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Rickar» Warner enthai:. Li heißt Sa u. A.: „Es «ar um Morgen oe« 0. Mai 1849, al» Sie Wirthin oe« Gastbauje« entfernte« Schießen vernahm. Erschreckt trat sie oor »ie Hau«- lhür und erblickte auf der jenseits der Weißeritz gelegenen Band straße Schaaren bewaffneter Insurgenten vorüber fliehen. E« waren die letzten, welche Dresden nach dem oerhängnißvollen Maiausstand verließen; die Mehrzahl derselben, die provisorische Regierung voran, Halle sich schon Tag« zuvor, am 8. Mai, über Tharandt »ach Freiberg geflüchlet. Diesen Nachzüglern waren aber die Preußen sehr Hari aus den Fersen, Plötzlich stand ein kleiner, im Gesicht und an den Hande» vom Pulverdampf ge schwärzter Mann vor der erschreckten Wirthin, der, nachdem er ihr einen bedeutungsvollen Wirk gegeben, hastig an ihr vorüber in da« Innere de« Hause« stürzt. Er trug da« bekannte Kostüm der Freischärler, eine graue Joppe mit grünen Aus schlägen und einen kleinen Turnerhut mit grauer Schnur. „Um Gotte« willen!' rief er athemlo«, „schnell Wasser zum Waschen, und packen Sie mir etwa» Brot und Fleisch zusammen, aber so rasch wie möglich, denn jede Minute kann mir den Tod bringen.' Die Wirthin erholte sich rasch von ihrem Schrecken, und nachdem sie da« Verlangte besorgt halte, fragte der Insur gent: „Sie scheinen mich heul' nicht zu kennen!" Zögernd er widerte Sie Frau mir mißtrauischem Blick auf sein Aeußere«: „Ja, gesehen habe ich Sie wohl schon öfter — aber...' „Nun, jedenfalls habe ich noch so viel Kredit bei Ihnen, um da« Früh stück später bei Ihnen bezahlen zu können, denn leider habe ich keinen Pfennig bei mir. Ich möchte Sie sogar bitten, mir Je manden zu besorgen, der mich tieser durch den Wald nach Frei berg führt!' Ohne lange» Besinnen rief die Wirthin, nachdem sie dem Fremden noch eine Flasche Bier eingeschänkl hatte, ihren ältesten Schn herbei, und von diesem geführt, verließ der In surgent dankend da« Wirthshau», um aus unbekannten Wald wegen glücklich den Verfolgern zu entrinnen. Kaum war der Flüchtling mit feinem Begleiter im nahen Gebüsch verschwunden al« auch schon auf der entgegengesetzten Seite die preußischen Soldaten sichtbar wurden. Zwei Offiziere sprengten auf die Wirthin zu und fragten barsch, ob sie einen Insurgenten im Hause verborgen halte, wa« sie mit gutem Gewissen verneinen konnte. Trotzdem wurde da« Hau» durchsucht, natürlich ohne Erfolg. Vierzehn Jahre später, im Sommer de« Jahre« 1864, trat eine« Nachmittags ein Herr in die Küche, al« ob er mit den Räumlichkeiten sei! Jahren vertraut wäre. Die Wirthin, die sich mittlerweile wieder verheirathel hatte, blickte erstaunt den kleinen, eleganten Herrn an, der freundlich lächelnd in der Thür stehen bleibt. „Guten Tag, Frau Wirthin, ich komme, um endlich meine Schulden zu bezahlen." Die Frau schüttelte un gläubig den Kopf, obwohl ihr da« Gesicht und die Stimme de« Fremden nicht unbekannt erschienen. „Nun, lange ist« sreilich her und kein Wunder, wenn Sic mich vergessen haben. Aber ich habe e« nicht vergessen, welch großen Dienst Sie mir vor 14 Jahren am Morgen de« st. Mai geleistet haben." „Jesu«, der kleine, schwarzgebranute Herr, der mir da« Frühstück nicht bezahlen konnte!" Lachend bezahlte hierauf der Fremde seine