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Beilage zu Nr. 150 des „Amts- und Anzeigeblattes Eibenstock, den 21. Dezember 1897. Der Irrenarzt. Erzählung von Gustav Höcker. I. lRachdr. verboten.) In der Vorstadt einer unserer mittleren Residenzen stand ein kleine« Hau«, dessen Dach sich durch eine jener mit hohem Fenstern versehenen Boi bauten auSzcichnele, hinter denen arme Maler oder Winkelphotographen zu Hausen pflegen. Da« Innere diese« lichtvollen Raume« kennzeichnete sich aus den ersten Blick al« ein Maleratelier, denn die Wände waren übersäet von kleineren und größeren Farben- und Kreideskizzen, zwischen denen auch einige Oelbilder in Goldrahmen hingen. Auf dem einfachen Mobiliar, worunter sich ein kleine» Kla vier befand, lagen und standen hundert Gegenstände umher, welche dem Maler einer harmlosen Welt al» Modelle dienen. Durch die halboffene Seitenthür blickte man in ein Kämmer chen, wo unter der schräglaufenden Wand ein schneeweiße« Bett sichtbar war. Dort war eben eine alte, dürftig geklei dete Frau mit Reinigen und Aufräumen beschäftigt. Ein Klopfen an der Thür unterbrach sie in ihrer Morgcnarbeit. Ein elegant gekleideter Herr trat in'« Atelier. Er mochte in der Mitte der Dreißiger stehen, trug einen schwarzen Voll bart und sah in seiner goldenen Brille wie ein Gelehrter au», dabei lag in seinen angenehmen Gesicht«zügen etwa« Offene«, Wohlwollende«, wa» schnell Vertrauen erweckte. Während er noch die Thür in der Hand hielt, bemerkte die Alte hinter ihm noch eine zweite Gestalt, einen riesenhohen, breitschultrigen Mann, der aber draußen blieb. Der Einge- tretenc blickte sich etwa« verwundert um. „Ich weiß nicht, ob ich hier recht bin," redete er die Alte an, welche Besen und Staubtuch in der Hand hielt, „ich luche Frau Schmidt und im Parterre, wo ich nach ihr frug, wie« man mich hier heraus." „Dann hätte man Ihnen sagen können," antwortete die Alte, „daß Frau Schmidt schon seit beinahe einem Jahre lodl ist. Aber ihre Tochter wohnt noch hier. Wenn Sie diese sprechen wollen, so müssen Sie sich in die königl. Gemälde- Galerie bemühen, dort ist sie gegenwärtig mit Copiren be schäftigt." „Fräulein Schmidt ist Künstlerin?" warf der Herr hin, seinen Blick flüchtig über die bildergeschmückten Wände gleiten lastend. „Ja, sie nährt sich rechtschaffen von der Malerei, giebt Zeichenunterricht, malt Porträt«, fertigt auf Bestellung auch Copien von Bildern der königlichen Galerie an." „So, so," nickte der Fremde. „Bei so vielseitiger Be schäftigung empfängt sie gewiß oft Besuche, und vielleicht bin ich heute nicht der erste, wie?" „Außer ihren Schülerinnen kommt selten ein Besuch," antwortete die Frau, welcher der eigenthümlich forschende Ton dieser Frage entging, „auch heute war noch Niemand da." „Noch Niemand da," wiederholte der Fremde nickend. „Wie e« scheint, hat Frau Schmidt in nicht eben günstigen Vermögen-Verhältnissen gelebt," bemerkte er, da» dürftige Mobiliar musternd. „Ach nein, e« ging ziemlich knapp zu," sagte die Alte bedauernd. „Früher hat sie bessere Zeiten gesehen; diese« Häu-chen hier soll sogar ihr von den Eltern ererbte« Eigen- Ihum gewesen sein. Sic hat c« schon vor langen Jahren verkauft. Wa« au« dem Gelde, welche« sie darau« gelöst haben mag, geworden ist, weiß man nicht; sie lebte nachher vom Klavierunterrichtertheilen und schlug sich und ihre Tochter damit ziemlich kümmerlich durch. „Vielleicht war da« Hau» überschuldet," meinte der Herr. „Doch hören Sie, liebe Frau — da« Fräulein ist also in der Gemäldegalerie. Erlauben Sie wohl, daß ich hier warte?" „Da» könnte Ihnen doch zu lange dauern," wandle die Angeredete ein, „denn