Lesekunst auf dem Lande 1800. In unserer Zeit des Schulzwanges, in der Analphabeten nachgerade eine Rarität werden, wird man eS kaum begreifen, daß vor hundert Jahren das Lesen noch al- eine „Kunst" bezeichnet wurde. Wie man aber in gewissen gebildeten Kreisen über den Unterricht auf dem Lande dachte, beweist folgender Erguß des kgl. HofpredigerS, Oberkonsistorial- und Kirchenrathes Sack-Berlin! „Uebrigens wage ich eS, den großen Nutzen zu bezweifeln, welchen das Lesenkönnen dem Landmanne und insbesondere dem weiblichen Geschlechte bringt. Der ganze Bücherkram gehört nicht für diese ehrwürdige ganz in den Kreis des prak tischen Leben- eingeschloffene Klaffe; und der Vortheil, den sie aus einer doch immer sehr mangelhaften Geschicklichkeit im Lesen ziehen kann, lohnt gewiß nicht die daraus verwandte Mühe ... Es ist wohl ein recht schö nes Ideal, daß etwa in den langen Winterabenden die fleißige Familie des Bauern um den traulichen Herd sitzt und der Vater oder der Sohn ihr aus einem nützlichen Buche etwas vorlieset, aber es ist und bleibt ein Ideal, das sich in einem Roman recht gut darstellen, aber in der wirklichen Welt sich nicht sobald realisiren läßt usw." — Wenn der gute Mann die Menge Zeitungen und Bücher sehen könnte, die heute auf das platte Land hinaus gehen ! 27. Dezemver. Ringelrennen in Norddeutschland 1800. Jenes Ringstechen, wie man eS heute unter den Kinderspielen zuweilen findet und wie es manche KaroufselS eingerichtet haben, war vor 100 Jahren im nördlichen Deutsch Scheiben nnttels Federn so befestigt waren^ daß sie mit einiger Kraft aus der Kapsel herausgestoßen werden konnten. Auf muthigen Rossen im vollen Galopp reitend suchten die Wettkämpfer mit einem kurzen, runden, hölzernen Spießchen die Löcher der Scheiben zu treffen und diese aus der Kapsel her auszustoßen. Die Sache war durchaus nicht leicht und es gehörte große Geschicklichkeit dazu, alle Scheiben in thunlichst wenigen Läufen zu treffen. Das Spiel wurde auch vereinfacht zu Fuß geübt ; eS ist übrigens auch für daß es wohl wieder größere Verbreitung.finden könnte. 28. Dezember. Jahrhunderts-Denkmünzen 1800. Zum Ende des Jahres Aussicht glücklicher Zeiten, vorzüglich gegen die allgemeinen Drangsale des Krieges in den letztverslvssenen Jahren." Die Vorderseite zeigte den Genius der Menschlichkeit (gelehnt an eme mit der Zahl XIX versehenen Säule, der die Göttin der Menschlichkeit umfaßt und diese mit einer Blumenguir lande umwindet. Zu seinen Füßen liegt der Vogel Phönix, welcher nach vielen durchlebten Jahren sein Nest zu seinem Scheiterhaufen macht und verjüngt in erneuter Kraft daraus hervorgeht. Die Rückseite zeigt den mit der Münze trägt den Vergleichen Versen Voß'scher Uebersetzung: „Schau, wie Alles sich freut des kommenden Wonne-Jahrhundert-." Diese Denk münze kostete in Silber L'/„ in Dutatengold 25 Thaler. Es gab aber Derloren und gefunden. Die Dämmerung hatte sich längst de« kleinen Zimmer« be mächtigt, welches in der zweiten Etage eine« einfachen Hause« ein ältere« Mädchen bewohnte, da«, die nie sonst rastenden Hände müßig in den Schooß gelegt, sich stillen Träumereien hmgab. Auch da« war sonst nicht Johanna Helmer« Sache. Sie war auch nicht fiel in ihrem Leben zum Träumen gekommen; kaum Nacht«, denn der Tag brachte ihr stet« so reichlich Arbeit, daß ihr Schlaf fest und lraumlo« war und nur für