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Verlage zu Nr. 151 des „Amts- und Anzeigeblattes". Eibenstock, den 22. Dezember 1896. Ein Wiedersehen am Weihnachtsabend. Von I. Feilmann. (Schluß.) .Räumen Sie Alle« fort, Marie,' sagte sie mit müder Slimme, und dann in da« Boudoir tretend: „Löschen Sie die Lampe au« und zünden Sie die Wachskerzen auf dem Kandelaber an. Ich habe Kopfweh und gehe nicht au«.' Verwundert schaut Marie in da« blasse Antlitz der Herrin, aber sie erlaubt sich keine Frage, kopfschüttelnd, mit einer Thräne im Auge entfernt sie sich. Und jetzt sitzt Irmgard mit schlaff über die Seitenlehnen de« rothcn Sessel« herabhängenden Armen wie traumverloren am Kamin. Aus dem Tisch neben ihr steht ein kleine« chine sischer Thceservice und im altmodischen Silberkessel brodelt da» Thecwasser über der lichtblau flackernden Spiritusflamme. Da« Holzfeuer knistert und sprüht und da« Wasser zischt und singt seine geheimnißvollen, wundersamen Weisen. Schneller und schneller wirbeln die Dämpfe empor in dichten, sich ver- flüchtenden Ringen, in an der Decke zerfließenden Dunst wölkchen. Jetzt lodert die Spiritusflamme hoch aus — klappernd hebt und senkt sich der Deckel — da fährt Irmgard erschrocken au« ihrem starren Brüten — au« der blanken Rundung de« Kessel« blitzt ihr da« eigene Antlitz entgegen, verzerrt, entstellt. — Wa« mögen ihre Gedanken in diesem Augenblick gewesen sein? Schaudernd birgt sic da» Gesicht: „Nein, nein, ich kann e« nicht vergeben, ich kann e» nicht gestehen, o, wäre ich todt, wozu bin ich geboren!" Dann sitzt sie in stummer Verzweiflung, lange dem einen Gedanken nachhängcnd — — Die Spiriturflamme ist erloschen, da« Holzseuer gesunken, düster brennest die Wachslichter — still ist c« — todtenstill — Irmgard schläft. — Da weitet und dehnt sich da« Gemach und verwandelt sich in ein ungeheure« Schneefeld. Kein Mensch nah und fern. Nur eine mit schwarzen Blumen be steckte Bahre steht inmitten und daraus ruht Irmgard Acker mann, im schwarzen Sammtgcwand und mit Demanten und Perlen geschmückt. Plötzlich quellen überall au« den Blumen kelchen nebelhafte Wesen, die tragen große, schwarzumrandete Briese, welche sich aus Irmgard« Brust häufen. Und au« dem Schnee zucken ringsum lichtblaue Flämmchen, die züngelnd an dem sich thürmenden Haufen cmporlecken. In namen loser Angst will Irmgard schreien, sie ringt und ringt, um sich zu erheben, vergeben», eine eherne Gewalt hält sie zurück und schwerer und schwerer wird die Last und näher und näher kommen die Flämmchen. — Da ertönt plötzlich sanfte Musik und von duftigen Wolken getragen erscheint ein Mädchen über ihr mit engelmilden Zügen und veilchenblauen Augen. In der Hand trägt sie ein Blumenkreuz, da« sie langsam schwenkt. Da strömt ein Blüthenregen vom Himmel herab, daß die Flammen erlöschen und die Nebelwesen zerrinnen — aber noch immer steht die Bahre mit Irmgard auf dem öden, weiten Felde. — Fünf Uhr! Fünf silberhelle Schläge vibriren in der Lust — lauter Kinderjubel dringt herauf — unten im Erdgeschoß giebl e« Beschcerung — Jauchzen, Lachen, dann wirb e« wie der still; jetzt ertönt vierstimmiger Gesang: — „0 sancti^imn! 0 piissima!