sie malt dort bi« zum Dunkelwerden, und ich gehe hier nur ab und zu, um die gröberen häuslichen Geschäfte zu besorgen. Wenn ich damit fertig bin, schließe ich die Wohnung zu und gebe den Schlüssel unten ab." „Hm, da« ist fatal," sagte der Fremde, „ich muß aber auf alle Fälle hier —", er unterbrach sich plötzlich, da sein Blick zufällig auf da- an der Wand hängende Oelporträt eine« wettergebräunten Manne« gefallen war. „Ah!" ries er nähertretend, „gewiß der Gemahl der verstorbenen Frau Schmidt und von der talentvollen Tochter selbst gemalt, nicht wahr?" „O, du liebe Zeit!" rief die Frau, „da« stammt, glaub' ich, noch von dem alten Maler, der vordem diese« Atelier inne hatte und dem Fräulein Unterricht gab. Diese« wa> noch gar nicht auf der Welt, al« der selige Papa gemalt worden ist, und kennt ihn selbst nur au« diesem Bilde." „Der selige Papa, sagen Sie. Ist er denn todt?" „O, schon lange! AI« ich vor zehn Jahren meinen kleinen Dienst hier übernahm, war Frau Schmidt bereit» Wiltwe. Da hängt übrigen» ihr Porträt, — gleich daneben." Die Alte deutete auf da» Brustbild einer Frau reiferen Alter», deren Züge noch die Spuren früherer großer Schön heit erkennen ließen. „Mein Gott!" ries der Fremde beim ersten Blicke auf da« Bild, indem er seine zusammengepreßten Hände gegen seine Brust drückte. „Da« ist Frau Schmidt? Da« ist Marie'« — da» ist der Malerin Mutter?" Wann starb Frau Schmidt, wie und wo starb sie?" fügte er mit einer fast überrumpelnden Hast hinzu, al« ob erst Zeit und Um- stände ihre« Tode« ihm Gewißheit darüber geben sollten, daß kein Jrrthum obwalte. „Run," antwortete di« Alte etwa» befremdet über da» plötzlich veränderte Wesen de« Frager», „«» ist kein volle« Jahr, da hatte Frau Schmidt, die schon lange kränkelte, in Begleitung ihrer Tochter ein Seebad besucht. Auf der Rück reise — ich weiß nicht mehr, wo'« war — entgleiste der Etsenbahnzug, zwei Wagen stürzten einen hohen Damm hinab und in dem einen befanden sich die beiden Damen. E« war in der Gegend ein schwerer Wolkenbruch niedergcgangen, da» Erdreich war durchweicht, der Damm gerutscht und so geschah da» Unglück. Die Passagiere wurden unter dem ganz zer brochenen wagen hervorgezogen. Fräulein Marie war wie durch ein Wunder mit einer Schürfung de» Arme» und dem zersplitterten Sonnenschirm davongekommen; oer armen Mama aber war die Brust eingedrückt, sie war todt!" Der Zuhörer nickte nur stumm zu dem traurigen Bericht. Dieser schien ihm nicht» Neue» zu sein, sondern nur eine schreckliche Erinnerung in ihm wachzurufen. Die Erzählerin wischte sich eine Thräne au» dem Auge und fügte hinzu: „So gehl'« in dieser verkehrten Welt! Der Aufenthalt im Bade batte eine sehr günstige Wirkung auf Frau Schmidt'» Gesundheit gehabt, und nun mußte sie einen so gewaltsamen Tod finden und alle Opfer der braven Tochter waren um sonst gebracht. Wie hatte sie sich geplagt, um e« in ihrer Kunst vorwärt» zu bringen und der Mutter die Sorge um da« liebe tägliche Brod abzunehmkn. Da hatte sie endlich einmal Glück mit einem Bilde. Ein Amerikaner kaufte e« um fünfhundert Mark in blankem Golde! „Mutter, nun wirst Du gesund!" jubelte damals da» gute Mädchen und von dem Gelde wurde die Badereise bestritten. