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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts Eibenstock und dessen Umgebung : 27.06.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id426614763-189906272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id426614763-18990627
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-426614763-18990627
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk des Amtsgerichts ...
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-06
- Tag 1899-06-27
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Monat
1899-06
-
Jahr
1899
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Meine Herren! Ich beabsichtige nicht. Ihnen etwa den Lehr gang de» Unterrichte« de» Näheren darzulegen, ich will denselben nur mit wenigen Worten andcuten, damit Sie einen Ueberblick gewinnen, wa» gelehrt werden soll. Die Dauer de« Kurs»« ist bei wöchentlich 8 bi« 12 Stun den Zeichenunterricht auf drei Jahre bemessen. Da« Hauptgewicht wird aus da« Zeichnen von Pflanzen nach der Natur und da« Zeichnen von Ornamenten in den ge- schichtlichen Stilarten gelegt werden. Da« Zeichnen von Pflanzen ist die wichtigste Grundlage aller zeichnerischen Thätigkeit, denn au« der Natur entnommen, wenn auch vielfach stilisirt, d. d. dem Zwecke, der Technik und dem Materiale angepaßt, ist alle« Ornament. Ein künstlerisch verstandene« und richtig gezeichnete« Orna ment oder Muster setzt daher da« Stadium der Natursormen Vorau«. Eine unerläßliche Bedingung für jeden Musterzeichner ist die Vertrautheit mit den geschichtlichen Stilarten und deshalb soll auch dieser Unterricht in genügender Weise Berücksichtigung finden. Aber auch da« Zeichnen von Mustern sür die Industrie wird im dritten Schuljahre nicht außer acht gelassen werden, e« soll aber nicht in den Vordergrund treten, da e« sich in unseren Zweigabtheilungen nicht etwa darum handelt, hier Musterzeichner, Mustcrenlwerfer für Ihre Industrie vollkommen au«zubilden, wie die« auf den Kunstgewerbeschulen geschieht, sondern nur darum, den hier in den Zeichnenatclier« lernenden Hilfskräften ein weiter gesunde« Können in ihrer BerufSthätigkeit zu vermitteln, als die« im alltäglichen Getriebe de« GeschästSlebenS in der Lehre geschehen kann. Die jungen Leute sollen befähigt werden, ein Ornament oder eine Pflanzensorm mit wirklichem Verständniß zu zeichnen, so daß da«, wa« sie zeichnen, wenigsten« richtig ist und nicht gegen die Forderungen de« Geschmacke« verstößt. Wer eine höhere Ausbildung wünscht, kann dann in die Industrieschule zu Plauen eintreten, woselbst neben allgemein höheren Aufgaben bei vollem Tage«unterricht auch da« Entwerfen von Mustern in unbeschränktem Maße geübt wird. Meine Herren! Ich höre ost gegenüber von Zeichen- und Malübungcn, welche nicht einen bestimmten industriellen Zweck verfolgen, die Meinung au-sprechen, al« seien derartige Uebungen nicht so recht eigentlich da«, wa« der zukünftige Musterzeichner in der Schule treiben solle, man nennt solche UnterrichtSart kurzweg „Theorie" und wie oft habe ich über die Kgl. Industrie schule sagen hören, .die jungen Leute lernen dort nicht« Praktische«!!" E» ist da« eine Behauptung, die, abgesehen von ihrer Un richtigkeit überhaupt, recht wenig den Kern der Sache trifft. Denn Zeichnen ist in allen Fällen eine praktische Bethätig- ung, niemal« eine Theorie und e« entspricht den praktischen Bedürfnissen de» Gewerbe« und der Industrie umsomehr, wenn c« nicht in nur handwerksmäßig-technischer, sondern in künstlerisch-geistiger Art und Weise in der Schule getrieben wird. Zeichnen ist eine Kunst, und Kunst kann nur da« genannt