^ schwillt c« an in reiner Harmonie und feierlich durchzittern die frommen Klänge da« ganze große Hau«. Da erwacht Irmgard au« ihrem Traum. Ein langer Seufzer entringt sich ihrer schwerbeladenen Brust, al« sie langsam die Augen aufschlägt. Traum und Wirklichkeit, beide hallen sic einige Sekunden gefangen, dann gleitet sie nieder an ihrem Sessel, und da« bleiche Antlitz bergend, weinte sie leise, ganz leise. „Orn, ora pronodis!" verhallten die letzten Töne de» Gesänge«. Eine Stunde ist verronnen und jetzt sitzt Irmgard mit Thränenspurcn auf der Wange vor einem Stoße vergilbter und theilweisc noch unerbrochener Briefe, die alle die Auf schrift: „An Frau Elisabeth Ackermann" und den Poststempel New-Jork tragen. Ruhig ist die Hand, welche mit dem Elfen beinmesser ein Kouvert nach dem anderen öffnet; den» Irm gard ist nach schwerem Kampfe mit sich und dem in ihr woh nenden Dämon Le« Hasse» zu dem feste» Entschluß gelangt, sich der Schwester zu offenbaren und ihr Versöhnung anzu bieten, war immer die Briefe enthalten mögen. — Und welch ein Familienleben voll aufopfernder Liebe entrollt sich hier vor ihr in diesen Blättern. Ihr ist, al« ob au« den Worten selbst ein warmer Strom sich in ihr verhärtete« Gemüth er gieße Alle« thcilt Hedwig der Mutter mit, Freud und Leid, al« hätte der Mutter Hand segnend auf ihrem Brautkranz gelegen. „Mir ist, al« ob sich der Schmerz von meiner Seele löse, theure Mutter, sobald ich Dir von O«kar und den süßen Kleinen erzähle, denn mein Herz krankt an dem mich verfol genden Gedanken, daß ich Euch und Irmgard solch tiefe« Weh bereitet." Und in einem späteren Bries: „O diese heiße Sehn sucht nach Dir, nach Irmgard, nach der deutschen Heimath, wie sie mich so oft verzehrend ersaßt." Oskar ist fleißig, treu und sparsam, aber schwer hat er im Anfang zu kämpfen ge habt, damit seinen Lieben nicht« mangle." Keine Klage über ihre äußeren Verhältnisse wird laut, nur eine tiefe Wehmuth rinnt durch die Briefe, daß sie ihr Lieberglück so lheuer er- kauft, daß die Schwester durch sie unglücklich geworden. „Auch O«kar leidet," erzählt sic wiederholt, „denn eine Rückkehr in« Vaterland ist ihm ja nicht möglich, und dennoch wurzelt er mit allen Fasern seine» Sein« am deutschen Boden. — „Einer der letzten Briefe enthält die Todesnachricht de« Gatten, die Schrift ist unleserlich und verwischt von Thränen. „Möchte Karl den Namen Fel-eck in Deutschland wieder zu Ehren bringen, da« war der Wunsch seine« Herzen«, den er noch auf dem Sterbebette aussprach." Tiefbewegt hält Irmgard da« letzte Schreiben in der Hand: „Liebe, theure Mutter, ich komme selbst, um Dir meine vaterlosen, wohl bald ganz verwaisten Kinder ans Her; zu legen." Lange sitzt Irmgard sinnend da, dann läßt sie die Feder flüchtig über da« Papier gleiten. Ein Diener trägt den Brief fort. — Wa» wird die Antwort sein? Darauf nimmt sic einen alten, rostigen Schlüssel und geht, die Lampe in der Hand, einem Erkerstübchen am fernen Ende de« Korridor« zu. Schwer nur öffnet sich die Thür. Da umfängt sie eine dicke, staubgeflllltc Atmosphäre und die Lampe erlischt, aber schnell entriegelte sie da« Fenster und jetzt strömt frische kalte Lust herein. Groß und golden schwebt der Mond über der friedlich stillen Winterlandschaft und seine Strahlen gleiten in da« Stübchen - auf ein vergilbte« Brokat kleid mit