Zeche von damals in Höhe von 6 Neugroschen und bemerkte zum Schlüsse: „So, nun bin ich diese Schuld, die mich so lange ge drückt hat, auch loS; aber damit Sie auch wissen, wem Sie so lange kreditirt haben, will ich mich Ihnen verstellen al« den durch den König amnestirten früheren sächsischen Hofkapellmeister Richard Wagner." — Dresden, 20. Juli. Die Privat« Theresia Zahnel geb. Neumann, die am Abend de« 20. März d. I. in einem Straßenbahnwagen der Linie Schloßplatz Blasewitz den König!. Kammermusik»« Adolf Gunkel erschoß, ist gestern zur Beobachtung ihre« Geisteszustände« der Irrenanstalt Sonnenstein zugesührt worden. — Leipzig, Ist. Juli. Die Königl. Staatsanwaltschaft hat gegen die Direktoren und den AufsichtSrath der Leipziger Wollkämmerei Anklage erhoben wegen Verschleierung. — Leipzig, 20. Juli. Eine ArbeiterSfrau in Leipzig- VolkmarSdorf warf heute, anscheinend in einem Anfall von Geistesstörung, ihre beiden 2'/, und 1 Jahr alten Kinder zum Fenster hinau« auf die Straße. Da« jüngere Kind war sofort todt, dar andere trug schwere Verletzungen davon. — Leipzig, 20. Juli. Die heute im Krhstallpalast ab gehaltene Versammlung von Gläubigern der Leipziger Bank beschloß, in der am 27. Juli im hiesigen Zoologischen Garten stattfindenden Gläubigerversammlung dahin zu stimmen, daß in den endgültigen Gläubigerausschuß außer den ihm bereit« provisorisch angehörenden Herren noch gewählt werden: Kom- merzienrath Kummer, S. I. Tobia», in Firma Tobia« Schmidt, G. W. B. Cramer, in Firma Polter L Co., in Leipzig, und Wilhelm Andrea« Müller in Plauen. Dieselben werden ersucht, dahin zu wirken. Laß ersten» mir allen Mitteln sofort gegen Len AufsichtSrath vorgeganzen wird, zweiten«, daß eine baldige Pro- rata - Vertheilung statlfindet, dritten«, daß Gelder nach Cassel nur dann gegeben werden, wenn dieselben ganz sicher nicht ver schleppt werden, vierten« ein Vergleich mit den Aktionären nur nach Befriedigung der Gläubiger stattfinden kann, andernfall» solle e« der Zustimmung einer einzuberufenden Gläubiger-Ver sammlung bedürfen. — Plauen i. B.< 21. Juli. Seit gestern tagt hier die 40. Generalversammlung de« Geiammlverein« der Gabeltberger- schen Stenographenvereine im Königreich Sachsen, zu der die Vertreter von 118 Vereinen de« Gesammtverein« und zahlreiche sonstige Feskgäste erschienen sind. — Werdau, 19. Juli. Wie dem „DreSdn. Anz." von glaubwürdiger Seite geschrieben wird, gehört der verhaftete Direktor Hennig der in Konkur« gerathenen Spinnmaschinen fabrik I. H. Popp vielmehr zu den Opfern der Katastrophe al» zu ihren schuldigen Urhebern. Besonder» sei die Nachricht un zutreffend, daß er durch Deckung von Privatschulden da« Ver mögen der Aktiengesellschaft geschädigt habe, da seine Lebensführung stet« durchaus einfach und ehrenhaft gewesen sei. Mangel an Geschästrkenntniß habe ihn ein Opfer der unlauteren Machen schaften de« flüchtigen Direktor« Teichmann werden lasten. Die Königl. Staatsanwaltschaft erkenne die« auch dadurch an, »aß sie bereit sei, ihn gegen eine Kaution von 25,000 Mark au» der Hast zu entlasten. — Annabcrg, 18. Juli. Die Erbauung der geplanten Drahtseilbahn vom hiesigen Bahnhöfe nach der hochgelegenen Stadt ist nunmehr beschlossen. Die neue Bergbahn wird eine Länge von 282 Meter