werden, wa« durch geistige Vertiefung in die Formcnwelt der Natur ge wonnen und individuell zur Darstellung gebracht wird, sei e« in der Plastik, der Malerei oder dem Kunstgewerbe und der Industrie. Nach dieser Richtung müssen wir lehren, denn nicht ideal, sondern von eminent praktischer Bedeutung für die weitere Entwickelung der Industrie ist ein solcher Unterricht, weil diese in Zukunft nur dann bestehen kann, wenn sie im Stande ist, den stetig wachsenden Ansprüchen an die Schönheit der Erzeug nisse zu genügen. Deshalb meine Herren, fordern Sie von der Schule nicht zuviel Beschäftigung mit der Praxi«, wie sic in den Fabriken und Atelier« getrieben wird, sondern erkennen Sie den Werth de« Unterrichts mehr in solchen Studien, die daraus hin zielen, die jungen Leute in ihrem allgemeinen zeichnerischen Können zn fördern. Die Anpassung dieser Fähigkeiten an die Bedürfnisse der Industrie, an Technik nnd Ausführbarkeit der Musterentwürfe ergiebt sich von selbst in einer verhältnißmäßig kurzen Zeit. Die späteren Resultate werden aber um so zufrieden stellender sein, je breiter die Grundlage der allgemeinen zeichner ischen Kenntnisse ist. Ueber allem Lernen aber steht die natür liche Beanlagung die weder durch Fleiß noch langen Schul besuch ersetzt werden kann. Vor der Wahl de« Musterzeichner«beruse« ohne die genügende Veranlagung kann daher nicht eindringlich genug gewarnt werden; denn die Thätigkeit de« Zeichner« und damit seine Existenz be ruht auf fortwährender Erzeugung neuer Gedanken. Wa« da« zu bedeuten hat, welche geistige Anstrengung gerade dieser Beruf mit sich bringt, wird man hoffentlich in Deutschland immer mehr schätzen und einsehen lernen, wa» tüchtige Musterzeichner im industriellen Leben für eine wichtige Rolle spielen. Die Zukunft unserer Industrie wird im wesentlichen mit von der künstlerischen Leistungsfähigkeit diese« Stande« abhängig sein. Darum ist e« nothwendig, daß tüchtige Talente aufgesucht und gefördert werden, und ich hoffe, daß die hiesige Zweigabtheilung der Königl. In dustrieschule un« manche« Talent zur Weiterbildung in Plauen zusühren wird. Die Mittel zur Unterstützung solcher jungen Leute, die eine volle Au«bildung anstreben, könnten allerding« noch reichlicher vorhanden sein al«jetzt. E« ist daher wünschen«- werth, daß Stiftungen, wie sie jetzt in so reichlichem Maße für Universitäten oder andere wissenschaftliche Bildungianstalten zur Verfügung stehen, zukünftig mehr zur Ausbildung tüchtiger Kräfte für die Industrie und da» Gewerbe errichtet werden. Hier eröffnet sich für solche, die da« Bedürfniß zu öffentlicher Wohlthätigkeit fühlen, «in weite« Gebiet und zwar namentlich für Kaufleute und Fabri kanten, die an der Hebung und Förderung der Industrie da nächstliegende Interesse haben. Meine Herren! Man nennt un« Deutschen gern da« Volk der Denker und Träumer; da« Wort stammt au« früherer Zeit! Bezüglich der Denker können wir un« da« ja auch jetzt noch ganz gern gefallen lassen und Träumer wird man un« nach den Ereignissen der letzten dreißig Jahre kaum mehr zu nennen wagen. E« ist aber nicht zu leugnen und e« tritt heute wieder mehr denn je hervor durch da« vorwiegende Streben unserer Jugend nach wissenschaftlichen BcrufSarten, daß der Deutsche noch zu stark nach jener Seite neigt, die in dem vorher angeführten Satze zum Ausdruck gebracht ist. Und da« ist sür die industrielle Ent wicklung Deutschland« eine sehr wichtige Frage; denn wir be dürfen sür die Zukunft neben den Wissenden besonder» der Könnenden und diese werden erzogen aus unfern gewerblichen Schulen. Durch meine Darlegungen glaube ich nun den Beweis erbracht zu