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt!" Die Sprecherin schwieg. Dem Fremden, der vorhin noch gerne hier hätte warten wollen, schien plötzlich der Boden unter den Füßen zu brennen. Er dankte der redseligen Frau für ihre Mittheilungen, erkundigte sich nach dem kürzesten Wege zur Gemälde Galerie, die sich ganz in der Nähe be fand, und verabschiedete sich. Die Alke begleitete ihn bi» an die Treppe. Draußen stand noch der riesige Mann, der ihr schon vorhin ausgefallen war. Er sah au» wie ein Arbeiter, der seinen SonntagSanzug trug, und hatte offenbar aus den Herrn gewartet. Schweren Schritte« folgte er ihm jetzt die hölzernen Stufen hinab. „Hm, hm!" machte die Alte, wieder in'» Atelier zurück kommend, „ist mir'« doch, al« hätte ich diesen Herrn mit dem schönen, gelehrten Gesicht schon einmal gesehen. Je länger ich ihn vor mir hatte, desto bekannter kam er mir vor. Wozu mag er denn wohl den großen, ungeschlachten Kerl mitgebracht haben, der draußen wartete? Ein wahrer Goliath! Erhalte so etwa« Versteckte« in seinem Gesicht — indessen kommt mir doch auch der gelehrte Herr sonderbar vor. Anfang« schien mir'«, al« wären ihm die Verhältnisse ganz fremd. Er fragt nach Frau Schmidt — ich sage ihm, daß sie todt ist — e» rührt ihn nicht! Kaum aber sieht er ihr Bild, da zeigt sich plötzlich, daß er sic kennt, und er ist wie umgewandeli! Nun entschlüpft ihm auch der Vorname de« Fräulein» — er kennt sie also ebenfalls — und doch hat er mich vorhin erst gefragt, ob sie Künstlerin sei, meinte sogar, sie habe da» ur alte Bild ihre» Vater» gemalt — da» junge Blut! Daraus werde ein Anderer klug. — Aber wo hab' ich diesen hübschen Herrn nur schon gesehen? Hal«, jetzt sällt mir'« ein! Die Zeichnung, an der Fräulein Marie immer so viel änderte! In der Mappe dort muß sie liegen." Neugierig öffnete die alte Frau eine Skizzenmappe, die aus dem Klavier lag, und ging Blatt für Blatt durch, bi» sie da» Gesuchte fand. E» enthielt mehrere Zeichnungen desselben männlichen Kopfe«, drei Versuche hatten dem Eigen sinne der Künstlerin nicht genügt, bi» endlich im vierten die vollkommene Aehnlichkcit erreicht war. Ja, da» war der ge lehrt aussehende Besucher von vorhin mit dem dunklen Voll barte und der Brille — da« war er, wie er leibte und lebte! .... 2. Die Gemäldegalerie war am heutigen Tage dem allge meinen Publikum verschlossen ; nur durchreisende Fremde er hielten Zutritt, wenn sie sich beim Kastellan meldeten, und nach Erledigung dieser Formalität sah auch jener bekannte Unbekannte, dessen wohlgelungenes Konterfei die Skizzenmappe der Malerin barg, die endlose Flucht der Säle und Kabinet» geöffnet, welche die Meisterwerke der Malerei enthielten. Bei allem Interesse für die Gebilde der Kunst, würdigte er die selben doch kaum flüchtiger Blicke, sondern schritt hastig von Saal zu Saal, bi» er in einem derselben eine Dame erblickte, die vor einer Staffelei eifrig den Pinsel führte, während eine zweite Staffelei da» Bild trug, nach welchem sie kopirte. Die Malerin mochte im Anfänge der Zwanziger stehen; um ihre schlanke Gestalt schmiegte sich schwarze Trauerkleidung, welche ihr Antlitz nur um so blässer erscheinen ließ. Die fcinge- schnittenen Züge desselben mit den in feuchtem Schmelz schim mernden, blauen Augen und dem goldig blonden Haar, da» im Nacken zu einem griechischen Knoten verschlungen war und vorn in natürlichen Locken auf die Stirn herabfiel, hätten für die Kunst de» Pinsel» selbst einen würdigen Gegenstand abgegeben. An störende Galericbcsucher gewöhnt, hatte die Malerin den Ankömmling nicht beachtet, sondern emsig weilergearbeitel; erst al» die Gestalt de» Nähertrelenden ihr die Leinewand verdunkelte, schlug sie da» Auge auf. Fast wären Pinsel und Palette ihren Händen entsunken. „Herr Doktor Zocher!" rief sic in freudigem Schreck, während dunkle Gluth über ihr Antlitz flog. „Einen seltsamen Zufall muß ich c» nennen," sagte Doktor Zocher mit tiefer Bewegung, „der mich Sie so unverhofft finden ließ, Sie, die ich so lange vergeben» gesucht habe!" „Sie haben mich gesucht?" frug