erhalten und soll stündlich 2000 Personen zu befördern vermögen. — Reichenbach, Ist. Juli. Eine wackere Thal »oll- bringt zur Zeit der Turnerbund in Reichenbach i. v. Der selbe halte beschlossen, sich eine eigene Turnhalle zu bauen, allein die Dkittel reichten nur dann Halbweg« zu. wenn die Turner die Au«fchachlung«arbeiten. selbst besorgten. Und sie sind jetzt dabei, die zu beseitigenden 9996 cbm gewachsenen Boden selbst auSzu- heben, wozu ihnen Herr Architekt Schmidt da« Geräth kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Unter »er Aufsicht von 3 BauauS- schußmiigliesern aibeiiet seit dem 15. Juni jede« Mitglied »e» Reichenbacher Turnerbunde« an zwei Abenden der Woche auf dem Bauplatz von 8—10 oder '/, I I Uhr und selbst der Regen vermag, wie „Der Turner au» Sachsen" berichtet, die wackeren Turnei nicht zu vertreiben. Ende Juli hoffen die Leut» einen Stollen von 18 Meier Tiefe und 24 Meter Länge in die Berg lehne getrieben zu haben, der an der schwersten Stelle über vier Meter hoch ist. Der auSgegrabene Schutt, meist Steine, wird zur Ebnung eine« 700 yni großen Turnplätze» verwendet. Die Turnhalle, 30,500 Mark kostend und im 'November zur Vollend ung gelangend, soll 30 Meter lang, 15 Meter tief und 's Meter hoch werden. Durch die Au»schachlung»arbeiten verdient sich der Verein 3500 Mk., gewiß ein schöner Erfolg der angewandten Turnkunst. — Glasewitz, Ist. Juli. Ein in Blasewitz lebender älterer Rentier hatte sei» ganze» Vermögen im Betrage von 66,000 Mk. in Leipziger Bankaktien angelegt. Vor mehreren Monaten nun, al« noch Niemand die unsichere Lage de« Leipziger Finanzinstituts ahnte, erhielt er von seinem Neffen, einem Fabrikbesitzer, einen Bries, in dem dieser die Mitthcilung machte, e« sei ihm eine Hypothek gekündigt worden. Der Fabrikbesitzer machte infolge dessen seinem Onkel den Vorschlag, ihm die 66,000 Mark auf jein Geschäft zu leihen, er wolle ebensoviel Zinsen bezahlen, wie die Dividende ausmache, die der Rentier al- Inhaber von Leipziger Bankaktien beziehe. Nach langen Verhandlungen ent schloß sich der Rentier , dem Verlangen seines Neffen nachzu kommen. Er veräußerte seinen Aktienbesitz zu dem damaligen hohen Course, büßte also nicht einen Pfennig ein. Hätte der Rentier die Bitte seine« Neffen abgeschlagen, dann wäre er heute, nach der Leipziger Bankkatastrophe, ein Bettler. Man kann sich die Freude kaum Vorsteven, die der alte Herr über die glückliche Fügung empfindet. Amtliche Mittheikungen aus der Silinng des Stadtrathes zu Eibenstock am 16. Juli 1901. Anwesend: 3 Stadträthe, Vorsitzender: Herr Bürgermeister Hesse. 1) Herrn Conmrerzienrath W. Dörffel wird der nachgesuchte Urlaub ertheilt. Ebenso bewilligt man Herrn Bürgermeister Hesse vom 18. Juli UM Die Vertretung übt zunächst Herr ^tadtrath-Iustizrath Landrock als bestellter Vertreter des Bürgermeisters aus. Da jedoch Herr Iustizrath Landrock am 8. August verreist, wird für die weitere Zeit Herr Stadt rath Meichßner und in dessen Vertretung Herr Stadtralh Eugen Dörsfel die nothigsten Bürgermeistergeschäfte erledigen. 2) Für den beurlaubtet: Fndustrieschullebrer Herrn Häbler wird als Vertreter der Musterzeichner Herr Merkel hier bestimmt. 3> Dse. Holzli^erun^ für^die ^ nädlis^en Gebäude^ überträgt man je zur ^chrer Majestät unserer allergnädigsten Königin Carola an die Abendschule. 