Kraft zum kom menden Tagewerke sorgte. Sie halte auch nicht viel Stoff zum träumen, denn die Zeit der Jugend, die ja so reich daran zu sein pfleg!, war säst jpurlo« an ihr vorüber gegangen; der Ernst de« Ledens war früh an sic herangetreten. Al« Aelteste von sieben Kindern, die in nur kurzen Zwischen räumen sich gesolgt waren, mußte sie, da Schmalhans stel« Küchenmeister im Ellernhause gewesen, in Ermanglung anderer Hülse, jeden neuen Sprößling tragen, füttern und warten, noch ehe sic selbst erwachsen war; denn kaum war ihre ohnehin schwäch liche Muller wieder etwa« zu Kräften gekommen, so ging diese wieder ihrem Berus al» Waschfrau in fremden Häuser» naä>. Der Baler, ein Zimmermann, war auch meist außer dem Hause, bei Neubauten deschästigt. Da ruhte denn aus Johanna'« schwachen Schultern schon früh manche Pflicht im Haushalt und c« blieb ihr wenig Zeit, Kind mit den Kindern zu sein. Die Mutter kränkelte viel und al» das letzte Kind kaum geboren, verließ sie ihre kleine hülflosc Schaar, verließ ihren Lebensgefährten, mit dem sic getreu Freud und Leid gctheilt hatte und ging zur ewigen Ruhe. Ein Herzschlag hatte ihrem Leben ein Ziel gesetzt. Zum Glück brauchte der Valer dennoch nicht« in der Häuslichkeit zu entbehren. Seine I4jährige Aelteste war wohl cingeübl in den Pflichten de» Hauistand« und die kleineren Gejchwisler hatten sich so an Johanna'» fürsorgliche Herrschaft über sie gewöhnt, daß sic gern gehorchten und ihr die Pflichten nicht noch schwerer machten, durch Ungehorsam, Krankheit oder sonstige» Unglück. E» .wachte der KinbeSengel über der kleinen Schaar. Kaum war da» jüngste Kind soweit, daß e» lausen konnte, da brachte man den Vater eine» Tage» mit zerschmetter tem Schädel nach Hau»; er war vom Gerüst gefallen und gleich lobt. Da« war ein harter Schlag! Nun ging eine Zeit der Sorge an für Johanna. Nicht nur nach Kräften hatte sie für da« tägliche Brod zu sorgen und der Roth darum durch Hand arbeit für Andere zu steuern — auch die Sorge für die weitere Erziehung und die Unterbringung der Geschwister lag auf ihren schwachen Schullern. Doch sie war tapfer und gewissenhaft und e« gelang ihr schließlich. Alle in sichere Lebensbahnen zu leiten. Die Knaben waren jetzt in der Lehre; eine Schwester heirathcte bald nach dem Tode de» Vater» und die jüngste Schwester verließ vor einem Monat an der Seite eine» Gatten, der ihr in Ber lin eine kleine bescheidene Häu»lichkeil bieten konnte, die Räume, worin da» Schwesternpaar in den letzten Jahren, gleichsam wie Mutter und Tochter, geweilt hatte. Manche» Mädchen in Jo hanna'» Alter — sie war inzwischen 36 Jahre geworden — hätte wohl nun über einen verfehlten Lebensberuf getrauert: doch trotz dem sie unvermählt geblieben, kam ost ein Gefühl der Befriedig ung über diese, daß sie ihren Berus erfüllt habe. Sic hoffte, sie wünschte nicht« mehr vom Leben und — von der Lieb«. Und doch, — wie war ihr heute so weh, so wunderlich zu Muth! Da« kam wohl von der AdoenISdammerung, deren Zauber sie in ihrer Einsamkeit gefangen nahm! Sie träumte; nicht vom Künf tigen, nein von der Vergangenheit. Au« all dem dunklen Ernst der vergangenen Tage glänzte auch für sie in der gerne rin strahlender Stern! Er war ihr in der Werkstatt de» Vater« aufgegangen. Dessen Geselle, ein kräftiger, fleißiger und leben«- froher Bursche, hatte nicht nur bewundernd aus die erblühte