Marie mit dem Aus druck froher Verwunderung in ihren großen, blauen Augen. „Ja, ich suche den Engel, der an meinem Krankenlager gewacht und mich mit solcher Hingebung gepflegt hat," fuhr Zocher fort, die kleine Hand der Malerin drückend. „O, Fräu lein Marie, wie haben Sie sich in dem Herzen de» Ihnen völlig fremden Reisegefährten sestzufltzen verstanden, mit dem Sie nicht« verband, al« die gemeinsame Fahrt in dem gleichen Eisenbahncoupe." „Und da» gemeinsame Bcarabenwerdcn unter den Trüm mern de« Wagen«," ergänzte Marie, wie in schrecklicher Rück- Erinnerung die Augen mit der Hand bedeckend. .Gemein schaftliche« Unglück ist ein fester Kilt." „O, e« ist wehr al« die«!" sagte der Doktor. „Derselbe Sturz in die Tiefe, welcher mir eine Gehirnerschütterung zuzog, kostete Ihrer Mutter da« Leben, und während Sie mit tiefem Kummer erfüllt waren um die Theure, die man in der fremden Stadt begrub, hielt Ihr Mitgefühl für den ver lassenen Fremdling Sic an dem trüben Orte zurück. In dem Hospitale, wohin man ihn geschafft halte, verbrachten Sie Tage und Nächte an seinem Krankenbette und wichen nicht von der Stelle, bi« die Aerztc ihn außer Leben-gesahr erklärten. Ach, wie gern hätte ich dankbar die Hand gedrückt, welche mich so zart pflegte, aber Sie waren verschwunden wie ein Traum. Wohl erfuhr ich, al« ich genesen war, den Namen Ihrer Mutter, denn er war ja deutlich genug in die Tvdten- listc de» Städtchen« elngezeichne«, dennoch —" „Ich habe mir wohl eine Ungenauizkeit zu Schulden kommen lassen," bemerkte die Malerin, „indem ich dem Stan- de«bcamlen nicht den Wohnort, sondern nur den Geburt«ort meiner verstorbener. Mutter angab, wo sie Niemand mehr kennt." „Da« erklärt allerdings da» Vergebliche meiner Nach forschungen," sagte Zocher. „Ihre Frau Mutter war in der Sterbelislc al» Wittwe angeführt," fügte er in fragendem Tone hinzu. Die Malerin nickte. „Mein Vater war Schiff»kapitän," erzählte sie. „Bald nach seiner Verheirathung mußte er auf Jahre von seiner jungen Gattin Abschied nehmen, weil er mit seinem Kauffahrer nach Ostindien geschickt wurde. Aus der Rückreise litt er Schiffbruch. In zwei Booten vertraute er sich mit seiner Mannschaft dem stürmischen Meere an. Bon dem einen Boote hat man nie wieder gehört; da« an dcre, auf welchem sich mit noch zwölf Mann mein Vater befand, sollte der Schauplatz entsetzlicher Leiden und Szenen werden. Zehn Tage lang trieb e« auf offener See umher, der geringe Vorrath an Nahrungsmitteln und Trinkwaffer, den man von dem sinkenden Schiffe hatte mitnehmcn können, war bald erschöpft. Einer nach dem Anderen erlag den Qualen de« Hunger« oder de« Durste«, darunter auch mein armer Vater. Nur der Untrrstcuermann überlebte seine Un glücksgenossen und wurde von einem ihm begegnenden Ham burger Schiffe ausgenommen. Durch ihn erfuhr meine Mutter da« traurige Ende meine« Vater«. Ich war damals vier Jahre alt. Er hat mich nie gesehen, denn sech« Monate nach seiner Abreise bin ich geboren worden." (Fortsetzung folgt.) Das Aller. Man sagt, die Jugend schmücke da« Hau» ; aber ein schöne« Alter thut e« nicht weniger. Ohne einen Greis oder eine Matrone ist ein Familiengemälde nicht vollständig, und noch weniger kann sich ohne beide da» Familienleben in seimr ganzen Schönheit und Innigkeit entwickeln. Junge Leute sind nie liebenswürdiger, al« wenn sie mit Liebe und Ehrerbietung zu den Aelleren cmporblicken, und die Aelteren sind nie schö ner, als wenn sie sich mit liebender Sorgfalt zu den Jüngeren herabneigen. Und ebenso merkwürdig als schön ist jener Zug der Natur, der in Familien stet» die Nettesten und die Jüng sten zu gegenseitigem