haben, daß in diesen Anstalten die Kraft unserer Industrie und de« Gewerbe« liegt. Diese Ueberzeugung kann nicht ost genug aurgesprochen und öffentlich hervorgehoben werden, damit sic in da« Volk dringt und da« Verständniß für die hohe Bedeutung solcher Bildung»anstalten fördert. Dann werden auch die Mittel reichlicher fließen und die in dem Dienste dieser Anstalten stehenden Lehrkräfte zu jener Beruf«freudigkeit und Begeisterung sür ihre Aufgaben gelangen, die nur dann ein tritt, wenn man sich getragen weiß von dem Verständniß und Wohlwollen der Allgemeinheit. Möge die neue Zweigabtheilung der Königl. Industrieschule zu Plauen in Verbindung mit der Vorbildersammlung de« Vogt- ländisch-Erzgebirgischen Jndustrieverein« dazu beitragen, daß die schöne Industrie Eibenstock« in ihrer künstlerischen Leistungsfähig keit immer mehr erstarke und daß sie eine Kunstindustrie in de« Worte« vollster Bedeutung werde zum Stolze und zur Ehre de« Vaterlande«. Wir hoffen, daß der gute Wille der Bevölkerung, in«besonderc der Fabrikanten und Kaufleute dieser Stadl unsere Arbeit fördern helfen und Gott seinen Segen dieser guten Sache angedeihcn lasten werde. Der Küster zu St. Aartyokomäi. Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Friedrich Günther. (8. Fortsetzung.) Mit großer Trauer empfing vr. Reuchlin diese Kunde. »Hat Liebcrt die Kirchcnschlüssel gehabt?" .Ja, Hochwürden. Sie sind doppelt vorhanden; er nahm dar eine Bund zur Besorgung feiner Geschäfte gestern Nachmittag mit sich. Ich habe e« natürlich noch nicht zurück." „Unglücklicher Jüngling!" klagte der fromme Geistliche. „Ich will nicht fürchten, daß der böse Feind dich verblendet und deine Hand zu so abscheulicher Thal gelenket hat, aber von Leichtsinn und Gewissenslosigkcit scheint deine Entfernung doch Zeugniß abzulegcn! Gebe Gott, daß ich mich irre! — Sage Er mir offen, Ehrhardt, da Er Liebert am Besten kennen muß, hat Er keine Vermuthung über die traurige Begebenheit? findet Er keinen Grund für die Abwesenheit de« jungen Menschen? Ueberall habe ich nur Gute« von ihm gehört; selbst der Hofrath Jacob, dessen Enkel er unterrichtete, rühmte nicht nur seine Kenntnisse, sondern auch seine edle, biedere Gesinnung. Er war seiner Versorgung so nahe, sollte er wirklich sein Lebensglück auf so thörichte und jchändliche Weise haben verscherzen können?" .Hochwürden, ich mag ihn weder anklagen noch vertheidigcn, denn ich habe keine Beweise, daß er unredlich gewesen. Aber er sollte angestellt werden und brauchte Viele« zu einer neuen Ein richtung, die alte Wittwe Liebert ist sehr arm, und außerdem soll er in einem intimen Berhältniß zu einem gleichfalls unbe mittelten Mädchen stehen. Dasselbe ist weitläufig mit ihm ver wandt, und hält sich bei seiner Mutter auf. Wer weiß doch ich will damit nicht« Nachtheilige« gegen ihn gesagt haben." — Es verging der Gründonnerstag, der Charfreitag, der Sonn abend, — August Liebert war aber und blieb verschwunden. In der ganzen Stadt hatte sich da« Gerücht de» Kirchenraube« schnell verbreitet, und der Verdacht gegen den entflohenen Jüngling stieg immer höher, so daß selbst sein eifrigster Fürsprecher, der Hosrath Jacob, ihn nicht mehr zu vertreten wagte. Nur die tiefgebeugte Wittwe, die da« Herz ihre« Kinde« von je her rein gefunden, und die Jungfrau, die am letzten Abende feine letzten Worte vernommen hatte, nachdem er freudig bewegt von ihr geschieden war, bestärkte sowohl sie, al« auch Anna in dieser Ansicht. Namenloser, unsäglicher Jammer hatte Beide ergriffen, und wären sie weniger fromm und gottergeben gewesen, so würde ihr Schicksal sie vielleicht zur Verzweiflung und zum