8) Die Beschlußfassung über den Neustich des Stadtwappens, sowie über die Dekoration des Wappens :c., setzt man aus. 7) Der Fußgängeriteg über den Bach hinter dem Hotel „Stadt Dresden" soll durch eine Barriere von der daneben besindlichen Brücke getrennt werden. Außerdem kamen noch 5 Steuer-, 5 Bau, 3 Strafsachen und ver schiedene andere Angelegenheiten zur Erledigung, die des allgemeinen In teresses entbehren, beziehentlich zur Veröffentlichung nicht geeignet sind. Zwei seltsame Erlebnisse. 1. Hypnose? Auf Brüssel lag eine milde, blaue, sternenklare Vorsommer nacht de« Jahre« 1886. Vor den Casts ve« Boulevard L'AnSpach saß an kleinen, weißen Ma.mortischen die Lebewelt, plaudernd, lachend, geftikulirend. Aus den Trottoir« strömte unermüdlich der breite Strom der Passanten der Flaneure, der Damen der Monde und Demimonde auf und ab, hin und her. Au« ein-m nahen Restaurant ertönte in weichen Klängen eine altsranzösischc Romanze, eine Weise Leon« Dumourier, de» frühverstorbenen, raschvergessenen großen Meister- von 'Montau ban. — Droben in der Rue de la Madeleine, nahe dem LeopoldS- park, in einer der zurückliegenden, durch einen Vorgarten von der Straße getrennten, kleinen englischen Villen sand eine hypno tische Sitzung de« damal« Brüssel in Erstaunen und Aufregung versetzenden, slavischcn Magnetiseur« Prokop Machanek statt. Prokop Machanek war eine geheimnißvolle Persönlichkeit. Er selbst gab sich für einen Südrussen au« und nannte Odessa seine Heimath. Von seinen Bekannten jedoch wurde er für einen Czcchen gehalten, und in Prag hatte er lange gelebt; sein Französisch und Russisch hatten beide die scharfe Harte de» Idiom« der Moldau. Sein Einfluß auf seine Medien war ein geradezu unheimlicher. Eine auserlesene Gesellschaft füllte da« große, mit schwarzer Seide auSgeschlagenene, saalartigc Zimmer, dessen düstere Aus stattung noch einige der grausen, mystischen Gemälde von Wirt«, au« jener Zeit, al« der Künstler schon dem Wahnsinn verfallen zu sein schien, verstärkten. Mit der Cröme der Lebewelt hatte sich hier die Elite der Kunst und Literatur versammelt; neben den Koryphäen der Wissen schaft waren die vorzüglichsten Schauspieler und Schauspieler- innen, die Sterne der Theater der belgischen Hauptstadt, zugegen. Bereit« hatte der Magnetiseur mehrere Proben seiner räthsel- hasten, beklemmenden Kunst gegeben, al» die durchbohrenden schwarzen Augen Le« Slaven sich Plötzlich mit einem fa»c!niren- den, eigenthümlichen Au«drucke aus die in der vordersten Reihe sitzende schottische Sängerin Eleanor O'Donnel richteten. Eleanor O'Donnel war Concertsängerin, ein wunderbar schöne«, süße» Geschöpf, mit einer prächtigen, seelenvollen Alt stimme. Wenn sie die Lieder ihrer Heimath sang, erzitterten die Herzen. Viel umworben, schien sie doch für Niemanden erreichbar. In der Rue de« Augustin» wohnte sie zusammen mit einem schottischen, jungen Maler, und diesem wahrte sie die Treue. Auch Prokop Machanek hatte sich vergeblich um ihre Gunst bemüht. Wie von einer magnetischen Gewalt emporzezogen, erhob sich die Sängerin und trat auf den vor dem Podium stehenden Hypnotiseur zu. Ein kurze«, leise«, unverständliche« Zwiegespräch der Beiden und Eleanor