Trost und Ergötzen vereinig«! Eine neue Phase im Leben der Frau beginnt mit der Verheirathung ihrer Kinder. Welch neue» Feld zu segensreicher Wirksamkeit eröffnet sich damit ihrer Thatkraft. Löst sich mit ihrer Ver heirathung die Tochter Anfang« scheinbar gänzlich lo» von dem elterlichen Hause, um sich in dem eigenen völlig einzu leben, so wird eine selbstlose Mutter die» mit Befriedigung wahrnehmcn und sie darin bestärken. Bald genug kommt im natürlichen Laus der Dinge ihre Zeit wieder, wo da« Ver trauen der Tochter nach keinem Rath und keinem Beistand so sehnsüchtig verlangt al« nach dem der Mutter. Erhöht sich da» Familienglück durch die Geburt eine« Kinde«, dann naht zugleich eine neue Versuchung, denn manche Großmutter, welche den eignen Kindern gegenüber eine verständige Strenge bewiesen, ist völlig umgewandelt, da e« nun gilt, sie an den Enkeln zu üben. Stiller und unbewegter gestaltet sich da« Alter der kinderlosen Frau, welcher aber noch der ebensall» ergraute Gatte zur Seite steht, dem sie jetzt Gelegenheit hat. Alle« zu vergelten, wa« er ihrer Jugend gewesen. Da blickte sie zu ihm nicht nur al« zu ihrem Geliebten, sondern vielmehr noch al« zu ihrem Führer, Beschützer und Berather empor, ohne welchen sic nicht« zu thun und zu bestimmen vermochte. Jetzt ist er in der Regel von ihr abhängig, und ohne ihre treue Liebe, Ge duld und Pflege würde sein Lebensabend de« lieblichen Abent- roth» entbehren, dessen Schimmer auch die Stunden verklärt, von denen wir sagen: „sic gefallen un« nicht." Wie gut versteht sic ihn aufzuheitern, wenn mit der Unthätigkcit zu gleich die Langeweile seine Stimmung niederdrückt! Wie schnell crräth sie sein Verlangen nach dieser oder jener Be quemlichkeit, dieser oder jenen kleinen Unterhaltung! Mit welcher Bereitwilligkeit geht sic aus Alle« ein, wovon er sich eine Annehmlichkeit, Erleichterung oder Zerstreuung verspricht! Sie kennt keine Schwierigkeit, betrachtet nicht- al« ein Opfer, wenn e« de« geliebten Manne» Behagen gilt, da« Behagen, welche« keine andre al« eine zarte, wenn auch alte Frauen hand zu schaffen befähigt ist. Vielleicht hat sie selbst an den Beschwerden und der Kränklichkeit nicht leicht zu tragen, welche die gewöhnlichen Begleiter der höheren Jahre sind; aber sie gewöhnt sich mit immer stärkerer Willenskraft, sie so wenig al« möglich bemerkbar oder für Andre störend zu machen, und läßt sich nicht dadurch von der Erfüllung ihrer theucrstcn Pflichten abhallen. E« ist merkwürdig, wieviel ein Frauenkörper zu dulden vermag, wenn er der Träger einer starken Seele ist. Da« eigne Leiden macht sie dann so mild und theilnehmend, so verständnißvoü für da« ihrer Neben- Menschen, daß die ältere Frau sich auch am Häufigsten dahin gezogen fühlt, wo e« gilt, Thränen zu trocknen und Kummer zu lindern. Und auf diesem Wege erblühen ihr noch Freuden, welche auch dann ihr Trost sind, wenn sie den Freund ihrer Seele, den treuen Begleiter durch« Leben vor sich hinscheiden sieht und ihr da« Loo» der Wittwe, damit zugleich in vielen Fällen eine Vereinsamung bestimmt ist, welche nur ein wahr haft fromme« Gemüth ergebung-voll auf sich nimmt. Immer findet die größte Vereinsamung da statt, wo der Egoi»mu» die eigne Person zum Ccntrum aller Gedanken und Bestreb ungen erhebt. Ein unter allen Umständen, auch unter Leiden und Entbehrungen schöne« Alter erblüht nur bei der festen Richtung de« Herzen« zu Gott. In ihrem Gefolge sind un verbrüchliche« Vertrauen, stille Ergebung, aufrichtige Demulh, warme, thalkräftige Nächft-nliebe al» die edelsten Attribute de« Bilde«, welche« un« Allen vorschweben sollte, so oft wir unser« Alter« gedenken.