Tode gebracht haben. Bei Menschen fanden sie keinen Trost, alle früheren Bekannten mieden die Unglücklichen. Nur Friedrich, der ältere Bruder de« Entschwundenen, kam nach Altenburg, so ost e« ihm möglich war, und suchte mit aller Kraft der Kindesliebe da niedergedrückte Gemüth der Mutter zu erheben. Ach, wie schnell verwandelt sich bisweilen in diesem dunkeln Erdenthale voll Wechsel und Unbestand der Tag de« Glücke« in die Nacht der Trübsal! Auf vulkanischem Boden wandelt de« Menschen Fuß. Heute bauen wir fröhlich hoffend an dem Hause unsere« Glücke« und morgen bebt die Erde und verschlingt Alle«, wa« jahrelang Mühe hervorrief, und wir stürzen vielleicht selbst ntit den Trümmern in die schwarze Tiefe. — Als am Morgen de« ersten Osterfeiertage« die Glocken de« Bartholomäithurme« ertönten, und die Menschen heiter geschmückt au» allen Wohnungen zum Gotte-Haufe eilten, ergriff auch die greise Wittwe Liebcrt den Arm ihres Pflegekinde«. „Komm' liebe Anna, daß wir den Höchsten anflehen um seine Hilfe! Er, der in da» Verborgene schaut, wird auch dies mal Wege finden, die Unschuld zu retten, und wa« in Nacht sich birgt an da« Licht de« Tage« zu bringen. Auch unser Hei land ward verdammt und gekreuzigt, gleich einem Missethäter, und heute stieg er au« dem Grabe hervor, al« der Eingeborene seines Vater« im Himmel." Schon aus den Straßen blieben die Menschen hier und dort stehen, um die Wandelnden, welche da« Unglück gcbrandtmarkt hatte, mit scharfen, neugierigen Blicken zu verfolgen. Al- diese jedoch schüchtern in da» Gotteshaus traten, gekleidet in dunkle Trauergewänder, und mit todtenbleichen Wangen und gesenktem Haupte zwischen den Stühlen der Versammelten hinschlichen, um, weit entfernt von den übrigen, ein Plätzchen aufzusuchen, kehrten alle Amen sich nach ihnen hin. Der Frühprediger, ein noch junger Mann, hatte wahrscheinlich die schmerzbeladcne Frau nicht unter seinen Zuhörern erwartet, fonst würde er gewitzt nicht eine Scene herbcigeführt haben, welche Steine hätte erweichen können. Er ließ nämlich da- traurige Ereigniß de» Kirchenraube» nicht unberührt, deutete selbst auf den wahrscheinlichen Verbrecher hin und mahnte die Gemeinde in ernsten Worten an Heilighaltung dessen, wa» Gott gcweihet sei. Wie ein schneidende» Schwert fuhr die» in da- Herz der betagten Wittwe und in Anna'» Brust, doch hielten sie alle» Weh noch in sich zurück. Aber da zu Au»gange de» Gotle»dienste» da« Lied: „O Ewigkeit, Du Donnerwort" angestimmt und der Ver» gesungen wurde: ,O Du verfluchte» Menschenkind usw." da schluchzte da» Mädchen laut, und die Greisin sank ohnmächtig zu Boden. Man mußte ihnen zu Hilfe eilen, und sie nach Hause bringen. Ein leiser Jammer de« Mitgefühl» zog durch die Versammlung. Manche Mutter, ihrer Kinder gedenkend, verhüllte da« Angesicht und trock nete die Thränen von dem Auge. Nachdem die Wittwe au» ihrem bewußtlosen Zustande wieder erwacht war, empfand sie eine große Schwäche, daß sie ihr Lager nicht zu verlassen vermochte, ja nur mit Anna'« Beistände sich ein wenig aufzurichten im Stande war. Da» Mädchen, ein Engel de» Himmel«, wich nicht von ihrer Seite und bewic» eine Seelen krast und eine Ausdauer, die neben den Leiden der alten Mutter gewiß jede« Herz gerührt hätte, welche« Zeuge der Trübsal hätte sein mögen. Aber selbst Anna'» vertrauteste Freundin, die ihr fo nahe wohnte, die sonst täglich bei ihr war, ließ sich nicht mehr jchcn. Und au« den unteren Räumen de» Hause« erklang nicht selten ein heftige« Geräusch, da« den kurzen Schlummer der Kranken störte, oder ein Helle» Gelächter oder ein heiserer Ge sang, mit welchem die Bosheit eine« rohen