bauschigem Schlepprock und langer Schleppentaille und auf einen duftigen Spitzenschleier und einen fast zu Staub verfallenen Myrthenkranz. Eine Thräne tropft au« Irmgard« Augen auf da« rau schende, knisternde Gewand, al- sie c« zusammenrafft. — Nein, keine Spur soll davon bleiben. Im Komin de« Gemache«, in welchem Irmgard den sie erlösenden Traum geträumt, lodert eine Helle Flamme. Die Schwester opfert der Schwester die Vergangenheit ; leuchtenden Auge« sieht sie in der hochaufsteigendln Lohe Helle, freudige Zukunftsbilder. Am fernen Ende ter Stadt brennt in einem kleinen Stübchen ein Tannenbaum voll weißer Wachslichtchen. Unter seinen Zweigen spielt still und geräuschlos der kleine Kurt v. Felicck mit Zinnsoldaten. Dan» und wann horcht er nach dem anstoßenden Gemach, von wo leise« Schluchzen dringt. Auf dem Ruhebett dort liegt eine bleiche Frau mit stark er grautem Haar und vergeistigten Zügen, die mit der Linken einen Brief fest an die Brust gedrückt hält, während die feine, blaudurchädcrte Rechte da« blonde Haar de« vor ihr knieenden Mädchen« streichelt. „Sprich nicht vom Sterben, Mutter, Du wirst genesen, die Versöhnung, der heimathliche Boden —" „Des Himmel« Wille geschehe, liebe» Kind, vielleicht hast Du recht," und ein Hoffnungsstrahl bricht au« den blauen umschleicrten Augen; „ja, ich möchte leben und Irmgard voll Eurer Liebe beglückt sehen in dem alten Ackermannschen Hause." — — Da öffnet sich die Thür. „Hedwig — Irmgard!" Still, Herz an Herz gedrückt halten sich die Schwestern lange sprachlos umfangen. Als am heiligen WeihnachtStag die Sonne untergcht und die Abendglocken läuten, da bricht au- den Fenstern de« spitzgicbeligen Patrizierhause« strahlende Kerzenpracht und eine volle, junge Altstimme singt: „Ehre sei Gott in der Höhe!" AermWte Wachrichlen. — Wittenberg. Der Sternstraße Nr. 5 wohnende Hauptmann der vierten Compagnie de« 20. Regiment«, Koel«, früher bei der Luftschifferabtheilung, ist am vergangenen Mittwoch früh, wie der „Hall. Ztg." von hier gemeldet wird, von seinem Burschen, der zweifellos die Absicht hatte, ihn zu tödten, durch einen Schuß au« dem Büchsenlauf eine« Jagdgewehr« (Drilling) schwer verwundet worden. Der Bursche, der in dem Dorfe Cropstedt ort-angehörige Muske tier Schütze, welcher im zweiten Jahre dient und bei der Compagnie seine« heiteren Temperament« wohl gelitten ist, sollte heute vielfacher Trunkenheit wegen abgelöst und mit Arrest bestraft werden; er soll bereit« gestern Abend geäußert haben, daß er erst seinen Hauptmann, dann sich selbst er schießen wolle, und er ist erst gegen 2 Uhr Nacht« betrunken nach Hause gekommen. Die letzte Ursache zu der Katastrophe, die keine Zeugen hatte, ist noch nicht bekannt. Der Schuß traf den Hauptmann in die Schuller, au« der die Kugel herausgeschnitten worden ist. Der schwer, aber nicht leben« gefährlich Verletzte hat Ausnahme im Garnffonlazareth gefun den. Der Bursche, der sich nach der Thal eingeriegelt hatte und jeden Eindringenden zu erschießen drohte, ist von einer Patrouille überwältigt und in Untersuchungsarrest abgeführl worden. — Eine Weihnachtsüberraschung. Au« Berlin berichtet die „Tägliche Rundschau": Eine unangenehme Weih nachl»übcrraschung wurde dieser Tage einem Ehepaare, da nach