O'Donnel ging wieder aus ihren Platz zurück. Erstaunen hatte sich aller Anwesenden bemächtigt. Prokop Machanek beendete bald darauf die Sitzung. Drei Tage später hatte Eleanor O'Donnel ihren Beliebten, Eduard Howard, vergiftet. Verhaftet und vor Bericht de« Morde« beschuldigt, hatte die Angeklagte auf alle Fragen nur die eine Antwort: „Ich weiß e« nicht, warum!" Aus die Aussagen jener Personen, welche der Sitzung in der Rue de la Madeleine vom 12. Juni beigewohnt hatten, hi«, sprach sie die Jury frei. Der Prozeß erregte ungeheure« Aussehen. Prokop Machanek war au« Brüssel verschwunden. Auch Eleanor O'Donnel verschwand kurze Zeil darauf. Im Jahre 1890 kam ich au« Spanien den Gallego herauf über die Brenzgebirge nach Frankreich und saß an einem glühend heißen Juli-Nachmittage nach einer ermüdenden Gebirg-wander- ung in der Gaststube de« Hotel belle France de» Westpyrenäen- Bade» Bagnüre«, al« eine eintretende Gruppe durch ihre lebhafte, laute Unterhaltung unwillkürlich meine Aufmerksamkeit fesselte. E« waren fünf Herren und eine Dame: vier jüngere Offi ziere eine« französischen Grenzregiment« und Prokop Machanek und Eleanor O'Donnel. — II. Die Erscheinung. Ueber der flanderischen Ebene webt die Dämmerung de« Hcrbstabend«. Weiße Nebel ziehen langsam von den versandeten Häsen von Slui« und Damme heran, steigen von den Kanälen Brügge « empor in die seuchtkalte Oktoberluft, schlingen sich wie dichte, feine, wallende Schleier um die Brücken und durchschweben die breiten, todtenstillen Straßen. Ein Hauch seelendurchschauerndcr Schwermuth liegt auf der Stadt de» heiligen Chrysolu«, der Merowinger, Balduin« von Flandern. Wie eine nie schweigende Klage um verschollene Größe klingt e» um die Thürme de- Belfried, der Liebsrauenkirche, der Ka thedrale St. Salvator. Wie mit durch jahrhundertelange Trauer starr gewordenen, erloschenen Augen schauen die Standbilder Memling« und Jan von Eyck«, der großen Söhne Brügge «, hinein in die Ruinen, in den Verfall ihrer Heimath, die einst der Mittelpunkt de« Weltverkehr« de« Norden«. Niedergang, Vergänglichkeit irdischer Macht und menschlichen Streben« künden die verlassenen Häuser und Paläste. Eine weite Todtenstätte scheint die Stadt von den prunk vollen Gräbern Karl» de« Kühnen und der Maria von Burgund bi« zu den ärmlichen Gottesäckern der heutigen Bewohner. Eine Tyrannensauft, Philipp« II. blutige Rechte, hat Brügge'« glänzenden Schild zerschmettert. — Von dem Hallenthurm meldet da« Glockenspiel die sechste Stunde. Ich trete langsam von dem Balkon zurück in mein Zimmer. Der Blick auf die verödeten Plätze und Straßen mit den vor- hangloscn, dunklen, leeren Fensterwölbungen in den mittelalter lichen Frontsayadcn erschüttert da« Herz. Die unendliche Web- muth diese« Orte« de« Schweigen« ersaßt auch die Menschen. In dem Innern der Wohnräume herrscht schon die 'Nacht. Tiefe Schatten liegen auch in dem kleinen Gemache und lassen die Umrisse de« Mobiliar» kaum mehr erkennen. Tastend wende ich mich meinem Schreibtische zu, an welchem ich vorher in ,.Iv Tresor ckex Ilumdles" Maurice Maeterlinck», de« belgischen Mystiker«, Stimmungen- und Scelenzerfaserer«, geblättert. Jetzt habe ich die Lampe gefunden. Da« Streichholz flammt auf. 