Gemüthe» sich zu rächen gedachte. Am dritten Osterfeiertage endlich erschien wiederum ein Tröster in Friedrich, der wegen der eingctretenen Ferien eine Zeit lang in Altenburg verweilen konnte und mit Anna in die Pflege der leidenden Mutter sich thciltc. Welch' ein Wiedersehen statt der achoften glücklichen Lage! Aber in solchen Stunden lernt der Mensch den Menschen kennen; in solchen Stunden wächst da» Pflänzchen der Liebe vom Thau der Thränen und erstarkt zum festgewurzelten Baume. Uebrigen» mußten Friedrich und Anna e» al» eine Gnade de» Himmel» erkennen, daß die Mutter erkrankt und an ihr Bett gefesselt war; denn in ihrer Schwäche kümmerte sie sich bei nahe um Nicht«, und der Name August» kam nicht einmal über ihre Lippen. Hätte sie die Schläge de« Schicksal» völlig ein finden müssen, die auch jetzt noch auf sie niedcrschmetterten, sie wäre ihnen ohne Zweifel in Kurzem erlegen. .Der Herr ist getreu," betete die fromme Anna, .er läßt sie nicht leiden über ihr Vermögen; er wird auch machen, daß Alle« so ein Ende gewinne, daß sie e» kann ertragen." In dem Jntclligenzblatte der Stadt fanden nämlich die Kinder einige Tage nach Ostern folgende Bekanntmachung: „Einem Berichte der hohen Consistorie zufolge, ist vermuth- lich in der Nacht vom 12. zum 13. April d. I., der GolteSkasten von St. Bartholomäi von fremder Hand erbrochen und beraubt worden, wir fordern daher alle Behörden und auch sonst Jeder mann auf, zur Entdeckung de» Verbrecher« mitzuwirken und jede Spur ungesäumt beim hiesigen Stadtgerichte anzuzeigen, da» mit der Untersuchung jener ruchlosen Thal beauftragt worden ist. — Auch ist seit jener Nacht der Kirchendiener und Kreuzträger August Liebert au» Altenburg auf unbegreifliche Weise verschwunden, und e» ist bi« heute keine Nachricht über seine Person und seinen jetzigen Aufenthalt zu erlangen gewesen. Allen Behörden wird daher anbcsohlcn, auf gedachten, jener That verdächtigen Liebert zu vigiliren, ihn im BetrctungSsalle zu arretiren und anher ab zuliefern; und eben so jede Notiz, die zur Aufklärung de» Raube« irgendwie beitragen kann, bei dem unterzeichneten Gerichte nieder- zulegen." Noch an demselben Morgen, da jene Aufforderung veröffent licht worden war, erschien ein GerichtSdiencr, und Anna mußte auf dem Rathhause erscheinen. Meister Schmidt hatte nämlich angezeigt, daß August Liebert den 12. April Abends eine gefüllte Börse bei sich getragen und ihm acht Thaler Micthzin« au« der selben bezahlt habe. E» sei aber noch mehr Geld darin gewesen. „ES ist der Wahrheit gemäß," erwiderte da« Mädchen auf die Frage de» Richter». „Sie finden die Börse, welche Liebert einiger Einkäufe wegen zurückließ, mit dem noch übrigen Gelde in der Wohnung der kranken Wittwe, um deren Schonung ich dringend bitte. Die ganze Summe, die ich Ihnen selbst überwies, hatte ihr Sohn, wie er versicherte, vom Herrn Hofralh Jacob erhalten für den Unterricht der Enkel desselben." Man sendete etwas später da» Geld zu diesem, und der alte Ehrenmann bestätigte die Aussage der Jungfrau, ja er erkannte selbst die Geldsorten sür diejenigen an, welche er dem Verschwun denen eingehändigt hatte. So blieb die rachsüchtige Bosheit de« schwarzen Schmidt ohne weitere Folgen. Anna erhielt den Beutel zurück und eilte einigermaßen erleichtert nach Hause, um Friedrich die Begebenheit, so unwichtig sie auch an sich war, mitzutheilen. August war kein Lügner, er war auch, da» sprachen Beide fest überzeugt gegen einander au«, kein Dieb. Wer in Finsterniß wandelt, freut sich über den fernsten Schimmer eine» Lichte«; wer in einen Abgrund gesunken ist, klammert sich an da» kleinste Gesträuch, um nicht