mehrmonatigem Aufenthalte in der Riviera in die deutsche Heimath heimkehrte, zu Theil. Al« e» nämlich den Salon öffnete, strahlte ihm in vollem Lichterglanze der von der Decke herabhängende achlftammige Gaskronleuchter entgegen, den da« Dienstmädchen in seiner Herzensfreude darüber, daß sie nach Italien mitgenommen wurde, bei der Abreise der Herr schaft auszulöschen vergessen und der nun monatelang Tag und Nacht gebrannt hatte. Die Gasrechnung von nicht ge ringer Höhe ist sowohl für die Herrschaft wie für die vergeß lichc Magd ein bitterer Nachgeschmack zu der italienischen Reise. — Anleihe und Heirathsvermittelung. Der großartige Erfolg ter neuen spanischen Anleihe hat in Madrid gar wunderliche Früchte gezeitigt. Man sollte e« kaum glauben, aber dem ist doch so: Die Anleihe wird eine ganze Reihe von Ehebündnissen veranlassen. Damit hat e» laut „Frank surter Zeitung" folgende Bewandtniß: Da die Regierung, um augenscheinlich zu machen, daß eS sich um eine rein nationale Zeichnung gehandelt, die Namen der einzelnen Spender unter Angabe der gezeichneten Beträge im Amtsblatte „Gaceta de Madrid" veröffentlichen läßt, so fiel Jedermann die große Anzahl von ledigen Frauen auf, die sich mit mehr oder weniger großen Summen an der Anleihe betheiligt haben. Den neuesten angeslellten Statistiken gemäß befinden sich unter den Gebern über 3000 weibliche Personen, die meisten von ihnen unverhcirathct oder Wittwen. Die von ihnen gezcich neten Beträge schwanken zwischen 3 Millionen und 5000 Pesetas. Dieser Umstand hat einen ganz besonderen Eindruck auf die Madrider Herrenwelt gemacht, darunter sich manch einer befindet, dessen Wappen der Wiedervergoldung dringend bedürftig ist. Die jungen Leute lesen also jetzt mit größtem Interesse die Spalten der sonst verschmähten Zeitung und stellen fleißig Verzeichnisse an von den Namen der reichsten Erbinnen. Diesen geht nun seit einiger Zeit eine wahre Fluth von Liebesbriefen und HeirathSantrSgen zu, und man versichert, daß infolge dessen bereits viele Ehebündnisse ver einbart worden sind. Der Schatzminister kann sich also rühmen, vielen feiner Landrlcute zu einem Ehegespon« ver helfen zu haben. Da« wurde Herrn Navarro Rcvertera ge wiß nicht an seiner Wiege vorgcsungcn, daß er einst HeirathS- dermitller im großen Stile sein werde! — Wenn man ansängt, alt zu werden. Au- Luzern erzählt man: Im Jahre >866 war Herr I)r. Geißelcr nach Amerika auSgewandert, und er stand seit jener Zeit mit seinen Freunden in der Schwei; stet« im Briefwechsel. In seinem letzten, vom 4. Septbr. dalirten Brief an einen Freund entschuldigt er sich folgendermaßen: „Du mußt mir verzeihen, daß ich so nachlässig im Schreiben bin; dasselbe wird mir schon beschwerlich. Ich habe am 16. August mein 92. Jahr angetreten und fange nun doch an alt zu werden." — Harte Strafe. Der schmucke Förster ertappt eine bildsaubere Dirn beim Holzsammeln: „Weißt nit, Mädel, daß da« verboten ist? I muß di aufschreiben." — „Ach, Herr Förster —" „Na, aber Straf' muß sein! Mußt mir a Busserl geben zur Buß'!" — Sie wird roth, aber sie hält ihm den Mund hin — zur Straf'. Dann nach dem langen Kuß sagt sic leise, halb schelmisch, halb schamhaft: „Herr Förster — vor acht Tagen — hab' i scho 'mal Holz sam melt. . . ."