'Niedergebeugt entzünde ich den Docht und fahre plötzlich, während der Lichtschein sich verbreitet, mit einem Rucke starr empor. Meine Hand umfaßt mit krampfhaftem Drucke die Lebn« de« Stuhl« vor dem Pult. Drüben in der linken Ecke de« Zimmer«, in dem mit gold braunem Plüsch überzogenen großen Sessel sitzt ein Mensch, eine Erscheinug wie au« längst entschwundenen Jahrhunderten. Ein schwär,seidene«, mit watteunterlegten Puffen versehene«, enganschließende» Koller mit dicken Aermeln, breitem, weißen Spitzenkragen und Manschetten bedeckt den Oberkörper. Graue Trikot» von einem eigenthümlichen, zarten, mattglänzenden Farb ton umspannen Ober- und Unterschenkel. Au» dem bleichen, scharfgeschnittencn Antlitz mit der Adler nase und dem an den Enden aufgewirbelten kleinen Schnurr barte und dem schmalen Kinnbarte, da« sich von dem Plüsch hintergrunde seltsam abhebt, sehen mir zwei große, dämonische, schwarze Augen mit räthselhastem, saScinirendem Ausdruck un verwandt in« Gesicht. Die Schultern an die Rückwand de« Sessel» gelehnt, Len Kopf etwa» vorgebeugt, starrt der Fremde sott und fort bewez- ung»lo» mich an. Au« den etwa« zu mir in die Höhe gerichteten, dunklen Augensternen scheint so ein abgrundtiefer Schmerz zu blicken, al» schaue au» ihnen der Welt unsagbarste» Weh. Eine furchtbare Schicksal»tragödie spricht au» dieser stum men Klage. — Mit einer gewaltigen Willensanstrengung breche ich endlich den Bann dieser Augen und will auf den Fremdling zuircten. Im gleichen Moment ist die Erscheinung verschwunden. — Nach einer Weile kommt Frau Legrangc, die Etagevermietherin, um den Tisch für da» Abendbrot zu decken. Ich erstatte ihr Bericht von dem sonderbaren Vorfall. Bei meinen Worten überzieht da» Antlitz der Zuhörerin fahle Blässe. „Barmherziger Gott, die heilige Jungfrau beschütze Sie," murmelt verstört die sonst so resolute Dame. Dann spähte sie zusammenschauernd nach dem Sessel. Al» ich in sie dringe, mir den Grund ihre» Erschrecken« über die freilich unerklärliche Täuschung meiner Sinne zu offen baren, bittet sie angstvoll: „O Gott, freveln Sie nicht, Monsieur. Jener Mann war der Marqui» Renü Gaillard d'Hauteville, der einst während der vlämischer Vesper in diesem Zimmer ermordet worden ist. Nach einer alten, seit Generationen hier bekannten Ueberlieferung erscheint der französische Marqui» denen, die ein mal eine» gewaltsamen Tode» sterben müssen." — Noch in der Nacht verließ ich Brügge. I)te Verstoßene. Novelle von Witibert Sahtmann. ,«. Fortsetzung.- 3. Aus dem kleinen Friedhof de« Fischerdorf««, über den Wind und Wetter mit verwüstender Gewalt hinzogen, so daß die, den hier Begrabenen zum stillen Andenken gesetzten Kreuze in kurzer Zeit verwitterten, erhob sich ein neuer Erdhügel. Unter ihm schlummerte John Gilbert. Beim Begräbniß de« alten Fischer« waren alle Bewohner de« Dorse» zugegen gewesen, Niemand wollte e» sich nehmen lassen, dem Nachbar Gilbert, den alle hoch achten, der unter den Leuten eine bestimmte Autorität genoß, da« letzte Beleite jü geben, eine Hand voll Erde, al» letzte« Zeichen, daß man seiner denken würde, in die Grube zu werfen. Seltsamerweise war auch der Squire von Adonshire zum Begräb niß de« armen Fischer« gekommen. Scheu blickten die einfachen, ehrlichen Leute den vornehmen Herrn an, der aber heute gar