tiefer hinab zustürzen, sondern sich emporzuarbeiten. — Da» Unglück ließ jedoch noch immer nicht ab, seine Centnerlasten auf die Bedrückten zu wälzen. Am Sonntage Quasimodogeniti sollte zu St. Bartholomäi eine Kirchenmusik ausgeführt werden, wie e» in Altenburg noch jetzt Gebrauch ist, und zwar so, daß die beiden größeren Stadt kirchen alle acht Tage mit dem Hauptgotte-dienste und dem so genannten Amte wechseln. Die dabei gewöhnliche Musik war jedoch zu St. Bartholomäi, wo der Superintendent predigte, meist vollständiger, und mehrere Musiker pflegten ihre Instrumente, um dieselben nicht auf den Straßen mit sich umhcrzutragen, in einem Halbdunkeln Kämmerchen aufzubewahren, daß auf dem Chore unmittelbar hinter der Orgel sich befand und der „Geigen boden" hieß. Der Küster schickte, bevor der Gottesdienst seinen Anfang nahm, einen Kirchendiener hinaus, um da» Kämmerchen zu öffnen und die Instrumente herauSzuholen. Die« geschah auch an jenem Sonntage. Der neu angenommene Kreuzträger kam jedoch leichenblaß und in größter Eile bald wieder in die Sakristei herabgestürzt und meldete dem Küster, daß oben aus dem Geigenboden ein Erhängter sei. Ehrhardt begab sich nun selbst mit dem zitternden, jungen Menschen hinauf und erblickte August Lieber«, der mit seinem eigenen Hal»tuche an dem stärk sten der eingeschlagenen Haken hing, wo sonst da» Contreviolon seinen Platz hatte. Nachdem er den Leichnam abgcschnitten und die Instrumente herau»gctragen hatte, schloß er den Boden wieder zu und untersagte, um alle Störung de» Gottesdienste» zu vermeiden, seinem Famulu», irgend Jemandem etwa« mitzutheilen. Der Superintendent empfing, sobald er die Kanzel verlassen hatte, au« dem Munde de» Küster« und de« Kirchendiener« die Kunde de« entsetzlichen Greuels. Er schickte sogleich nach einigen Gerichtspersonen, und verließ dann, nachdem er sich von dem Selbstmorde Liebert- überzeugt hatte, tiefbetrübt da» schändlich ent weihte Gotteshaus. Alle Zweifel hatten sich nun gelöst, da» letzte Fünkchen Hoffnung aus de» Jüngling» Unschuld war erloschen. Da« Bund Kirchenschlüssel welche« er früher mitgenommen halte, fand man zu seinen Füßen auf dem Boden jene« Kämmerchen», und die Taschen de» Frevler» waren noch gefüllt mit einem Theile de» geraubten Gelde». l)r. Reuchlin war ein milder, menschenfreundlicher Mann. Kaum war er zu Hause angckommen, so gedachte er der Wittwe; und so entrüstet er auch über den Sohn war, sein Herz trieb ihn, selbst zu der Mutter zu gehen, damit nicht etwa die Nach richt von der That durch einen Unvorsichtigen zu ihren Ohren gelange und ihr vielleicht den Tod bringe. Er tras sie jedoch so schwach, daß er seinen Entschluß nicht au«führen konnte, be sonder» auch, weil sie unerschütterlich auf die Unschuld August» vertraute und die Rechtfertigung desselben durch den Allwissenden festen Glaubens erwartete. Wie hätte er unter diesen Umständen ihr den Todesstoß zu geben vermocht! (Fortfetzung folgt.) Vermischte Nachrichten. — Wir sind aus der Höhe de» Jahre». Da« zweite Drittel de« Juni ist erreicht und nun geht e« wieder abwärts, die Tage werden wieder kürzer, freilich nur ein klein wenig von Tag zu Tag, sodaß wir un« langsam daran gewöhnen. Sommer- solstitium, d. h. den Stillstand-Punkt der Sonne im Sommer, verzeichnete am verg. Mittwoch der Kalender. Dieser Ausdruck entspricht weniger der Wirklichkeit al« dem Augenschein. Nach diesem letzteren hat die Sonne ihren nördlichsten Ausgangspunkt erreicht; von nun an verlegt sie ihn wieder weiter nach Süden. Sie steht jetzt, wie die Asttonomen sagen, im Wendekreis de«
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